Bauarbeit macht krank AK fordert Best- statt

Ihre Gesprächspartner/-innen:
Dr. Johann Kalliauer
Präsident der AK Oberösterreich
Mag.a Dagmar Andree, MBA
Leiterin der Abteilung
Arbeitsbedingungen in der
AK Oberösterreich
Bauarbeit macht krank
AK fordert Best- statt Billigstbieterprinzip
Pressekonferenz
am Donnerstag, 21. Mai, 10 Uhr
Arbeiterkammer Linz
Körperliche Belastungen, Zeit- und Termindruck:
Arbeitsbedingungen am Bau machen die Beschäftigten krank
Belastende Arbeitsbedingungen wie Heben und Tragen schwerer Lasten,
Arbeiten in Zwangshaltungen und häufig unangenehme Witterungsverhältnisse sind kennzeichnend für die Baubranche. Verschärft werden die
körperlichen Anstrengungen durch enormen Termin- und Zeitdruck, der
auch die psychische Gesundheit angreift. Die Folgen: Am Bau Beschäftigte
haben mehr Krankenstandstage als der Durchschnitt der Arbeitnehmer/innen, und nicht einmal die Hälfte glaubt, ihre derzeitige Arbeit bis zur
gesetzlichen Pension durchhalten zu können. Für AK-Präsident Dr. Johann
Kalliauer ist es höchste Zeit, die Notbremse zu ziehen: „Das Billigstbieterprinzip bei Bauprojekten muss abgeschafft werden. Den Zuschlag sollen
Bestbieter bekommen, die auch menschengerechte und gesunde Arbeitsbedingungen garantieren“, sagt er.
Im Jahr 2014 waren in der Baubranche in Österreich laut Statistik Austria 232.000
unselbständig Erwerbstätige in 32.469 Unternehmen beschäftigt. Sie leisten einen
unverzichtbaren Beitrag für die heimische Gesellschaft und Volkswirtschaft – zahlen allerdings einen hohen Preis, weil sie im Vergleich mit anderen Sparten häufiger belastenden Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind.
Vor allem Witterung, Staub, Lärm, schwere körperliche Anstrengung, einseitige
körperliche Belastung und Arbeit unter Zwangshaltungen zählen dazu. Auswertungen des Österreichischen Arbeitsgesundheitsmonitors 2008-2014 zeigen, dass
sich Bauarbeiter/-innen im Branchenvergleich auch häufiger durch Termin- und
Zeitdruck bei der Arbeit belastet fühlen: 35 Prozent der Beschäftigten am Bau
sagen, dass sie sich dadurch stark oder sehr stark belastet fühlen – im Branchendurchschnitt sind es 26 Prozent.
Das Anziehen von Schutzkleidung und das Einhalten von Sicherungsvorkehrungen verlangsamen die Arbeitsschritte, in der Praxis bleibt also oft keine Zeit dafür.
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Damit übernehmen die Baubeschäftigten ein enormes Risiko. AK-Präsident
Dr. Johann Kalliauer kritisiert: „Bei manchen Baufirmen haben Zeit-KostenRechnungen offenbar einen deutlich höheren Stellenwert als die Sicherheit und
Gesundheit der Beschäftigten. Solche Firmen sollten keine Aufträge mehr erhalten. Ungesetzliche und gefährliche Praktiken müssen durch strengere Kontrollen
durch das Arbeitsinspektorat und durch höhere Strafen abgestellt werden.“
BELASTUNGEN IN DER BAUBRANCHE IM VERGLEICH MIT ANDEREN BRANCHEN
50%
45%
40%
35%
30%
25%
20%
15%
10%
5%
0%
44%
42%
38%
33%
31%
27%
14%
9%
Witterung
14%
14%
14%
10%
Staub
Lärm
schwere
körperliche
Anstrengung,
Heben schwerer
Lasten
Baubranche
andere Branchen
einseitige
körperliche
Belastung
Quelle: Arbeitsgesundheitsmonitor AK OÖ, IFES 2008 - 2014
Negativrekord bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten
Jeder fünfte Arbeitsunfall passiert am Bau: 2014 waren es 17.742 von insgesamt
87.093 Arbeitsunfällen (ohne Unfälle auf dem Weg zur Arbeit und von der Arbeit
nach Hause). Etwa 60 von 1000 Beschäftigten in der Baubranche erleiden pro Jahr
einen Arbeitsunfall – so viele, wie in keiner anderen Sparte. Im Branchendurchschnitt liegt hier der Wert bei 25. Laut Eurostat passieren 26,1 Prozent aller schweren und tödlichen Unfälle im Bauwesen. Die meisten Unfälle im Baubereich passieren dabei nicht im Betrieb, sondern bei Montagetätigkeiten und Arbeiten auf
Baustellen. Das Risiko ist dort aufgrund sich täglich ändernder Arbeitsumgebungen und hohen Zeitdrucks besonders hoch.
Auch bei den Berufskrankheiten nimmt das Bauwesen den unrühmlichen ersten
Platz ein. 2014 erkannte die AUVA insgesamt 1327 Fälle von Berufserkrankungen
an. Alleine davon entfielen 219 Fälle auf das Bauwesen. Lärmschwerhörigkeit trat
mit 149 Fällen dabei am häufigsten auf.
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stehende
Tätigkeit, Arbeit
unter
Zwangshaltungen
Durchhalten bis zur Pension nur schwer möglich
Zum Regelpensionsalter in Pension zu gehen, ist in der Bauwirtschaft fast nicht
möglich. Viele müssen krankheitsbedingt deutlich früher das Arbeitsleben beenden. Laut einer Studie des WIFO aus dem Jahr 2013 erhielten von 2008 bis 2011
55,6 Prozent der Pensionsneuzugänge aus der Baubranche eine Invaliditäts- und
Berufsunfähigkeitspension zugesprochen.
Mehr als die Hälfte der am Bau Beschäftigten glaubt laut Auswertungen des Österreichischen Arbeitsklima Index nicht daran, bis zur Pension durchhalten zu können. Nur 47 Prozent der Arbeitnehmer/-innen in der Baubranche halten es für
sehr oder eher wahrscheinlich, ihren Job mit 60/65 noch ausüben zu können. Hier
sind die Arbeitnehmer/-innen anderer Branchen mit 65 Prozent deutlich optimistischer.
Krankenstände hoch obwohl viele auch krank zur Arbeit gehen
Bauarbeiter/-innen in Oberösterreich waren im Jahr 2013 16,6 Kalendertage im
Krankenstand – deutlich länger als der Durchschnitt aller Arbeitnehmer/-innen
mit 13,8 Kalendertagen. Besonders bei den Muskel-Skelett Erkrankungen liegt das
Bauwesen an vorderster Stelle: Bauarbeiter/-innen sind um einen ganzen Tag länger (3,5 Kalendertage) aufgrund dieser Diagnose im Krankenstand als Arbeitnehmer/-innen anderer Branchen (2,5 Kalendertage).
Die Krankenstandsdaten bilden aber nur einen Teil der Wirklichkeit ab. Denn
38 Prozent der Bauarbeiter/-innen gehen auch dann zur Arbeit, wenn sie sich eigentlich krank fühlen und besser im Bett geblieben wären. Das ergeben die Auswertungen des Arbeitsgesundheitsmonitors 2014. Während der Saison vermeiden
viele einen Krankenstand und kämpfen sich durch. Die Winterarbeitslosigkeit
wird dann vielfach zur Regeneration genützt, was aber auf Dauer nicht gesund ist.
Die hohe Beschäftigungsunsicherheit am Bau, Arbeitsdruck und der Wille, die
anwesenden Kollegen/-innen nicht im Stich zu lassen, spielen hier eine große Rolle.
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Wissenschaftliche Arbeit zeigt Realität auf der Baustelle auf
In seiner Masterarbeit mit dem Thema „Arbeitsbedingungen in der österreichischen Bauwirtschaft – Status Quo, Herausforderungen und Handlungsempfehlungen“ beschäftigt sich Mag. Reinhard Haider, BSc, Referent der Abteilung Arbeitsbedingungen in der AK Oberösterreich, mit der Arbeitsrealität auf den heimischen
Baustellen. Folgend werden einige Schlussfolgerungen des Autors und Zitate aus
den geführten Tiefeninterviews mit Bauarbeitern/-innen dargestellt:
Baufirmen sparen auf Kosten der Gesundheit
„Es dauert mit dem Kran länger. Man braucht einen Mann mehr. […] Wir haben
zwar einen Bagger, einen Lastwagen und einen Baukran da gehabt – die sind aber
gestanden während wir die Steine gesetzt haben. […] Der junge Polier hat die
Bagger- und Kranfirma heimgeschickt, weil er die dann nicht zahlen muss und er
Geld spart. Kreuzweh hat in 90 Prozent mit dem Heben zu tun – wenn du mit
Schaufeln und Krampen graben musst.“
31-jähriger Spengler
Zeitdruck bewirkt, dass die Beschäftigten krank zur Arbeit kommen und
Sicherheitsmaßnahmen unzureichend ausgeführt werden
Ausnahmslos alle Befragten berichten über das hohe Arbeitstempo und die viel zu
engen Zeitvorgaben bei Bauprojekten.
„Ein Kollege war im Krankenstand, […], da hätten wir unbedingt noch betonieren
sollen. Ich habe gesagt, dass ich mich dazu nicht im Stande sehe. Dann ist sogar
einer vom Krankenstand gekommen, da haben sie den noch geholt. […] Öfter ist
es schon so, dass du gerne in den Krankenstand gehen würdest, dann kannst du
aber nicht gehen, wenn du halbkrank bist.“
„Ja, früher hast zur Arbeit noch Zeit gehabt, heute nicht mehr.“
57-jähriger Maurer
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Knappe Personalbemessung ist gängige Praxis und
belastet die Beschäftigten enorm
„Man minimiert […]: Was früher acht Personen getan haben, machen jetzt nur
mehr vier. Solange du mittun kannst, musst du mittun, ansonsten bekommst von
der Firma einen Tritt. Wenn du sagst, du bist das nicht mehr im Stande, dann
können sie dich nicht mehr brauchen.“
56-jähriger Maurer und Polier
Wenig Wertschätzung für die Arbeit der Bauarbeiter/-innen
„Wenn der Chef bei 39 Grad aus dem klimatisierten Wagen aussteigt und sagt, ‚da
habt ihr nicht schön gespachtelt‘ […] – da stehst du zehn Stunden in der prallen
Sonne und hast 200 m² gespachtelt […]. Man darf da die Hitze nicht vergessen, da
trocknet der Kleber stellenweise am Werkzeug fest. Oder du wartest drei Wochen
auf dein Material und dann wird gefragt, warum ihr nichts weitergebracht habt.“
39-jähriger Maurer
Leasingarbeiter haben einen noch geringeren Stellenwert
„Beim Estrich herausreißen und beim Schutt tragen, da kommen dann die Leasingarbeiter und die tragen dann raus.“
51jähriger Maurer und Polier
„Wenn es zum Schluss hin geht, dann macht man es mit den eigenen Leuten fertig. Die Leasingmitarbeiter kommen dann wieder weg. Als Leasingarbeiter wirst
du wie ein frisch Angelernter eingestuft, mehr zahlen die einfach nicht […].“
59-jähriger Leasingarbeiter
Kontrolle und Strafen würden wirken
„Die Sicherheitsvorschriften könnte man noch verbessern. Wir hätten Plastikkappen, die man über eingeschlagene Eisenpflöcke geben kann, damit man sich nicht
aufspießen kann. Der Sicherheitsinspektor war da und hat gesehen, dass nirgends
Kappen drauf waren. Dreimal war er da und dreimal hat er eine Stange gefunden,
auf der keine Schutzkappe drauf war, also mussten wir Strafzahlungen leisten.
Jetzt haben wir die Kappen wieder mit - vorher nicht.“
31-jähriger Spengler
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Die Arbeiterkammer Oberösterreich sieht
raschen Handlungsbedarf und fordert:
 Abkehr vom Billigstbieter- hin zum Bestbieter-Prinzip
Es sollen jene Betriebe den Zuschlag für Bauprojekte bekommen, die für gute Arbeitsbedingungen unter Einhaltung der Schutzvorschriften sorgen
(z. B. Arbeitszeit, ArbeitnehmerInnenschutz etc.) und somit auch gesamtgesellschaftlich und wirtschaftlich einen wichtigen Beitrag leisten. Insbesondere bei staatlichen bzw. staatsnahen Auftragsprojekten kann dies rasch umgesetzt werden. Gutachten und konkrete Machbarkeitspläne von Baufirmen,
die sich bei der terminlichen Realisierung der Aufträge ständig unterbieten,
sollen eingefordert werden können. Ausbeuterstrukturen durch Sub-SubKonstruktionen müssen zerschlagen werden. Das Gesetz zur Bekämpfung
von Lohn- und Sozialdumping ist bereits ein wichtiger Schritt in die richtige
Richtung.
 Ausweitung der Kontroll- und Kompetenzmöglichkeiten
des Arbeitsinspektorats
Wer krank machende Arbeitsbedingungen nicht abstellt, soll aus Sicht der
Arbeiterkammer dafür spürbare Strafen bezahlen. Ein dringender Ausbau
der Kontroll- und Kompetenzmöglichkeiten des Arbeitsinspektorats ist nötig. Das Arbeitsinspektorat muss personell dementsprechend ausgestattet
sein, auch nachgehende Kontrollmöglichkeiten zu erfüllen.
 Gewichtsreduktion der Baustoffe und
verstärkter Einsatz von Trage- und Hebevorrichtungen
Angefangen bei den Fertigbetonsäcken bis hin zu den Ziegeln sollen die
Gewichte reduziert werden und die Baustoffe in Summe handhabbarer gemacht werden. Wenn der Einsatz von Kränen, Liften oder Ähnlichem möglich ist, dann darf dabei nicht gespart werden.
 Einführung des Bonus-Malus Systems
Das im Regierungsprogramm vereinbarte Bonus-Malus-System kann die
Chancen älterer Arbeitnehmer/-innen erheblich verbessern. Deshalb müssen
die Pläne zügig realisiert werden. Wenn Betriebe mehr Ältere beschäftigen
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müssen, werden diese auch mehr über alternsgerechtes Arbeiten und die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit nachdenken.
 Sensibilisierung der Bauarbeiter/-innen über ihre Rechte und Pflichten
Bewusstseinsbildung und Aufzeigen von konkreten Möglichkeiten für die
Arbeiter/-innen (welche Anlaufstellen gibt es, wer kümmert sich um meine
Anliegen? Was sind meine Pflichten, wo liegen rechtliche Grenzen?).
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