Botschaften-Leitfaden zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt Der Botschaften-Leitfaden bietet einen normativen Rahmen für die Kinderschutz- und Kinderrechtearbeit im Verband. Ausgangspunkt für diesen Leitfaden ist sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Dabei müssen aber auch alle anderen Formen von Gewalt gegen Kinder in den Blick genommen werden. 1. Der Deutsche Kinderschutzbund hat eine besondere Verpflichtung. Der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) tritt für eine kinderfreundliche Gesellschaft, insbesondere für das Aufwachsen aller Kinder in Gewaltfreiheit, ein. Er engagiert sich dafür, dass Kinder ihre Fähigkeiten entfalten können und ihre Rechte auf Würde, Entwicklung, Schutz und Beteiligung realisiert werden. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe über die Einflussnahme pädophiler Netzwerke im DKSB in den 1980er Jahren hat der Verband die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe aufgeklärt werden. Die Aufarbeitung hat gezeigt, dass keine systematische Unterwanderung durch Pädophile im Kinderschutzbund stattgefunden hat. Aber es ist zu Fällen sexualisierter Gewalt in Einrichtungen und Diensten der Ortsverbände des DKSB gekommen. Für den DKSB bleibt Aufarbeitung auch deshalb ein zentrales Anliegen. Er sieht darin zudem die Chance zur Sicherstellung und Weiterentwicklung der Kinderschutzarbeit. 2. Zugehen auf Betroffene und Kommunikation mit ihnen Ein Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt an Mädchen und Jungen ist für die betroffenen Kinder ein traumatisches Ereignis. Wurden oder werden Kinder und Jugendliche Opfer durch Haupt- und/oder Ehrenamtliche des Deutschen Kinderschutzbundes, hat der Verband die Verantwortung und Verpflichtung, die notwendige und angemessene Hilfe und Unterstützung für Betroffene bereitzustellen. Dazu gehört insbesondere, auf Betroffene zuzugehen, ihnen die Gelegenheit zu geben, gehört zu werden und sie im Prozess der individuellen Aufarbeitung zu begleiten. 3. Konsequent bei allen Maßnahmen vom Kind aus denken Sexuelle Gewalt und Ausbeutung jedweder Form ist ohne Machtmissbrauch nicht zu denken.1 Der Schutz der Kinder vor Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt liegt ausschließlich in der Verantwortung der Erwachsenen. Dazu ist die kritische Auseinandersetzung und Reflexion von Machtverhältnissen in der gesamten Kinderschutzarbeit und insbesondere des Abhängigkeitsverhältnisses in der Erziehung unabdingbar. Kinder sind Subjekte und Träger von eigenen Rechten, die neben dem Schutz und der Förderungen, die Beteiligung in allen sie betreffenden Angelegenheiten sowie Beschwerdemöglichkeiten beinhalten. Dies erfordert eine Haltung der Erwachsenen, die Kinder als eigenständige Persönlichkeiten achten und respektieren sowie Kinder als Expertinnen und Experten ihrer eigenen Lebenswelt ernst nehmen. Vgl. Bundschuh, Prof. Dr. Claudia; Huxoll-von Ahn, Martina: Machtmissbrauch. Sexualisierte Gewalt durch Mitarbeiter/innen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Seite 180 – 199. In: Huxoll-von Ahn, Martina; Kotthaus, J. (Hrsg-): Macht und Zwang in der Kinder- und Jugendhilfe. Weinheim und Basel, 2012. 1 1 4. Sexualisierte Gewalt kann immer und überall stattfinden durch Männer und Frauen, Gleichaltrige, Ehren- und Hauptamtliche. Diese Erkenntnis fordert uns auf, eine fortlaufende und kritische Selbstprüfung der Strukturen und Angebote zu gewährleisten. Sie kann nur unter Einbindung Aller konsequent durchgeführt werden. Dies bedeutet einerseits die kritische Auswahl in Bezug auf die Eignung von Haupt- und Ehrenamtlichen zu sichern und andererseits neue haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen durch Wissenstransfer einzuführen und zu begleiten. Mit diesem Vorgehen wird die Thematik nach innen und außen lebendig gehalten, ohne eine Kultur des Misstrauens zu schaffen. 5. Kultur der Achtsamkeit Um ein gemeinsames Verständnis und eine gemeinsame Haltung zu sexualisierter Gewalt zu entwickeln, braucht es innerhalb der Einrichtung, der Angebote und der Dienste des Verbandes Instrumente, die das fachlich angemessene Verhalten im Umgang mit Kindern beschreiben und somit den haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen Sicherheit und Orientierung vermitteln, auch in Bezug auf zu unterlassende Verhaltensweisen und Umgangsformen. Die Verantwortung aller hinzuschauen und Regelverstöße zu thematisieren, stellt den Einzelnen, das Team, die Organisation vor große Herausforderungen. Alle Gliederungen des DKSB haben die Aufgabe, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Hinblick auf einen achtsamen Umgang zu unterstützen. Sie müssen für die Kommunikation und Kooperation der ehren- und hauptamtlich Tätigen gute Rahmenbedingungen schaffen. Kinder und Jugendliche brauchen Räume und Menschen, um sich bei Grenzverletzungen anvertrauen zu können. 6. Die 100%ige Sicherheit gibt es nicht! Mit der Aufdeckung sexualisierter Gewalt in Einrichtungen, in denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten, sind neben einer Sensibilisierung der Fachkräfte in Bezug auf Täterdynamiken und -strategien auch eine verstärkte strukturelle Prüfung in Hinblick auf die Risiken gegenüber neuen Projekten und Angeboten erfolgt. Teilweise führte dies jedoch auch zu einer umgekehrten Reaktion der Einrichtungen und Fachkräfte, in dem eine Ablehnung oder Vermeidung von Projekten erkennbar wird, wenn nicht alle Risiken ausgeschaltet werden können. Daher braucht die Praxis eine realistische und fachliche Prüfung von Risiken auch neuer Projekte, um damit nicht Innovation und Angebotsentwicklung zu hemmen. 7. Kritische Reflexion neuer Tabuisierungen Nicht wenige Erwachsene – Väter wie Mütter, ErzieherInnen wie LehrerInnen – sind heute verunsichert, wenn sie Situationen mit Kindern beobachten, in denen sich sexuelle Verhaltensweisen zeigen. Es ist für sie nicht einfach, die Situation richtig einzuschätzen und angemessen zu reagieren. Das Wissen über die sexuelle Entwicklung von Kindern geben Orientierung sowie Sicherheit und bilden die Voraussetzung für eine gelungene Sexualerziehung innerhalb und außerhalb der Familie. Im Hinblick auf Sexualpädagogik braucht es umfassende, differenzierte, respektvolle und Grenzen achtende Konzepte, die weder kindliche Sexualität tabuisieren noch ausschließlich aus der Perspektive der Erwachsenen verfasst sind. Kinder haben ein Recht auf sexuelle Entwicklung. Berlin, den 16.05.2015 2
© Copyright 2024 ExpyDoc