Story des Journalisten Dave Hertig über die Rausch AG

MADE IN SWITZERLAND
Rausch feiert das
125-Jahre-Jubiläum und
setzt auf „Swiss Made“
Kräuter als
Erfolgsrezept
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© GETY IMAGES
FOTOS : © RAUSCH AG; ILLUSTRATIONEN:
Der Geschäftsführer
und sein Nachfolger,
Vater und Sohn:
Marco und Lucas
Baumann sind ein
eingespieltes Team
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READER’S DIGEST
DER DESIGNIERTE CHEF kommt selbst zum Empfang. Es ist
Arbeitsbeginn und hinter der ersten Tür stempelt Lucas Baumann
ein wie alle Angestellten, obschon er bald von seinem Vater Marco
die Leitung übernehmen wird. Dann führt er den Besucher durch
ein Labyrinth von Gängen.
„Wer bei uns neu beginnt, bekommt
eine Art Stadtplan in die Hand, um
sich im Haus orientieren zu können“,
sagt er amüsiert.
Orientierung benötigt auch der
Kunde im Fachhandel. Meterweise
buhlen laute Markenversprechen in
bunten Behältern um Aufmerksamkeit. Im Kosmetikmarkt tobt der Verdrängungskampf. Neue, meist günstig
hergestellte Körperlotionen, Shampoos und Stylingprodukte werden
mit teurem Marketing in die Läden
gedrückt.
Die Regale gehen oft an den Meistbietenden, der dann mit Werbung
den Absatz sofort derart zu fördern
versucht, dass die Rechnung aufgeht.
Klappt es nicht wunschgemäss, verschwindet die eben noch trendige
Marke oder zieht sich auf die billigen
Plätze zurück. Schon lockt von den
besten Ladenflächen aus ein neuer
Name mit Gesundheit und Schönheit.
„Mit unseren bescheidenen Budgets können wir da nicht mitbieten“,
stellt Lucas Baumann klar. Doch während die laute Konkurrenz kommt und
geht, verhält sich Rausch ruhig und
bleibt. Wie geht das, wenn man bei der
Ladenfläche nicht mitfeilschen kann?
„Wir leben von Goodwill“, sagt Bau70
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mann. Doch der Betriebswirtschaftler mit einem Abschluss der Hochschule für Technik und Wirtschaft
Chur weiss es besser: Goodwill klingt
wie Liebesdienst und so etwas gibt es
in der Wirtschaft nicht.
„Goodwill und Nachhaltigkeit“, ergänzt er deshalb. „Neue Marken sind
durchschnittlich rund anderthalb Jahre in den Regalen. Uns hingegen verkaufen die Fachhändler seit Jahrzehnten. Sie sind von unseren Produkten
begeistert und sie wissen: Rausch ist
konstant und einzigartig.“
ECHTE KRÄUTER
Einzigartigkeit gelingt Rausch mit der
schweizerischen Herkunft und mit
dem Fokus auf die Kräuter. Die Lagerhallen sind das Reich der natürlichen
Düfte: stapelweise Kräuter in grossen Papiersäcken. Wer am offenen
Fläschchen eines Rausch-Shampoos
schnuppert, weiss: Ja, das ist der Duft
echter Pflanzen.
„Wir ziehen die Kraft aus den Kräutern“, sagt Lucas Baumann. Er hält die
Hände in die Luft, die Innenflächen
nach oben gerichtet. Imaginär zieht
er die erwähnte Kraft zu sich und am
Ende der Bewegung schliessen sich
die Hände vor seinem Gesicht zu
125 JAHRE NATÜRLICHE KOSMETIK
1890 gründet der Friseur Josef
Wilhelm Rausch im deutschen
Konstanz die Firma Rausch. Er
produziert Haarwasser und Haarwaschseife („Shampoo“) aus
Kräuterextrakten. 1920 verlegt er
den Unternehmenssitz ins benachbarte thurgauische Kreuzlingen.
FOTO: © RAUS CH AG
Familie Baumann
Nachdem das Unternehmen von
drei Generationen der Familie
Rausch geführt wird, übernimmt
1949 Josef Baumann-Widmer den
Kosmetikhersteller. Ab 1975 führen
dessen Söhne J. Alexander Baumann (bis 2006) und Marco
Baumann gemeinsam das
Unternehmen. Derzeit steht
mit Marcos Sohn Lucas die
dritte Generation der Familie
Baumann in den Startlöchern.
Lucas Baumann, der zukünftige
Geschäftsführer, und sein Bruder Thomas sind im Verwaltungsrat. Das Unternehmen
befindet sich zu 100 Prozent im Besitz der Familie.
Swiss Made – mit
164 Angestellten
Rausch stellt kosmetische
und pharmazeutische
Produkte auf der Basis
von Pflanzen- und Kräuterextrakten her. Zwei
Drittel des Sortiments
bestehen aus Haarpflegespezialitäten.
Kernmärkte sind die Schweiz,
Deutschland, Österreich und Italien.
Die Produkte werden zudem in
22 weiteren Ländern verkauft.
Rausch beschäftigt 164 Angestellte –
davon 99 am Standort Kreuzlingen.
Hier werden die 70 Produkte hergestellt und abgefüllt, hier wird geforscht, verwaltet und vermarktet.
Rausch bleibt „Swiss Made“ – das ist
ein Versprechen der Unternehmerfamilie.
Die Kraft der Kräuter
Die Shampoos bestehen neben den
normalen Basisinhaltsstoffen bis zu
40 Prozent aus reinen Kräuterextrakten. Rund die Hälfte
dieser 87 Extrakte stellt Rausch
selbst her. Eine bemerkenswerte
Eigenheit im Kosmetikmarkt,
der von billigen Inhaltsstoffen
und teurem Marketing dominiert wird. 68 der 70 RauschProdukte werden vegan
produziert und alle 70 sind
frei von Tierversuchen. DH
Ur-Mischung:
Firmengründer
J. W. Rausch lancierte
1903 als erstes ein
Kamillen-Shampoo
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Fäusten. Es hat etwas Religiöses und
man versteht: Der angehende Firmen­
chef, der die komplexen Prozesse der
Extraktion im Detail kennt, glaubt
selbst ohne Zweifel an die Kraft sei­
ner Kräuter.
Von den infrage kommenden Roh­
stoffen kauft Rausch zuerst eine Pro­
be menge, ein Kilo vielleicht. Diese
wird in einem Gerät analysiert, das
Feinheiten im Extrembereich erkennt.
Nur beste Qualität wird danach zur
Verarbeitung eingekauft. Und: Was in
der Schweiz angebaut wird, kommt
auch von Schweizer Vertragsland­
wirten. „Kokosnuss und Meeresalgen
würden wir hierzulande aber vergeb­
lich suchen“, sagt Baumann mit einem
Lächeln.
TRADITION UND FAMILIE
Der gesamte Rest der Wertschöpfung
fällt in der Schweiz an – Produktion,
Vertrieb und Verwaltung. Ein paar
hundert Meter von der deutschen
Grenze entfernt stellt sich das Unter­
nehmen den Schweizer Produktions­
kosten und kämpft mit den Schwierig­
keiten rund um den teuren Franken.
Für Lucas Baumann eine Selbstver­
ständlichkeit: „Wir werben mit der
Schweiz. Das ist für uns wichtig und
da machen wir keine Kompromisse.“
Eines Tages wollte eine Stadt in Po­
len die Rausch­Produktion abwerben,
so wie das bei vielen anderen Unter­
nehmen passiert. „Man hätte uns die
Produktionsanlagen kostenlos hinge­
stellt“, sagt Baumann. Doch er und
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sein Vater – der 69­jährige Patron ist
seit 47 Jahren in der Firma – winkten
dankend ab.
Rausch wird „Swiss Made“ bleiben,
auch unter der Führung des Junior­
chefs. Lucas Baumann freut sich auf
die neuen Aufgaben, die ihn erwar­
ten. Tradition ist ihm wichtig: Er muss
das Familienunternehmen nicht um­
bauen oder gar auf den Kopf stellen.
Er will den Standort und die Arbeits­
plätze schützen und bei der Qualität
keine Kompromisse zulassen.
Sein Vater würde wohl die gleichen
Sätze sagen. Das ist kein Zufall, denn
für Lucas Baumann ist Rausch Teil
seines Lebens, seit er denken kann. Er
hat in jeder Abteilung gearbeitet und
kam 2012 nach ein paar Jahren in der
Hotellerie zurück. Fast jeden Mor­
gen fährt er heute zum Eltern­
haus, frühstückt mit seinem
Vater – und bespricht die
anstehenden Aufga­
ben des Tages.
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FOTO: © RAUS CH AG
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