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02.11.15 16:07
vom 19.10.2015, 17:50 Uhr
Update: 29.10.2015, 19:17 Uhr
Chancengleichheit
Nichts gegen Bauchtanzstunden, aber . . .
Von Teresa Reiter
Frauennetzwerk Sorority will kollektives Selbstbewusstsein von Frauen stärken und
Chancengleichheit am Arbeitsmarkt.
Wien. "Ich hab immer Angst gehabt, dass
irgendwann jemand merkt, dass ich keine
Ahnung habe, was ich tue." Die etwa
dreißig Frauen im Publikum lachen. Die
Unternehmerin Kathrin Folkendt hat einen
Nerv getroffen, als sie beschreibt, wie ihre
beruflichen Anfänge bei einem der größten
US-Technologieunternehmen ausgesehen
haben. Viele finden sich in ihren
Erzählungen von langen Arbeitsnächten,
Versuchen, durch angepasste Kleidung
seriöser zu wirken, und vom panischen
Wettrennen mit den eigenen fachlichen
Schwächen wieder. Heute, sagt Folkendt,
habe sie gelernt, sich selbstbewusst auf
ihre Stärken zu konzentrieren und sich
nicht mehr unter ihrem Wert zu verkaufen.
Veranstaltungen wie Business Riot
bieten Frauen die Möglichkeit zum
Netzwerken.
© Marisa Vranjes
Es ist ein besonderer Ton, der am
vergangenen Wochenende beim Business Riot Festival im Impact Hub
Vienna herrschte. Das in Wien ansässige Frauennetzwerk "Sorority"
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(Schwesternschaft) hatte ein breites Spektrum an Workshops und
Podiumsdiskussionen für Frauen auf die Beine gestellt, mit einem
klaren Fokus: Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt. "Wir wollten
vor allem Kurse anbieten, die die Geschlechterordnung als soziales
Konstrukt nicht weiter nähren. Nichts gegen Bauchtanzstunden oder
die Styling-Beratung für sicheres Auftreten, Kurse, die sich in vielen,
auch öffentlich geförderten Weiterbildungsmodulen für Frauen
wiederfinden. Solche Seminare mögen Spaß machen, aber progressive
Frauenförderung ist etwas anderes", sagt Sorority-Vorstandsmitglied
Sandra Nigischer. Stattdessen wolle man Frauen das Rüstwerk
anbieten, sich auf dem Arbeitsmarkt selbstbestimmt zu bewegen, um
unabhängig zu sein und später nicht in die Altersarmut zu schlittern.
Auf dem Sorority-Stundenplan stehen daher Veranstaltungen zum
Thema Gehaltsverhandlungen, Konfliktmanagement im Job, Stimmund Sprechtraining sowie Diskussionen zu Themen wie "Neue
Arbeitswelten". Dabei wurde eines klar: Bei Chancengleichheit auf dem
Arbeitsmarkt geht es bei weitem nicht nur um die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf. Vielmehr boten die Lebenswelten der über 350
Teilnehmerinnen eine große Vielfalt an Problemen und Schwierigkeiten,
die ihnen den Berufsalltag erschweren. Sie genieren sich, laut zu
sagen, wie wenig sie verdienen, bekommen Halsschmerzen, wenn sie
etwa bei Moderationen oder beim Unterrichten lange sprechen
müssen, wollen einen bestimmten Dialekt loswerden, haben keine
Ahnung, wie sie den Programmierern in ihrer Firma erklären sollen,
was sie auf ihren Websites brauchen, weil ihnen das Vokabular dazu
fehlt. Sie wissen sehr konkret, was sie brauchen, um mehr Erfolg zu
haben, haben aber oft Mühe herauszufinden, woher sie es bekommen
können. Warum eigentlich?
Zu wenige Angebote für gut ausgebildete Frauen
Unter den Teilnehmern befand sich auch Sarah Galehr,
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Gleichbehandlungs- und Gender-Mainstreaming-Beauftragte des
Arbeitsmarktservice Wien (AMS). "Das AMS spricht oft eher Frauen in
traditionellen Arbeitsbereichen an. Besonders für sehr gut ausgebildete
Frauen haben wir einfach nicht genügend Angebote", gibt Galehr zu.
Das liege einerseits daran, dass sehr viele Mittel in Pakete für spezielle
Gruppen gebunden seien. So gebe es ein 50+-Paket, es komme nun
ein Asylpaket und sehr viel Budget sei für Jugendliche gebunden, da
bleibe eben nicht viel flexibles Budget übrig und bestimmte Gruppen
blieben auf der Strecke. "Individuelle kleinere Workshops und
Weiterbildungen wurden früher durch das sogenannte KurskostenBudget bezahlt, das wurde jedoch extrem zusammengeschrumpft."
"Somit ist es schwierig, auf einzelne Personen einzugehen, die zwar
eine Ausbildung haben, denen aber noch irgendetwas fehlt, damit sie
im Arbeitsmarkt Fuß fassen können", sagt Galehr. Hinzu komme, dass
das AMS für Selbständige nach der Gründung eigentlich nicht
zuständig sei. Im Gespräch mit den Teilnehmerinnen des Festivals sei
Gahler auf den "Missing Link" aufmerksam geworden. Sie wolle sich
nun ansehen, wie groß die Gruppe der jungen Frauen ist, die sich in
diesen "manchmal sehr ungewöhnlichen Bereichen" selbständig
machen und was man für diese tun könnte.
Einer der beliebtesten Workshops des Festivals war der Web
Development-Kurs des jungen Start-up "Girls n’ Code". In einem gut
gefüllten Raum präsentieren etwa dreißig Frauen ihre Unternehmen
und erklären, was sie für deren Websites wollen. Die
Workshopleiterinnen Larisa Stanescu und Eva Krizsanits sagen klar:
"Wir wollen, dass alle Frauen online gehen", und präsentieren eine
Reihe von Zahlen. 87 Prozent der Wikipedia-Autoren sind Männer,
genauso die Top-10-YouTuber und auch unter den Internet-Millionären
findet sich nur ein kleiner Prozentsatz an Frauen. Themen wie
Programmieren und Internet seien generell männlich dominiert und
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eine eigene Website für jede Frau könne der erste Schritt für diese
sein, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Für den Arbeitsmarkt bedeute das, dass wenn Themen nicht
frauenspezifisch ausgearbeitet werden, Frauen sich auch weniger
damit befassen. "Es entsteht eine Abwärtsspirale für Frauen. Digitaler
Analphabetismus wird früher oder später zu einem enormen Nachteil
auf dem Arbeitsmarkt werden", sagt Krizanits. Beim AMS wiederum
sieht man das gelassen. Sarah Galehr spricht sich zwar für mehr
Bildung allgemein aus, sieht jedoch die Notwendigkeit, sich mit
Programmiersprachen auseinanderzusetzen nur bei einer "sehr
spezifischen Gruppe".
Dass es Debatten wie diese überhaupt gab, macht die Veranstalter des
Business Riot zufrieden. "Ich glaube, es ist uns durch das Festival
gelungen, eines aufzuzeigen: Dass man sich schwertut, beruflich
weiterzukommen, liegt häufig nicht an individuellen
Unzulänglichkeiten, sondern kann an patriarchalen Strukturen liegen
oder an erlernten, sogenannten ‚weiblichen‘ Verhaltensmustern, wie
etwa, dass man sich zurücknimmt, keine Forderungen stellt oder
möglichst nirgends anecken will", sagt sie.
Es sei immer wieder verblüffend, in den Workshops zu sehen, wie
ähnlich Probleme sind, auf die Frauen unabhängig von der Branche in
der sie tätig sind, stoßen. Alleine zu sehen, dass sich bestimmte
Muster bei so vielen wiederholen, bestärke nicht nur die
Teilnehmerinnen des Festivals, sondern auch das Projekt Sorority an
sich. Dieses biete schließlich das ganze Jahr über Möglichkeiten zum
Netzwerken und Workshops zu konkreten Skills-Aufbau an.
Die Sorority bietet auch außerhalb des Festivals immer wieder
Workshops und Möglichkeiten zum Netzwerken für Frauen aus allen
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Berufsfeldern an. Die Ziele sind dabei für Nigischer klar. Man wolle zum
Beispiel keine rein männlich besetzten Diskussionspanels mehr sehen,
wolle nie wieder den Satz: "Wir haben keine Frau gefunden", hören.
"Wir wollen das kollektive Selbstbewusstsein von Frauen stärken und
in einem Schulterschluss zeigen, dass wir viele sind und uns nehmen,
was uns zusteht", sagt Nigischer.
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