Merlin Carl
27.10.2015
Das Schubfachprinzip
Das Schubfachprinzip ist ein elementares Lösungsprinzip, das in einer seiner zahlreichen Varianten einer großen Vielfalt an Beweisen zugrunde liegt. Wir betrachten einige
dieser Formulierungen und Beispiele dazu.
1 Schubfachprinzip (Grundformulierung)
‘Es sei n eine natürliche Zahl. Werden n + 1 Dinge auf n Schubfächer verteilt, so gibt es
mindestens ein Schubfach, in dem mindestens zwei Dinge liegen’.
Beispiel 1: Unter 13 Leuten sind stets zwei, die im gleichen Monat Geburtstag haben.
Beispiel 2: Unter n+1 Zahlen aus dem Bereich {1, 2, ..., 2n} sind stets 2, die zueinander
teilerfremd sind.
Beweis: Wir bilden die Schubfächer {1, 2}, {3, 4}, ..., {2n−1, 2n}. Jede der n+1 Zahlen
liegt in genau einem davon, es sind aber nur n Fächer. Folglich muss eines der Fächer
doppelt besetzt sein. Aber die Zahlen in jedem Fach folgen direkt aufeinander und sind
also teilerfremd.
Beispiel 3: Unter n + 1 Zahlen aus dem Bereich {1, ..., 2n} sind stets 2, von denen eine
die andere teilt.
Beweis: Der ungerade Anteil einer natürlichen Zahl n ist diejenige ungerade natürliche Zahl u, für die n in der Form n = 2i u, i ∈ N0 , darstellbar ist. Die Zahlen unterhalb
von 2n haben ihre ungeraden Anteile unter den ungeraden Zahlen in {1, 2, ..., 2n}, davon
gibt es gerade n. Von den n + 1 Zahlen müssen also nach dem SFP zwei den gleichen
ungeraden Anteil haben. Diese beiden sind also - für ein gewisses ungerades u sowie
i, j ∈ N0 mit i 6= j - von der Form 2i u und 2j u. Offenbar teilt die kleinere die größere.
2 Schubfachprinzip (Allgemeine Form)
‘Es seien n und k natürliche Zahlen. Werden kn + 1 Dinge auf n Schubfächer verteilt, so
gibt es mindestens ein Schubfach, in dem mindestens k + 1 Dinge liegen’.
Beispiel: Unter 25 Personen sind stets 3, die im gleichen Monat Geburtstag haben.
Beispiel: Auf einem 1m × 1m größen quadratischen Tisch sind 101 unansehnliche,
punktförmige Brandflecken. DieTischdecke ist leider nach zu heißem Waschen auf einen
Kreis vom Radius 15cm eingeschrumpft. Zeige, dass man damit immerhin noch mindestens 5 der Flecken gleichzeitig verdecken kann.
Beweis: Wir unterteilen den Tisch in 25 Quadrate der Seitenlänge 20cm. Nach der
allgemeinen Form des SFP liegen in einem dieser Quadrate mindestens 5 der Flecken. Es
ist aber leicht zu sehen, dass ein Kreis mit Radius 15cm ein solches Quadrat überdecken
kann.
3 Schubfachprinzip (Unendliche Form)
Werden unendlich viele Dinge auf endlich viele Schubfächer verteilt, so existiert mindestens ein Schubfach, das unendlich viele Dinge enthält. Werden überabzählbar viele
Dinge auf abzählbar viele Schubfächer verteilt, so existiert mindestens ein Schubfach,
das überabzählbar viele Dinge enthält.
Beispiel: Unter 11 unendlichen Dezimalzahlen sind zwei, die an unendlich vielen Stellen
die gleiche Ziffer haben.
Beweis: Es sei i ∈ N beliebig. Wir betrachten die i-te Dezimalstelle aller 11 Zahlen.
Dann haben wir 11 i-te Stellen, an deren jeder eine von 10 Ziffern steht. Nach der
Grundform des SFP sind also zwei dieser Ziffern gleich. Da i beliebig war, gilt für jedes
i, dass zwei der i-ten Ziffern der 11 Zahlen gleich sind. Für jedes i gibt es also zwei
natürliche Zahlen k, j ∈ {1, ..., 11} mit k 6= j so, dass die i-te Ziffer der k-ten Zahl gleich
der i-ten Ziffer der
Zahl ist; wir nennen das Paar (k, j) dann ‘Match für i’. Es
j-ten
11
11∗10
gibt aber nur 2 = 2 = 55 solche Paare. Also muss eines dieser Paare (k, j) für
unendlich viele i ein Match für i sein und ist damit gewünscht.
(Berühmtes Beispiel: Es gibt eine reelle Zahl, die nicht Nullstelle eines Polynoms mit
rationalen Koeffizienten ist.)
4 Schubfachprinzip (Allgemeinste Form)
‘In einer Menge von Zahlen existiert mindestens ein Element, das mindestens so groß ist
wie der Durchschnitt über alle Elemente und eines, das höchstens so groß ist’
Beispiel: In einem Raum seien n Personen, die einander jeweils einige Male die Hände
geschüttelt haben. Dabei gibt es zu jedem k ∈ {1, 2, ..., n2 } zwei Personen im Raum, die
sich genau k mal die Hände geschüttelt haben. Zeige: Es gibt eine Person im Raum, die
2
anderen Personen im Raum mindestens (n−1)(n4 −n+2) Mal die Hand geschüttelt hat.
Beweis: Jedes Händeschütteln wird von 2 Personen ausgeführt. Zusammen haben die
(n2 )
(n2 )
Leute im Raum also Σi=1
2i = 2Σi=1
i mal Hände geschüttelt. Nach der allgemeinsten
(n2 )
Form des SFP muss also eine Person mindestens n1 ∗ 2Σi=1
i Hände geschüttelt haben.
Entwickeln der Summe und Vereinfachen liefert das Ergebnis.
5 Anwendungsfälle
Das häufigste Einsatzgebiet für das Schubfachprinzip sind Existenzaussagen über endlichen Mengen. Wann immer eine solche Aussage zu beweisen ist, sollte man an das
Schubfachprinzip denken (aber natürlich ohne daran zu kleben).
In der Praxis kann die Anwendung des Schubfachprinzips dadurch erschwert sein, dass
für die Anwendbarkeit eine gewisse Vorarbeit erforderlich ist. Wir betrachten hier einige
Beispiele:
Fall I: Vorarbeit zur Reduktion der Anzahl der Schubfächer.
Beispiel:
2
Zeige: Auf jeder Party mit mehr als einem Teilnehmer gibt es zwei Teilnehmer, die
auf der Party die gleiche Anzahl von Bekannten haben. (Wir gehen davon aus, dass
Bekanntschaft eine symmetrische Relation ist.)
Hier liegt es nahe, die möglichen Anzahlen von Bekannten (0 bis n − 1 auf einer Party
mit n Teilnehmern) als Schubfächer zu wählen. Nun gibt es aber genau so viele Schubfächer wie Teilnehmer. Allerdings kann es (wegen der Symmetrie der Bekanntschaft) nicht
sein, dass zugleich jemand auf der Party ist, der jeden Gast kennt (also n − 1 Bekannte
hat) und jemand, der keine Bekannten hat. Die Schubfächer 0 und n−1 können also nicht
beide belegt sein. Damit ist die Anzahl der tatsächlich belegten Schubfächer höchstens
n − 1, und das Schubfachprinzip ist anwendbar. 1
Fall II: ‘Versteckte’ Schubfächer.
Beispiel: Auf eine Zielscheibe von der Form eines gleichseitigen Dreiecks mit der Seitenlänge 1 werden fünf Pfeile abgeschossen, die alle die Zielscheibe treffen. Zeige, dass
unter den fünf Pfeilen zwei existieren, deren Abstand ≤ 21 ist.
Beweis: Das ist eine Existenzaussage über endliche Mengen, weswegen wir versuchen,
das Schubfachprinzip anzuwenden. Leider haben wir keine Schubfächer in der Aufgabenstellung, daher müssen wir selbst welche bauen: Wir teilen das Dreieck in vier gleichseitige Teildreiecke auf, indem wir die Seitenmitten verbinden. Es ist leicht zu sehen, dass
in jedem Teildreieck je zwei Punkte einen Abstand ≤ 21 haben (formal: Dreiecksungleichung!). Nach dem Schubfachprinzip müssen nun von den fünf Pfeilen mindestens 2 im
gleichen Teildreieck landen.
Zusatz: Zeige: Werden 4n + 1 Pfeile abgeschlossen, so gibt es zwei mit einem Abstand
von ≤ 12n .
Fall III: Sowohl die Schubfächer als auch die zu verteilenden Dinge sind ‘versteckt’:
Beispiel: Gegeben sind n natürliche Zahlen a1 , ..., an . Zeige: Es existiert eine nichtleere
Teilmenge X ⊆ {a1 , ..., an } =: A so, dass die Summe über alle Elemente von X durch n
teilbar ist.
Wieder haben wir eine Existenzaussage über endliche Mengen und denken an das
Schubfachprinzip. Allerdings haben wir zunächst weder Schubfächer, noch wissen wir,
welche ‘Dinge’ wir verteilen sollten. Angesichts der Bedingung (Teilbarkeit durch n) liegt
es nahe, einmal die Restklassen modulo n als Schubfächer auszuprobieren. Dann müssen
wir die ‘Dinge’ also so wählen, dass wir eine Menge der gewünschten Art erhalten, wenn
zwei ‘Dinge’ die gleiche Restklasse haben. Es liegt vielleicht nahe, als ‘Dinge’ Teilmengen
von A zu nehmen und eine Menge in die Restklasse der Summe ihrer Elemente modulo n
einzuteilen. Teilmengen gibt es ja genug, nämlich 2n . Allerdings hilft es nicht viel, wenn
z.B. {a1 , a2 } und {a3 , a4 , a5 } in derselben Schublade landen: Wir wissen dann zwar, dass
(a1 + a2 ) − (a3 + a4 + a5 ) durch n teilbar ist, aber das ist ja keine Summe von Elementen
von A, sondern eine Differenz von solchen Summen. Jetzt fällt uns aber auf: Ist von den
beiden Mengen eine eine Teilmenge der anderen, dann ist die Differenz die Summe über
die Differenzmenge.
Können wir irgendwie dafür sorgen, dass wir sicher sein können, dass eine der Mengen
eine Teilmenge der anderen ist?
1
Eine alternative (nicht ganz ernst gemeinte) ‘Lösung’ zur Reduktion der Anzahl der Schubfächer, die
einmal von Teilnehmern eines Problemlöseseminars vorgeschlagen wurde ist die: ‘Wer keinen kennt,
kann ja gehen’.
3
Ja: Betrachte die n Mengen {a1 }, {a1 , a2 }, {a1 , a2 , a3 },...,{a1 , a2 , ..., an }. Von je zweien
davon ist eine eine Teilmenge der anderen. Wenn wir sie aber auf n Restklassen verteilen
sollen, können wir das Schubfachprinzip nicht anwenden. Zum Glück fällt uns Fall I ein!
Können wir die Anzahl der Schubfächer irgendwie reduzieren? Sicher: Wenn die Summe
über eine dieser Mengen bereits den Rest 0 mod n läßt, sind wir fertig. Wir können also
annehmen, dass das Schubfach 0 unbesetzt bleibt. Dann bleiben nur noch n − 1 mögliche
Restklassen übrig und das Schubfachprinzip ist anwendbar.
Fall IV: Manchmal liefert das Schubfachprinzip allein noch nicht die Lösung, ist aber
ein wichtiger Teil davon: Man sollte sich anbietende Schubfachschlüsse immer ziehen,
vielleicht erweisen sie sich als nützlich...
Beispiel: Auf einer Party mit 6 Gästen gibt es stets 3, die sich gegenseitig nicht kennen
oder drei, die sich gegenseitig kennen.
Beweis: Wieder eine Existenzaussage über endliche Mengen, also sind wir alarmiert,
dass das Schubfachprinzip nützlich sein könnte. Greifen wir einen der Gäste, Fritz, heraus: Die verbleibenden 5 Gäste verteilen sich auf zwei Schubfächer, je nachdem, ob Fritz
sie kennt oder nicht. Nun ist 5 = 2 ∗ 2 + 1, die allgemeine Form des Schubfachprinzips
sagt uns also, dass eines der beiden Schubfächer mindestens 2 + 1 = 3 Gäste enthält.
Nehmen wir OBdA mal an, dass G diese 3 Gäste alle kennt (im anderen Fall läuft das
Argument analog) und betrachten die drei Gäste, zusammen mit G, genauer. Es fällt
auf: Falls zwei der drei Gäste sich kennen, bilden sie zusammen mit G drei Gäste, die
alle einander kennen. Kennen sich hingegen keine zwei davon, bilden sie drei Gäste, von
denen keiner einen der anderen kennt. In jedem Fall ist gezeigt, was zu zeigen war.
Zusatz: Sei n eine beliebige natürliche Zahl. Zeige, dass es eine natürliche Zahl m gibt,
so dass auf jeder Party mit m Gästen stets n sind, die einander alle kennen oder von
denen keiner einen der anderen kennt.
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