B. Traditionelle Nutzen-Kosten

Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten
Bewertung öffentlicher Projekte A.1
Gliederung
A. Grundlagen
A.1 Allgemeine Grundlagen
A.2 Grundlagen der traditionellen Nutzen-Kosten-Analyse
B. Traditionelle Nutzen-Kosten-Analyse
B.1 Große Projekte
B.2 Kleine Projekte und unvollkommene Märkte
B.3 Externe Effekte und öffentliche Güter
B.4 Diskontierung von Nutzen und Kosten
B.5 Entscheidungskriterien
B.6 Risiko und Unsicherheit
C. Erweiterte Nutzen-Kosten-Analyse
D. Kosten-Wirksamkeits-Analyse
E. Nutzwertanalyse
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Bewertung öffentlicher Projekte A.2
Allgemeine Grundlagen
► Gegenstand: wirtschaftlichkeitsanalytische Verfahren für den öffentlichen Sektor
►
Öffentliches Projekt = alle Maßnahmen des Staates, die darauf abzielen, in einem Land das wirtschaftliche
Geschehen sowie die kulturellen oder sozialen Lebensbedingungen zu fördern
► Grundlagen:
● normative Vorstellungen der Wohlfahrtsökonomik
● Erkenntnisse privatwirtschaftlich orientierter Investitionsrechnungen
► 2 zentrale Fragestellungen:
(1) Ist es aus ökonomischer Sicht sinnvoll, öffentliche Projekte auf Kosten des Entzugs finanzieller Mittel
aus dem privaten Sektor durchzuführen?
(2) Welches oder welche staatlichen Vorhaben sollen aus einer Anzahl potentieller Alternativen ausgewählt
und in die Praxis umgesetzt werden?
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Bewertung öffentlicher Projekte A.3
Traditionelle NKA: Wohlfahrtstheoretisches Grundprinzip (1)
► Normative Grundlagen:
● individualistisches Paradigma
● Prinzip der Konsumentensouveränität
● Interesse der Einzelnen, nicht das Staatsinteresse o.ä. bestimmt das Wohl der Gesamtgesellschaft
► Endzweck des wirtschaftlichen Handelns: individuelle Bedürfnisbefriedigung, i.e. der Nutzen, den der
Einzelne aus dem Konsum von Gütern zu ziehen vermag
► Aggregation der individuellen Nutzen  soziale Wohlfahrt
► Allgemeine Entscheidungsregel für öffentliche Projekte:
Die öffentliche Hand sollte solche Projekte durchführen, die einen Beitrag zur Steigerung der sozialen
Wohlfahrt leisten
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Bewertung öffentlicher Projekte A.4
Traditionelle NKA: Wohlfahrtstheoretisches Grundprinzip (2)
► Durchführung eines Vorhabens erfordert den Einsatz knapper Ressourcen, die ansonsten in anderen
Bereichen der Volkswirtschaft verwendet worden wären  Opportunitätskosten
► Modifizierte Entscheidungsregel für öffentliche Projekte:
Die öffentliche Hand sollte solche Projekte durchführen, für die die Differenz von aggregierten Nutzen und
Opportunitätskosten (= : Nettonutzen) positiv ist
► Inhaltliche Voraussetzung für sinnvolle öffentliche Projekte: Marktversagen
► Postulate der traditionellen NKA: Vollbeschäftigung und Verteilungsneutralität
► Geltungsbereich der NKA sollte in räumlicher und zeitlicher Hinsicht abgegrenzt werden
► Mit-und-ohne-Prinzip: Eine Projektanalyse darf lediglich Wirkungen berücksichtigen, die allein auf die
Durchführung einer öffentlichen Maßnahme zurückzuführen sind, nicht hingegen diejenigen Wirkungen,
die auch aufträten, wenn man auf die Maßnahme verzichtete
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Bewertung öffentlicher Projekte A.5
Elemente einer Nutzen-Kosten-Analyse
(1) Bestimmung der relevanten Nebenbedingungen
(2) Formulierung und Vorauswahl von Alternativen
(3) Bestimmung der Projektwirkungen; Erfassung und Bewertung der positiven und negativen Wirkungen von
Alternativen in Form ihrer monetären Nutzen und Kosten
(4) Zeitliche Homogenisierung der Nutzen und Kosten auf dem Wege der Diskontierung
(5) Gegenüberstellung von Nutzen und Kosten für die verschiedenen Alternativen; Synthese zu
eindimensionalen Güte- oder Entscheidungsmaßen
(6) Berücksichtigung von Risiko und Unsicherheit, evtl. Modifizierung der Entscheidungsmaße
(7) Aufstellen einer Rangordnung der Alternativen anhand der Entscheidungsmaße und Empfehlung einer oder
mehrerer Alternativen
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Bewertung öffentlicher Projekte A.6
Berücksichtigung von Nebenbedingungen
►
Physische Nebenbedingungen
●
Spiegeln sich in Produktionsfunktionen (technischen Relationen zwischen dem Einsatz von Produktionsfaktoren und
dem Produktionsergebnis) wider
►
Budgetäre Nebenbedingungen
●
Die Kosten der in Frage kommenden Projektalternativen dürfen sich nur im Rahmen der – im Zusammenhang mit
der allgemeinen Haushaltsplanung vorgegebenen – Budgetansätze bewegen
►
Gesetzliche Nebenbedingungen
●
Öffentliche Vorhaben dürfen nicht gegen herrschendes Recht verstoßen (z.B. Eigentumsrechte Privater,
baupolizeiliche Verordnungen, Umweltschutzauflagen, etc.)
►
►
Administrative Nebenbedingungen
●
Fähigkeit und Kapazität des staatlichen Verwaltungsapparates
●
Eingefahrene Organisationsstrukturen in einer Behörde, föderaler Staatsaufbau
Politische Nebenbedingungen
●
Weitere Elemente des politisches Zielspektrums (z.B. „Sicherung des inneren Friedens“, „Förderung
strukturschwacher Regionen“)
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Bewertung öffentlicher Projekte A.7
Formulierung und Vorauswahl von Alternativen
► Bei der Durchführung einer NKA zumeist üblich: politische Entscheidungsträger lassen (nur) eine konkrete
Auswahl von Projektalternativen untersuchen
► Sind dem Analytiker aber keine konkreten Projektwünsche vorgegeben: Notwendigkeit, selbst nach
geeigneten Alternativen zu forschen
► 1. Schritt: aus Ideenvielfalt Möglichkeiten auswählen, die unter ökonomischen Gesichtspunkten als
besonders sinnvoll erscheinen (z.B. durch Kurzanalysen)
► 2. Schritt: relevante Alternativen auf Kompatibilität mit herrschenden Nebenbedingungen hin untersuchen
► Übrig gebliebene Alternativen: ausführliche NKA
► „Status Quo“ stellt in der NKA stets eine eigenständige Alternative dar (als Referenzgröße implizit in jeder
NKA enthalten)
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Bewertung öffentlicher Projekte A.8
Typisierung von Projektwirkungen (1)
► Reale versus pekuniäre Effekte
●
Reale Effekte = Wirkungen, die unmittelbar die Versorgung von Individuen oder Haushalten mit
Gütern verändern und auf diese Weise auch verändernd auf die gesellschaftliche Wohlfahrt wirken
●
Pekuniäre Effekte rufen bei den Konsumenten lediglich Verteilungsänderungen auf dem Wege
monetärer Transfervorgänge hervor
●
Pekuniäre Effekte gelten für die traditionelle NKA nicht als echte Wirkungen auf die gesellschaftliche
Wohlfahrt, weil pekuniäre Gewinne bei den einen in einer vollbeschäftigten Wirtschaft durch
pekuniäre Verluste bei anderen genau ausgeglichen werden, so dass die absolute Höhe der
gesellschaftlichen Wohlfahrt hiervon unberührt bleibt
► Direkte versus indirekte Effekte
●
Indirekte (externe) Projektwirkungen werden im Gegensatz zu direkten (internen) Projektwirkungen
von den politischen Entscheidungsträgern nicht bewusst angestrebt, sondern fallen als unbeabsichtigte
Nebenfolgen eines öffentlichen Projekts an (auch: primäre versus sekundäre Effekte)
●
Beide Arten von Wirkungen müssen prinzipiell im Rahmen der NKA berücksichtigt werden
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Bewertung öffentlicher Projekte A.9
Typisierung von Projektwirkungen (2)
► Tangible versus intangible Effekte
●
Tangible Wirkungen sind in monetären Größen quantifizierbar, intangible Wirkungen hingegen lassen
sich nur mit Hilfe qualitativer Angaben umschreiben
●
Im konkreten Fall oftmals umstritten
●
Beide Arten von Wirkungen sind unbedingt in eine NKA aufzunehmen (intangible Wirkungen so
präzise wie möglich)
► Intermediäre versus finale Effekte
●
Finale Projektwirkungen führen unmittelbar zu einer Erhöhung oder Senkung individueller
Nutzenniveaus
●
Intermediäre Effekte fallen zunächst im privaten Produktionsbereich in Form von
Kostenveränderungen an
●
Beide Arten von Wirkungen sind grundsätzlich im Rahmen einer NKA zu erfassen
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Bewertung öffentlicher Projekte A.10
Methodische Grundlagen (1): Allgemeines
► NKA gekennzeichnet durch 2 methodische Prämissen:
(1) grundlegende Bewertung der Vor- und Nachteile eines öffentlichen Projektes auf der Ebene der
einzelnen Individuen bzw. Haushalte; basierend auf individuellen Präferenzen
(2) Gesamtwirtschaftliche Bewertung eines Projekts durch Aggregation der individuellen Präferenzen
►
In der NKA geht es also darum, die positiven und die negativen Versorgungswirkungen eines öffentlichen
Projektes für die Mitglieder der Gesellschaft in Nutzengrößen zu bewerten und diese in monetären
Äquivalenten zu erfassen
► 2 grundsätzliche Konzepte der Nutzenbewertung:
●
kardinaler Bewertungsansatz
●
ordinaler Bewertungsansatz
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Bewertung öffentlicher Projekte A.11
Methodische Grundlagen (2): Ordinales Nutzenkonzept
► Konsumgüterbündel = Zusammenfassung aller Mengen, die ein Haushalt von einzelnen Gütern verbraucht:
x  ( x1 ,..., xn ) , mit: xi konsumierte Menge des Gutes i
► Nutzen aus dem Verbrauch: u  u(x)  u( x1 ,..., xn )
► Seien x1  ( x11 ,..., x1n ) und x 2  ( x12 ,..., xn2 ) 2 verschiedene Güterbündel, so besagt u(x1 )  u(x 2 ), dass der
Haushalt das Güterbündel x1 nutzenmäßig höher einschätzt als x2
► Wenn die Funktion u die Präferenzordnung eines Haushalts wiedergibt, so auch ihre monotone
Transformation u   (u ) , wobei    0
► Wird die Transformation  keinen weiteren Bedingungen unterworfen, so basiert die betrachtete
Nutzenfunktion auf einem ordinalen Nutzenkonzept:
●
Man kann mit ihrer Hilfe die Ordnung zum Ausdruck bringen, die ein Haushalt den von ihm begehrten
Konsumgüterbündeln gibt
●
Weiter gehende Aussagen, insbes. Bewertungen von Änderungen des Nutzenniveaus bzw. von
Nutzenunterschieden sind nicht möglich
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Bewertung öffentlicher Projekte A.12
Methodische Grundlagen (3): Kardinales Nutzenkonzept
► Will man Unterschiede im Nutzenniveau betrachten, so impliziert dies eine Einschränkung der möglichen
Transformationen im Vergleich zum ordinalen Ansatz; zulässig sind dann lediglich lineare
Transformationen der Form:
 (u)  a  bu, mit b  0
► Der Nutzenfunktion liegt in diesem Falle ein kardinales Nutzenkonzept zugrunde
► Nutzenunterschiede lassen sich also nur im Rahmen der kardinalen Nutzentheorie analysieren, im ordinalen
Nutzenkonzept machen solche Überlegungen keinen Sinn
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Bewertung öffentlicher Projekte A.13
Methodische Grundlagen (4): Kardinales Nutzenkonzept bei NKA
► Der kardinalen Bewertungsansatz versucht, die mit jeder Änderung von Gütermengen einhergehende
Änderung der individuellen Nutzenniveaus anzugeben und dafür jenen Geldausdruck zu finden, der diesen
Nutzenunterschied in der Einschätzung des Haushalts widerspiegelt
► Grundlegende Bewertung auf individueller Ebene: Konsumentenrente bzw. individuelle
Zahlungsbereitschaft
► Gesamtwirtschaftliche Bewertung:
●
aggregiert über alle Haushalte, deren Nutzenniveaus sich durch ein öffentliches Projekt verändern
●
für alle Betroffenen werden die Nutzenänderungen – positiv für einige, negativ für andere – gegeneinander
aufgerechnet
●
als Ergebnis: Nettowirkungen eines Projekts auf die Wohlfahrt der Gesellschaft, ausgedrückt in Geldeinheiten
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Bewertung öffentlicher Projekte A.14
Methodische Grundlagen (5): Ordinales Nutzenkonzept bei NKA
► Der ordinale Bewertungsansatz fragt auf der individuellen Ebene, ob der Einzelne durch ein öffentliches
Projekt ein höheres Nutzenniveau erreicht, als er es ohne das Projekt gehabt hätte
► Eine Wohlfahrtssteigerung für die Gesellschaft insgesamt ergibt sich immer dann, wenn sich der Nutzen
mindestens eines Einzelnen vermehrt, ohne dass er zugleich bei einem anderen Individuum absinkt
(Pareto-Kriterium)
► Problem des Pareto-Kriteriums: beträchtliche Einschränkung des Anwendungsbereichs für eine
nutzenmäßige Bewertung
► Alternative: potentielle Pareto-Verbesserung für die Gesellschaft, d.h.:
Eine Wohlfahrtssteigerung für die Gesellschaft insgesamt ergibt sich immer dann, wenn diejenigen
Wirtschaftssubjekte, die durch eine Maßnahme begünstigt werden, sich in der Lage sehen, einerseits alle
dadurch Benachteiligten für deren Nutzeneinbuße zu entschädigen und andererseits wenigstens eine Person
ihr Nutzenniveau zu steigern vermag (Kaldor-Hicks-Kriterium)
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Bewertung öffentlicher Projekte A.15
Methodische Grundlagen (6): Kompensations- versus Äquivalenzvariation
► nach ordinalem Bewertungsansatz i.S. des Kaldor-Hicks-Kriteriums in einer NKA zu ermitteln:
diejenigen monetären Beträge, die ein von einem Projekt betroffenes Individuum abgeben oder erhalten
müsste, damit sein ursprüngliches Nutzenniveau trotz der Durchführung eines Projekts bestehen bliebe
●
Vorstellung eines konstanten Nutzenniveaus der Betroffenen, das durch Kompensationsabgaben oder
Kompensationsforderungen aufrecht erhalten wird (Kompensationsvariation, Hicks (1943))
► alternatives Wohlfahrtsmaß (ebenfalls von Hicks):
Äquivalenzvariation = diejenige Geldsumme, die es einem Individuum erlauben würde, auch ohne das
betrachtete Projekt jenes Nutzenniveau zu erreichen, das es mit ihm hätte erlangen können
●
ebenfalls konstantes Nutzenniveau, jedoch Niveau bei Durchführung des Projekts als Referenzgröße