Publikation: Ressort: tbhb tb-fr Pagina: Erscheinungstag: 1 24. 12. 2015 Ist-Farben: MPS-Planfarben: cmyk0 cmyk ST. GALLER Nummer 300 Donnerstag, 24. Dezember 2015 FA AZ 9001 St.Gallen Fr. 3.50 / € 4.– 0 –3 ME 7 2 AM N E R IT OG E S -PR TV " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " " FERNAUSGABE Gemeinsame Fernausgabe der Ostschweizer Tageszeitungen mit dem aktuellen Lokalteil: Talentschau im hohen Norden Digitale Sammelbüchsen Der in Herisau aufgewachsene Eishockeyspieler Timo Meier beteiligt sich ab Samstag an der U20-WM in Helsinki. Die Schweizer Auswahl hat in Finnland hohe Ziele. ! SPORT 15 Spenden haben in der Adventszeit Hochkonjunktur, auch digitale Sammelbüchsen. ! WIRTSCHAFT 11 Italienische Meisterweine <wm>10CAsNsja1NLU0jjc3MDY1MgMAFfyIGw8AAAA=</wm> <wm>10CAsNsja1NLU01jU3MDY1MgMAFz1_YA8AAAA=</wm> <wm>10CPPxsTbVMwBjZ1e_ENcga1NLU0vjeHMDY1MjM2tDcwM9A0tzayBlYWFibWhkZGxkYGhqZWhobGBoaGlqaB2QkuaZl5GYU6JXkJIGAB-_h_xOAAAA</wm> <wm>10CPPxsTbVMwBjZ1e_ENcga1NLU0vjeHMDY1MjM2tDcwM9A0tzayBlYWFibWhkaGZkYGhqZWBsYGRiaGJmaR2QkuaZl5GYU6JXkJIGABSgyUJOAAAA</wm> <wm>10CPPxsTbVMwBjZ1e_ENcga1NLU0vjeHMDY1MjM2tDcwM9A0tzayBlYWFibWBhaGlkYGhqZWBsYGRsYGFiYh2QkuaZl5GYU6JXkJIGAB_8g85OAAAA</wm> <wm>10CPPxsTbVMwBjZ1e_ENcga1NLU0vjeHMDY1MjM2tDcwM9A0tzayBlYWFibWBkZGpkYGhqZWhkbGRiaQQUCkhJ88zLSMwp0StISQMAnnoWyU4AAAA=</wm> <wm>10CFXKqw6AMAxG4Sfq8rddt5VKMkcQBD9D0Ly_4uIQJ8d8yxKW8DX3de9bmJsrVahJCa5I8BrPWssBliJgm-C5iUnmHydVgIHxGgKTlAGnXAk-Cmu6jvMGX4j_MXEAAAA=</wm> Zürcher Str. 204E, 9014 St.Gallen www.caratello.ch Klosterleben Schwester Agatha und ihre Hoffnung n St. Galler Tagblatt für St. Gallen–Gossau n Wiler Zeitung n Toggenburger Tagblatt Aus Vertriebsgründen mit dem Lokalteil vom Vortag: n St. Galler Tagblatt für Rorschach und Umgebung n Thurgauer Zeitung n Der Rheintaler n Appenzeller Zeitung Den Lokalteil von heute finden Sie im Internet unter www.tagblatt.ch FOCUS Düfte können unsere Phantasie stark ! 24 stimulieren. Salzkorn Lange waren die Bauern die Meister im Jammern. Sie verstanden es am besten, mit Leichenbittermiene zu erklären, wie schlecht es um ihre Existenz bestellt sei. Die Disziplin beherrschen sie immer noch. Doch es gibt Konkurrenz, andere Branchen haben aufgeholt. Zu schöner Meisterschaft bringen es mittlerweile auch die Detailhändler. Weihnachtsgeschäft und Sonntagsverkäufe laufen unbefriedigend, und an Begründungen mangelt es nicht. Der Eurokurs spielt übel mit, der Onlinehandel funkt drein, und natürlich benimmt sich das Wetter daneben, da will einfach keine Weihnachtsstimmung aufkommen. Im Strassencafé sitzen statt einkaufen: Unverschämt! Doch da zeigt sich: Das Wehklagen ist im Grunde ein einziger Vorwurf an die Konsumenten, falsch zu konsumieren. Generalanklage: Kaufunlust. Das ist eine Frechheit. Deshalb ein Weihnachtswunsch des anonymen Konsumenten an die Gewerbler: Hört auf, uns das richtige Mass an Kauflust zu diktieren. Und lasst uns einfach das kaufen, was wir brauchen. B.H. <wm>10CAsNsjY0MDA2jjc0N7O0sAAA40suVw8AAAA=</wm> Angst habe sie nicht. Sie sei nicht allein im Haus. Es sei voller Engel und Heiliger. Schwester Agatha lebt vorerst für ein Jahr im Kloster Maria der Engel in Appenzell – als einzige Schwester und mit der Hoffnung, dass die Schweiz–EU: Sommaruga bremst die Hoffnungen TOBIAS BÄR BERN. Bei der Suche nach einer Lösung für die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative habe sich die Ausgangslage klar verbessert, sagte Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga am Montag nach ihrem Treffen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Im Gespräch mit unserer Zeitung dämpft die Justizministerin nun die Erwartungen. Zwar hätten die beiden Parteien festgestellt, dass eine Lösung auf der Basis der bestehenden Schutzklausel im Personenfreizügigkeitsabkommen möglich wäre. «Man hat am Montag aber auch gesehen, dass die Differenzen in verschiedenen Fragen nach wie vor sehr gross sind», sagte Sommaruga. wirklich hilfreich». Erschwerend hinzu komme die Frist zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative, die im Februar 2017 abläuft: «Eine solche Frist erleichtert Verhandlungen nie.» Sommaruga äusserte sich auch zur Kritik aus der GoogleZentrale, wonach die Schweizer Kontingente für Zuwanderer aus Drittstaaten die Rekrutierung von ausländischen Fachkräften <wm>10CPPxsTbVMwBjZ1e_ENcga0MDA2PjeENzM0sLC2tDI3M9UyMLYwNTVKaRsZGBoamVoaGRhYmFmYmxdUBKmmdeRmJOiV5BShoAGEGTs1UAAAA=</wm> <wm>10CPPxsTbVMwBjZ1e_ENcga0MDA2PjeENzM0sLC2tDI3M9UyMLYwNTVKaRsZGBoamVoaGRhYmxiZF1QEqaZ15GYk6JXkFKGgC5AqyaVAAAAA==</wm> <wm>10CPPxsTbVMwBjZ1e_ENcga0MDA2PjeENzM0sLC2tDI3M9UyMLYwNTVKaRsZGBoamVoaGRhYmhsYF1QEqaZ15GYk6JXkFKGgCa2-8bVAAAAA==</wm> <wm>10CPPxsTbVMwBjZ1e_ENcga0MDA2PjeENzM0sLC2tDI3M9UyMLYwNTVKaRsZGBoamVgaWJuZG5pampdUBKmmdeRmJOiV5BShoA5iGyOlUAAAA=</wm> Frist erschwert Lösungssuche Dass Grossbritannien auf Reformen bei der Personenfreizügigkeit drängt, ist aus der Sicht der Bundespräsidentin «nicht Bild: freshfocus Simonetta Sommaruga Bild: Michel Canonica Räume bald wieder von einer geistlichen Gemeinschaft belebt sein werden. Ihr Vorhaben sei schon «eine ziemlich verrückte Idee». Doch sie bete «für ! THEMA 2 + 3 Gspänli», sagt die promovierte Ärztin. (rw) erschwerten. Gemäss Sommaruga herrscht ein Widerspruch zwischen der Forderung des Volkes nach einer Begrenzung der Zuwanderung und den Bedürfnissen der Unternehmen. Die Politik könne zur Lösung beitragen, indem sie den Arbeitsmarktzugang für inländische Arbeitskräfte erleichtere – «für Frauen zum Beispiel». Haftbefehl gegen Chodorkowski Regierung legt Wachstum fest MOSKAU. Ein Moskauer Gericht ST. GALLEN. Die St. Galler Regie- hat wegen eines alten Mordfalls einen Haftbefehl gegen den früheren Oligarchen Michail Chodorkowski erlassen. Zudem wurde er international zur Fahndung ausgeschrieben, wie die Nachrichtenagentur Ria Nowosti meldete. Eine Sprecherin des Kreml-Kritikers sagte dazu, Chodorkowski werde «seine Reisen in keinster Weise wegen des Entscheids der Vampire des Kreml» einschränken. (afp) ! AUSLAND 9 rung hat für die kantonale Richtplanung ein mittleres Bevölkerungswachstum festgelegt. Damit korrigiert sie einen Beschluss des Kantonsrats, der ein höheres Wachstum und grössere Bauzonen wollte. Seit der Abstimmung vom November ist wieder die Regierung für die Richtplanung zuständig. In Zahlen bedeutet dies, dass der Kanton bis 2030 um 40 000 Personen wachsen könnte. (sda) ! OSTSCHWEIZ 17 «Es gab dunkle Momente» Mit Blick auf ihr Präsidialjahr sagt Sommaruga: «Es gab dunkle Momente.» Dazu zählten die Terroranschläge in Paris oder die beispiellose Flüchtlingsbewegung. Kraft schöpfe sie aus den Begegnungen mit der Bevölkerung. Die Zusammenarbeit im Bundesrat funktioniere derzeit so, «wie sie funktionieren sollte». Es werde hart gerungen. Die Entscheide würden dann aber von allen Mitgliedern getragen. Sie sei zuversichtlich, dass sich dies auch mit dem neuen SVP-Bundesrat Guy Parmelin nicht än! SCHWEIZ 5 dern werde. BOXING DAY Weihnachten im Stadion Am 25. Dezember ist Weihnachten. Für die Anhänger des englischen Fussballs ist der 26. Dezember aber mindestens so bedeutend: Es ist wieder Boxing Day. Die Premier League trägt am Stephanstag traditionell eine Vollrunde aus. Die- se Tradition geht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Allerdings ist der Derby-Gedanke von damals den heutigen kommerziellen Überlegungen gewichen. Trotzdem ist die Kernidee der Rivalität in England nicht verloren gegangen. (nle) ! SPORT 16 Zentralredaktion St. Galler Tagblatt: Fürstenlandstrasse 122, 9001 St. Gallen, Tel. 071 272 77 11, Fax 071 272 74 76 – Aboservice: Tel. 071 272 72 72, Fax 071 272 72 70, E-Mail aboservice#tagblatt.ch Verlag Der Rheintaler: Tel. 071 747 2222 Publikation: Ressort: tbhb tb-th Pagina: Erscheinungstag: 2 24. 12. 2015 Ist-Farben: MPS-Planfarben: cmyk0 cmyk 2 Thema Donnerstag, 24. Dezember 2015 Das Kloster Maria der Engel liegt mitten im Dorf Appenzell. «Er ist der beste Chef, den es gibt» Schwester Agatha aus Vorarlberg lebt im leeren Kloster Maria der Engel in Appenzell. Vorerst für ein Jahr. Und mit der Hoffnung, dass die Räume bald wieder von einer geistlichen Gemeinschaft belebt sein werden. Von Regula Weik (Text) und Michel Canonica (Bilder). Sie zieht eine Wolljacke an und führt hinaus in den Garten. Die meisten Beete sind geräumt, winterfest gemacht. In einem wächst trotz der kalten Nächte noch frischer Salat. Schwester Agatha wird ein grüner Daumen nachgesagt. «Wer sagt das?», fragt sie. Ihre Freude am Garten kann sie schwer verbergen. Sie schneidet einen Salat. «Gartenarbeit ist ein guter Ausgleich.» Vorschuss an Vertrauen Sie sei naturverbunden aufgewachsen, erzählt sie später. In der Nähe von Salzburg. In einer Bergbauernfamilie mit fünf Kindern; sie ist das älteste. Da habe es immer viel zu tun gegeben. «Ich hatte eine positive Einstellung zur Arbeit.» Der Hof ihrer Eltern lag 1000 Meter über Meer. Sie sei sich Hügel und Berge gewohnt. Schon früh zog sie als Sennerin auf die Alp, schaute nach den Tieren, stellte Butter und Käse her. Die Eltern hätten ihr «einen grossen Vorschuss an Vertrauen» gegeben – «ein 16jähriges Mädchen allein auf einer Alphütte, da hätte einiges schiefgehen oder manche Flause ihre Blüten treiben können». Es geschah nichts dergleichen. Sie zögert bei der Frage, ob sie immer brav und angepasst gewesen sei. Ihr aktuelles Vorhaben sei schon «eine ziemlich verrückte Idee». Vor acht Jahren aufgehoben Ende Frühling ist Schwester Agatha ins Kloster im Dorfzentrum von Appenzell eingezogen – mit der Idee, hier eine neue geistliche Gemeinschaft zu gründen. Das in Zeiten, da viele Klostergemeinschaften vor grossen Problemen stehen. Und die Schliessung von Klöstern längst kein Tabu mehr ist. «Ein grosses Wagnis, ich weiss.» Sie hat den Gast durch den langen Gang ins Refektorium geführt. Den Weg in den Speisesaal des Klosters haben die Schwestern früher nach dem Gebet schweigend zurückgelegt. Letztmals im April 2008. Fünf waren es damals noch; ihr Durchschnittsalter lag über 75. Das zehrte an ihren Kräften und brachte sie öfter an den Rand der Erschöpfung. Und so beschlossen die fünf Kapuzinerinnen, sich an den Apostolischen Stuhl in Rom zu wenden mit der Bitte, das Kloster aufheben zu dürfen. Ein nicht alltäglicher Schritt. Die Schwestern zogen damals von Appenzell ins Kloster Grimmenstein bei Walzenhausen. Seither steht das Kloster Maria der Engel leer. Das bot Raum für Spekulationen – erst recht an einem derart prominenten Platz im Dorf. Luxuswohnungen? Wellness-Hotel? Kongresszentrum? Die Schwestern hatten einen Wunsch zurückgelassen: Die Klosterliegenschaft solle auch nach ihrem Auszug einer geistlichen Gemeinschaft zur Verfügung stehen. Zu diesem Zweck wurde eine Stiftung gegründet; sie ist heute die Hüterin dieses Anliegens. Vielleicht entsteht hier ein neuer Orden. Ein Appenzeller Orden. Schwester Agatha schaut sich im Refektorium um. 43 Schwestern hatten in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts hier an den Tischen gesessen. So viele wie früher und später nie mehr. Im Laufe von 330 Jahren – bis zur Klosteraufhebung vor bald acht Jahren – hatten insgesamt 370 Schwestern in den Räumen gelebt. Heute ist sie die einzige. An manchen Tagen teilt sie den Tisch mit Pilgern. 20 werden maximal aufge- nommen; sie verbringen die Nacht in einfachen Zimmern. Ein Bett, ein Stuhl, eine Kommode. Über der Tür das Namensschild einer ehemaligen Schwester. «Bei uns haben die Zimmer keine Nummern wie in einem Hotel. Bei uns muss sich der Gast einen Schwesternnamen merken, um in sein Zimmer zurückzufinden.» Manchmal setzen sich Menschen mit an den Tisch, die sich «eine Auszeit gönnen», einen Tag, eine Woche oder auch länger. Menschen, die «genug vom Zuviel» haben. Menschen, die Stille und Einfachheit suchen. Menschen, die neue Kraft zu schöpfen versuchen und eine spirituelle Erfahrung suchen. «Wellness für die Seele», nennt es Schwester Agatha. Ein Neuaufbruch Das tönt wenig nach klassischem Klosterleben. Sie nickt und winkt gleichzeitig ab. Solche Neuaufbrüche könnten nicht erzwungen werden – «es braucht Offenheit und Gottvertrauen». Sie erinnert an das «wundertätige Kreuz», das im oberen Stock hängt. Dort hätten die Kapuzinerinnen in früheren Jahrhunderten um Baumaterial für ihr Gebäude gebetet. Und so bete auch sie heute für Schwester Agatha im Gang mit den Zimmern für Pilger und Gäste und im Gemüsegarten. Anzeigen: Marktplatz 6 Fonds 12 Traueranzeigen 21 Ostevent 26 Service: Börse 12 Kino 26 Radio/TV 27/28/29/30 Wetter/Sudokus 31 eine Zukunft für das Kloster Maria der Engel – «und für Gschpänli». Sie kann sich vorstellen, dass sich «ein kleinerer Kreis von Frauen bildet, die hier ein Klosterleben führen». Kapuzinerinnen, wie die ehemaligen Schwestern des Klosters? Oder Zisterzienserinnen, der Orden, dem sie angehört? Beides sei denkbar. Sie möchte die Frauen, die mit ihr gehen, auch mitentscheiden lassen. Sie schmunzelt – «vielleicht entsteht hier ein neuer Orden, ein Appenzeller Orden». Der Weg übers Medizinstudium Nach einer Pause meint die 54-Jährige: «Ich könnte es anderswo einfacher haben.» Doch sie vertraut darauf, dass Gott ihr zeigt, ob es nur «meine Idee oder auch sein Wunsch ist, dass hier etwas Neues wächst». So wie damals, als sie während des Medizinstudiums merkte, dass der Gedanke an ein Leben im Kloster sie nicht losliess. Pure Einbildung? Oder Gottes Wunsch? Sie habe mit sich gerungen – stark, sehr stark. «Ich war hin und her gerissen. Es gab viele neblige Tage, an denen ich nicht wusste, wo es mich hinführt.» Sie wollte Menschen helfen. «Und kranke Menschen brauchen unsere Un- Publikation: Ressort: tbhb tb-th Pagina: Erscheinungstag: 3 24. 12. 2015 Ist-Farben: MPS-Planfarben: cmyk0 cmyk Thema 3 Donnerstag, 24. Dezember 2015 terstützung ganz besonders.» So hatte sie sich für das Studium der Medizin entschieden. Sie zog nach Wien, studierte und absolvierte Spitalpraktika – und machte dabei eine «nachhaltige» Erfahrung: Eine Frau war mit Verdacht auf Brustkrebs eingeliefert worden. Während das Operationsteam auf den Befund aus dem Labor wartete, überlegte sie sich: Wie geht es jetzt wohl dem Ehemann? Wie den Kindern? Hoffentlich passiert im Labor kein Fehler, hoffentlich entscheiden die Ärzte richtig. Umgetrieben von diesen Fragen, begann sie zu beten. Und da habe sie so richtig gespürt, wie wichtig «das stellvertretende Gebet» sei. Sie lacht. «Seither führe ich eine Gebets-Intensivstation.» Für Krebskranke, für Depressive, für Alkoholiker. Für alle Kranken. Und für ihre Angehörigen. «Ich war so verliebt in Jesus» Als sie kurz vor den letzten Prüfungen ihres Medizinstudiums stand und gefragt wurde, ob sie schon eine Assistenzstelle habe, verneinte sie und antwortete: «Es gibt ja noch den lieben Gott.» Um die Doppeldeutigkeit dieser Aussage wusste nur sie. Nach einer Probewoche im Zisterzienserinnenkloster Mariastern nahe Bregenz war ihr klar: Hier ist mein Platz. Doch sie wollte ganz sicher sein und stellte sich noch einmal auf die Probe. Eine Nacht lang. «Wenn das Gefühl morgen noch so ist, dann stimmt es.» Als sie aufwachte, war es noch da. «Von dieser Gewissheit zehre ich heute noch», sagt sie. Die letzte «Prüfung» sei dann das Gespräch mit der Frau Oberin gewesen: «Ich konnte es kaum erwarten. Ich war schon so verliebt in Jesus.» Heute, mit über dreissig Jahren Klostererfahrung, sagt sie: «Er ist der beste Chef, den es gibt.» Auch das Kloster Mariastern sei das richtige gewesen. Trotzdem hat sie im Frühling ihre Gemeinschaft in Vorarlberg verlassen und ist – vorerst für ein Jahr – nach Appenzell gezogen. Die Anfrage war eine weltliche gewesen – für einen Vortrag über Hagiotherapie. Sie bietet diese seit 13 Jahren an. Erfolgreich, heisst es aus Therapeutenkreisen. Sie selber liesse sich nie ein solches Urteil über ihre Arbeit entlocken. Bevor sie für den Fotografen den Gang auf und ab marschiert, drückt sie dem Gast einen Prospekt in die Hand. Dort ist zu lesen: Schwester Agatha im Refektorium, dem Speisesaal des Klosters. «Hagio heisst heilig. Heilig deshalb, weil die Geistseele das Zentrum, das Heiligste im Menschen ist, sein unverwechselbarer innerster Kern.» Hagioassistentin Sr. Dr. med. Agatha Kocher – so ihre Benennung auf dem Prospekt – spricht von einer Gesprächstherapie mit spirituellem Inhalt. Sie könne dabei ihre medizinischen Kenntnisse und die Erfahrungen des Klosterlebens verbinden. Wer zu ihr in die Therapie kommt, muss nicht gläubig sein. Auch Atheisten zählen zu ihren «Kunden». «Ich stülpe niemandem einen Glauben über», sagt sie. Wer sich ihr anvertraut, muss nicht befürchten, dass der Nachbar von seinen Problemen erfährt. Sie untersteht der Schweigepflicht. Putzen, kochen, jäten, beten So reiste Schwester Agatha im Sommer 2013 wegen des Vortrags erstmals nach Appenzell. Idee des Stiftungsrats von Maria der Engel war es, die Therapie künftig im Kloster anzubieten. Doch zuerst wollte er am Vortrags- und Informationsabend den Puls der Bevölkerung spüren. Wird das Angebot akzep- tiert? Es wurde. Nicht zu konservativ, nicht zu progressiv, lautete das Urteil. Nur eine Person machte dem Stiftungsrat einen Strich durch die Rechnung: Schwester Agatha. Der Stiftungsrat hätte sie gerne nach Appenzell geholt. Dreimal sagte sie ab. «Ich gehöre nicht hierher. Mein Platz ist anderswo.» Doch je länger sie sich mit dem Gedanken aus- «Ich bin nicht allein. Es hat so viele Engel und Heilige hier im Haus.» einandersetzte, desto stärker fühlte sie sich «von Gott nach Appenzell geleitet». Ende Mai zog sie in Maria der Engel ein. In ein Gebäude mit dunklen, hallenden Gängen und kühlen, unbewohnten Räumen. Und mit zwei Teilzeitangestellten. Auch sie habe eine «weltliche» Anstellung. Sie wischt die Gänge, putzt die Zimmer, bereitet das Frühstück zu, kocht das Abendessen, spült das Ge- schirr, jätet Unkraut, giesst die Pflanzen. Sie bietet Gebetsabende und Exerzitien an. Sie nimmt sich Zeit für Anliegen, die an der Pforte an sie herangetragen werden, und sie bewegt sich im Dorf. Sie sei «erlebbar», sie verkrieche sich nicht hinter den Klostermauern. Ihr Tag sei ein Wechsel von Arbeit und Gebet. «Mir ist nie langweilig.» Verspürt sie nie Angst, allein in dem grossen Gebäude? «Ich bin nicht allein», sagt sie verschmitzt. «Es hat so viele Engel und Heilige hier im Haus.» Dann, nach einer Pause: Diese Stille sei auch eine Hilfe, noch offener zu sein – für Gott. Eine Art Rückgabe an die Schweiz Vermisst sie ihre Gemeinschaft in Mariastern? «Im Geiste bin ich mit ihr verbunden.» Dann fügt sie an: Es sei eine Herausforderung, es tagein, tagaus allein mit sich auszuhalten. Sie habe das früh gelernt – als Sennerin auf der Alp. Hat sie kein schlechtes Gewissen, ihr Heimatkloster im Stich gelassen zu haben? «Die Erlaubnis von Mariastern war die Voraussetzung, um ein Jahr ausserhalb des eigenen Klosters leben zu können.» Und dann ist da noch ein Gedanke. Nachdem der Kanton Thurgau im 19. Jahrhundert drei Stammklöster der Zisterzienserinnen – Kalchrain, Feldbach und Tänikon – aufgehoben hatte, suchten die heimatlos gewordenen Schwestern Zuflucht in Vorarlberg. Im Kloster Mariastern fanden sie eine neue Heimat. Ihr Engagement in Appenzell sei vielleicht auch «eine Möglichkeit, der Schweiz etwas zurückzugeben» – wenn auch in einem andern Kanton. Wie zuversichtlich ist sie, dass in Appenzell eine neue Gemeinschaft wächst? Sie sei mit einigen Personen in Kontakt, die sich die Frage eines Klosterlebens stellten. Wer kann sich bei ihr melden? «Menschen, die offen sind, einen neuen Weg zu suchen und diesen gemeinsam zu gehen.» Sie verstehe sich als «erstes Samenkorn» für eine neue Gemeinschaft. Diese müsse langsam und natürlich wachsen. Ihr Blick schweift durchs Fenster hinaus in den Garten und bleibt am Salatbeet hängen. Manchmal erntet sie zu unerwarteter Zeit. Wie an diesem Nachmittag.
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