Ingenieurholzbau // Bahnhöfe Dachkonstruktion Zollingerdach schmückt Bahnhof V or etwa 100 Jahren waren Bahnhöfe eine Domäne des Holzbaus. Erst danach wurde er mehr und mehr vom Stahlbau abgelöst, obwohl es auf den durchweg elektrifizierten Strecken hierfür keinen technischen Grund gibt. Als Überdachung des Regio-TramBahnhofs in Kassel wurde eine Tonnenschale aus Holzrippen gewählt. Die Konstruktion sollte sich in den denkmalschützten Bestand des Hauptbahnhofs Kassel (19. Jahrhundert) optimal einfügen, was durch ein leichtes, seitlich offenes Tragwerk auch gelang. Die Lasten aus der flachen Tonnenschale leitet eine Stahlkonstruktion punktweise in den Stahlbetontrog ein. Die Tonnenschale selbst bildet eine Rauten-Lamellen-Konstruktion mit biegesteifer Ausführung der Knotenpunkte, für die ein neuartiges Fügesystem entwickelt wurde. Die Rauten-Lamellen-Technik, die auf die Zollinger-Bauweise (nach Friedrich Zollinger, 1880 – 1945) zurückgeht, wurde bei vielen großen Hallenbauwerken eingesetzt, unter anderem bei den Messehallen Friedrichshafen, Rimini und Karlsruhe. In Kassel war es aufgrund der zum Planungszeitpunkt aktuellen DIN 1052:2004-08 erstmals möglich, eingeklebte Gewindestangen als Verbindungsmittel für solche Knoten zu verwenden und auf ein Stahlzugband zu verzichten. 30 mikado 3.2016 Stützenfreie Gitterschale Die stützenfreie Gitterschale der Überdachung überspannt eine Fläche von etwa 98 m × 18,50 m. Die Struktur der Dachkonstruktion wird von einem regelmäßigen Netzwerk aus rautenförmigen Maschen gebildet, dessen Netz aus 278 Brettschicht(BS)Holz-Rippen nahezu gleicher Querschnittsabmessungen besteht (b/h = 14 cm × 38 cm). Da es sechs verschiedene Rippengeometrien sowie unterschiedliche Festigkeitsklassen (GL 28 h, GL 36 h) gab, war für die richtige Zuordnung der Rippen bei der Montage ein Positionsplan nötig. Mit einem Radius von etwa 22,80 m ergibt sich für die Gitterschale ein sehr flacher Bogen mit einem Stich von nur 2 m. Da es außerdem keine horizontalen Stahlzugbänder gibt, müssen die sehr hohen horizontalen Auflagerkräfte aus dem Bogen an den Auflagerpunkten über eine Stahlkonstruktion in die Fundamente übertragen werden. Das statische System setzt sich daher aus zwei Teilen zusammen: ▸▸ die Stahlkonstruktion als unterer lastabtragender Teil in Form eines über die gesamte Gebäudelänge reichenden horizontalen Stahlauflagerbalkens auf gebogenen Stahlstützen, die die Krümmung des Bogens der Dachschale aufnehmen ▸▸Das Zollingerdach am Bahnhof in Kassel ist ein Hingucker. Gestalterisch gelungen: Von unten sind keine Verbindungsmittel zu sehen ▸▸ der obere Teil, der Gitterschale aus BS-Holz-Rippen, die über speziell entwickelte Stahlanschlüsse biegesteif miteinander verbunden sind Der Anschluss der Gitterschale an die Stahlauflagerbalken wurde zwar biegesteif ausgeführt, in der statischen Berechnung hat man die Auflager jedoch nicht starr, sondern als Feder angenommen. Hohe Biegesteifigkeit Der flache Bogen konnte sowohl aufgrund der sehr hohen Steifigkeit der Stahlkonstruktion als auch aufgrund der Biegesteifigkeit der Knoten realisiert werden. Letzteres war wegen DR. HERIBERT MENZEL der Gefahr des Durchschlagens der Bogenschale unerlässlich, denn der geringe Bogenstich erforderte eine hohe Biegesteifigkeit der Rauten-Lamellen-Konstruktion. 11 cm überhöht ausgeführt Rechnerisch ergibt sich nur eine geringe vertikale Verformung (Senkung) der Gitterschale von 11 cm. Um jedoch dieses Maß auszugleichen, wurde die gesamte Bogenkonstruktion schließlich um 11 cm überhöht ausgeführt. Das Eigengewicht des Daches brachte die Rauten-Lamellen(Rippen)-Konstruktion nach der Montage dann in die planmäßige Bogenform. www.mikado-online.de Der Stahlverbinder setzt sich aus einem Z-förmigen Stahlteil sowie den aufgeschweißten Gewindestangen zusammen. Er wurde werkseitig vormontiert, das heißt in die BS-HolzRippen eingeklebt. Der untere Schenkel des Z-förmigen Stahlteils kann sowohl aus einer als auch aus zwei aufgeschweißten Stahllaschen bestehen, sodass sie beim Zusammenfügen zwei gegenüberliegender Rippen wie ein Scharnier ineinandergreifen. Zur Herstellung des biegesteifen Knotens müssen bei der Montage nur noch die Scherbolzen von unten eingesteckt und verschraubt werden. Danach kann die Knotengeometrie ausgerichtet und die Stahllasche auf die Rippenoberseite aufgeschraubt werden. Mit der Möglichkeit, parallel zur Holzfaserrichtung eingeklebte Gewindestangen als Verbindungsmittel einzusetzen, können ganz neue Knotenverbindungen entwickelt werden. Entstanden ist dabei nicht nur eine biegesteife Verbindung, sondern auch ein Anschluss, der eine schnellere und einfachere Montage von Rauten-Lamellen-Konstruktionen als früher ermöglicht. Was vorher nur mit durchgesteckten oder eingeschlitzten Blechen sowie einer Vielzahl aufwendig einzubringender Verbindungsmittel wie Stabdübel oder Passbolzen zu lösen war, geht jetzt auch anders. Dipl.-Ing. (FH) Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe ▪ 31 STAHLVERBINDER Nur von oben sieht man die Stahlverbindungslaschen der Knotenpunte. Aufgeschraubte Bretter (siehe unterer Bildrand) stabilisieren die Rippen der Dachkonstruktion und bilden eine Scheibe GROSSMANN BAU GMBH & CO. KG Ingenieurholzbau // Bahnhöfe KNOT ENANSCHLUSS Den biegesteifen Knoten ermöglichen die drei bis zu einem Meter langen, in die BS-Holz-Rippen eingeklebten Gewindestangen, die an ein Z-förmiges Stahlteil angeschweißt sind, zusammen mit einer Stahllasche auf der Rippenoberseite und den Scherbolzen PRINZIP DER NORMALKR AF T ÜBERT R AGUNG IM KNOT EN INFOLGE EINES BIEGEMOMENT S ZEICHNUNGEN, S. 32: OSD – OFFICE FOR STRUCTURAL DESIGN PRINZIP DER QUERKR AF T ÜBERT R AGUNG IM KNOT EN 32 mikado 3.2016 2,20 m GROSSMANN BAU GMBH & CO. KG 2,20 m 2,0 m ANSCHLUSS-SIT UAT ION Der Anschluss der Gitterschale an die Stahlauflagerbalken wurde zwar biegesteif ausgeführt, in der statischen Berechnung hat man die Auflager jedoch nicht starr, sondern als Feder angenommen R= ca. 22 ,80 m ca. 18,50 m ca. 22,90 m GROSSMANN BAU GMBH & CO. KG 9 × 10,60 m + 2 × 1,19 m = ca. 98 m QUER SCHNIT T Querschnitt des Dachtragwerks im Montagezustand. Unten: Die netzartige Gitterschale der Tram-Bahn-Überdachung ist knapp 98 m lang und hat eine Spannweite von etwa 18,50 m bei einem Bogenstich von nur 2 m. Die Knotenabstände in Längsrichtung betragen 2,12 m STECK BR IEF BAUHERR: Kasseler Verkehrsgesellschaft AG D-34117 Kassel ı www.kvg.de DACHFL ÄCHE TONNENDACH: 2000 m² BAUKOST EN: 450 000 Euro ARCHIT EK T EN: Pahl & Weber-Pahl Planungsgesellschaft mbH & Co. KG ı D-64295 Darmstadt www.pahl-architekten.de www.mikado-online.de GENER ALPL ANER UND ÖRT LICHE BAULEIT UNG: KVV Bau Verkehrs-Consulting GmbH (KVC) D-34131 Kassel www.kvc-kassel.de/kvc ENT WICKLUNG KNOT ENPUNK T: Dipl.-Ing. (FH) Jürgen Pohlmann, Firma Grossmann Bau GmbH & Co. KG D-83026 Rosenheim www.grossmann-bau.de T R AGWERK SPL ANUNG: osd – office for structural design Prof. Klaus Fäth Prof. Dr.-Ing. Harald Kloft D-60329 Frankfurt a.M. www.o-s-d.com HOL ZBAU: Grossmann Bau GmbH & Co. KG D-83026 Rosenheim www.grossmann-bau.de PREIS: Simon-Louis-du-Ry-Plakette (2013) 33
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