PDF-Datei - Lebenshilfe Braunschweig

POS IT IO N E N | 2016
www.lebenshilfe-braunschweig.de
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Ansprechpartner
Dr. Hans-Joachim Beinroth (Vorstand)
Telefon 0531 4719 220
[email protected]
Detlef Springmann (Geschäftsführung)
Telefon 0531 4719 220
[email protected]
Kerstin Hoffmann (Kinder und Familie)
Telefon 0531 4719 214
[email protected]
Dr. Laurenz Aselmeier (Wohnen)
Telefon 0531 4719 218
[email protected]
Ulrich Semmler (Arbeit)
Telefon 0531 4719 203
[email protected]
Kathleen Hülsebusch (Verwaltung)
Telefon 0531 4719 222
[email protected]
Lebenshilfe Braunschweig
Kaiserstraße 18, 38100 Braunschweig
Telefon 0531 4719 0
Spendenkonto
Bank für Sozialwirtschaft Hannover
IBAN DE42 2512 0510 0007 4810 01, BIC BFSWDE33HAN
www.lebenshilfe-braunschweig.de
Fotos: Elke Franzen (0), außer Anna Elmenthaler (I),
Christine Garn (II), Sonja Lippke (III), Jonas Scheiffele (IV),
Martin Slawig (V), Daniel Strobach (VI) sowie Fotolia (VII),
MAN AG (VIII) und Lebenshilfe Braunschweig (IX)
Konzeption und Redaktion: Elke Franzen,
Lebenshilfe Braunschweig
Gestaltung: Hinz & Kunst, Braunschweig
Druck: Druckerei Lebenshilfe Braunschweig
© Lebenshilfe Braunschweig gemeinnützige GmbH, 2016
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Vorwort
Im Hafen ist ein Schiff sicher,
aber dafür ist es nicht gebaut.
Flüstern Sie doch mal ”ich” oder besser noch
rufen Sie es laut in die Welt hinaus: ”ICH!”
Dieses kleine Wort birgt so viel Potential.
„Ich“… bin der Mensch, dem meine Eltern ein
Leben geschenkt haben. „Ich“… bin der Mensch,
der in diesem geschenkten Leben seinen Weg
findet. Doch das Bewusstsein eines eigenen Willens und Wollens, eines eigenen Selbstbewusstseins, ist ein langer Prozess. Er wird begleitet
von Eltern, Familie, Freunden, Ausbildern, Arbeitgebern und zahlreichen weiteren Unterstützern.
Ziel unserer Entscheidungen und unseres Tuns,
unserer Angebote und Projekte, ist es, jungen
Menschen mit Beeinträchtigung Wege zu öffnen.
Wir möchten, dass sie eine Wahl treffen können.
Und sie werden Schritt für Schritt herauskristallisieren: Was ist es, was mein Leben ausmacht?
Aus einem solchen Selbstbewusstsein formt sich
dann auch eine Selbstverantwortung. Wie möchte ich leben? Was könnte ich arbeiten? Wer ist
mir nah am Herzen? Was macht mich glücklich?
Wer diese Fragen nicht beantworten kann und
nie gelernt hat, sich zu entscheiden, der muss die
Folgen der Entscheidungen hinnehmen, die andere für ihn treffen.
„In der Pubertät ist das Gehirn eine vorübergehende Baustelle“, beschreibt Professor Martin
Korte von der Technischen Universität Braunschweig, einer der bekanntesten deutschen Hirnforscher, die Phase der Suche und Revolte. Alles
wird gefiltert und neu bewertet. Und wenn es gut
klappt, gewissermaßen geschmeidig vom Stapel
läuft, verlässt das Schiff den sicheren Hafen mit
einer Stärke, die von innen hält, mit einem Umfeld,
das bestätigt und – wo immer nötig – ein funktionierendes System aus Assistenzen etabliert.
Diese Assistenzen sind vielfältig, immer häufiger
nicht nur denkbar, sondern auch umsetzbar.
In POSITIONEN | 2016 möchten wir Ihnen einige
junge Menschen und ihre Ideen, einige Gedanken
ihrer Eltern, einige besondere Lösungen für besondere Menschen vorstellen. Und Sie werden merken:
Diese jungen Menschen entwickeln Selbstvertrauen und hissen ihre Segel mit dem Motto:
„Leben wir los!“.
Vorsitzender
Geschäftsführer
Seneca
GLüCK … TrosT … TRaum … MUT!
Junge Menschen und die wirklich wichtigen Dinge des Lebens
Denise
Timon
Was ist für dich Glück? Glück ist für mich, keine
Unfälle zu haben und gesund zu sein. Glück ist,
wenn alles gut ist.
Bist du glücklich und zufrieden? Ja! Ich lerne hier
viel und habe auch viel Spaß in der Lebenshilfe.
Was muss man tun, um jemanden glücklich zu
machen? Trösten! Man muss die Person trösten
und für sie da sein.
Was wünschst du dir? Ich möchte helfen. Ich will
Leuten, die nicht so viel machen können, helfen
und sie unterstützen.
Was ist dein Zukunftstraum? Mein großer Traum
ist es, im Kindergarten zu arbeiten.
Was ist Mut für dich? Alleine in die Stadt zu gehen,
ist sehr mutig.
Was ist Glück für dich? Dass ich hier sein darf!
(In der Lebenshilfe)
Bist du gerade glücklich? Ja! Sehr!
Was muss man tun, um glücklich zu sein? Man
muss im Radio sein! Wenn man im Radio ist,
dann ist man glücklich.
Was wünschst du dir? Ich möchte für das Radio
arbeiten und etwas moderieren und reden.
Wann warst du das letzte Mal so richtig mutig?
Als ich mich getraut habe, hier zu arbeiten.
Da war ich echt sehr mutig.
Ayse
Bist du glücklich? Ja, sehr.
Was wünscht du dir für deine Zukunft? Ich möchte später draußen arbeiten können! Ich will auch
viele Sachen machen, die ich jetzt noch nicht
kann. Ich möchte noch ganz viel lernen.
Was ist für dich Mut? Wenn man sich was traut
und an sich selbst glaubt.
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Denise
Phillip
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Gülsah
Was bedeutet Glück für dich? Wenn man lachen
kann und keine Probleme hat. Das ist Glück.
Wenn man nett und freundlich ist und einfach
fröhlich.
Bist du glücklich? Ja, ich bin schon glücklich. Ich
bin froh, dass ich sprechen und gehen und so
was kann, das ist wirklich gut und macht mich
glücklich.
Was muss man haben, um glücklich zu sein?
Menschen, die immer für einen da sind.
Was wünschst du dir? Ich möchte meinen Führerschein machen und später eine gute Arbeit
haben. Ich möchte auch eine eigene Wohnung
und wünsche mir viel Frieden.
Was ist Mut? Wenn man sich zum Beispiel
traut, vom 10er im Schwimmbad zu springen!
Das ist mutig.
Wann warst du das letzte Mal so richtig mutig?
Ich war sehr mutig, als ich mich endlich getraut
habe, vom 3er zu springen. Das ist eigentlich
nicht so mein Ding, aber ich hab es mich dann
getraut und war sehr stolz auf mich. Ich war
besser als gedacht und das war echt toll!
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Phillip
Was bedeutet Glück? Arbeit. Glück ist, eine
Arbeit zu haben.
Was muss man tun, um glücklich zu sein?
Nicht nerven.
Was wünschst du dir gerade? (nach langem
Nachdenken) Ich habe keine Wünsche. Ich bin
hier wunschlos glücklich.
Was wünscht du dir für deine Zukunft? Geld.
Ich möchte Häuser bauen und damit Geld
verdienen.
Wann warst du das letzte Mal so richtig mutig?
Ich war ganz mutig, als ich den Fahrstuhlknopf
das erste Mal selbst gedrückt habe.
Interviews: Anna Elmenthaler
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Ayse
Gülsah
Timon
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„Vertraue dir und deiner Stärke“
Gedanken einer jungen Frau über die Aufgabe,
den richtigen Weg zu finden
Eben noch saß ich im Unterricht und habe meine
Zeit abgesessen. Habe einen vorgefertigten
Stundenplan gehabt und die Aufgaben erledigen
müssen, die mir aufgetragen wurden. Jetzt sitze
ich hier auf dem Boden in meinem Zimmer mit
dem Abiturzeugnis in der Hand und weiß nicht
weiter. Denn jetzt gibt es keinen vorgemalten
Weg mehr. Kein „Die Aufgabe für die nächste
Woche ist…“ und auch keine Lehrer, die mich
wegen nicht gemachter Hausaufgaben anzählen.
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Jetzt bin ich auf mich gestellt. Ich muss mich
selbst organisieren. Ich muss mir selber Aufgaben
stellen. Ich muss mich selbst motivieren. Nach
zwölf Jahren, in denen mir das mehr oder minder komplett abgenommen wurde, ist das echt
keine einfache Aufgabe.
Wie geht es weiter mit mir? Die Schule ist beendet, ich habe alle Grundbausteine, um mir jetzt
selbst einen Weg zu bauen. Doch wohin? Was
will ich machen? Was will ich werden? Was möchte ich mein gesamtes Leben tun?
Ich weiß es nicht. Noch nicht.
In genau dieser Situation war ich vor einigen
Wochen. Ich wusste nicht, wohin mit mir. Wusste
nicht, was zu tun ist. War komplett überfordert
mit der auf einmal geforderten Selbständigkeit.
Doch dann kam ein Wegweiser. Eigentlich mehrere. Viele kleine Anstöße und Schubser, die
mich dazu brachten, in eine bestimmte Richtung
zu gucken und meinen Weg zu finden. Es war
eine riesige Erleichterung, die mir, nach einigem
Überlegen und Nachfragen aber auch etwas
gezeigt hat.
Jeder braucht irgendwelche Wegweiser, um seinen Weg zu finden. Seien es Personen oder Plakate, Projekte oder Praktika, Gespräche oder
Veranstaltungen. Schlechte und auch gute Erfahrungen. Das alles hilft, den richtigen Weg für
sich selbst zu finden. Jeder kleine Schnipsel hilft.
Zusammen ergeben sie ein Bild mit einer Antwort.
Zwischenzeitlich verzweifelte ich fast – alle meine
Freunde, Bekannten und Schulkameraden hatten
irgendwie einen Plan. Alle wussten, wohin es
mit ihnen in Zukunft gehen sollte. Nur ich nicht.
Dachte ich. Aber bei genauem Hinsehen schwebten noch viele zwischen unterschiedlichen Wegen
oder hatten keine Ahnung wie ich.
Aber zur Beruhigung: Jeder findet irgendwann,
irgendwie, irgendwo seinen Platz.
Wenn es dir auch so geht, wie es mir ging, dann
habe ich einen Tipp: Sei offen für Neues, stelle
vielen Leuten viele Fragen, probiere aus und sei
wachsam. Lauf nicht mit Scheuklappen und der
Einstellung „Ich finde hier eh nichts für mich!“
durchs Leben, sondern achte auf deine Wegweiser. Und vor allem: Vertraue dir und deiner Stärke.
Dann findest du deinen Weg.
Text: Anna Elmenthaler
Hospitierte vor ihrem Studium in der Öffentlichkeitsarbeit der Lebenshilfe Braunschweig
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Knalleffekt beim „Seitentausch“
Auszubildende erhalten bei MAN besondere Einblicke
in die Industriearbeit
Marvins Glück begann mit einem großen Knall:
Kurz nachdem der 22-jährige zusammen mit den
Auszubildenden der MAN AG die letzten Schrauben angezogen hatte, stürzte das gemeinsam
gebaute Regal erst einmal mit lautem Getöse
ein. „Wir haben einfach zu viel Material hinein
gelegt“, erzählt er und schmunzelt: „Die Arbeit
war trotzdem toll und hat viel Spaß gemacht.“
Im Projekt „Seitentausch“ lernen Auszubildende
der Lebenshilfe Braunschweig und von MAN ein
paar Wochen im Jahr gemeinsam. „Wir haben
Rohre für das Regal zugeschnitten“, berichtet
Marvin Hübsch, der in der Lebenshilfe im Berufsfeld Handwerk ausgebildet wird. Eine Zeichnung
wurde erstellt. Nach dem Zuschnitt mussten die
Rohre zusammengeschraubt werden. Alles sei
gemeinsam mit den Auszubildenden von MAN
geplant und gebaut worden. Am Ende standen
ein professionell gefertigtes Regal, ein gemeinsames Gruppenfoto und eine Testfahrt mit einem
frisch produzierten MAN-Truck.
Für Marvin Hübsch konnte es nicht besser kommen. „Ich interessiere mich schon immer für
Autos“, erklärt er. Da sei es gar keine Frage gewesen, gleich mit dabei zu sein. Anstrengend sei es
manchmal schon gewesen. Geschwitzt hätten
sie, als das schwere Metall geschleppt werden
musste, um es im Regal zu lagern. Doch all das
sei der Mühe Wert gewesen, keine Minute hätten
er und drei seiner Kollegen bereut, um einmal
direkt bei einer Autofirma arbeiten zu dürfen.
„Viele unserer Auszubildenden möchten auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein. Zumindest
einmal ausprobieren, wie es in einem Betrieb zugeht“, berichtet Frank Rogalski, bei der Lebenshilfe für die Berufliche Bildung zuständig. Oft sei
der Respekt davor zwar groß. Manche würden
auch kurz zuvor noch „kalte Füße bekommen“.
Wenn das aber überwunden sei, gäbe es viele
sehr gute Ergebnisse und fast alle würden gerne
dabei bleiben.
Wolfgang Weidauer, Ausbildungsleiter bei MAN,
spricht ebenfalls von hohem Respekt. „Wir hatten keine Erfahrungen mit einem solchen Projekt“,
erklärt er. Das Ziel, Schlüsselqualifikationen auf
ungewöhnliche Weise zu erfahren, sei aber viel
zu wichtig gewesen, so dass auch das eine oder
andere Problem niemanden abgeschreckt habe.
„Unsere Azubis sollten zum Beispiel sehen, dass
es Menschen gibt, für die eine Ausbildung eine
sehr hohe Hürde darstellt, um damit auch den
Wert der eigenen Ausbildung noch besser schätzen zu lernen“, erklärte Weidauer.
Die gemeinsame Tätigkeit mit Menschen mit
Beeinträchtigung fördere die soziale Kompetenz
der Auszubildenden und verbessere zugleich die
Fähigkeit, andere anzuleiten und entsprechend
zu kommunizieren. Auch Teamarbeit würde durch
das Projekt gefördert. Beide Seiten wären ganz
offen aufeinander zugegangen. Nach zwei Tagen
habe alles so gewirkt, als wäre die Zusammenarbeit schon immer so gewesen.
Und so habe der Bruch der Regalböden im Projekt
auch keinerlei Folgen gehabt. Die Fehler wurden
gemeinsam zwischen den Auszubildenden und
ihren Ausbildern analysiert. Zusatzstützen erhöhten die Stabilität. Dann hielt das Regal und dient
seitdem als Depot für Metalle aller Art in der Ausbildungswerkstatt.
Für Marvin Hübsch hatte der „große Knall“ am
Anfang aber einen besonderen Effekt. Die gemeinsame Arbeit auch bei Schwierigkeiten bestärkte ihn in seinem Wunsch, beruflich mit Autos
zu tun zu haben und auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt tätig zu werden. Ersteres läuft derzeit bei einem Praktikum in der Fahrzeugpflege.
Doch das soll noch längst nicht der letzte Schritt
gewesen sein.
Text: Frank Rogalski
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„Wer das meistert, schafft auch die Prüfung“
Schwieriger Berufsstart für Fachpraktiker-Azubis –
nun aber Vorbild mit Motivation und Verantwortung
2 Uhr mittags, Gesamtschule Querum. Hier geht
nichts mehr: Hunderte Kinder stürmen die
Kantine. Schreie und lautes Lachen überall, der
Lärm einer Baustelle ist eine Oase der Ruhe
dagegen. Lehrer bahnen sich mühsam ihren Weg
durch die Menge. Mittendrin: Melanie Eilft,
Franziska Trautmann und Jan Jeschke. Die Ruhe
selbst, immer mit einem Lächeln auf den Lippen.
Essenausgabe, Kiosk und Dessertposten, die
Rollen sind generalstabsmäßig verteilt. Nichts
wird dem Zufall überlassen.
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Was an einem Mittwoch im Oktober wie selbstverständlich für die drei Auszubildenden wirkt,
war bis vor kurzem alles andere als normal.
„Meine erste Ausbildung musste ich abbrechen.
Das war einfach zu viel“, berichtet Melanie (21).
Franziska Trautmann war ein Jahr ganz ohne
Job. Freunde gingen zur Arbeit, sie saß zu Hause
oder „hing irgendwo ab“, erzählt die 20-jährige.
Dann kam von der Agentur für Arbeit das Angebot, eine Ausbildung zum Fachpraktiker Küche
zu machen. Unter seines Gleichen sein, war auch
nicht immer einfach. Früh morgens schon am
Herd stehen, Druck aushalten, von Wolfenbüttel
in die Berufsschule nach Wolfsburg mit Bus und
Bahn – das Leben nahm über Nacht einen ganz
anderen Weg als zuvor, wo das Aufstehen nicht
ganz so wichtig war. Wo sie machen konnten,
was sie wollten, nur nicht das, was nach der
Schule von ihnen erwartet wurde.
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Heute ist diese Zeit für die drei zwar noch lebendig, aber dennoch weit weg. Alle beweisen sich
täglich neu, sind reifer geworden, wissen, was
sie wollen. Jan Jeschke: „Kochen hat mir schon
im Praktikum viel Spaß gemacht, deswegen war
ich gleich voll dabei.“ Und Franziska träumt
sogar von einem eigenen Restaurant. „Trautmanns Traum“, den Namen dafür hat sie schon.
Wenn sich die Chance ergibt, wollen alle drei
noch weiter machen, den Abschluss als Koch
nachholen, um noch bessere Chancen zu haben.
Der Kontakt zu den Kunden, der Dank, der ihnen
bei Events ausgesprochen wird, das alles motiviert sie jeden Tag aufs Neue. Das Show-Cooking
neulich beim Tag der Ehrenamtlichen der Lebenshilfe Braunschweig sei so ein besonderes Ereignis
gewesen. Dort mussten sie über hundert Gästen
per Videoübertragung direkt aus der Küche zeigen,
wie zum Teil exotische Pflanzen und Früchte
zubereitet werden.
Wo sie früher niemals als Vorbild getaugt hätten,
übernehmen sie heute Verantwortung für andere.
Ausbilder Adrian Hamann hat ein Paten-Prinzip
in die Ausbildung eingeführt. Die Fachpraktiker
zeigen Menschen mit Beeinträchtigung, wie es
in der Küche funktioniert. „Lernen durch Lehren“
heißt das Prinzip, das in der Abteilung Berufliche
Bildung erprobt wird.
Das wirkt: „Anderen zu helfen macht sehr viel
Spaß“, berichtet Melanie und ergänzt: „Dadurch
wird auch unser Durchhaltevermögen geschult.“
Dabei hatten alle am Anfang große Vorbehalte,
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in der Lebenshilfe zu arbeiten: „Wir hatten Angst,
abgestempelt zu werden“, meint Jan. Das sei
heute kein Thema mehr.
Ein paar Hürden haben die drei aber doch noch
vor sich: Prüfungen stehen in Kürze an. „Andere
schauen dir beim Arbeiten direkt auf die Finger“,
fürchtet Melanie. Das sei nicht immer angenehm.
„Da möchte man dann doch lieber im Bett bleiben“, ergänzt Franziska.
Die „Herde hungriger Schüler“, die in Querum
auf ihr Essen wartet, bewältigen die drei schon
heute meisterhaft. Ausbilder Adrian Hamann ist
optimistisch: „Wer das meistert, den kriegen
wir auch durch die Prüfung.“ Und das ist für die
drei Azubis der nächste Schritt in ein normales
Leben.
Text: Frank Rogalski
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Mein Arbeitsplatz
Sarah Pfeiffer
Mein Arbeitsplatz
Nina Kubat
Ich gehe in eine Firma zur Arbeit –
das stärkt meine Selbstständigkeit
Das Budget für Arbeit –
ein Stück Normalität kehrt zurück
Schon bei meiner Ausbildung in der Lebenshilfe
Braunschweig habe ich gerne für das Catering
gekocht, gebacken und angerichtet. Die Firma
Fruchtleder habe ich kennengelernt, als sie noch
in der Küche der Lebenshilfe-Werkstatt Rautheim
ihre fruchtige Nascherei produzierte.
Ich bin seit 2009 in der Lebenshilfe Braunschweig
beschäftigt, angefangen habe ich im IndustrieService als Mitarbeiterin mit einem Leistungsanspruch aufgrund seelischer Beeinträchtigung.
Heute arbeite ich als eine auf dem ersten Arbeitsmarkt eingestellte Mitarbeiterin im Rahmen des
Budgets für Arbeit, als Schreibkraft im Sekretariat
der Lebenshilfe-Werkstatt Rautheim. Von einem
Werkstatt-Arbeitsplatz mit vier Arbeitsstunden
täglich konnte ich mich auf eine auf eine Dreiviertel-Stelle steigern. Doch zuerst war ich mir
unsicher, ob der Seitenwechsel wirklich die richtige Entscheidung für mich ist.
Ich bin seit Oktober 2014 bei Fruchtleder – erst
habe ich dort ein Praktikum absolviert. Seit dem
1. Januar 2015 ist es ein ausgelagerter Arbeitsplatz. Das bedeutet, dass ich nicht in eine Werkstatt gehe, sondern meine Arbeit direkt in der
Firma leiste. Hier fühle ich mich richtig wohl.
Außerdem fahre ich seitdem selbstständig mit
einem öffentlichen Bus zu meinem Arbeitsplatz
an den neuen Firmenstandort am Rebenring in
Braunschweig!
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Zu meinen Arbeitsbegleitenden Maßnahmen gehören zum Beispiel Schwimmen und die Braunschweiger Schreibwerkstatt „Elfchen“.
„Sarah hat durch Fruchtleder ihre Fähigkeiten
und Fertigkeiten gut weiter entwickelt“, erklärt
ihre Chefin Christa Reimold. „Ich möchte auf die
Unterstützung von Sarah nicht verzichten.“
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Anfangs hatte ich das starke Gefühl, ein erhebliches Risiko einzugehen. War ich den Aufgaben
einer Stelle auf dem ersten Arbeitsplatz gewachsen? Würde ich meinem eigenen Leistungsdruck
standhalten? Und was wäre, wenn ich doch
einen gesundheitlichen starken Einbruch haben
würde? Wie ist das mit dem Geld geregelt?
Kann ich damit meinen Unterhalt finanzieren?
Fragen über Fragen, in dessen Dickicht der Fachdienst Betriebliche Integration der Lebenshilfe
Braunschweig erst mal Licht bringen musste.
Die Neuigkeiten des Fachdienstes beruhigten
mich dann nachhaltig. In meinem Fall hatte
ich hinsichtlich des neuen Aufgabenumfanges
Glück: Man wollte mir meine bisher besetzte
Stelle im Sekretariat aufgrund der guten Erfahrungen als eine Stelle mit dem Budget für Arbeit
ermöglichen. Das bedeutete, dass ich den Großteil der Aufgaben bereits gut bewältigen konnte.
Trotzdem kamen natürlich auch neue Verantwortungsbereiche, als ein Beispiel sei die Kassenführung benannt, dazu.
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Auch hinsichtlich des Risikofaktors Gesundheit
gab es gute Neuigkeiten: Bei einem gesundheitlichen Rückfall etwa, damit verbundenen großen
Ausfallzeiten und einer eventuellen Kündigung
des Arbeitsverhältnisses, sei keine Anmeldung
beim Arbeitsamt und kein langwieriger Prozess
über das Gesundheitsamt notwendig, um wieder
in der Lebenshilfe als Mitarbeiterin mit Leistungsanspruch zu arbeiten. Der Anspruch auf meinen
Werkstattplatz bliebe also im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehen, sofern
dies im Zeitraum des Budgets für Arbeit passieren würde.
Neben dem Leistungsanspruch und der gesundheitlichen Stabilität stellte sich mir dann die
Frage nach der neuen Bezahlung im LebenshilfeVergütungssystem. Natürlich habe ich auch die
Zahlen verglichen, vorher und nachher, auch
wenn die Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt
natürlich schon allein dadurch eine große Chance
ist, dass man ohne die Abhängigkeit des Sozialhilfeträgers sein Leben plötzlich mit mehr persönlichen Freiheiten gestalten kann. Falls man einen
Beziehungspartner findet, könnte man zum Beispiel in eine Wohnung zusammenziehen, Urlaube
sind besser finanzierbar. Man könnte sogar ans
Heiraten denken, ohne gleich Bauchschmerzen
zu bekommen. Im Grunde gewinnt man ein
Stück Normalität des Lebens zurück, die schlichtweg Lebensqualität bedeutet.
Für den Arbeitsplatz im Rahmen des Budgets für
Arbeit musste ich das normale Einstellungsverfahren durchlaufen: Bewerbungsunterlagen für
das Personalwesen anfertigen und ein Bewerbungsgespräch mit dem Bereichsleiter Arbeit,
der Werkstattleitung sowie jeweils einem Vertreter des Betriebsrats und des Werkstattrats führen.
Das war ganz schön aufregend für mich. Als die
Zusage kam und ich auch vom Geschäftsführer,
Herrn Springmann, bei einem späteren Gespräch
offiziell in der Lebenshilfe begrüßt wurde, war
ich schon stolz auf mich.
Rückblickend genieße ich das Gefühl noch immer,
meinem persönlichen Ziel, neben der Gesundheit
auch wieder am normalen beruflichen Leben
teilzunehmen, ein großes Stück näher gekommen
zu sein. Ich sehe das Budget für Arbeit als eine
Chance, indem ich – ohne die Sicherheit des
Werkstattplatzes zu verlieren – mich auf dem
ersten Arbeitsplatz ausprobieren kann.
Text: Nina Kubat
Das Budget für Arbeit
Mitarbeiter in Werkstätten für behinderte Menschen haben die Möglichkeit, mithilfe eines Budgets
für Arbeit auf einen Arbeitsplatz des ersten Arbeitsmarktes eingegliedert zu werden.
Zunächst muss ein Arbeitgeber gefunden werden, in dessen Betrieb eine Beschäftigung möglich ist.
Wird dann ein tariflicher Arbeitsvertrag abgeschlossen, kommt das Budget für Arbeit in Betracht.
Gelder der Kostenträger, die bisher an die Werkstatt für ihre Leistungen gezahlt wurden, erhält in
dem Fall – ohne Fahrtkostenpauschale – der neue Mitarbeiter als Persönliches Budget. Damit kann
er sich Leistungen bei seinem zukünftigen Arbeitgeber einkaufen. Diese können in Form von besonderer Betreuung oder auch Lohnsubventionierung erbracht werden. Der Arbeitgeber ist für die Beitragszahlungen in die Sozialversicherung verantwortlich. Eine Rückkehr in die Werkstatt für behinderte Menschen ist möglich. Wir beantworten gerne ihre Fragen!
Michael Schumann | Leitung Fachdienst Betriebliche Integration | 0531 4719 104
[email protected]
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Mein Arbeitsplatz
Svenja Grittner und Marcel Liebmann
Unter Palmen einen guten Service für die Gäste
im Café Flora bieten
Im wahrsten Sinne eine Oase in der Großstadt:
Weiße Tische und Stühle, Sofa und Sessel mit
romantischen Blumenmustern und das Beste:
alles umgeben von Orchideen, Olivenbäumen
und Palmen. Seit 2013 betreibt die Lebenshilfe
Braunschweig ein Café und dies an einem traditionellen Braunschweiger Ort – in der seit
einem guten Jahrhundert bekannten Gärtnerei
Volk im Hasenwinkel 1.
Svenja Grittner
Während ihrer Ausbildung entdeckte Svenja
Grittner ihr Talent im Bereich Hauswirtschaft und
Gastronomie. Über die Stationen Großküche,
Montage und einem Praktikum im Schulkiosk
der Integrierten Gesamtschule Querum ist sie
nunmehr als Mitarbeiterin im Café Flora in der
Gärtnerei Volk engagiert und fröhlich tätig.
„Ich bediene, nehme gern Bestellungen an und
kassiere dann mit Unterstützung“, beschreibt
sie ihre Hauptaufgaben. „Die Arbeit ist sehr abwechslungsreich und ich habe mit vielen Leuten
zu tun. Mein Traum? Mein größter Wunsch ist,
hier zu bleiben. Hier fühle ich mich wohl.“
Marcel Liebmann
„Marcel Liebmann ist die gute Seele des Café
Flora“, sagt dessen Leiterin, Janet SteffensGrüning. Als Multitalent ist er für „Haus und Hof“,
für das Eindecken der Tische, die Sonnenschirme
und vieles mehr zuständig. Aber nicht nur das:
„Mein Job ist es, freundlich zu den Gästen zu
sein, zu servieren, zu kassieren und natürlich
Pfannkuchen und Waffeln zu backen“, erklärt
Marcel Liebmann.
Er hat während seiner Ausbildung verschiedene
Hauswirtschaftsbereiche kennengelernt, aber
auch in der Holzwerkstatt gearbeitet. „Klasse
war unser Einsatz bei dem Braunschweiger Festival ‚Kultur im Zelt‘. Da haben wir im Service
mit einer tollen Mannschaft zusammen gearbeitet“, erinnert sich der jungen Mann mit dem
charmanten Lächeln.
Wer Marcel Liebmann trifft, sieht ihm den Spaß
an der Arbeit im Café Flora an. „Die Arbeit ist
nicht so langweilig wie in mancher Werkstatt“,
sagt er. „Mein Traum? Irgendwann mal in einem
Restaurant zu arbeiten. Am besten in einer Pizzeria. Aber erstmal bin ich hier voll zufrieden.“
Text: Michael Schumann
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Vier, die auszogen, ihre eigene Welt zu erobern
Junge Menschen mit Down-Syndrom
gründen mit Assistenz eine Wohngemeinschaft
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Na, das hat wohl nicht jeder Gastgeber bei seiner
Einweihungsfete zu bieten: Live-Musik der Band
Sofakante, ein Garten voller Sitzgelegenheiten
und Naschereien, Eltern, Freunde und ja, auch
Assistenten.
der Frankfurter Buchmesse vorstellen, sich verlieben mit diesem Flattergefühl der Schmetterlinge im Bauch – neben der Arbeit als Servicekraft
im Café Flora, in der Großküche und der Montage sind die Tage jedes Einzelnen schnell gefüllt.
Vier junge Menschen zogen aus, die Welt zu erobern… oder auch: Die Eltern vier junger Menschen mit Down-Syndrom entwickelten mit
ihren Kindern und der Lebenshilfe Braunschweig
eine Wohnform außerhalb des Elternhauses. Und
weil halt nicht alles von alleine geht und klappt,
unterstützen bei einigen Aufgaben die Mitarbeitenden der Lebenshilfe als Assistenten die Gruppe
mit professionellem Wissen und viel Gespür für
die Strukturen und ihre Bewohner.
Nun muss man nicht so tun, als ob dieses neue
Leben einfach und selbstverständlich sei. Die
Eltern haben lange überlegt, diskutiert, geplant
und verworfen, besiegelt und sich getraut. Sie
haben mit gesteuert und stehen auch jetzt
manchmal parat. Sie entscheiden mit ihren Kindern, welche individuellen Dienstleistungen mit
dem von allen vieren beantragten „Persönlichen
Budget“ gebucht werden. Aber sie erleben auch,
wie ihre Kinder in ihrem neuen Gefüge immer
mehr Fähigkeiten erwerben und auch eigene
Regeln aufstellen.
Lisa, Lara, Leon und Stefan sind das vierblättrige
Kleeblatt, das nun ein gemeinsames Leben auf
die Reihe bekommen will. Klar, manchmal ist die
eine zu laut, der andere trödelt im Bad, der Müll
muss runter… Sie wissen schon. Doch mit guter
Laune, einem hinreißenden Lachen und mit der
Robustheit und Stärke derer, die genau in der Situation die Peilung behalten, klappt das Ganze
erstaunlich und unvermutet gut. Denn wie zum
Trotz zum warnenden Satz „Das Leben ist kein
Ponyhof“ blinkelt einem aus dem Waschbecken
ein Ablaufdeckel mit dem Spruch „Das Leben ist
eine Blumenwiese“ entgegen.
Schwimmen, Badminton, Tischtennis, Filme, Spiele,
Stadtbummel, Disco, Musik, kleine Gedichte
schreiben, sogenannte Elfchen, und die auch auf
„Wenn einer einen Streit verursacht, muss er
auch sagen: Tut mir leid. Lass uns noch mal neu
anfangen“, betont Lisa. „Doch wir vertragen
uns hier total gut und haben viel Spaß miteinander.“ Leon fasst zusammen, was allen Bewohnern wichtig ist: „Am liebsten würden wir jedem
jungen Menschen sagen: Trau Dich! Sei mutig.
Du schaffst das. Auch das.“ Und dann hocken
die vier glucksend an ihrem Frühstückstisch und
antworten auf die Frage „Was ist denn schwierig?“
mit dieser jugendlichen, aber so charmanten
Überheblichkeit ganz lässig: „Nix.“ Noch weitere
Fragen?
Text: Elke Franzen
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Anderen Mut machen, das Wagnis einzugehen
Die Perspektive der Eltern
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Wir freuen uns auf die gute Zeit
miteinander!
Der Auszug von Lisa in die Wohngemeinschaft
Nordstraße war das Ziel, auf das wir viele Jahre
hingearbeitet haben. Deshalb war auch das
"Loslassen" ein Prozess mit dem Ziel, dass Lisa
ein Zuhause findet, in dem sie sich wohlfühlt.
Ich habe mir mit Lisa mehrere Wohneinheiten in
Braunschweig angeschaut. Sie hat eine Wohnschule besucht und zweimal das Probewohnen
der Lebenshilfe genutzt. Lisa fand das klasse,
und es war immer ihr Wunsch, von Zuhause auszuziehen. Ich wollte aber nicht, dass sie irgendwo
hinzieht, sondern sie sollte sich 100-prozentig
wohlfühlen. Dadurch entstand unsere Idee, mit
Gleichgesinnten zusammenzuziehen.
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Der verantwortliche Lebenshilfe-Bereichsleiter,
Dr. Laurenz Aselmeier, hörte sich unseren Wunsch
an und erarbeitete mit den Eltern gemeinsam
das Projekt, eine Wohnung für junge Menschen
mit geistiger Beeinträchtigung zu finden.
Es war nicht immer einfach, viele Gespräche
mussten geführt werden, und sicherlich auch einige Kompromisse gemacht werden. Ich finde,
dass sich unsere Bemühungen, eine geeignete
Wohnform für unsere Kinder zu finden, gelohnt
haben. Ich freue mich, wenn ich mich mit Lisa
treffe, da sie einen rundum zufriedenen Eindruck
macht. Wir freuen uns aufeinander! Die Zeit, die
wir miteinander verbringen, ist intensiver, als zu
dem Zeitpunkt, als sie noch Zuhause wohnte.
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Lernen musste Lisa, dass zu einer eigenen Wohnung auch Einkaufen, Wäsche waschen und Putzen gehört. Dabei unterstütze ich sie bei Bedarf
und auch die Assistenten helfen, die Aufgaben in
die Tagesstruktur einzubauen und Probleme gemeinsam mit den jungen Bewohnern zu klären.
Es macht mich stolz und glücklich, vor allem
aber zufrieden, weil ich das Kind, das am Anfang
seines Lebens einen so schweren Start hatte,
glücklich und zufrieden weiß.
Gabriele Lerch
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Selbstbestimmt, mit Freunden –
glückliches Wohnen!
Der Auszug und das Bilden dieser Wohngemeinschaft ist für uns Eltern der Beginn des echten
Loslassens zusammen mit dem Erfüllen eines
kleinen, großen Traumes.
Wir Eltern von Lisa, Leon und Lara kennen uns
seit unsere Kinder Babys waren. Schon damals
trafen wir uns mit anderen Eltern und gründeten
die Elterninitiative Down-Syndrom Braunschweig.
Es gab regelmäßige Treffen, Aktionen und Aktivitäten wie die alljährlichen Wochenenden, die wir
in verschiedenen Jugendherbergen mit unseren
Kindern und deren Geschwistern erlebten.
Schon sehr früh hatten wir viele Wünsche für
unsere Kinder, dazu gehörte die schulische Integration und möglichst weit reichende Selbstständigkeit. Mit dieser Wohnform ist einer unserer
Lebenswünsche ganz wunderbar in Erfüllung gegangen. Wohnen mit Freunden, Wohnen so selbstbestimmt wie möglich, Wohnen mit Gleichaltrigen,
glückliches Wohnen!
Loslassen
Loslassen fällt mir leicht, weil ich sehe, wie glücklich Lara ist. Wie wohl sie sich fühlt. Wie stark
scheinbar ihre „Flügel“ geworden sind, dass sie
sich so „leicht“ von zu Hause verabschieden
konnte. Ich bin stolz darauf, dass ihr diese Flügel
wachsen konnten. Genau wir ihrem jüngeren
Bruder, der wegen seines Studiums weggezogen
ist. Ich denke, man muss früh genug an sich
selbst arbeiten, dass da ein Loslassen kommen
muss, auch bei Kindern, die viel abhängiger von
einem sind. Nach wenigen Tagen meinte Lara zu ihrer Oma:
„Das ist mein Zuhause, meine Wohnung.“ Sie
wollte ausziehen, sie wollte mit ihren Freunden
wohnen. Natürlich vermissen wir Lara, aber dann
telefonieren wir oder ich besuche sie. Sie freut
sich, sie macht mir Tee und freut sich dann auch,
wenn ich wieder gehe! Natürlich falle ich auch
O
mal als „Muttern“ in alte Muster und meckere
zum Beispiel, dass die Shirts nicht richtig zusammen gelegt sind.
Gemeinschaft schätzen und Freude am Leben
haben. Ein junges Haus der Lebenshilfe, so könnte die Nordstraße doch werden, oder?
Was musste unsere Tochter lernen?
Welche Rolle hat dabei die Lebenshilfe?
Lara war auch schon zu Hause selbstständig. Sie
machte sich Frühstück, Brot für die Arbeit und
fürs Abendessen, sie legte sich ihre Garderobe
abends zurecht. Ihren Arbeitsweg bewältigt sie
mit öffentlichen Verkehrsmitteln seit mehreren
Jahren. Sie hat einen eigenen Wohnungsschlüssel
und ein Handy, kann uns also anrufen, wenn etwas passieren sollte. Durch ihre „Ausbildung“
im hauswirtschaftlichen Bereich und ihre Arbeit
in der Großküche der Lebenshilfe-Werkstatt Kaiserstraße ist Lara mit den Arbeiten in Küche und
Haushalt gut vertraut. Da staunen wir oft – und
es ist sicherlich ein Vorteil für das Leben ohne
Eltern.
Die Lebenshilfe gibt Anleitung und Assistenz bei
allem, was unterstützt werden muss. Sei es nun
bei den täglichen leidigen Aufgaben wie Putzplan
und Duschplan, als Konfliktmanagement bei Unstimmigkeiten und Streit, Hilfe bei der Freizeitgestaltung oder der Anleitung zur Selbstständigkeit. Und: Sie ist Gesprächspartner in Richtung
der Eltern. Auch wir Eltern sind mit der Lebenshilfe eine persönliche Partnerschaft eingegangen,
denn wir haben ein großes Stück Leben unserer
Liebsten in fremde Hände gelegt.
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Angela Schüler
In Vorbereitung auf das Ausziehen hat Lara gelernt, allein mit dem Wecker aufzustehen, zu
frühstücken und nach dem Zähneputzen und Anziehen allein das Haus zu verlassen. Sie kann
zwar nicht die Uhr lesen, hat aber ein sehr gutes
Zeitmanagement. Sie plant im Vorfeld ihre Tage
und das jeweils kommende Wochenende. Wir
haben geübt, dass Wichtiges in den Kalender
eingetragen wird, damit sie immer mehr einen
Überblick hat, wann z. B. Urlaub ist, Geburtstage
oder Arzt- und Fußpflegetermine anstehen.
Was wünsche ich ihr?
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Ein glückliches Leben mit Freunden, mit denen
sie wie in einer großen Familie leben kann, auch
wenn es mich mal nicht mehr geben wird.
Gemeinsame Essen, Kinobesuche oder Spielabende – und gleichzeitig eine Tür, die sie schließen kann, wenn sie einfach mal einen Abend
für sich sein will.
Ich wünsche ihr Liebe und Hilfe, wenn sie es
braucht. Und um noch weiter zu gehen, dem
ganzen Haus. Ein Haus mit jungen Leuten mit
geistiger Behinderung, die sich gegenseitig als
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Wir sind Autisten – na und?
Ein Streiflicht auf eine Personengruppe mit
komplexer Beeinträchtigung
Die Lebenshilfe Braunschweig hat vor kurzem mit
viel Engagement und unkonventionellen Lösungen ein Zuhause für fünf Menschen mit frühkindlichem Autismus geschaffen. Erfahrungen aus
einer schon bestehenden Wohngemeinschaft
machten Mut, nun autistische Menschen mit besonders herausforderndem und umfassendem
Hilfebedarf zu begleiten. Menschen, denen nur
wenige zugetraut haben, in einer Wohngemeinschaft inmitten eines gewachsenen sozialen Umfeldes eine für sie neue Lebensform zu finden.
Was denken die Anderen über uns?
…wir haben keine Gefühle, wir halten soziale
Kontakte nicht aus, wir bauen keine Beziehungen
auf, wir können niemandem in die Augen sehen,
wir können nicht selbstständig leben, wenn wir
nicht sprechen können, sind wir geistig behindert,
wenn wir sprechen können, sind wir Mathegenies,
wenn wir nicht richtig reagieren können, sind wir
aggressiv oder gefährlich…
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Was bedeutet das für uns?
…wir wissen oft nicht, wie wir uns mitteilen können, wir haben große Schwierigkeiten, die Spielregeln der Welt zu verstehen, wir haben oft Probleme, körperliche oder akustische Reize auszuhalten, wir brauchen zuverlässige Strukturen, die
uns auch begleiten, wenn die Wahrnehmung uns
in die Irre führt, wir brauchen Vorhersehbarkeit,
weil wir uns unbekannte Situationen nicht vorstellen können, wir brauchen feste Abläufe, damit
wir uns z. B. auch allein duschen oder anziehen,
wir brauchen die Möglichkeit zu kommunizieren,
auch wenn wir das nicht so können, wie andere
Menschen…
O
Was bedeutet es nicht?
…es bedeutet nicht, dass wir nicht versuchen
möchten, ganz normale Dinge zu machen, wie
einkaufen, Eis essen gehen, Straßenbahn fahren,
es bedeutet nicht, dass wir keinen anderen Menschen begegnen möchten, dass wir nur in der
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freien Natur glücklich sind, dass wir gern abseits
vom Leben wohnen, dass wir keine Beziehungen
zu anderen Menschen haben möchten…
Doch so geht es auch!
Das Leben ist für Menschen mit frühkindlichem
Autismus sehr schwierig. Unsere Gesellschaft
hat große Probleme, Menschen zu integrieren,
die anders sind – und autistische Menschen sind
sehr anders! Dennoch gibt es schon jetzt viele
Möglichkeiten, um Menschen mit Autismus angemessen in „ihrer“ Welt zu begleiten und es
ihnen damit leichter zu machen, in „unserer“
Welt zurecht zu kommen.
Das muss nicht immer in speziellen Einrichtungen
sein. In Braunschweig gibt es mittlerweile zwei
Wohngemeinschaften, in denen frühkindliche
Autisten leben. Im Alltag werden sie von der
Lebenshilfe Braunschweig betreut – ambulant.
Wobei ambulant hier nicht heißt, dass weniger
Hilfen als im stationären Bereich notwendig sind,
sondern dass umfassende und ganz differenzierte Unterstützung geleistet wird – in der Wohnung der autistischen Menschen und nicht in einer Einrichtung. Unterstützt wird die ambulante
Betreuung durch den Pflegedienst der Lebenshilfe Braunschweig.
Beide Wohngemeinschaften sind in ganz normalen Wohnstrukturen beheimatet. Es gibt Geschäfte, Ärzte, Freizeitangebote und Anbindung an
öffentliche Verkehrsmittel – alles gut zu nutzen
für die ausschließlich männlichen Bewohner.
Aber – es ist nicht immer leicht. Eine „normale“
Wohnumgebung ist skeptisch, fühlt sich gestört,
ist irritiert über die fremden Geräusche und das
ungewöhnliche Verhalten. Aber wir erleben auch
viel Verständnis und Unterstützung. Wenn beim
ersten Supermarktbesuch eines Bewohners leider
gleich Marmeladengläser zu Bruch gehen oder
wenn im Supermarkt ein Bewohner sehr lange
vor einem Regal stehen muss, bis er weitergehen
kann, wenn auf dem Spazierweg eine Pflanze
„im Weg steht“, wenn beim ersten Museums-
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besuch gleich zu Beginn die persönliche Tasse
der Kassenfrau zu Bruch geht, wenn wir einem
Bewohner hinterher hetzen, der gern aus dem
Fenster steigt und mit der Polizei nach Hause
kommt – das sind alles Situationen, in denen wir
verständnisvollen Menschen begegnet sind.
Mittlerweile haben sich für die umfassenden und
sehr individuellen Hilfen der Bewohner sechs
Leistungsträger mit uns auf den Weg gemacht.
Durch gezielte Unterstützung und Begleitung ist
IV O
einer Einrichtung zu finden – ganz zu schweigen
davon, dass er erreichbar ist, den Bedürfnissen
entspricht und einen Platz frei hat – und diesen
Platz auch zu behalten. Alle Familien haben die
Erfahrung, dass eher früher als später ihr Sohn
nicht mehr passt. Frühkindlicher Autismus ist
eine sehr herausfordernde Behinderung. Heterogene Gruppen werden häufig gesprengt, wenn
ein frühkindlicher Autist dabei ist. Die notwendigen Regeln und Strukturen, die für Autisten wichtig sind, passen nicht in „normale“ Gruppen.
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Doch ein gut strukturierter Tagesablauf erfordert
sehr viel Disziplin von den Mitarbeitern – denn
die Regeln müssen nicht nur von den Bewohnern
eingehalten werden, sondern auch von den Mitarbeitern. Und es erfordert viel Energie und Wachsamkeit, um sich auf die Welt der Autisten einzulassen und ihnen die erforderlichen Strukturen
zu geben. Immer wieder stellen wir fest, dass
unsere Regeln nicht passen oder wir sie den Bewohnern nicht verständlich machen können –
dann fangen wir von vorn an.
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es uns schon gelungen, zwei jungen Männern
mit großen Verhaltensschwierigkeiten die Teilnahme an der Beruflichen Bildung zu ermöglichen.
Diese Erfahrung hat uns Mut gemacht. Was für
die beiden jungen Männer eine große Herausforderung war, ist zugleich die Erfüllung eines
großen Wunsches – produktiv tätig und in einen
Arbeitsalltag eingebunden zu sein. Kleinteilige
Aufgaben und eindeutige Abläufe führen behutsam, aber verbindlich an neue Arbeits-Optionen
heran.
Unsere Aufgabe ist es, die Welt für Autisten vorhersehbar und zuverlässig zu machen – das können sie nicht allein. Dann sind neue Erfahrungen
möglich: ein Besuch des Weihnachtsmarktes, einmal Essen gehen, ein Museumsbesuch, ein Abend
in der Disco oder – das ist die Kür – ein kurzer
Urlaub in Dänemark. Viele kleine Schritte, die einen großen Schritt auf dem Weg zu einem Leben
in der Gemeinschaft und als Teil der Gesellschaft
darstellen. Inklusion eben.
Text: Constanze Lohse
In beiden Wohngemeinschaften sind die Eltern
noch eng eingebunden. Auch sie wagen Neues
und zeigen sowohl Vertrauen als auch offene
Unterstützung gegenüber dem Mitarbeiter-Team.
Alle Familien bringen die Erfahrung mit, dass es
sehr schwierig ist, für ihre Söhne einen Platz in
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Der große Tag: Umzug in eine Wohngemeinschaft
Gedanken eines Vaters zum Auszug des Sohnes
Es zählt zu den großen Einschnitten sowohl im
Leben eines jungen Menschen, als auch der Eltern: Der Aus- oder Umzug in eine Wohngemeinschaft. Wenn das gleich zweimal innerhalb weniger Jahre passiert, so kann man schon von einer
gewissen Erfahrung sprechen. Wie aber sehen
meine Erfahrungen aus? Nun mag es sein, dass
eine reine Männer-WG von besonderen Eigenarten geprägt wird. Leider habe ich das Leben in
gemischten Wohngruppen nie kennengelernt.
Bei der Wahl der Möbel fängt es an. Da man zunächst nicht weiß, wie lange die WG in der aktuellen Zusammensetzung Bestand hat, ist der
komplette Neukauf eher die Ausnahme. Die Mitnahme des Jugendzimmers aus der elterlichen
Wohnung entfällt, da dieser Rückzugsort nicht
sofort vollständig aufgegeben wird. Also besteht
die Einrichtung eher aus Gebrauchtmöbeln,
ergänzt durch preiswerte Neuanschaffungen.
Das große Thema der Dekoration wird bei fast
allen Männern sehr klein geschrieben. Eine Ausnahme bilden einige innig geliebte Modellautos.
Damit ist alles vorhanden – für ein ganzes Leben.
Alles andere unterliegt rein praktischen Erwägungen, was das Ganze erheblich vereinfacht.
Nein, sagen wir besser, vereinfachen könnte.
Da sind ja noch die Mütter. Sie haben ganz andere Vorstellungen von Einrichtung, Dekoration
und den aktuellen Modefarben. Selbst sonst mitbestimmenden Vätern, erst recht aber den künftigen Bewohnern, ist es kaum möglich, sich da
mit einzubringen. Erst später gelingt es den jungen Männern durch spontane Aktionen und entschlossene Entsorgungen eigene Vorstellungen
durchzusetzen.
Trägt vielleicht die sofortige und radikale Nahrungsumstellung zu diesem Verhalten bei?
Schließlich unterscheiden sich von Männern zubereitete Mahlzeiten von denen in weiblich geführten Haushalten. Trainiert vielleicht ein bunter
Obstsalat das Farbempfinden stärker, als das
Einheits-Beige/Braun aus Fritteuse oder Back-
ofen? Oder macht es die mit letztgenannter
Ernährung einhergehende körperliche Veränderung zwingend erforderlich, dass die Musikanlage vom Bett aus erreichbar sein muss? Schwer
zu beurteilen, zumal gemeinsame Mahlzeiten
mit den Eltern nicht in der WG, sondern nur noch
im Elternhaus stattfinden.
Die meist kurzen Besuche der Eltern haben oft
andere Kontrollfunktionen. Sie betreffen Sauberkeit und Haushaltsführung. Bei einigen auch die
Abholung der Schmutzwäsche.
Meine WG-Zeit lag in den 70er Jahren. Kürzlich
ist auch mein Sohn in seine zweite ambulant
betreute Wohngruppe umgezogen, ebenfalls
wieder eine reine Männer-WG. Vieles erinnert
mich an meine eigenen Erfahrungen.
II
Aber was machte mich denn damals glücklich?
Ein staubfreier Türrahmen? Zu jeder Zeit meine
Musik hören zu können? Ausgelassene Feiern?
Hübsche Vorhänge? Die Gespräche mit den Mitbewohnern? Den gepflegtesten oder den belebtesten Garten in der Nachbarschaft zu haben?
Jeder darf das für sich entscheiden. Besser ist es
aber, diese Entscheidung im Sinne des Bewohners zu treffen. Wir Angehörigen sollten genau
überlegen, was wir für unsere betreuten Familienmitglieder erreichen möchten. Was ist wirklich
wichtig? Worauf sollten wir hinwirken? Welche
Ziele sollten erfüllt sein, damit wir eines Tages
unbesorgt… naja, Sie wissen schon!
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Übrigens sind dies Fragen, die auch Vorstand
und Geschäftsleitung der Lebenshilfe Braunschweig so wichtig sind, dass sie eine Umfrage
unter den Angehörigen vornehmen werden.
Text: Peter Koch
Vater, ehrenamtlicher Vorstand der Lebenshilfe
Braunschweig und Vorsitzender des Angehörigenbeirates Wohnen
VII
„Ich kümmere mich schon um vieles allein“
Eine junge Frau unterwegs vom
stationären zum ambulanten Wohnen
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Nadine, wo bist Du aufgewachsen?
Ich habe bis 2005 bei meiner Mama gewohnt.
Nach ihrem Tod lebte ich bei meinem Vater und
meinem Onkel in Braunschweig.
Und wie bist Du zu der Lebenshilfe gekommen?
Ich kam als Notaufnahme in die Wohnstätte
Ziegelkamp. Dort hatte ich ein eigenes Zimmer.
Hattest Du auch eine eigene Küche?
Wir hatten eine große Gemeinschaftsküche und
ein Gemeinschaftsbad.
Und wie bist Du im Siegfriedviertel gelandet?
Ich habe eine Ausbildung zur Hauwirtschaftlerin
in der Lebenshilfe-Werkstatt Rautheim gemacht.
Das war von 2010 bis 2012. Damals bin ich in
eine 2er-Wohngemeinschaft in die Isoldestraße
gezogen – erst zum Probewohnen und als es
gut klappte, als feste Bewohnerin. Danach wechselte ich in das Lebenshilfe-Gebäude Mittelweg
67, das müsste im Mai 2011 gewesen sein. Das
war eine 8er-WG. Das hat mir sehr gut gefallen.
Das glaube ich, da ist immer eine Menge los.
Und irgendwie bist Du ja auch hier geblieben.
Stimmt, ich wohne jetzt aber alleine, mit meiner
eigenen Küche und meinem eigenen Bad. Als
die Wohnung im Dachgeschoss frei wurde, war
für mich klar, dass ich dort rein möchte. Das war
letztes Jahr, also 2015. Ich bin dort sehr selbstständig und kümmere mich um vieles alleine.
O
Wo siehst Du dich selbst, wenn Du in die Zukunft
blickst?
Ich möchte ambulant betreut werden, also eine
eigene Wohnung haben, aber weniger Betreuung
erhalten. Ich habe mit meiner Betreuerin abgesprochen, dass ich hier oben zwei Jahre wohnen
bleibe, das ist ja fast wie ambulant. Alles Weitere
ergibt sich dann in der Zukunft, ich möchte aber
auf jeden Fall als Kundin in der Lebenshilfe bleiben, am liebsten auch hier im Siegfriedviertel.
Was hast Du denn eigentlich nach Deiner Ausbildung in Rautheim gemacht?
Ich arbeite jetzt auf einem ausgelagerten Arbeitsplatz der Lebenshilfe – und zwar in der Agentur
für Arbeit. Dort betreibt die Lebenshilfe mit ihrem
Menüservice die Kantine. Davor war ich in der
Werkstätten Rautheim und Kaiserstraße. Dort
habe ich auch mein Berufsvorbereitungsjahr in
der Küche gemacht. Und ein dreimonatiges Praktikum in einer Gärtnerei gab’s auch noch. Weil
ich aber mit Heuschnupfen allergisch reagierte,
musste ich den Berufswunsch Floristin fallen lassen.
Du bist ganz schön rumgekommen, Nadine.
Ja – und mir hat alles sehr gut gefallen. Nun habe
ich eine tolle Arbeit, denn Team und Kunden
sind sehr nett, ich komme zur Ruhe, habe meine
Freunde und meinen Freund.
Das Interview mit Nadine Schaper führte
Lisa Lübke
Zur Person: Nadine Schaper
Nadine Schaper hat zwei Mitbewohner – ihre
Vögel Bubi und Tweety. „Die beiden sind wie
meine Kinder“, meint die 30-jährige und so werden sie auch behandelt: verantwortungsvoll.
Eine weitere Leidenschaft der jungen Frau ist
das Lesen. „Harry Potter, Katzen, Wölfe – alle
Bänder der Fantasyreihe ‚Warriorcats‘: Da tauche
ich in eine andere Welt ab!“ Und weil sie das
Lesen so gut kann und so gerne macht, versucht
sie, auch andere dafür zu begeistern: „Wir haben
in Siegfrieds Bürgerzentrum ein Computerprojekt. Ich helfe Gästen, die beim Lesen nicht so
geübt sind, erkläre den Inhalt und versuche mit
Fragen, ans Thema heranzuführen.“
„Immer noch ein bisschen mehr“ scheint der Leitspruch von Nadine Schaper zu sein. Nun möchte
sie Schwimmen lernen und im Rechnen besser
werden „Bei Uhrzeit und Geld hapert es noch“,
meint sie, erklärt aber zugleich ganz stolz, dass
sie beim Einkauf anderen auch helfen kann: „Ich
lese zum Beispiel denen, die es nicht so können,
das Haltbarkeitsdatum oder die Inhaltsstoffe vor.“
O
Die Wohnung sauber halten: top! Ordnung halten: top! 30 Kilo abnehmen: top! Zielstrebig und
ehrgeizig bringt Nadine ihr Leben auf ihre Spur
– und verliert die anderen nicht aus den Augen.
Lebenshilfe-Assistenz Lisa Lübke: „Nadine ist
gesprächsbereit und hat in der Gruppe einen hohen Stellenwert. Sie ist zuverlässig und beliebt.“
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Text: Elke Franzen
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IV
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Denk Deine Stadt – inklusiv...
Wie lässt sich’s in Braunschweig leben,
feiern, arbeiten? In einem groß angelegten Denk-und Diskussionsprozess
ermuntert die Stadt ihre Bürger zu
reflektieren, kreativ zu werden und
mitzugestalten. Deshalb hat sich die
Lebenshilfe Braunschweig an ihrem
Aktionstag „Außer der Reihe“ intensiv
mit der Stadtentwicklung auseinandergesetzt. Spannend war es in den Workshops, in denen vor allem Menschen
mit Beeinträchtigung ihre Ideen für ein
inklusives Braunschweig sammelten.
·
M
V
IHK-Sozialtransferpreis...
"Gelebte Inklusion ist manchmal leichter gesagt als getan", meinte die Jury
des IHK-Sozialtransferpreises und wür
digte ein besonders gelungenes Projekt:
Mit »Seitentausch« sei es der MAN
Bus & Truck AG aus Salzgitter und der
Lebenshilfe Braunschweig gelungen,
Inklusion in der Berufsausbildung vorbildlich umzusetzen, hieß es. Während
des »Seitentausches« arbeiteten Auszubildende der Lebenshilfe bei MAN
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
gleichberechtigt mit. Im Gegenzug verbrachten MAN-Auszubildende einige
Wochen bei der Lebenshilfe und
lernten so auch, auf ungewöhnliche
Art und Weise Vorurteile abzubauen.
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M
Phantasie und Performance...
Es ging um Macht und Geld im 100Dollar-Club von TiG, um Augen_Blicke
von Künstlern des Ateliers Geyso20,
um Dirk Geffers Harz-Erinnerungen,
um städtische Kunst hier und jetzt
oder um ein Internationales Musikund Theater-Festival in Polen, bei der
die esistso!company einen großen
Auftritt hatte – Phantasie, Kreativität
und Performance zum Schauen!
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N
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Schönes an schönen Orten...
Manchmal ist es eine Design-Messe
im alten Lokpark, bei der auch der
Werkstattladen der Lebenshilfe eine
ausgewählte Kollektion präsentiert
und das Café Flora köstliche Leckereien bereitstellt – manchmal sind es
kleine Konzerte oder der Geburtstagsbrunch unter den Gärtnerei-Palmen –
das Flora-Team bietet Laune, Service
und Wohlergehen!
Grauer Bus als Mahnmal...
Der Graue Bus, mobiles Denkmal für
Euthanasieopfer des Nationalsozialismus, stand mehrere Monate in Braunschweig vor dem Schloss. Vor 75 Jahren
fuhren die ersten grauen Busse die
Menschen in Tötungsanstalten. Das
Denkmal, die begleitende Ausstellung
und Veranstaltungen in Braunschweig
erinnerten an Verbrechen der Nationalsozialisten: Sie ließen mehr als
70.000 Menschen mit Behinderungen
ermorden. In der Initiative Denkmal
Grauer Bus engagierte sich auch die
Lebenshilfe Braunschweig.
Azubis machen sich stark...
Die Lebenshilfe Braunschweig hat erstmals eine Jugend- und Auszubildendenvertretung. Diese vertritt die Interessen
sowie die Rechte und Pflichten der
Menschen mit Beeinträchtigung in der
Beruflichen Bildung. Mario Gent und
sein Stellvertreter Emmanuel Stängle
versprachen, sich intensiv für die anderen Auszubildenden einzusetzen.
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IX
E
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Mit uns ins Ziel...
Es war eine Rekordzahl an Teilnehmern
beim Braunschweiger Nachtlauf und
mittendrin das große Team der Lebenshilfe Braunschweig mit knapp 100
gemeldeten Läuferinnen und Läufern
am 3200-Meter-Start. Unterwegs
waren Einzelläufer, Laufgruppen, Tandems mit Rollstuhlfahrern, die eifrig
mitkurbelten, und sogar im Handbike
ging es durch die Innenstadt. Initiiert
hatte die sportliche Aktion der „Steuerkreis Betriebliche Gesundheit“ der
Lebenshilfe, die Fangruppe setzte ebenfalls gewaltig Energie frei.
·
2
VI
Medaillen-Rausch in Los Angeles...
Auf die Plätze, fertig, los – der Sprung
aufs Treppchen! Mit drei Goldmedaillen verabschiedete sich Schwimmer
Benjamin Weese, Mitarbeiter der Lebenshilfe Braunschweig, von den Special
Olympics aus Los Angeles. Und auch
Sportler Andrej Lamert landete auf den
Medaillenrängen. Er sicherte sich
Bronze beim Badminton-Einzel und im
Mix mit Jaqueline Landsmann mit der
Silbermedaille einen weiteren Erfolg.
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Fleißige Müllsammler...
Schon einen Tag vor dem "offiziellen"
Stadtputztag machte sich ein Lebenshilfe-Team auf den Weg in seine Stadtumgebung. Zur Verfügung gestellt
wurden Handschuhe, Greifer und Müllsäcke. „Alle sind mit Eifer noch in
die letzte Ecke, zwischen Büsche und
Hecken gekrochen, um Weggeworfenes aufzusammeln", erzählten die
Teilnehmer. „Und man achtet auf das
eigene Müllverhalten!“ Mehr als
16.000 Kinder, Jugendliche und
Erwachsene folgten dem Aufruf der
Stadt Braunschweig.
5
·
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Budget für Arbeit...
Sie hat hart dafür gearbeitet und nun
ein Ziel erreicht: Linda Koch, in der
Lebenshilfe Braunschweig zur Helferin
im Kindergarten qualifiziert, erhielt
einen unbefristeten Arbeitsvertrag
über 39 Stunden und gehört jetzt fest
zum Team des St. Bernward-Kindergartens in Salzgitter. Ein Netzwerk unterschiedlicher Kooperationspartner hat
mit dem Fachdienst Betriebliche
Integration der Lebenshilfe diesen Vertrag im Rahmen eines „Budgets für
Arbeit“ möglich gemacht. Mut,
Risikobereitschaft und Beharrlichkeit
gehörten dazu.
Jubiläum mit Perspektive...
Seit 40 Jahren Arbeit? Seit 40 Jahren
zufrieden mit der Arbeit? Mit dem Gefühl, genau den richtigen Arbeitsplatz
für sich gefunden zu haben, freut sich
Meike Oppermann über ein besonderes Jubiläum: Sie ist seit 40 Jahren in
der Lebenshilfe Braunschweig beschäftigt. Als junge Frau mit Beeinträchtigung startete sie ihre Ausbildung im
Bereich Hauswirtschaft, damals noch
in einer kleinen Küche in der Kaiserstraße. Es folgten die große Küche, die
Nähwerkstatt und Wäschepflege.
„Die meiste Zeit aber war ich im Kindergarten. Und hier will ich für immer
bleiben“, blickt Meike Oppermann
zurück und voraus.
Überraschungen...
Geschenkideen und Gesprächspartner
prägen seit Jahrzehnten den Weihnachtsmarkt der Lebenshilfe in Abbenrode.
Doch auch das ganze Jahr über suchen
engagierte Menschen Kontakt zu uns,
bauen Brücken, spenden, stiften, unterstützen, fördern. Vielen Dank!
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Zahlen, Daten, Fakten
Lebenshilfe Braunschweig e. V.
Der Verein Lebenshilfe Braunschweig ist einziger Gesellschafter der Lebenshilfe Braunschweig
gemeinnützigen GmbH. Er wurde 1960 als Elterninitiative und Selbsthilfegruppe gegründet.
Seine Mitglieder sind Menschen mit und ohne Beeinträchtigung, ebenso wie die Ehrenamtlichen.
Vereinsmitglieder
913 Personen
Ehrenamtliche
191 Personen
Lebenshilfe Braunschweig gemeinnützige GmbH
Die 1970 gegründete Lebenshilfe Braunschweig gemeinnützige GmbH ist Träger von Einrichtungen
für Menschen mit Beeinträchtigung aller Altersgruppen.
Hauptamtliche Mitarbeiter/innen
Auszubildende (Altenpflege, Heilerziehungspflege, Verwaltung)
Praktikanten/innen
Freiwilligendienste
Studentische Aushilfen
Gesamt
548
7
6
24
22
607
Personen
Personen
Personen
Personen
Personen
Personen
Bereich Kinder und Familie
Frühförderung
Kindergarten
Schulbegleitung
Praxis für Physiotherapie
Autismusambulanz
Familienunterstützender Dienst
Gesamt
43
66
32
112
192
126
571
Kinder
Kinder
Kinder und Jugendliche
Kinder und Jugendliche
Kinder und Jugendliche
Kinder und Jugendliche
Kinder und Jugendliche
Bereich Arbeit
sechs Werkstätten in Braunschweig und im Landkreis Wolfenbüttel
Arbeitsbereich
Berufsbildungsbereich
Fördergruppen
Gesamt
873
100
52
1025
Personen
Personen
Personen
Personen
Bereich Wohnen
Wohnstätten
Wohngruppen
Ambulante Betreuung
Seniorentagesstätten
Gesamt
224
45
319
61
649
Personen
Personen
Personen
Personen
Personen
Lebenshilfe Stiftung Braunschweig
Die Lebenshilfe-Stiftung Braunschweig ist eine rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts.
Sie fördert wirksame Hilfen für Menschen mit Beeinträchtigung, deren Eltern und Angehörige.
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Ansprechpartner
Dr. Hans-Joachim Beinroth (Vorstand)
Telefon 0531 4719 220
[email protected]
Detlef Springmann (Geschäftsführung)
Telefon 0531 4719 220
[email protected]
Kerstin Hoffmann (Kinder und Familie)
Telefon 0531 4719 214
[email protected]
Dr. Laurenz Aselmeier (Wohnen)
Telefon 0531 4719 218
[email protected]
Ulrich Semmler (Arbeit)
Telefon 0531 4719 203
[email protected]
Kathleen Hülsebusch (Verwaltung)
Telefon 0531 4719 222
[email protected]
Lebenshilfe Braunschweig
Kaiserstraße 18, 38100 Braunschweig
Telefon 0531 4719 0
Spendenkonto
Bank für Sozialwirtschaft Hannover
IBAN DE42 2512 0510 0007 4810 01, BIC BFSWDE33HAN
www.lebenshilfe-braunschweig.de
Fotos: Elke Franzen (0), außer Anna Elmenthaler (I),
Christine Garn (II), Sonja Lippke (III), Jonas Scheiffele (IV),
Martin Slawig (V), Daniel Strobach (VI) sowie Fotolia (VII),
MAN AG (VIII) und Lebenshilfe Braunschweig (IX)
Konzeption und Redaktion: Elke Franzen,
Lebenshilfe Braunschweig
Gestaltung: Hinz & Kunst, Braunschweig
Druck: Druckerei Lebenshilfe Braunschweig
© Lebenshilfe Braunschweig gemeinnützige GmbH, 2016
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POS IT IO N E N | 2016
www.lebenshilfe-braunschweig.de