Geschichte DEUTSCHES INSTITUT FÜR

 1925
2015
Geschichte
DEUTSCHES INSTITUT FÜR
WIRTSCHAFTSFORSCHUNG
Meilensteine
aus 90 Jahren DIW Berlin
90
Jahre
1941
1945
Im Juni wird das »Institut für
Konjunkturforschung« in »Deutsches
Institut für Wirtschaftsforschung«
umbenannt.
Ferdinand Friedensburg übernimmt
das Amt des Präsidenten des DIW.
Im September zieht das Institut in die
Cecilienallee 6 in Berlin-Dahlem.
1925
Im Juli gründet Ernst ­Wagemann,
Präsident des Statistischen Reichsamtes,
das »Institut für Konjunktur­forschung«
(IfK) am Lützowufer 6/8 in Berlin-­
Charlottenburg und wird dessen
erster Direktor.
1942
1933
Ernst Wagemann wird Anfang des Jahres
als Direktor des »Instituts für Konjunktur­
forschung« entlassen. Nach seinem
Eintritt in die N
­ SDAP und Bittbriefen an
Hitler wird Wagemann erneut in das Amt
des Institutsdirektors eingesetzt.
1925
Wagemann wird während des Kriegs
mehrmals von der Gestapo verhört
und 1942 für kurze Zeit festgenommen.
Ihm wird eine »jüdisch-marxistische
­Personalpolitik« vorgeworfen.
1929
Die sich anbahnende Weltwirtschaftskrise
wird zunächst vom ­»Institut für Konjunktur­
forschung« nicht klar erkannt. Erst im
August ­erscheint eine Konjunktur­analyse,
die auf eine schwere Depression der
­deutschen Wirtschaft hinweist.
1949
Im Februar entsteht auf Anregung von
Ludwig Erhard die »Arbeitsgemeinschaft
deutscher wirtschaftswissenschaftlicher
Forschungsinstitute e.V.« (ARGE). Im ­April
nimmt die Arbeits­gruppe »Sowjetische
Besatzungszone« im DIW ihre Arbeit auf.
1927
Mit der Dissertation »Die Prognose
der Schweinepreise« von Arthur Hanau
prägt das IfK den heute noch verwen­
deten Begriff »Schweinezyklus« als
­Beispiel für das Zusammenspiel von
Angebot und Nachfrage.
1928
Wochenbericht: Der erste »Wochen­
bericht« erscheint. Die Publikation
spielt seitdem in der wirtschaftspoliti­
schen Diskussion in Deutschland eine
­wichtige Rolle.
1948
1932
Nach sechs Jahren Unterbrechung
erscheint im September das erste Vier­
teljahrsheft zur Wirtschaftsforschung
der Nachkriegszeit.
Entdeckung der »Stillen Reserve« am
Arbeitsmarkt: das Phänomen beschreibt
eine Situation, in der es mehr erwerbs­
orientierte Personen gibt, als arbeitslos
gemeldet sind.
1950
Ausbau der Forschungsinfrastruktur:
Das DIW beginnt mit der Ausarbei­
tung der Vierteljährlichen Volkswirt­
schaftlichen Gesamtrechnung (VGR)
für West-Berlin.
1979
1968
Im März stirbt Karl König.
Hans-Jürgen Krupp, bisher Präsident
der Johann-Wolfgang-Goethe-Univer­
sität Frankfurt am Main, wird neuer
­Präsident des DIW.
Klaus Dieter Arndt übernimmt
im ­Januar das Präsidentenamt von
­Ferdinand Friedensburg.
1956
1974
Das Institutsgebäude in der
Königin-­Luise-Straße wird im
Mai eingeweiht.
Im November wird Karl König vom Kura­
torium als Nachfolger des verstorbenen
Klaus Dieter Arndt zum neuen Präsiden­
ten des DIW gewählt.
1966
1957
Im Zuge der Gründung der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wird am
DIW eine eigene Abteilung »Auslands­
wirtschaft West« eingerichtet. Die »Ver­
einigung europäischer Konjunktur­
forschungsinstitute« (AIECE) wird unter
Beteiligung des DIW gegründet.
Das DIW konstatiert im Wochenbericht
25/1966 die erste Rezession in der
Bundesrepublik Deutschland.
1962
In der Abteilung »Industrie« wird das
neue Referat »Input-Output-­Rechnung«
gegründet.
1951
Auf Anregung von Ferdinand Friedensburg
wird im Juni die »Vereinigung der Freunde
des Deutschen Instituts für Wirtschaftsfor­
schung e. V.« (VdF) gegründet. Der Verein
unterstützt das Institut seither in seiner
Arbeit ideel und finanziell.
1983
Das Infrastrukturprojekt »Sozio-­
oekonomisches Panel (SOEP)« kommt an
das DIW.
1972
Die Abteilungen »Verkehr«, ­»Öffentliche
Finanzen« sowie »Geld und Kredit« wer­
den gegründet.
Anfang
90er
Das DIW berät die ­Regierungen
­Russlands und der Ukraine; für
­Kasachstan hilft das Institut mit, ein
amtliches statistisches Berichtssystem
aufzubauen.
1989
2013
Am 1. März tritt Lutz Hoffmann als
DIW-Präsident die Nachfolge von
Hans-Jürgen Krupp an, der als Senator
nach Hamburg geht.
Marcel Fratzscher wird Präsident des
DIW Berlin. Die europäischen und glo­
balen Perspektiven des Instituts werden
ausgebaut und die Bedeutung der
Politikberatung gestärkt.
2007
Das DIW Berlin zieht in die Mohren­straße.
Durch den Umzug von Berlin-Dahlem nach
Berlin-Mitte befindet sich das Institut nun
wieder unmittelbar am Regierungsviertel.
2011
1999
Präsident Zimmermann beendet seine Tätig­
keit für das DIW Berlin. Nach der Übernahme
der wissenschaftlichen Leitung durch Gert
G. ­Wagner und Georg Weizsäcker besteht
das Institut erfolgreich die ­Evaluierung durch
die Leibniz-Gemeinschaft im April 2012.
Klaus F. Zimmermann wird zum
­Präsidenten des DIW gewählt, sein
Amt tritt er zu Beginn des Jahres
2000 an.
2000
Das DIW warnt für den Fall der Wiedervereini­
gung vor Betriebsschließungen und Massen­
entlassungen in den neuen Bundesländern. Bis
zur Jahrtausendwende gibt es im DIW einen
Forschungsschwerpunkt zur ökonomischen Bewäl­
tigung der deutschen Einheit.
Nachwehen der Wiedervereinigung:
Die Ergebnisse einer DIW-­Studie zum
Nachholbedarf der ost­deutschen
Infrastruktur werden G
­ rundlage des
Solidarpakts II.
Auf Basis einer DIW-Studie für das Bundes­
ministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend (BMFSFJ) beginnt ein ökono­
misch begründeter Ausbau der Bildungsund Betreuungsinfrastruktur für Kinder.
2003
Das DIW Berlin veröffentlicht erstmalig
das DIW-Konjunkturbarometer, einen
­Indikator der aktuellen Konjunktur­
tendenz in Deutschland.
Das DIW Berlin
begeht den
90. Jahrestag
seiner Gründung.
2015
1989/90
2002
2015
2004
2010
Mit dem Führungskräfte­monitor
wird das DIW Berlin Meinungs­
führer in der ­Diskussion um die
Einführung von Frauenquoten.
Klimawandel: Das DIW Berlin
erforscht die ökonomischen Kosten.
Erstmalig wird der Schaden durch
den Klimawandel beziffert.
2005
Die Abschätzungen des DIW Berlin zu den
volkswirtschaftlichen Wirkungen einer
EU-Dienstleistungsrichtlinie beeinflussen die
Diskussionen im Europaparlament und die
Ausgestaltung der Richtlinie im Bundestag.
2006
Mit Gründung des DIW Graduate Center setzt
das Institut auf systematische Förderung des
wissenschaftlichen Nachwuchses.
2009
Das SOEP wird vom Wissen­
schaftsrat positiv evaluiert und
weiter ausgebaut.
Herausgeber
DIW Berlin – Deutsches Institut
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Lektorat
Dr. Per Brodersen, DIW Berlin
Prof. Dr. Gert G. Wagner, DIW Berlin
Christiane Zschech, DIW Berlin
Katharina Zschuppe, DIW Berlin
GESTALTUNG
Innen: Anja Knust
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Umschlag: Atelier Hauer + Dörfler, Berlin
www.hauer-doerfler.de
Satz
Ulrike Meyer
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Druck
USE, Union Sozialer Einrichtungen gemeinnützige GmbH
© DIW Berlin 2015
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung 1925 –2015
Gelehrtenrepublik
und Denkfabrik
Vorwort
Die Geschichte des DIW Berlin ist – wie die
Geschichte aller Institutionen – von Menschen
geprägt. Am Anfang stand Ernst Wagemann,
1923 bis 1933 hauptberuf lich Präsident des
Statistischen Reichsamtes. Um grundlegende
wirtschaftliche Zusammenhänge besser zu
verstehen, wollte er mehr forschen, als dies in
einem Reichsamt möglich war – und gründete
1925 das »Institut für Konjunkturforschung«
(IfK), dessen Direktor er wurde.
Es ist allenfalls ein wenig übertrieben, wenn
man sagt: In Deutschland wurde die systematische und empirische Konjunkturforschung im
IfK erfunden – und das Institut hat heute noch
gebräuchliche Begriffe wie »Schweinezyklus«
und »stille Reserve« geprägt.
Ein anderer großer Schritt des Instituts war
indes kein persönlicher, sondern ein institutioneller: Da die Nazi-Ideologie behauptete, das
kapitalistische Phänomen des Auf und Ab der
Konjunktur überwunden zu haben, konnte
das IfK nicht länger seinen Namen tragen und
wurde im Juni 1941 in »Deutsches Institut für
Wirtschaftsforschung« umbenannt – an der
Spitze stand weiterhin Wagemann, mittlerweile als Präsident. So unklar die Hintergründe
der Umbenennung bislang sind, trifft der neue
Name die deutlich breiter angelegten Aufgaben
des Instituts besser.
Das DIW arrangierte sich zu sehr mit dem
NS-Staat: Dem Institut kam der hohe Bedarf
der NS-Wirtschaftspolitik nach Planzahlen
und statistischem Material zugute, die das
Regime für die Umsetzung des Konzepts der
»gelenkten Wirtschaft« brauchte. Im Zweiten
Weltkrieg ließ sich das Institut zum Unterstützer des nationalsozialistischen Vernichtungs-
2
krieges machen: Das DIW berechnete in den
Kriegsjahren unter anderem den wirtschaftlichen Ertrag der besetzten Gebiete im Osten
und untersuchte die »Blockadefestigkeit«
Deutschlands.
Es muss aber betont werden, dass Ernst Wagemann kein willfähriger Anhänger des Nationalsozialismus war. Jüdische Mitarbeiter arbeiteten – solange Wagemann seine schützende
Hand über sie halten konnte – im Institut.
Auch sein späterer Nachfolger, der regimekritische Ferdinand Friedensburg, konnte ab 1939
im Institut arbeiten, musste allerdings nach
dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 auf
politischen Druck hin entlassen werden. Im
Zuge der Ermittlungen nach dem missglückten Attentat wurden zahlreiche Mitarbeiter
des Instituts verdächtigt, so auch Werner von
Stauffenberg, ein Vetter des Hitler-Attentäters,
und Ulrich von Hassell, der verhaftet und hingerichtet wurde.
Ferdinand Friedensburg, der erste Präsident des DIW nach dem Zweiten Weltkrieg,
war eine ähnlich prägende Figur wie vorher
Wagemann. Friedensburg plante, nur vorübergehend im Amt zu bleiben. Es wurden
schließlich 22 Jahre – eine Zeit, in der sich das
Institut in der Nähe der Freien Universität Berlin neu etablierte und dort wuchs und gedieh.
Im Mittelpunkt standen die einzelnen Abteilungen und deren Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, denen Friedensburg mehr Mitsprachemöglichkeiten gab. Insofern war der Begriff
der »Gelehrtenrepublik«, den er gern benutzte,
durchaus gerechtfertigt. Heute gilt diese Idee
mehr denn je.
Nur weitgehende Mitbestimmung und
Forschungsfreiheit können in einem Forschungsinstitut leistungsfähige – und damit
intellektuell unabhängige – Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter motivieren. Seit den Fünfzigerjahren nahm das Institut langsam seine
heute bekannte Gestalt an, etwa mit der Einführung regelmäßiger Konjunkturprognosen.
Forschungsinfrastruktur – wie man das heute
nennt – wird mit der vierteljährlichen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) und
mit der Input-Output-Rechnung in Deutschland bereits in den Fünfziger- und Sechzigerjahren geschaffen. Anfang der Achtzigerjahre
kam auf Initiative von Präsident Hans-Jürgen
Krupp die Längsschnittsstudie »Sozio-oekonomisches Panel« (SOEP) hinzu, die inzwischen
zu einer weltweit genutzten Forschungsinfrastruktureinrichtung gewachsen ist.
Hoffmann und Klaus F. Zimmermann haben
die wissenschaftliche Fokussierung konsequent gestärkt, nicht zuletzt mit der erfolgreichen Einrichtung eines eigenen Doktorandenprogramms.
Immer wieder musste das Institut für seine Arbeit auch Kritik einstecken: Etwa, als es ganz
selbstverständlich auch die DDR-Wirtschaft
untersuchte – ein politisches Tabu, selbst kurz
vor der Wiedervereinigung. Oder als das Institut Ende der Neunzigerjahre laut Zweifel daran
äußerte, dass Deutschland die Stabilitätskriterien zur Euro-Einführung einhalten würde:
Seine berechtigte Skepsis gegenüber Zustandekommen und Aussagekraft der für eine Mitgliedschaft in der Euro-Zone entscheidenden
Zahl zur staatlichen Netto-Neuverschuldung
machte das Institut 1998 zum Gegenstand
teilweiser heftiger Angriffe seitens der Politik.
Wissenschaftlichkeit und Unabhängigkeit
der Arbeit sind die zwei Hauptsäulen des
DIW Berlin. Auf Grundlage wissenschaftlich exzellenter und innovativer Forschung,
unterstützt durch Nachwuchsförderung und
Forschungsinfrastruktur, will das DIW Berlin
seine Stimme in den wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Debatten unserer Zeit weiter
stärken – dass dies gelingt, ist zentrales Motiv
unserer gemeinsamen Arbeit.
Das DIW hat seit den Sechzigerjahren immer
die große Bedeutung der Nachfrage – als wichtige Ergänzung zur Angebotsseite – betont, um
Schwankungen der Konjunkturentwicklung zu
verringern. Mit dieser international üblichen
Ausrichtung gewann das DIW wirtschaftspolitisch weiter an Bedeutung und distanzierte sich vom akademischen Mainstream in
Deutschland, der sich mehr und mehr angebotstheoretisch orientierte.
Mit dem Zusatz »Berlin« will das DIW Berlin
seinen Standort(vorteil) deutlich machen und
seine Verbundenheit mit dieser Stadt unterstreichen. In den kommenden Jahren will das
Institut seine europäischen und globalen Perspektiven stärken, die gerade für ein offenes
Land wie Deutschland von immenser Bedeutung sind und immer wichtiger werden. Auch
die Analysen der Nachhaltigkeit wirtschaftlichen Handelns und der Wohlfahrtsperspektive
von Wirtschaft und Gesellschaft, die weit über
eine enge monetäre Dimension hinausgeht,
sollen die Grundlagen der Arbeit des Instituts
bilden.
Der Vorstand des DIW Berlin
Marcel Fratzscher
Cornelius Richter
Gert G. Wagner
Heute ist das DIW Berlin unbestritten ein
anderes Institut als in seinen Anfängen. Politikberatung beruht mehr denn je auf exzellenter Forschung, Forschungsinfrastruktur und
Nachwuchsförderung. Die Präsidenten Lutz
3
Etappen
Schlaglichter
Schlüsselthemen
Chronik
InhAltSvErZEIchnIS
4
Etappen der DIW-Geschichte – von den Anfängen
bis in das 21. Jahrhundert
Weimarer Republik und Weltwirtschaftskrise:
Die Anfänge des DIW Berlin als »Institut für Konjunkturforschung« — 8
Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg:
Forschung unterm Hakenkreuz — 18
Die Nachkriegsjahre: Neubeginn im Trümmerland — 24
Wirtschaftswunderjahre: Die frühe Bundesrepublik und das DIW — 30
Eine Hochkonjunktur verliert an Glanz – Die 60er Jahre — 36
Grenzen des Wachstums? Die Ölpreiskrise und die 70er Jahre — 40
Vom Industrie- zum Informationszeitalter – Die 80er Jahre — 46
Nach der Revolution von 1989 – Neue Perspektiven in der Wendezeit — 50
Auf dem Weg nach Mitte: Neuausrichtung des DIW — 54
Schlaglichter der DIW-Forschung
Der Schweinezyklus — 60
Die Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher
Forschungsinstitute (ARGE) — 64
Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung — 68
Das SOEP — 70
Am Puls der Zeit: Das DIW Berlin und
politisch-gesellschaftliche Schlüsselthemen
Forschen im Kreuzfeuer des Kalten Kriegs — 74
Umwelt und Energie — 78
Der europäische Einigungsprozess — 82
Globalisierung — 86
Anhang
Finanzierung des DIW Berlin — 92
Leiter des Instituts — 94
Anmerkungen — 98
Leseempfehlungen zur vertiefenden Information — 102
Abbildungsnachweis — 103
5
6
Etappen
der DIW-Geschichte – von den Anfängen bis in das 21. Jahrhundert
7
Weimarer Republik und Weltwirtschaftskrise:
Die Anfänge des DIW Berlin als »Institut für
Konjunkturforschung«
Im Juli 1925 gründet Ernst Wagemann als Präsident
des Statistischen Reichsamts das Institut für Konjunkturforschung (IfK), das 1941 in Deutsches Institut für
Wirtschaftsforschung umbenannt wird.1 Es hat seinen
Sitz zunächst am Lützowufer in Berlin-Tiergarten.
Hier arbeiten zwölf Wissenschaftler daran, systematisch Materialien zur Wirtschaftsentwicklung zu sammeln und zu veröffentlichen. Bereits im Gründungsjahr erscheint die viel diskutierte Denkschrift »Die
weltwirtschaftliche Lage Ende 1925«.2 Sie markiert den
Beginn der Konjunkturberichterstattung des DIW. Die
unabhängige Beurteilung des Konjunkturverlaufs, die
man 1925 am IfK erstmals in Deutschland wagt, steht
auch heute noch im Fokus der Tätigkeit der mehr als
300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts.
8
6.000.000
Arbeitslose sind auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise
1929 in Deutschland registriert.
Seiten stark ist der erste Wochenbericht
des DIW vom April 1928.
12
Mitarbeiter sind 1925 am DIW tätig.
DIE MAGIE DEr ZAhlEn
Jede Geschichte hat eine Vorgeschichte; die Vorgeschichte des DIW handelt von der Magie der
Zahlen.
Die Theorie der Konjunkturforschung folgt ideengeschichtlich einer Zeitenwende. Im Verständnis des
frühen »christlichen Abendlands« hatte sich die
Welt allein über die Vorsehung Gottes erklärt. Erst
die Neuzeit, und mit ihr: Rationalität und Logik,
markiert einen Paradigmenwechsel im Denken
der Menschen. Dieser führt im beginnenden
Industriezeitalter zur wissenschaftlichen Revolution. Mythen und Schicksalhaftigkeit gelten fortan
als überholt. Hochindustrialisierung, der Auf- und
Ausbau von Akademien und Universitäten sowie
die Begründung neuer Wissenschaften ebnen den
Weg in die Moderne.
Die »Entzauberung der Welt« (Max Weber) bedeutet den Eintritt in ein auf Wissen, Zahlen und
Logik auf bauendes Leben. Wagemann und sein
Forschungsinstitut sind prototypische Agenten
dieses modernen Denkens in Deutschland.
ErnSt WAGEMAnn unD SEInE
KonJunKturlEhrE
Umstellung auf Friedenswirtschaft, Hyperinf lation, Def lation, Währungsreform und hohe
Reparationen: Die Jahre der Weimarer Republik
(1919–1933) bieten zahlreiche wirtschaftspolitische
Herausforderungen. Selten zuvor war »Wirtschaft«
erklärungsbedürftiger. Ernst Wagemann erkennt,
dass alte Rezepte allein nicht weiterhelfen. Es
bedarf wissenschaftlich fundierter Antworten auf
die drängenden Zeitfragen.
Wer ist dieser Mann, der mit seinem Buch
»Konjunkturlehre« 3 die deutschen Wirtschaftswissenschaften aufmischt? Ernst Wagemann wird
am 18. Februar 1884 als Sohn deutscher Eltern in
Chañarcillo (Chile) geboren, sein Vater arbeitet als
Kaufmann. Nach dem Studium der Staatswissenschaften in Göttingen, Berlin und Heidelberg folgen 1907 die Promotion und eine kurze Dozententätigkeit am Hamburgischen Kolonialinstitut, aus
dem später unter anderem das Hamburgische
Welt-Wirtschafts-Archiv hervorgeht. 1914 habilitiert sich Wagemann an der Berliner Universität.
Im späten Kaiserreich erscheinen bereits erste
empirisch-ökonomische Arbeiten über Westindien,
Chile (1913) und Brasilien (1915).
9
Während des Ersten Weltkriegs (1914–1918) ist
Wagemann im Reichswirtschaftsministerium
(Kriegsernährungsamt) tätig und beschäftigt sich
mit statistischen Fragen der Rohstoffversorgung,
ehe er 1919 zum Regierungs- und Landesökonomierat im Preußischen Ministerium ernannt und
zum außerordentlichen Professor an der Universität Berlin berufen wird. 1923 folgt der große Karrieresprung: Er steht als Präsident an der Spitze
des Statistischen Reichsamts.
Das DIW gründet Wagemann als »Institut
für Konjunkturforschung« in einer Zeit, die
auf vielen gesellschaftspolitischen Feldern mit
überkommenen Vorstellungen bricht. Alte Werte
wurden mit der Abschaffung der Monarchie über
Bord geworfen. Das Wirtschaftsleben erweist sich
nach dem Krieg, wie viele meinen, als unberechenbar. Wagemann sieht das anders: Er erkennt
auch in der Krisenzeit Strukturen und regelhafte
Dynamiken. Die von ihm entwickelte Konjunkturforschung soll sie sichtbar machen. Der Begriff
»Konjunktur« bedeutet dabei in der Weimarer
Republik selbst für die Wirtschaftswissenschaften
noch weitgehend Neuland.
Von Konjunktur spricht die Volkswirtschaftslehre,
wenn Nachfrage- und Produktionsschwankungen zu Veränderungen des Auslastungsgrads der
Produktionskapazitäten führen und wenn diese
Veränderungen eine gewisse Regelmäßigkeit
aufweisen. Konjunkturprognosen als ein eigenes
Forschungsfeld setzen sich zunächst nur langsam
durch. Das IfK leistet hier erfolgreich Pionierarbeit. 4 Mit seiner Konjunkturforschung versucht
das Institut erstmals in Deutschland, die Dynamik der Wirtschaft empirisch zu beobachten und
zu erforschen. Auf Grundlage dieser Expertise
werden bis heute Politik und Wirtschaft beraten.
10
richtungen. Dazu zählt das Harvard-Institut, das
auf bauend auf den Theorien von W. C. Mitchell
(»Business Cycles«, 1913) eine Synthese aus
wirtschaftstheoretisch-historischen und mathematisch-statistischen Arbeiten anstrebt. Indem
Wagemann diese Ansätze übernimmt, tritt er in
Konkurrenz zur Tradition der deutschen Krisentheorie. Denn die möchte möglichst schnell einen
»Krankheitserreger« als Ursache der Konjunkturschwankungen finden, läuft jedoch dabei mit
monokausalen Schlüssen immer in die Irre.
Im Unterschied dazu legt Wagemann seinen
Forschungsansatz offener an. Er zeichnet auf der
Grundlage systematischer Empirie ein allgemeines Konjunkturbild, indem er bestimmte
Symptome identifiziert (»Symptomatologie«).
Diese werden mit dem Wirtschaftskreislauf in
Zusammenhang gebracht. Die Analyse erfolgt
dabei immer – so lautet ein bedeutender Grundsatz Wagemanns – im Zusammenhang mit dem
weltwirtschaftlichen Gesamtgeschehen.
DIE ArBEItSorGAnISAtIon
In DEn AnFAnGSJAhrEn
vorBIlD uSA
Das Institut kommt 1925 zunächst im Gebäude des
Statistischen Reichsamts unter. 1928 folgt es dem
Reichsamt in das ehemalige Hotel Cumberland
am Kurfürstendamm, wo es bis 1933 bleibt. Die
enge personelle und räumliche Verbindung beider
Einrichtungen erweist sich als überaus fruchtbar.
Denn das IfK erhält so auf kurzen und unbürokratischen Wegen, was bis heute zu seinem Lebenselixier gehört: statistisches Datenmaterial. Das
Institut wächst rasch. Bereits nach zwei Jahren sind
dort 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig.5
Allein von 1933 bis 1939 verdreifacht das IfK sein
Personal. Neben dem Direktorenbüro gibt es ein
Zentralbüro, in dem sämtliches Schreibpersonal
arbeitet.
Starke Impulse für Wagemanns Forschungsansatz gehen von den USA aus, die zum Modell
einer modernen, durchrationalisierten Wirtschaft
avanciert sind, gekennzeichnet von effizienter
Produktion, hohen Löhnen und kräftigem Konsum. Konkrete Vorbilder für sein Institut findet
Wagemann in amerikanischen Forschungsein-
Wagemann stehen drei Direktoren für Verwaltung, Personal und Finanzen zur Seite. 1933 gibt
es bereits mehrere Fachabteilungen, die über eine
jeweils eigene Statistikergruppe unter Führung
eines Gruppenleiters verfügen.
Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs bestehen
verschiedene Fachabteilungen:
•
•
•
•
•
•
AllgemeineKonjunkturbeobachtung
KonjunkturdesAuslands
Geld-undKreditwirtschaft
Landwirtschaft
Montanwirtschaft(bis1938)
Industriewirtschaft
(ab 1938 einschließlich Montanwirtschaft)
• VerkehrswirtschaftundNachrichtenwesen
(ab 1942)6
BEWährunGSProBE –
DIE WEltWIrtSchAFtSKrISE 1929
25. Oktober 1929 – ein Datum, das Legende ist.
Der »Schwarze Freitag« hat sich als Synonym für
das plötzliche Ende einer Illusion ins historische
Gedächtnis eingebrannt. Der folgenreichste
Börsencrash des 20. Jahrhunderts markiert den
Beginn der Weltwirtschaftskrise. Diese wird für
das IfK zur ersten Bewährungsprobe.
Der wirtschaftliche Aufwärtstrend der 20er Jahre
schien lange Zeit grenzenlos. 1924 durchbricht der
Dow-Jones-Index zum ersten Mal die zuvor unüberwindbar scheinende Marke von 110 Punkten. Ohne
Unterbrechung steigen die Aktienkurse bis zum
Oktober 1929 um 300 Prozent. Die USA befinden
sich in einem ökonomischen Rauschzustand.
Ökonomen aus aller Welt zeigen sich optimistisch.
Als jedoch an der Wall Street eine gewaltige Spekulationsblase platzt, verlieren Millionen Anleger
ihr Vermögen. Verzweifelte Banker nehmen sich
das Leben. Bis 1932 lösen sich fast 90 Prozent des
US-Aktienvermögens in nichts auf. Millionen
Menschen in den USA und Europa werden arbeitslos. Die Industrieproduktion und eine Reihe von
Banken liegen am Boden. Es dauert Jahre, bis sich
die Volkswirtschaften von den Folgen erholt haben.
Der Dow-Jones-Index erreicht – auch kriegsbedingt
– erst 1954 wieder seinen Höchststand von 1929.
zu den USA nur eine Tendenz fort, die bereits
zur Jahreswende 1928/29 begonnen hat. Noch bis
Anfang 1930 beschreibt das IfK die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland positiv. Dass der
Börsencrash nicht prognostiziert wird, machen
Kritiker dem Institut vielfach zum Vorwurf. Wagemanns »Konjunkturforschung« steht auf dem
Prüfstand.
Tatsächlich ist der Crash auch ein psychologisches
Problem. Denn er macht in aller Schärfe deutlich,
dass schwer zu prognostizierende psychologische
Momente und Verhaltenserwartungen den Wirtschaftsverlauf entscheidend prägen können. Dies
ist ein Phänomen, das auch in der Wirtschaftsund Finanzkrise acht Jahrzehnte später wieder
eine zentrale Rolle spielen wird.
Das IfK, das die Mechanismen, die 1930 in die
Depression führen, immer wieder beschreibt,
erkennt länger wirkende, harte ökonomische
Faktoren. Es hebt die Grundtendenz fallender
Preise hervor, die seit mehreren Jahren in fast allen
Ländern zu beobachten ist. Mit Verweis auf Ernst
Wagemanns Konjunkturlehre wird diese Entwicklung zunächst noch sehr vorsichtig mit den
»langen Wellen« der Konjunktur erklärt. Wagemann bringt dieses Erklärungsmuster Anfang
1931 jedoch ausdrücklich mit Strukturdefiziten
zusammen. Er macht die Politik darauf aufmerksam, dass einem Aufschwung durch strukturelle
Abwärtstendenzen Grenzen gesetzt sind. Bereits
im August 1930 warnt er: »Die Ausbalancierung
des öffentlichen Haushalts durch Ausgabensenkung und Einnahmensteigerung wird zu – übrigens unvermeidlichen – Beeinträchtigungen der
Wirtschaft führen.« 7
lEhrEn AuS DEr KrISE 1929
Der Kurssturz an der New Yorker Börse im
Oktober 1929 drängt sich den Forschern am IfK
zunächst nicht als epochal auf. Zwar sinken im
Herbst auch in Deutschland, damals immerhin
zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, die Aktienkurse stark. Hier setzt sich jedoch im Gegensatz
11
Berliner Wahrzeichen: das Brandenburger Tor um 1925.
12
Ernst Wagemann – Gründer des
Instituts für Konjunkturforschung und
Leiter des DIW bis 1945.
Grundlage der wissenschaftlichen Arbeiten des
Instituts ist in seiner Anfangszeit Ernst
Wagemanns Bestseller »Konjunkturlehre«.
Im ehemaligen Hotel
Cumberland ist von 1928 bis
1935 neben dem Statistischen
Reichsamt auch das IfK
untergebracht.
13
IM KrEuZFEuEr DEr KrItIK
DEr »WAGEMAnn-PlAn« –
DAS rISIKo DEr PolItIKBErAtunG
Eine Bewährungsprobe für das IfK sind die Jahre
1929/30 vor allem wegen öffentlicher Kritik: Dem
Vorwurf, die Tragweite der Krise nicht prognostiziert zu haben, stehen zeitgleich konträre Vorbehalte der Politik gegenüber. Der Reichsregierung
beispielsweise sind die Publikationen des IfK zu
kritisch – ihr erscheinen die Schlussfolgerungen des Instituts als kontraproduktiv und nicht
geeignet, um angesichts zahlreicher Streiks und
Unruhen Hoffnung auf Besserung zu verbreiten.
Insbesondere das Reichsfinanzministerium veröffentlicht mehrere kritische Stellungnahmen.
Mit der Wirtschaftskrise tritt Ernst Wagemann
erstmals als Berater der Politik in das Bewusstsein
einer breiteren Öffentlichkeit. 1931 veröffentlicht er
ein brisantes Papier, das auf harsche Kritik stößt,
den »Wagemann-Plan«.9 Zu diesem Zeitpunkt ist
der Glaube verschwunden, man habe es bei dem
Börsencrash lediglich mit einer der üblichen »Reinigungskrisen« zu tun. Die Krise, so formuliert
es ein Beobachter, ist »zu einem Vorgang mörderischer und blindwütiger Zerstörung entartet«.10
Stabilisierung wird deshalb ein Kernziel der Politik, doch die Strategie hierfür ist umstritten.
Die Medien wiederum werfen dem IfK – dem Statistischen Reichsamt und damit dem Ministerium
untergeordnet – vor, die Öffentlichkeit durch seine
tendenziell widersprüchlichen Prognosen »völlig
verwirrt« zu haben.
Während die Reichsregierung unter Heinrich
Brüning zur Krisenbekämpfung eine Def lationspolitik verfolgt, schlägt Wagemann die
Ausweitung der Geldmenge vor. Er will mit
einer aktiven Konjunkturpolitik die Handlungsfähigkeit der Politik in der Krise erhalten. Die
Golddeckungspf licht der Reichsbank soll auf den
internationalen Zahlungsverkehr beschränkt und
das »Konsumentengeld« des Inlands nur noch
durch staatliche Anleihen gedeckt werden. Der –
laut Wagemanns Theorie – dadurch frei werdende
Devisenbetrag von drei Milliarden Reichsmark
soll zur Ankurbelung der Konjunktur eingesetzt
werden.
Auch die Personalunion aus Präsident des Statistischen Reichsamts und Leiter des IfK, von
Wagemann verkörpert, steht in der Kritik. Man
fürchtet, die Konjunkturforschung könne regierungsamtlich instrumentalisiert werden.8
Dieser Vorschlag ist zwar nur einer unter Hunderten, die zu dieser Zeit kursieren, wegen der Prominenz seines Verfassers wird er aber landesweit
heftig diskutiert. Die Reichsregierung beschäftigt
sich ausführlich mit Wagemanns Plan, gibt ihm
aber schließlich strikte Anweisung, öffentlich zu
machen, dass er nur als Privatperson spreche.
Denn der Plan hätte – im Widerspruch zu Brünings Politik des »knappen Geldes« – eine erhöhte
Inf lation zur Folge gehabt.
Wagemanns erster Eingriff in die »große Politik«
scheitert. Dennoch profiliert er sich in dieser
Situation als ein unabhängiger und unbequemer
Berater für Politik und Öffentlichkeit.
14
Der Wochenbericht
im Wandel der Zeit:
Ausgaben von 1928, 1943,
1968, 1981, 2003, 2008
und 2015
Spiegel der Wirtschaftsforschung –
die Publikationen des DIW Berlin
Zu den Hauptaufgaben des DIW Berlin gehört die
Vermittlung aktueller wirtschaftspolitischer Informationen. Die vierteljährliche Konjunkturberichterstattung
begründete die regelmäßigen Publikationsaktivitäten.
Das Flaggschiff des Instituts, der »Wochenbericht«, erscheint erstmalig am 4. April 1928. In der Erstausgabe
finden sich Beiträge über den Grad der Beschäftigung
im Deutschen Reich, zu den Märkten, zum Bankkredit
und zur Auslandskonjunktur. Heute wird der Wochenbericht bis zu 48 mal pro Jahr publiziert.
Der Zweite Weltkrieg bedeutet eine Zäsur, denn im
Februar 1943 erscheint die vorerst letzte Ausgabe – mit
einem Artikel über den »Aufstieg des deutschen Films«.
1950 kann die wöchentliche Tradition wieder aufgenommen werden. Seit 1960 erscheinen die Wochenberichte teilweise auf Englisch (»Economic Bulletin«).
In den 70ern gibt es kurzzeitig auch eine französische
Ausgabe.11
Älter als der Wochenbericht sind die »Vierteljahrshefte«.
Die erste Ausgabe erscheint bereits Mitte 1926 unter
dem Titel »Vierteljahrshefte zur Konjunkturforschung«
und ist gekennzeichnet von einer bis dahin einzigartigen
Mischung aus Text, Grafik und statistischen Übersichten.
Expertenwissen und der Blick auf das Ganze stehen bei
den heutigen »Vierteljahrsheften zur Wirtschaftsforschung« im Vordergrund, die sich vor allem wechselnden Schwerpunktthemen widmen.
Heute stellt das DIW Berlin Analysen, Prognosen und
Perspektiven in vielen verschiedenen Publikationsreihen
öffentlich zur Verfügung: Diskussionspapiere, »SOEPpapers«, die Reihe »DIW Berlin Politikberatung kompakt«
sowie seit 2014 das DIW Roundup. Im Wochenbericht
ermöglichen Interviews und Kommentare den Lesern
einen kompakteren inhaltlichen Zugang und erleichtern
die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Einordnung
der Forschungsergebnisse. Auf der Webseite des DIW
Berlin stehen alle Publikationen online zum Download
bereit, die meisten von ihnen kostenlos. Der Wochenbericht wird zudem als E-Publikation angeboten.
15
Feldarbeiterin in Kalifornien, 1936.
16
Schlange von Arbeitssuchenden vor dem
Arbeitsamt in Berlin-Neukölln, 1932.
1931 bricht die Danat-Bank, das
zweitgrößte Kreditinstitut in
Deutschland, zusammen.
17
Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg:
Forschung unterm Hakenkreuz
Die Machtübertragung an die Nationalsozialisten am
30. Januar 1933 führt zu einer frühen Zäsur in der Geschichte des Instituts für Konjunkturforschung (IfK).
Ernst Wagemann wird im März 1933 seiner Funktionen als Präsident des Statistischen Reichsamts und als
Direktor des Instituts enthoben. Die Zukunft des IfK
bleibt monatelang ungewiss.12 Verantwortlich für den
Schwebezustand ist Alfred Hugenberg, nationalkonservativer Reichswirtschaftsminister im Kabinett Hitler. Wagemann ist kein politisches Opfer – vielmehr
liegen die Gründe für seine Entlassung in persönlich
motivierten Machtkämpfen innerhalb konservativer
Wirtschaftskreise, in Teilen der Wirtschaftspresse und
unter orthodoxen Wirtschaftswissenschaftlern.13 Die
Entlassung sorgt in der Presse für Verwirrung. Denn
Wagemann traut man eigentlich eine große Karriere
unter den neuen Machthabern zu. Der Präsident des
IfK hat bereits vor 1933 einen politischen Schwenk
nach rechts begonnen und gilt einigen Medienvertretern sogar als Anwärter auf die Präsidentschaft der
Reichsbank.14
18
13
Außenstellen des DIW Berlin werden
zwischen 1938 und 1943 eingerichtet.
Monate nach der Machtübernahme Hitlers tritt
Ernst Wagemann in die NSDAP ein.
WIDErStAnD trotZ AnPASSunG?
Nachdem sich Wagemann in Bittbriefen an Hitler
als »getreuer Vertreter nationalsozialistischer
Ideen« empfohlen hat und im Mai 1933 in die
NSDAP eingetreten ist, wird er Anfang Juni wieder als Leiter des IfK eingesetzt.15 Er ist jedoch kein
bruchloser Anhänger der nationalsozialistischen
Ideologie: Jüdische Mitarbeiter arbeiten – solange
Wagemann seine schützende Hand über sie halten
kann – im Institut. Auch sein Nachfolger Ferdinand
Friedensburg, als prominenter demokratischer
Anhänger der Weimarer Republik von den Nationalsozialisten verfolgt, kommt 1939 im IfK unter.
Er muss allerdings nach dem Attentatsversuch auf
Hitler vom 20. Juli 1944 auf politischen Druck hin
entlassen werden. Im Zuge der Ermittlungen werden zahlreiche Mitarbeiter des Instituts verdächtigt. So auch Werner von Stauffenberg, ein Vetter
des Hitler-Attentäters, und Ulrich von Hassell, der
1944 hingerichtet wird.16 Auch Wagemann äußert
sich zumindest einmal kritisch gegenüber der
Politik. Er empfiehlt 1943, Frieden zu schließen,
um das annektierte Polen, Teile Italiens und den
Balkan für das Deutsche Reich zu sichern. Auf die
Ukraine soll verzichtet werden. Damit provoziert
Wagemann einen Eklat – ihm droht die Inhaftierung im KZ, vor der er sich jedoch schützen
kann.17
DAS EnDE DEr KonJunKturEn?
Schwierig gestalten sich auch die fachwissenschaftlichen Debatten unter den neuen Machthabern. Wagemanns empirische Konjunkturforschung gerät ab 1933 unter Druck. Den Nationalsozialisten gilt sie als Kind »liberalistischer Auswüchse«. Sie erklären mit ihrem Machtantritt
Liberalismus, Wettbewerb und Konjunkturen
unterm Hakenkreuz für abgeschafft. Die Konjunkturforschung beruht aber auf der Annahme,
dass der Markt in ständiger Bewegung und durch
widerstrebende Interessen geprägt ist. Dagegen
wird die NS-Wirtschaftspolitik von Erfahrungen
19
der Weltwirtschaftskrise 1929 getrieben. Viele
Deutsche fühlen sich dem Markt ausgeliefert,
ohne über nationale Steuerungsmechanismen
innerhalb einer sich globalisierenden Wirtschaft
zu verfügen. Hitlers Erfolg basiert auch auf dem
Versprechen, Konjunkturverläufe abzuschaffen,
die wirtschaftliche Autarkie zu stärken und damit
ein Gefühl von Sicherheit zu schaffen. Mit dem
»neuen Geist« der Nationalsozialisten ist eine an
die Regeln der Marktwirtschaft geknüpfte Konjunkturforschung, wie sie Wagemann entworfen
hat, konzeptionell nicht vereinbar.
Die NS-Politik zwingt das IfK zum Umdenken.
Der Wochenbericht vom 2. August 1933 ist dafür
symptomatisch. Wagemann behauptet darin zwar,
mit seinem Institut die Bewegungsvorgänge in
der Volkswirtschaft und in der Weltwirtschaft
weiterhin »aufs getreueste« widerspiegeln zu
wollen. Doch finden sich ebenso bemerkenswerte
Eingeständnisse gegenüber dem NS-Wirtschaftsverständnis. Wagemann lehnt »Liberalismus«
und »Ellenbogenfreiheit für den Einzelnen« ab
und plädiert für die Ausrichtung des »Einzelinteresses auf das Gesamtwohl«.18
Die ideologische Besetzung des Begriffs »Konjunktur« hinterlässt sichtbare Spuren im Namen
des Instituts: Im Juni 1941, auf dem Höhepunkt
der deutschen Kriegserfolge, wird aus dem »Insti-
Die Außenstellen des Instituts
Bereits 1926 gründet das IfK eine Außenstelle in Essen, um eine regionale Konjunkturstatistik zu entwickeln.
Daraus geht 1943 das eigenständige Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) hervor.
Zwischen 1938 und 1943 werden 13 weitere Außenstellen mit durchschnittlich zwei bis acht Mitarbeitern
eingerichtet, die sich mit regionaler Wirtschaftsforschung, Studien über die effiziente Anpassung an die Kriegswirtschaft sowie der ökonomischen Integration besetzter Gebiete befassen:
1938: Niederschlesisches Institut für
Wirtschaftsforschung, Breslau
1942:
Oberschlesisches Institut für
Wirtschaftsforschung, Kattowitz
Institut für Wirtschaftsforschung und
Wirtschaftspraxis, Halle/Saale
Übernahme des 1926 gegründeten
Österreichischen Instituts für Konjunkturforschung, Wien
Mitteldeutsches Institut für
Wirtschaftsforschung, Magdeburg
1940: Institut für Wirtschafts- und
Konjunkturforschung, München
Institut für Wirtschaftsforschung, Hamburg
Abteilung Paris des DIW
Institut für Wirtschaftsforschung, Prag
1941: Institut für Wirtschaftsforschung,
Braunschweig
Ostsee-Institut für Wirtschaftsforschung,
Danzig
1943:
Niederländisches Institut für
Wirtschaftsforschung, Amsterdam
Institut für Wirtschaftsforschung,
Reichenberg/Sudetenland
20
tut für Konjunkturforschung« das »Deutsche
Institut für Wirtschaftsforschung« (DIW) –
angepasst an die Interessen der NS-Bürokratie.
Die Umbenennung hat allerdings auch mit
einem geweiteten Forschungsfokus und einer
zunehmend beratenden Tätigkeit zu tun.
reich weiterzuführen.20 Das Institut liefert
vielfach die statistischen und wirtschaftsstrategischen Grundlagen für die Kriegsplanung.
oPPortunISMuS IM ZWEItEn WEltKrIEG
Mit Auftragsarbeiten gelingt es dem Institut ab 1933 eine für die unmittelbare Arbeit
folgenschwere Entwicklung zu verkraften:
die institutionelle Trennung vom Statistischen Reichsamt. Mit der zwischenzeitlichen
Entlassung Wagemanns als Präsident des
Reichsamts 1933 ist das IfK vom direkten
Zugang zu Datenmaterial und der staatlichen
Finanzierung losgelöst. Das Institut muss beim
Statistischen Reichsamt vielfach um Daten
betteln – und wird nicht immer großzügig behandelt. Zudem muss es seinen Haushalt nun
durch Auftragsforschung bestreiten. Dennoch:
Das IfK bleibt auch nach 1933 der wichtigste
Anlaufpunkt für empirische Wirtschaftsforschung in Deutschland und kann vor allem im
Rahmen der Kriegswirtschaft seine Bedeutung ausbauen.21 Personell sind die Jahre der
NS-Diktatur eine Phase der Expansion. Die
Mitarbeiterzahl steigt bis Anfang der 40er
Jahre um das Vierfache auf rund 200 an.22
Mit dem deutschen Überfall auf Polen beginnt
am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg.
Das NS-Regime hat planmäßig darauf hingearbeitet. Verstärkter Konsumverzicht und
expandierende Rüstungsproduktion, staatliche
Reglementierung von Preisen und Löhnen,
Steuererhöhungen, Zwangssparen, Warenkontingentierung und Dienstverpflichtung von
Arbeitskräften: Das gesamte deutsche Wirtschaftssystem ist auf die kriegerische Expansionspolitik ausgerichtet. Die dirigistischen
Eingriffe des Staats in Güter-, Kapital- und
Devisenmärkte haben zu planwirtschaftlichen
Verhältnissen geführt.19 Das IfK stellt sich –
gelinde gesagt – pragmatisch auf die neuen
Verhältnisse ein.
Dem Institut kommt der hohe Bedarf der
NS-Wirtschaftspolitik nach Planzahlen und
statistischem Material zugute, um die Politik
der gelenkten Wirtschaft umzusetzen. Deren
Bezugsrahmen muss mit der kriegerischen
Expansion Deutschlands immer wieder neu
errechnet und gedeutet werden. Behörden
und staatliche Stellen beauftragen im Zweiten
Weltkrieg beim DIW zahllose Sonderuntersuchungen über die annektierten Gebiete. Dazu
gehören Studien über die polnische Schwerindustrie, den Bergbau in der Tschechoslowakei,
die nordafrikanische Energiewirtschaft und
Arbeiten über die Wirtschaft der Sowjetunion.
Die »ernährungswirtschaftliche Blockadefestigkeit Deutschlands und Kontinentaleuropas«
entwickelt sich zu einem der wichtigsten
Untersuchungsgegenstände des DIW.
Die Mitarbeiter berechnen, wie viele Tonnen
Getreide sowie Rinder und Schweine durch
die Expansion im Osten vereinnahmt werden
könnten, um den Krieg auch bei wirtschaftlicher Blockade durch die Kriegsgegner erfolg-
trEnnunG voM StAtIStISchEn
rEIchSAMt
Bis zum Frühsommer 1937 ist das Institut im
Gebäude der Bleichröderbank, Unter den Linden, untergebracht. Die Nähe zu den Ministerien im Zentrum der Stadt gilt als Maßstab der
Standortentscheidung.
1937 ziehen die Mitarbeiter dann in die Fasanenstraße 6 um, die offizielle Institutsadresse
bis zum Frühjahr 1945. Am Ende des Kriegs
werden jedoch Ausweichquartiere bezogen,
zunächst in Feldberg (Mecklenburg), später in
Clausthal-Zellerfeld (Harz).
21
Kammergericht an der Elßholzstraße in Berlin,
Ulrich von Hassell während der Verhandlung,
7./8. September 1944.
22
Nach der Ernennung zum Reichskanzler
wird Hitler stürmisch von seinen Anhängern
gefeiert, 30. Januar 1933.
23
Die Nachkriegsjahre:
Neubeginn im Trümmerland
Deutschland in der »Stunde Null«: Die verbliebenen
Mitarbeiter des DIW wagen bereits wenige Tage nach
der Kapitulation den Neuanfang. Die Bestandsaufnahme ist ernüchternd: Das Institutsgebäude ist durch
Bombentreffer zerstört, die Archive und die Bibliothek
sind nach Mecklenburg ausgelagert und von den ehedem knapp 200 Beschäftigten befinden sich nur noch
etwa 100 in Berlin.23 Zudem stellt sich die Frage nach
dem Nutzen der Konjunkturforschung für eine brachliegende deutsche Wirtschaft. Auch fehlt es zunächst
an einem strategischen Kopf: Ernst Wagemann, der
sich zunächst in den westlichen Besatzungszonen
24
100
Mitarbeiter sind von ehedem
200 nach dem Krieg noch
in Berlin.
2.300.000
Stunden gibt die US-amerikanische
Militärregierung den Mitarbeitern des
DIW zur Räumung des beschlagnahmten Institutsgebäudes in der Goßlerstraße 20.
Tonnen lebenswichtiger Güter werden
während der Luftbrücke nach Berlin
eingeflogen.
aufhält, verlässt das Land und folgt einem Ruf an
die Universität von Santiago de Chile. »Das Deutsche
Institut für Wirtschaftsforschung zu Berlin fühlt
sich dem Manne verbunden und verpflichtet, dem es
sein Entstehen, seine entscheidende Anfangsleistung
und ein Gutteil seines weltweiten Rufes verdankt«,
würdigt ihn später dessen Nachfolger im Amt des
DIW-Präsidenten.24 Es ist Ferdinand Friedensburg,
mit dem ein neues Kapitel der Institutsgeschichte
aufgeschlagen wird. Friedensburg möchte nur für
eine begrenzte Zeit amtieren – doch die »Übergangsperiode« dauert 22 Jahre.25
25
nEuAnFAnG In BErlIn-DAhlEM
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gestaltet
sich die Suche nach einer neuen Bleibe schwierig.
Ein Institutsgebäude wird nach wenigen Wochen
beschlagnahmt; eine Notunterkunft erweist sich
als nicht regenfest. »Ich sehe noch einen unserer
leitenden Mitarbeiter, wie er mit aufgespanntem
Regenschirm am Schreibtisch saß und seine
Arbeitspapiere vor dem aus der lecken Decke
herabträufelnden Regen schützte«, erinnert sich
Friedensburg in der Nachkriegszeit.26
Rechenmaschinen, während der Bombenangriffe
in Privatwohnungen gesichert, werden vor der
Konfiszierung durch die Alliierten bewahrt.
Junge Mitarbeiterinnen lenken alliierte Posten
ab, während die Belegschaft alles Brauchbare und
Transportfähige auf Nachbargrundstücke befördert. Die Bibliothek bleibt jedoch in der sowjetischen Besatzungszone verloren. Bücher mit der
Signatur des Instituts liegen später in Ost-Berliner
Antiquariaten zum Verkauf aus.27
EInE nEuE InStItutSIDEE
Ab September 1945 können die Mitarbeiter zwar
in der Dahlemer Cecilienallee 6 endlich wieder
regulär ihrer Arbeit nachgehen. Doch es dauert
noch, bis das DIW in wirklich ruhigere Fahrwasser kommt. Denn das Institut gerät 1946 in den
politischen Konflikt der geteilten Stadt: Ministerien und öffentliche Institutionen im sowjetisch
besetzten Teil haben Interesse daran, das Institut
zu übernehmen.
Dem Taktiker Ferdinand Friedensburg gelingt es
aber, den kommunistischen Zugriff auf die Ins-
26
titutsleitung abzuwehren. Zuvor hat er bereits die
Verlagerung des DIW in den sowjetischen Sektor
abgelehnt.
Die von Friedensburg erkämpfte Unabhängigkeit
bleibt gewahrt und das von ihm geprägte Motto
des DIW lautet fortan: »Jedermann dienstbar,
niemandem untertan«. Die verhärteten politischen
Fronten machen allerdings für die Verwaltungen
und Handelskammern in der sowjetischen Besatzungszone eine weitere Zusammenarbeit mit dem
DIW unmöglich.28
vErEnGunG DEr ForSchunG AuF BErlIn
Nach dem Krieg ist an geregelte Arbeit kaum zu
denken. Überregionale Post- und Verkehrsverbindungen sind unterbrochen. Der Schwerpunkt der
Forschungstätigkeit des DIW verlagert sich auch
deshalb zunächst auf regionale Themen.29
In Einzelschriften suchen Mitarbeiter des Instituts nach Antworten auf die speziellen Probleme
Berlins. Es geht vorrangig um Versorgungsfragen
in der kriegszerstörten Stadt, aber auch um Geldund Kreditprobleme, den Auf bau der verarbeitenden Industrie und um die Bauwirtschaft. Über
die Schwierigkeiten bei dieser wissenschaftlichen
Arbeit berichtet das Vorwort zur ersten gedruckten Nachkriegsveröffentlichung 1947: »Dass die
Sammlung des erforderlichen Tatsachenmaterials
heute Hemmnissen begegnet, wie sie sich der
Wissenschaftler noch vor wenigen Jahren nicht
hat vorstellen können, bedarf keines Beweises,
ebenso wenig wie die Tatsache, dass auch die
Gewinnung eines ruhigen unbeeinf lussten Urteils
heute selbst bei ehrlichstem Streben sehr beträchtlichen Schwierigkeiten ausgesetzt ist.«30
BErlIn-BlocKADE unD luFtBrücKE
1948 spitzt sich die politische Lage in Berlin
dramatisch zu: »Der Kalte Krieg ist heiß geworden«, titelt am 28. Juni 1948 der »Münchner
Merkur«.31 In der Nacht zum 24. Juni haben
sowjetische Truppen die Zufahrtswege nach
West-Berlin gesperrt, die Gas- und Stromversorgung der Westsektoren drastisch eingeschränkt.
Auslöser der Maßnahme ist die Einführung der
D-Mark in den westlichen Stadtsektoren. Die
Berlin-Blockade durch die sowjetische Besatzungsmacht wird zur Bewährungsprobe für die
westlichen Alliierten, denn es geht um die
Existenz Berlins. In einer beispiellosen Hilfsaktion werden etwa zwei Millionen West-Berliner
aus der Luft versorgt. Als »Rosinenbomber«
gehören die alliierten Flugzeuge zum prägenden
Motiv deutscher Nachkriegserzählungen. In fast
300.000 Flügen transportieren sie durch drei
freie Luftkorridore rund 2,3 Millionen Tonnen
lebenswichtiger Güter nach Berlin – eine logistische Glanzleistung und ein waghalsiges Unternehmen, das auch vom DIW mit vielen Daten
gestützt wird. Einer der wichtigsten politischen
Machtkämpfe, die die neuzeitliche Geschichte
kennt, wird auf wirtschaftlichem Gebiet ausgetragen«, schreibt Ferdinand Friedensburg Ende April
1949, kurz vor dem Ende der Blockade.32
Während der Blockade untersuchen Mitarbeiter
des Instituts den Mindesttransportbedarf der
drei West sektoren. Ein »Sonderheft«, das im
Frühjahr 1949 veröffentlicht wird, beschreibt und
analysiert alle Aspekte der Berliner Wirtschaft,
von der Luftbrücke, der Ernährung der Stadtbevölkerung, Finanz- und Kreditproblemen über die
Stromversorgung bis hin zur Versorgung mit
Schuhwerk. Am Ende siegt der Durchhaltewille
der West-Berliner. Im Mai 1949 wird die Blockade
aufgehoben.
Er wird gemeinsam mit Ferdinand Grüning 1950
Mitglied eines Enquete-Ausschusses, der die Aufnahme West-Berlins in das European Recovery
Program (»Marshallplan«) begleitet.
DIE »GElEhrtEnrEPuBlIK«
Ferdinand Friedensburg gelingt es, eine besondere Atmosphäre der Freiheit im Institut zu schaffen. Unter den Wissenschaftlern kennzeichnen
nicht Hierarchien, sondern der wissenschaftliche
Diskurs das gemeinsame Arbeiten. »Am Institut
gibt es keine Vorgesetzten, am Institut gibt es nur
Kollegen«, sagt Friedensburg 1945. Er prägt den Begriff der »Gelehrtenrepublik« für das DIW, in dem
die wissenschaftlichen Mitarbeiter ein besonderes
Vertrauensverhältnis verbindet und den Abteilungsleitern Mitspracherechte bei der Leitung des
Instituts eingeräumt werden.33 Das Institutsgebäude im ruhigen, grünen Berlin-Dahlem trägt dazu
bei, ein familiäres Gefühl zu verstärken.
Nachdem in der zweiten Jahreshälfte 1947 die erste
Institutsarbeit der Nachkriegszeit in gedruckter
Form erscheint («Die deutsche Wirtschaft zwei
Jahre nach dem Zusammenbruch«), folgt im
September 1948 nach sechs Jahren kriegsbedingter
Unterbrechung das erste Vierteljahrsheft. Mit
Jahresbeginn 1950 wird auch die Tradition des
Wochenberichts wieder aufgenommen. »Die Reorganisation des Instituts in der Nachkriegszeit ist
zu einem gewissen Abschluss gekommen«, notiert
der Jahresbericht 1950, dem Jahr des 25-jährigen
Institutsjubiläums.
Auch wenn die zentrale Bedeutung Berlins für
die Forschungsarbeiten des DIW später nachlässt, wird zur besseren Koordination der BerlinForschung am 1. April 1949 ein eigenes Referat
gebildet, dessen Leitung Rolf Krengel übernimmt.
27
Das neue Institutsgebäude,
Cecilienallee 6 (seit 1949
in Pacelliallee umbenannt).
Die Bibliothek bleibt in der
sowjetischen Besatzungszone
verloren. Bücher mit der Signatur des Instituts liegen später
in Ost-Berliner Antiquariaten
zum Verkauf aus.
Das DIW veröffentlicht
1949 zur Berlin-Blockade
ein Sonderheft.
28
Rechenmaschinen des DIW, während der Bombenangriffe
in Privatwohnungen gesichert, werden vor der Konfission durch die
Allierten bewahrt. Junge Mitarbeiterinnen lenken alliierte Posten ab,
während die Belegschaft alles Brauchbare und Transportfähige
auf Nachbargrundstücke befördert.
Wegen der Blockade versorgen alliierte Flugzeuge die Bevölkerung
West-Berlins aus der Luft. Als »Rosinenbomber« gehören sie zum festen
Zitatenschatz deutscher Nachkriegserzählungen.
Ferdinand Friedensburg will nur für
eine kurze Zeit amtieren – doch das
»Provisorium« dauert 22 Jahre.
29
Wirtschaftswunderjahre:
Die frühe Bundesrepublik und das DIW
1949 entstehen zwei Staaten auf deutschem Boden.
Der Bundesrepublik Deutschland als einer repräsentativen Demokratie mit Mehrparteiensystem, freien
Wahlen und Gewaltenteilung steht die Einparteienherrschaft der SED in der Deutschen Demokratischen
Republik (DDR) gegenüber. Während die Bürger des
»Arbeiter- und Bauernstaats« unter den Folgen massiver Reparationen und der Demontage wichtiger
Industrieanlagen durch die sowjetische Besatzungsmacht sowie den Missständen der sozialistischen
Planwirtschaft leiden, erlebt die Bundesrepublik mit
Unterstützung ihrer westlichen Verbündeten einen
rasanten wirtschaftlichen Aufstieg.
30
100 : 6,5
12,1
beträgt der Wechselkurs
bei der Währungsreform 1948.
Prozent der Bundesbürger
wissen 1955, was eine
Konjunktur ist.
P rozent beträgt das Wirtschaftswachstum
1955, das höchste in der Geschichte der
Bundesrepublik.
DAS »WIrtSchAFtSWunDEr«
IM SPIEGEl DEr WochEnBErIchtE
Die Wochenberichte des DIW spiegeln das
»außerordentliche Wachstum« des Bruttosozialprodukts im ersten Jahrzehnt nach Gründung der
Bundesrepublik.35 Im April 1950 gibt der Wochenbericht des DIW als Ziel des bundesdeutschen
Wiederauf baus an, »sämtliche Arbeitsfähige
und Arbeitswillige wieder in den Wirtschaftsprozess einzugliedern und dabei die Produktivität
je Arbeitskraft zum Mindesten wieder auf den
Vorkriegsstand zu erhöhen«.36 Dies ist eine ambitionierte Vorgabe angesichts eines Ausfalls der
Arbeitsleistung von 30 Prozent im Vergleich zur
Vorkriegszeit. Fünf Jahre später wartet das Institut
mit der Meldung auf: »Im Laufe des Jahres 1954
ist in der Bundesrepublik die Vollbeschäftigung
annähernd erreicht worden.«37 Produktionssteigerung, Preisstabilität, eine ausgeglichene
Handelsbilanz und Vollbeschäftigung bilden eine
beispiellose Erfolgsstory. Innerhalb kurzer Zeit
entwickelt sich die junge Bundesrepublik zu einer
führenden Industrienation. Den Bundesdeutschen
geht es wieder gut: Schon 1952 melden die Zeitungen erstmals Übergewicht beim Durchschnittsdeutschen. »Jetzt schmeckt das Eisbein wieder in
Aspik, ist ja kein Wunder nach dem verlorenen
Krieg«, singt der Kabarettist Wolfgang Neuss
spöttisch im »Lied vom Wirtschaftswunder«.
EIn MythoS unD SEInE
öKonoMISchEn hIntErGrünDE
Wirtschaftshistoriker streiten heute darüber, ob
sich der rasante Aufschwung nur einer glücklichen Kombination historischer Umstände und
Entwicklungen verdankt.38 Handelte es sich nur
um ein »normales« Auf holwachstum nach dem
wirtschaftlichen Zusammenbruch im Krieg? Oder
brauchte es die Ordnungspolitik des mythisch
verklärten »Genies« Ludwig Erhard? Die Verbindung aus freiem Wettbewerb auf offenen Märkten
mit zweckvoller staatlicher Intervention findet im
Begriff der »sozialen Marktwirtschaft« ihre eingängige Formel. Sie stammt vom Nationalökono-
31
men Alfred Müller-Armack. Ludwig Erhard macht
sie erfolgreich zum politischen Schlagwort für
einen Mittelweg zwischen staatlicher Wirtschaftslenkung und bloßem Laisser-faire-Kapitalismus.
Die ökonomischen Fakten zum »Wunder«: Neben
dem geringen Güterangebot hemmt zunächst
insbesondere die zerrüttete Reichsmark den
Aufschwung der am Boden liegenden deutschen
Wirtschaft. Der Schwarzmarkt blüht, Zigaretten
dienen als Ersatzwährung.
Ferdinand Friedensburg empfängt Erhard »als
einen der Unsrigen in der wissenschaftlichen
Zielrichtung«, dem das Glück zuteil geworden sei,
praktisch zu verwirklichen, was er theoretisch
denke.
AuFSchWunG MIt KurvEn
Die Währungsreform bringt 1948 den Befreiungsschlag. Die Geldbestände werden im Verhältnis
6,50 Deutsche Mark (DM) für 100 Reichsmark
reduziert. Mit der DM wird ein Gründungsmythos
der Bundesrepublik geschaffen, der auch über die
Umstellung auf den Euro 2002 hinausträgt. Zum
zehnjährigen Jubiläum der Währungsreform
heißt es 1958 im Wochenbericht des DIW Berlin:
»Rückblickend wird man mit einigem Stolz feststellen können, dass diese Reform, die zunächst
als ein ebenso kühnes wie vielleicht brutales
Experiment erschien, sich als ein nicht nur
notwendiger, sondern auch erfolgreicher Schritt
im Wiederauf bau der westdeutschen Wirtschaft
erwiesen hat.«39
Die Analysen der Wochenberichte machen eins
sehr deutlich: Der wirtschaftliche Aufschwung
in der Transformation von der zentral geleiteten
Kriegs- und Besatzungswirtschaft zur sozialen
Marktwirtschaft vollzieht sich keineswegs linear.
Einem kurzzeitigen rasanten Produktionsanstieg
nach der Reform folgen bis 1950 der Einbruch
beim wirtschaftlichen Wachstum und ein Anstieg
der Arbeitslosigkeit. Zweifel an Ludwig Erhard
werden laut, er ist überaus unpopulär.
Die Freigabe der Preise bedeutete den Weg zur
Marktwirtschaft nach Jahren staatlicher Lenkung.
Die Aufhebung der Zwangswirtschaft wird dabei
von der währungsstabilisierenden Einrichtung
der Bundesbank und einem Kartelle verbietenden
Wettbewerbsgesetz flankiert, beides Erbe alliierter
Wirtschaftspolitik.
Um das Wachstum des Sozialprodukts durch eine
beständige Nachfrage zu sichern, drängt das DIW
darauf, dass die Verbrauchereinkommen mit der
Entwicklung des Nettosozialprodukts Schritt
halten. Die Studien des Instituts zeigen überdies,
dass der Aufschwung des Sozialprodukts auch
innerhalb eines Jahres einem eigenen Rhythmus
aus Frühjahrsabnahme, Belebung und kräftigem
Anstieg zum Weihnachtsgeschäft hin folgt. 41
luDWIG ErhArD AlS GASt IM DIW
Der Ruhm Ludwig Erhards (1897–1977) beruht auf
seiner politischen Karriere. Das Wirtschaftswunder begründet den Mythos des erfolgreichen Wirtschaftsministers und Wegbereiters der sozialen
Marktwirtschaft. Am 17. Juni 1949 hält Erhard vor
den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern
des DIW einen nicht öffentlichen, viel diskutierten Vortrag. Erhard spricht über die zwischenzeitlichen Probleme nach der Währungsreform:
»Wir sind vor die Entscheidung gestellt, ob wir uns
durch den gegebenen Notstand durchhungern sol-
32
len oder ob wir den untauglichen Versuch machen
sollen, die Armut mit bürokratischen Maßnahmen gerecht zu verwalten.« 40
Ab 1950 setzt ein nachhaltig kräftiges wirtschaftliches Wachstum ein, begünstigt durch den
Marshallplan und die Nachfrage nach deutschen
Produkten und Rohstoffen im Koreakrieg.
voM WIrtSchAFtSWunDEr ZuM
KonJunKturProBlEM?
Die jahrelange Phase der Hochkonjunktur birgt
Risiken. Steigende Lebenshaltungskosten führen
1955 zu Versuchen, die überschäumende Konjunktur zu dämpfen. Über die geeigneten Instrumente
kommt es innerhalb der Bundesregierung zu
einem heftigen Streit. Die Verwunderung über
den Aufschwung weicht in der Bevölkerung dem
Wunsch, den gewonnenen Lebensstandard zu
sichern. »Die westdeutsche Bevölkerung neigt
heute dazu«, stellt das Nachrichtenmagazin
»Der Spiegel« Mitte des Jahrzehnts fest, »den
großartigen Aufschwung der westdeutschen Wirtschaft nicht mehr als ein Wunder zu betrachten,
sondern als eine Selbstverständlichkeit.«
»Vom Wirtschaftswunder zum Konjunkturproblem«, lautet der bezeichnende Titel einer
»Spiegel«-Umfrage des einfachen »Manns auf
der Straße«. Der Durchschnittsbürger zeigt sich
überfordert. Konjunktur? Nur zwei Prozent der
befragten Bundesbürger können sachlich richtig
sagen, wovon die Rede ist. 42 Das DIW leistet hier
Aufklärungsarbeit, unter anderem mit einer
regelmäßigen Rubrik in der Wochenzeitung »Die
Zeit«. Dort gibt man im August 1955 Entwarnung,
eine »akute Gefahr der Überhitzung« sei nicht
vorhanden. 43
Kleines Wirtschaftswunder DDr?
Auch die DDR erlebt nach den Entbehrungen des
Kriegs und der Nachkriegszeit ein beschleunigtes Wirtschaftswachstum und einen beachtlichen Anstieg des
Bruttosozialprodukts. Als Negativfaktoren wirken jedoch
hohe Reparationszahlungen, die Demontage von Industrieanlagen durch die sowjetische Besatzungsmacht
und Kapitalmangel im Zuge der Verstaatlichungs- und
Kollektivierungspolitik, schließlich die Abwanderung
qualifizierter Arbeitskräfte in den Westen bis zum Mauerbau 1961.
nEuES InStItutSGEBäuDE AlS SIGnAl
Das DIW sieht sich bei den zentralen Fragen der
Wirtschaftspolitik selbstbewusst an »vorderster
Front«. 44 Die Wissenschaftler stützen sich auf die
Ergebnisse der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung für das Bundesgebiet. Diese wird –
zunächst mit großem zeitlichem Vorsprung vor
dem Statistischen Bundesamt – in den Vierteljahrsheften veröffentlicht. Die Wochenberichte
setzen zeitgleich immer stärker auf Politikberatung und die Entwicklung wirtschaftspolitischer
Instrumentarien. 45
Die »äußere Krönung des Auf bauwerkes« am
DIW, wie es 1956 stolz heißt, ist die Errichtung
eines neuen Institutsgebäudes in der KöniginLuise-Straße 5. 46 Es wird am 28. Mai 1956 in
Anwesenheit des Bundespräsidenten eingeweiht.
Theodor Heuss würdigt insbesondere das Engagement der in der Vereinigung der Freunde des DIW
Berlin (VdF) zusammengeschlossenen Unternehmen und Verbände, das den Neubau ermöglicht
hat. Auf drei Geschossen stehen der verjüngten
Mitarbeiterschaft in den neun Forschungsabteilungen 60 Arbeitsräume, ein Vortragssaal, die
Bibliothek und das Archiv zur Verfügung. Otto
Suhr, der Regierende Bürgermeister von Berlin,
sagt bei der Einweihung: »Das Institut ist […] über
Berlin hinausgewachsen und hat […] das Ansehen
der Wirtschaftsforschung für die praktische Politik
neu gestärkt.« 47
In den späten 50er Jahren kommt es zunächst zu einer
merklichen Verbesserung der Lage, und 1958 findet die
fast völlige Aufhebung der Rationierung statt – man
spricht kurzzeitig sogar vom »roten Wirtschaftswunder«.
Die sozialistische Planwirtschaft kann aber langfristig
nicht mit der Wachstumsdynamik der sozialen Marktwirtschaft mithalten. Gegenüber den Wohlstandsversprechungen der SED werden Versorgungsmängel immer
offensichtlicher. Auch wenn sich die DDR selbst bis zu
ihrem Ende zu den »zehn größten Industrienationen der
Welt« rechnet, bleibt sie im Produktivitätsniveau und im
Lebensstandard der Bevölkerung zunehmend hinter der
Bundesrepublik zurück.48
33
Nach Jahren der Entbehrungen üben sich die
Westdeutschen wieder eifrig im Konsum.
34
Der damalige Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard mit seinem
Buch »Wohlstand für Alle«, 1957.
Die Kurven zeigen nach oben –
aus dem Wochenbericht Nr.
25, 1958: zehn Jahre Deutsche
Mark.
Bundespräsident Theodor Heuss würdigt bei der Einweihung
des neuen Institutsgebäudes in der Königin-Luise-Straße 5
am 28. Mai 1956 das private Engagement, das den Bau erst
möglich machte.
35
Eine Hochkonjunktur verliert an Glanz –
die 60er Jahre
»Geh’n Sie mit der Konjunktur, / dreh’n Sie mit an dieser Uhr, / laufen Sie, wenn’s sein muss, / raufen Sie und
dann verkaufen Sie mit Konjunkturgewinn.«
Der fortschrittsgläubige Bundesbürger pfeift zu Beginn
des neuen Jahrzehnts die Melodie des »KonjunkturCha-Cha-Cha«. Die gesellschaftlichen Zeichen stehen
auf Massenkonsum, dem Bau der Berliner Mauer 1961
zum Trotz.
36
81
459.000
Arbeitslose sind in der Talsohle des
Rezessionsjahres 1967 registriert.
Jahre ist Ferdinand Friedensburg alt, als er Ende
1967 sein Amt als DIW-Präsident aufgibt.
DIE InDuStrIEtAGunGEn DES DIW
Am 19. Oktober 1960 findet die erste Industrietagung des DIW statt. Sie fördert den Austausch
zwischen Wirtschaft und Wissenschaft – und
begründet eine lang andauernde Tradition.
Die wissenschaftliche Betreuung durch das DIW
und die aktive Mitarbeit von Teilnehmern aus der
Praxis sind das Qualitätssiegel der Industrietagung. Sie wird unterstützt von der Vereinigung
der Freunde des DIW Berlin e.V. (VdF). Neben der
umfassenden und detaillierten Darstellung der
aktuellen konjunkturellen Situation widmen sich
diese Tagungen strukturellen Herausforderungen
der deutschen Wirtschaft durch ein jeweils wechselndes Schwerpunktthema.
DIE rEZESSIon In DEn DIW-ProGnoSEn
unD DIE GroSSE KoAlItIon
Ökonomisch wendet sich Mitte der 60er Jahre
das Blatt. »Ist das Wirtschaftswunder zu Ende?«,
titelt am 3. Januar 1966 das Nachrichtenmagazin
»Der Spiegel«. 49 Konjunkturabschwächung und
die Preisentwicklung sind auch den Forschern am
DIW untrügliche Indizien dafür, dass Deutschland in die erste Rezession nach dem Krieg
rutscht. 1966 weist der Wochenbericht Nr. 25
erstmals auf die konjunkturelle Schwäche hin.
Zum Jahresende spricht das Institut bereits von
einer »besorgniserregenden Unterkühlung« der
Konjunktur.50 Die Arbeitslosigkeit wächst jetzt im
Land der Vollbeschäftigung schnell an.
Im November 1966 zerbricht die christlichliberale Koalition unter Ludwig Erhard über der
Suche eines Wegs aus wachsendem Haushaltsdefizit und steigender Staatsverschuldung. Unter
Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger wird die
erste Große Koalition, aus CDU/CSU und SPD,
gebildet. Willy Brandt wird Außenminister und
Vizekanzler. Die wirtschaftspolitische Agenda
37
dieser »Vernunftehe« wird vom Kampf gegen
die schwere Rezession geprägt. Die Regierung
antwortet mit dem Konzept der »Globalsteuerung
der Wirtschaft«. Sie ist orientiert am britischen
Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes.
DAS EnDE EInEr ärA
Das DIW erlebt zeitgleich das Ende einer Ära. Mit
81 Jahren tritt Ferdinand Friedensburg Ende 1967
als Präsident zurück. Einstimmig wird der langjährige – und zugleich junge – DIW-Mitarbeiter
Klaus Dieter Arndt vom Kuratorium zu seinem
Nachfolger gewählt. Arndt ist Bundestagsabgeordneter der SPD und von 1967 bis 1970 Parlamentarischer Staatssekretär unter Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller.
Die Wirtschaftskrise stellt die Konjunkturforscher des Instituts vor neue Herausforderungen.
Die Wochenberichte in den Rezessionsjahren
belegen die Bedeutung der Politikberatung für
das Institut.51 Die Mitarbeiter stellen der Politik
ihre wirtschaftswissenschaftliche Expertise zur
Verfügung. Die wirtschaftspolitische Neuausrichtung der Großen Koalition wird aktiv begleitet.
Das DIW fordert den raschen und wiederholten
Einsatz eines Eventualhaushalts zur Wirtschaftsförderung. Im Sinne einer nachfrageorientierten
Wirtschaftspolitik sollen neben verstärkten
öffentlichen Investitionen auch Steuersenkungen
weitere Nachfrage-Impulse auslösen.
StABIlItätSGESEtZ unD
»KonZErtIErtE AKtIon«
Das Gesetz zur Förderung der Stabilität und
des Wachstums der Wirtschaft, kurz Stabilitätsgesetz, macht 1967 das gesamtwirtschaftliche
Gleichgewicht zum Staatsziel mit Verfassungsrang (Art. 109 Abs. 2 GG). Das so genannte
magische Viereck der Wirtschaftspolitik umfasst
Vollbeschäftigung, Geldwertstabilität, Wirtschaftswachstum und außenwirtschaftliches
Gleichgewicht. Das Stabilitätsgesetz beschreibt
verschiedene Elemente staatlicher Einnahmenund Ausgabenpolitik, um die genannten Ziele im
Sinne einer antizyklischen Wirtschaftspolitik zu
erreichen. Diesem Prinzip folgend, ist es in einer
38
Rezession Aufgabe des Staats, die Wirtschaft mit
konjunkturfördernden Maßnahmen wie Steuersenkungen oder öffentlichen Aufträgen wieder
anzukurbeln.
Die »Konzertierte Aktion« führt in einem rechtlich
zwar unverbindlichen, aber politisch prominent
besetzten Gesprächskreis Arbeitgeber, Gewerkschaften, Wirtschaftswissenschaftler, Bundesbank
und Politiker zusammen. Mit einer von Finanzminister Franz Josef Strauß (CSU) und Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) getragenen keynesianischen Wirtschaftspolitik gelingt die Sanierung
des Haushalts.52 Trotz des entschieden zum Ausdruck gebrachten Willens der Regierung, die vom
DIW diagnostizierte Unterkühlungsphase durch
aktive Konjunkturpolitik rasch zu beenden, zeigt
sich das DIW in seinen Berechnungen überaus
skeptisch.53 Reichen die Regierungsmaßnahmen
für einen dauerhaften Aufschwung? Es zeigt sich,
dass die Konjunkturprogramme 1968 immerhin
zu erneutem Wirtschaftswachstum führen und
für einen starken Rückgang der Arbeitslosigkeit
sorgen. Der Haushalt 1969 weist bereits einen
Überschuss aus.
AutoSchlüSSEl unD ZIGArrE
vErSuS MAo-BIBEl
Im Ausland, so zeigt das Ergebnis einer Allensbach-Umfrage Ende des Jahrzehnts, wird der
Deutsche wieder mehr als je zuvor als »ein dicker
Mann mit Zigarre und Autoschlüssel« wahrgenommen. Doch in diesen Jahren formiert sich
in der Bundesrepublik auch gesellschaftlicher
Protest. Insbesondere Studenten üben in einer
»antiautoritären Revolte« fundamentale Kritik am
Staat und seinen Institutionen. Die 68er glauben
an Marx und Marcuse. Die sogenannte Frankfurter Schule bietet den wissenschaftlichen Überbau
für die Kritik der politischen Ökonomie.
Die Entfremdung des Individuums in der
bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft steht im
Zentrum der »Kritischen Theorie«. Das DIW
bleibt jedoch weitestgehend unbeeindruckt von dieser Bewegung. Zeitgeistige Darlegungen finden
sich nicht unter den Publikationen des Instituts.
Die Arbeitslosigkeit in Deutschland nimmt Mitte der
1960er Jahre erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg
wieder prägnant zu.
Die bundesdeutsche Rezession in
einer Grafik des DIW, 1967.
Zweifel am Wirtschaftswunder, wie
hier im Nachrichtenmagazin »Der
Spiegel«, werden laut, Ausgabe vom
3. Januar 1966.
39
Grenzen des Wachstums?
Die Ölpreiskrise und die 70er Jahre
In der Erinnerung trägt das Bild der 70er Jahre ambivalente Züge. Einerseits das bunte Aussteiger-Lebensgefühl des Flower Power, das sich im psychodelischen
Werbebild der Afri-Cola tradiert, der deutsche Schlager
und die »Dancing Queen«, die auf Plateausohlen und
mit weitem Schlag die Tanzflächen der Diskotheken
erobert. Andererseits artikulieren sich Rebellentum
und Nonkonformismus in der Punkbewegung Ende
der 70er Jahre und vermischen sich mit Bildern des
europaweiten Terrorismus, dem Auftreten neuer sozialer Bewegungen und einer wachsenden Furcht, dass
es so, wie bisher, nicht einfach weitergehen könne. Internationale Bekanntheit erringt in diesen Jahren die
heftig umstrittene Auftragsstudie des Club of Rome
»The Limits of Growth«. Sie prognostiziert, dass
innerhalb der nächsten 100 Jahre die ökologischen
Grenzen des Wachstums erreicht seien, wenn nicht
entschieden umgelenkt werde.
40
313,7
Milliarden DM beträgt die Staatsverschuldung
der Bundesrepublik 1982. 1969 lag sie noch bei
49,1 Milliarden DM.
autofreie Sonntage werden während
der ersten Ölkrise angeordnet.
Prozent Steigerung der Verschuldung des
Bundes nach 1974 im Jahresdurchschnitt.
MultIDISZIPlInärE DEnKFABrIK
DEr ölPrEISSchocK
In den späten 1960er Jahren beginnt das DIW,
sich stärker an internationalen Standards auszurichten. DIW-Präsident Klaus Dieter Arndt verfolgt die Vision vom Think Tank, in Anlehnung
an die zum Ende des Zweiten Weltkriegs in den
USA gegründete gemeinnützige Rand Corporation, neben der Brookings Institution eine der
ältesten »Denkfabriken« der USA. In den 70er
Jahren wird die Funktion des DIW als Politikberatungsinstitut immer wichtiger. Das DIW weitet
seine Forschungsfelder über die Wirtschaftswissenschaften hinaus aus, Energie- und Verkehrsfragen spielen eine immer größere Rolle.
In der Bundesrepublik stehen die Zeichen
zunächst auf Wachstum: »Die westdeutsche
Wirtschaft befindet sich in einem kräftigen Konjunkturaufschwung; er vollzieht sich weitgehend
im Gleichschritt mit der konjunkturellen Entwicklung in anderen Industrieländern.« Die Prognose
der fünf großen Wirtschaftsforschungsinstitute
vom April 1973 ist optimistisch. Doch schon im
Herbst stellt das DIW fest, dass die expansive
Wirtschaftsentwicklung in Europa nachlässt.55 Der
konjunkturelle Einbruch wird durch ein Ereignis
dramatisch verstärkt, das unter dem Stichwort
»Ölpreisschock« bis heute das Bild der wirtschaftlichen Entwicklung in den 70er Jahren prägt.
41
»Gehen in Europa die Lichter aus?«, fragt am
9. November 1973 die Wochenzeitung »Die Zeit«.
Was ist geschehen? Der schwelende Konflikt
zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten ist im Jom-Kippur-Krieg erneut entbrannt.
Die arabischen Mitglieder der Organisation Erdöl
exportierender Länder (OPEC) wollen die USA
und Europa zum Eingreifen bewegen. Dazu nutzen sie ihre mächtigste Waffe, das Öl. Sie setzen
die Preise herauf und kürzen die Liefermengen.
Die Aktion wirkt, an den internationalen Märkten bricht Panik aus. Zwar nimmt die OPEC die
Mengenbeschränkung bald zurück, doch der
Rohölpreis ist Ende 1973 viermal höher als zu
Jahresanfang.56
Der »Ölpreisschock« trifft die Bundesrepublik in
einer Phase des konjunkturellen Abschwungs und
gibt diesem eine unerwartete Dynamik. Der vom
Weltmarkt kommende Preisanstieg führt zur Inf lation. Die Wirtschaft stagniert und von 1974 auf
1975 steigt die Arbeitslosenzahl in der Bundesrepublik sprunghaft an. Die Krise zeigt, wie unvorhersehbar die Entwicklung der Wirtschaft unter
globalen Bedingungen sein kann.58 Das DIW
sagt in diesem Jahr ein Haushaltsdefizit von 53
Milliarden DM voraus, das dann auch tatsächlich
eintritt. Die Prognose sorgt für großen Wirbel in
der Öffentlichkeit, weil eine derartig hohe Summe
öffentlich - auch von der Bundesregierung - bis
dahin noch nie genannt worden war.
EIn lAnD AlS FuSSGänGErZonE:
DIE AutoFrEIEn SonntAGE
Das DIW verweist bei seinen Prognosen auf die
zahlreichen Unwägbarkeiten, die den realen Verlauf beeinf lussen können. Hatte die Bundesregierung die kurze Rezession 1967/68 schnell wieder
in den Griff bekommen, muss sie nun – und mit
ihr die bundesdeutsche Gesellschaft – lernen: Ihr
Wohl hängt schon lange nicht mehr nur von dem
ab, was sich im nationalen Rahmen abspielt und
beeinf lussen lässt.
Auf den rasanten Anstieg des Ölpreises reagiert
die Bundesregierung noch im November 1973
mit dem »Energiesicherungsgesetz«. Es soll den
privaten Verbrauch von Mineralöl einschränken.
Damit trifft der »Ölpreisschock« des Deutschen
liebstes Kind: Die »heilige Kuh«, das Auto, muss
in der Garage bleiben. Vier autofreie Sonntage
werden angeordnet.
»Zum ersten Mal seit dem Ende des Krieges wird
sich morgen und an den folgenden Sonntagen vor
Weihnachten unser Land in eine Fußgängerzone
verwandeln«, erklärt Bundeskanzler Willy Brandt.
»Die Energiekrise kann auch zu einer Chance
werden.«57 Die Bevölkerung nimmt es zunächst
mit Humor und spannt Pferde vor die PKW.
Später halten sich von Woche zu Woche weniger
Bürger an das Verbot.
42
BErAtunG unD ProGnoSE IM
ZEIchEn DEr KrISE
Die sozialliberale Koalition bekämpft die Krise
zunächst nur zögerlich und reagiert mit einer
restriktiven Finanzpolitik. Die inflationären
Impulse des Weltmarkts sollen sich nicht auf
die heimische Wirtschaft auswirken. Das DIW
bestärkt anfangs diesen Kurs. Mitte 1975 sieht es
jedoch einen neuen Konjunkturaufschwung und
appelliert deshalb, diesen zu unterstützen. Es fordert einen Kurswechsel in der Finanzpolitik, weg
von einer rein an Stabilitätszielen orientierten,
sparsamen Haushaltsführung, hin zu einer mutigen Steigerung der öffentlichen Ausgaben. Diese
sollen den »Selbstheilungskräften« der Industrie
auf die Sprünge helfen.59
Im September 1977, als die Arbeitslosigkeit weiter
ansteigt, beschließt die Bundesregierung den
finanzpolitischen Kurswechsel und greift zu teuren Konjunkturprogrammen – nach Meinung des
DIW fast zu spät.
Um die vom DIW vorgeschlagenen Investitionsprogramme umzusetzen, muss die bis dahin
erfolgte Konsolidierung des Haushalts wieder
aufgegeben werden.60 Neben der Belebung der
Produktion durch die öffentliche Hand will die
Regierung den privaten Konsum durch niedrigere Steuern anregen. Die Ausgaben steigen, die
Einnahmen sinken, aber der Kurswechsel wird
teuer für den Staatshaushalt. Seit 1974 steigt die
Verschuldung des Bundes im Jahresdurchschnitt
um 21 Prozent.61
hErAuSForDErunG ArBEItSloSIGKEIt
Die Arbeitslosigkeit liegt auch in den Jahren nach
der Ölkrise bei über einer Million Menschen.
Das DIW macht auch auf strukturelle Probleme
aufmerksam. In seiner Studie »Eine mittelfristige
Strategie zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung« prognostiziert das Institut, dass aufgrund
der demografischen Entwicklung in der Bundesrepublik bis in die 80er Jahre hinein zu viele
Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, um für den
Bedarf einer schrumpfenden Bevölkerung zu produzieren.62 Als Gegenmittel empfiehlt das Institut
im April 1978 ein umfassendes Investitionsprogramm, das neue Nachfrage schaffen soll. Mit
der Auswahl der zu fördernden Bereiche beweist
das Institut dabei Gespür für zukunftsweisende
Trends: Umweltschutz, innovative Techniken der
Energiewirtschaft und Integration benachteiligter
sozialer Gruppen.
1979 führt das DIW im Auftrag der Bundesregierung die erste Strukturberichterstattung durch.
Für viele Jahre wird der Strukturwandel ein Forschungsschwerpunkt des Instituts sein.
ErnEutE ölKrISE unD DAS EnDE DEr
SoZIAllIBErAlEn KoAlItIon
Die Schritte der Bundesregierung scheinen Ende
der 70er Jahre zum Erfolg zu führen, als die Zahl
der Arbeitslosen wieder unter die Millionengrenze sinkt. Doch die Revolution 1979 im Iran führt
zu neuen Unruhen am Weltmarkt und einem
heftigen Anstieg der Ölpreise. Die Konjunktur in
Europa bricht ein.
Die sozialliberale Koalition streitet über mögliche
Reaktionen. Otto Graf Lambsdorff, der FDPWirtschaftsminister, moniert, die Politik der SPD
führe »in die Rumpelkammer des Investitionsdirigismus«. Im Oktober 1982 wird die Regierung
Schmidt durch ein Misstrauensvotum von FDP
und CDU/CSU gestürzt.
43
Ölkrise: Hamsterkauf an einer Tankstelle
in Berlin, 1973.
44
Autofreier Sonntag in
Deutschland, 1973.
SPD/FDP-Koalition in der Krise: Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (li.)
und Bundeskanzler Helmut Schmidt kurz vor
dem Regierungswechsel.
Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels für 1973 an den Club of
Rome in der Paulskirche Frankfurt.
V. l. n. r.: Dr. Ernst Klett, Dr. Aurelio Peccei,
Prof. Dr. Eduard Pestel (beide Mitglieder
des Exekutivkomitees des Club of Rome).
45
Vom Industrie- zum Informationszeitalter –
die 80er Jahre
Im April 1979 wird mit Hans-Jürgen Krupp erstmals
ein Universitätsprofessor Präsident des DIW. Wenig
später ist der großzügige Neu- und Erweiterungsbau
an der Englerallee in Dahlem bezugsfertig. Das Gebäude verbessert die Arbeitsbedingungen des expandierenden Instituts entscheidend. Der Beginn der
Amtszeit des neuen Präsidenten steht zunächst im
Zeichen einer erneuten weltweiten Konjunkturkrise.
Die Rohstoffpreise verfallen, die Zinssätze steigen dagegen stark an. Die wirtschaftliche Lage bessert sich
zwar in den darauffolgenden Jahren, die Situation am
Arbeitsmarkt bleibt aber angespannt. Nachrichten über
Massenarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik werden
in den 80er Jahren zum täglichen Begleiter. Das DIW
benennt deshalb den Kampf gegen Arbeitslosigkeit als
zentrale Aufgabe zukünftiger Wirtschaftspolitik.63
46
500.000.000
40
Euro kostet 1987 die Volkszählung in der
Bundesrepublik Deutschland.
Stunden Arbeit pro Woche –
so lautet die Forderung der
Gewerkschaften in den 1980er
Jahren.
Prozent der Erwerbstätigen in der Bundesrepublik sind in den 1980er Jahren
weiblich.
ArBEItSZEItvErKürZunG –
DIE 35-StunDEn-WochE
WISSEnSchAFtlIchES nEulAnD
ErSchlIESSEn
1984 stehen die Zeichen in der Druck- und Metallindustrie auf Streik. Das Ziel der Gewerkschaften
ist die 35-Stunden-Woche. Die Arbeitszeitverkürzung wird zu einem umstrittenen Leitmotiv der
beschäftigungspolitischen Debatte in der Bundesrepublik der 1980er Jahre. Das DIW zeigt sich
skeptisch bezüglich der Wirkung einer Arbeitszeitverkürzung.
Neue Chancen für den Arbeitsmarkt sieht DIWChef Hans-Jürgen Krupp Mitte der 1980er Jahre
im Dienstleistungssektor und in der fortschreitenden Computertechnologie. Das Institut prognostiziert den Übergang vom Industrie- zum
Informationszeitalter und konzentriert sich neben
der Wirtschaftsforschung nunmehr auf die Rolle
der technologischen Innovationen im Wachstumsprozess.65
Eine reine Arbeitszeitkürzung, argumentiert das
Institut, sei eine wirkungsvolle Maßnahme, reiche
aber für die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit nicht aus. In Bezug auf Lohnausgleich seien
Arbeitnehmer vom guten Willen und vom abgestimmten Verhalten aller Beteiligten abhängig.64
Ein politischer Kompromiss führt schrittweise zur
38,5-Stunden-Woche, die 1988 auch vom öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik übernommen
wird.
Wissenschaftliches Neuland betritt das Institut
1983 auch mit dem Sozio-oekonomischen Panel
(SOEP). In dieser Wiederholungsbefragung
werden, erstmals und bis heute einmalig in
Deutschland, mehrere Tausend Privathaushalte
und -personen zu ihren persönlichen Lebensumständen befragt. Das SOEP etabliert sich binnen
weniger Jahre als einmalige Informationsquelle
47
zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Leben der Bundesrepublik Deutschland.
ArBEItSSchWErPunKt
»FrAuEn unD BEruF«
Mit dem Arbeitsmarkt rückt ein neues Themenfeld in den Fokus der wissenschaftlichen Forschung am DIW: die Gleichstellung von Mann
und Frau in der Berufswelt und die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf.
In den 1950er Jahren ist an Gleichstellung nicht
zu denken. Frauen sind im Beruf in der Regel auf
»weibliche« Tätigkeitsbereiche beschränkt, insbesondere in der Pflege, im Büro und im Handel.
In technischen Berufen sind sie fast gar nicht
vertreten; gebildete Frauen arbeiten meist als Lehrerin. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Erwerbstätigkeit nach einer Heirat endet, ist groß.66 Frauen
dürfen ohne die Zustimmung des Mannes nicht
erwerbstätig sein. Die 68er-Revolution rüttelt an
diesen Beschränkungen, bis zum Ende der 70er
Jahre wird endlich auch die gesetzliche Grundlage für die Gleichstellung der Frau in der Familie
geschaffen.
AltE rollEnKlISchEES In DEn
80Er JAhrEn
Gleichwohl ist auch Ende der 1980er Jahre noch
vieles beim Alten. Zwar hat sich der Anteil von
Frauen im Berufsleben erhöht, sie stellen nun
etwa 40 Prozent aller Erwerbstätigen. Die vom
DIW 1987 berechneten Erwerbsquoten zeigen
aber, dass ab dem 22. Lebensjahr die Erwerbsbeteiligung der weiblichen, verheirateten Bevölkerung noch immer stark fällt und erst später wieder ansteigt – meist dann, wenn die Kinder das
Elternhaus verlassen. Grund dafür sind althergebrachte Rollenklischees: Mit der Geburt der Kinder
tritt die Frau aus dem Arbeitsleben in die Familie
zurück, während der Mann für das Haushaltseinkommen zuständig ist. Die wirtschaftlichen Folgen dieser traditionellen Rollenverteilung lassen
sich messen: Die Löhne weiblicher Arbeitskräfte
sind niedriger, die Arbeitslosenquoten höher, ihre
Position hängt stärker vom Ausbildungsniveau ab.
Gleichzeitig steigt in den 1980er Jahren aber auch
48
die Zahl der Ledigen, Geschiedenen und Alleinerziehenden. Frauen fungieren zunehmend als
Ernährerinnen und sind gleichzeitig für Kindererziehung und -betreuung zuständig. Die höhere
Zahl an Teilzeitbeschäftigungen sorgt für sinkende Erwerbsunterbrechungen nach der Geburt. Das
DIW prognostiziert, dass sich die Erwerbsbeteiligung der Frauen noch weiter erhöhen wird.
AuSBlIcK: GEnDEr MAInStrEAMInG von DEr
WIEDErvErEInIGunG BIS hEutE
Nach der Wiedervereinigung stehen den »Familienfrauen« im Westen die »Berufsfrauen«
im Osten gegenüber, schreibt das DIW im Jahr
1990.67 In der DDR ist zum damaligen Zeitpunkt
die Berufstätigkeit von Frauen selbstverständlich.
Mehr als 80 Prozent üben dort einen Beruf aus,
während in der Bundesrepublik nur jede zweite
Frau berufstätig ist.68 Seit den 1990er Jahren,
bedingt sowohl durch die Wiedervereinigung als
auch durch die Veränderung der Geschlechterrollen, sind Frauen stärker im Beruf vertreten und
ökonomisch unabhängiger.
Doch Barrieren bestehen weiter: Den Belastungen
im Beruf stehen zu Hause kaum zeitliche Entlastungen gegenüber. Frauen müssen bei einer Rückkehr in die Arbeitswelt mit Einkommenseinbußen
und generell mit geringeren Aufstiegschancen
rechnen, zeigt das DIW.69 Das Institut empfiehlt:
Verbesserung von Aufstiegschancen für Frauen,
gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit und
eine bessere Unterstützung berufstätiger Eltern
mit mehr Kindergärten, höherem Kindergeld
und f lexibleren Arbeitszeitregelungen.70 Heute
steht das Thema – zunehmend verknüpft mit
Aspekten wie Zuwanderung, Bildungsgrad oder
kulturellen Ressourcen – mehr denn je im Mittelpunkt der Agenda des DIW Berlin.71 So gibt es seit
2014 den Forschungsbereich »Gender Studies«
am Institut, der von Forschungsdirektorin Elke
Holst geführt wird.
Ein Arbeiter fordert in Dortmund die
Einführung der 35-Stunden-Woche,
Dortmund 1983
Die einsetzende Computertechnologie markiert
den Übergang zum Informationszeitalter.
Titelblatt der Zeitschrift »Emma«,
des politischen Magazins für Frauen,
Februar 1981.
49
Nach der Revolution von 1989 –
Neue Perspektiven in der Wendezeit
Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 ist
im kollektiven Gedächtnis Deutschlands fest verankert.
Für die meisten Menschen kommt dieses Weltereignis,
die politische »Wende« und die damit einhergehenden strukturellen Veränderungen in der Wirtschaft
des »Ostblocks«, völlig überraschend. Auch das DIW
sieht in seinen Studien keine politischen Unruhen
oder das Ende der DDR voraus.72 Immerhin erscheint
bereits 1983 eine Mittelfristprognose des Instituts zur
wirtschaftlichen Entwicklung der DDR, die in einem
aufwändigen Berechnungsmodell feststellt, dass sich
die wirtschaftliche Dynamik in der DDR bis 1990 in
fast allen Bereichen verlangsamen wird. Für die DDRFührung ist das Papier »feindliche Propaganda«.
Die DDR-Staatssicherheit hält in ihren Akten aber
überrascht fest, wie genau die Aussagen dieser Untersuchung mit nicht veröffentlichten Quellen der DDRAdministration übereinstimmen.73 Den nahezu völligen
Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft nach 1990 kann
die zuständige DIW-Abteilung indes nicht voraussagen.
50
1.000.000
Menschen wandern von 1989 bis
zum Sommer 2008 aus Ostdeutschland ab.
EInE FrIEDlIchE rEvolutIon
AuF DEM WEG Zur EInhEIt
Der Zusammenbruch der DDR bahnt sich zwar
über Jahre an. Doch 1989 beschleunigt sich der
Umbruch dramatisch und wird unübersehbar.
Im Sommer und Herbst dieses Jahres überschlagen sich die Ereignisse: Nach den offensichtlich
manipulierten Kommunalwahlen vom 7. Mai
verschlechtert sich das innenpolitische Klima
rapide. Die »Abstimmung mit den Füßen« führt
im Sommer zu einer seit dem Mauerbau 1961
nicht gekannten Fluchtwelle über das sozialistische Ausland und bundesdeutsche Botschaften in
den Westen. Im kirchlichen Umfeld finden sich
zudem ab September 1989 Menschen zu öffentlichen Protesten zusammen, denen sich bei den
Montagsdemonstrationen im Herbst Hunderttausende anschließen. »Wir sind das Volk«: Diese
Parole und der enorme Druck durch die fortdauernde Fluchtbewegung erzwingen am 9. November 1989 die Öffnung der DDR-Grenzen. Dem
Fall der Berliner Mauer folgen am 18. März 1990
die ersten freien und demokratischen Wahlen in
der DDR.
Ersten Forderungen der DDR-Bürger nach
Freiheit folgt bald der Ruf nach staatlicher Einheit.
Die Macht der DDR-Regierung verfällt zusehends:
Bis Ende 1989 verlassen 300.000 Menschen die
DDR, danach sind es täglich fast 2.000. Aus
Sorge über die zunehmende Zahl von Übersiedlern und einer damit verbundenen politischen
und wirtschaftlichen Destabilisierung der DDR
bietet Bundeskanzler Helmut Kohl am 7. Februar
1990 die Einführung der D-Mark in der DDR an.
Im April 1990 beginnen zwischen der Bundesregierung und der ersten und letzten demokratisch
gewählten DDR-Regierung die Verhandlungen
über eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zum 1. Juli 1990. Der Einigungsvertrag und
der Zwei-plus-Vier-Vertrag ebnen schließlich den
Weg zur Wiedervereinigung. Nach Beschluss der
DDR-Volkskammer am 23. August 1990 über den
Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland kann
die deutsche Einheit am 3. Oktober 1990 in Kraft
treten.
51
DAS WIrtSchAFtlIchE DESAStEr
DEr DDr – SchlEIchEnDEr nIEDErGAnG
unD SchocKthErAPIE
Der Wiedervereinigungseuphorie folgt bald die
Ernüchterung: Die DDR ist 1989/90 zwar nicht
bankrott wie vielfach behauptet, sie ist jedoch
nicht weit davon entfernt.74 Das DIW begleitet
den schwierigen Transformationsprozess in den
neuen Bundesländern von Beginn an kritisch.
Die Wissenschaftler des Instituts legen in ihren
Forschungsberichten und Expertisen die gravierenden strukturellen Schwächen der DDR-Wirtschaft offen. Wie viele andere bewerten jedoch
auch sie die Produktivität im Osten noch zu hoch.
Die Dramatik der wirtschaftlichen Entwicklung
mit Wegbrechen des vom Rat für gegenseitige
Wirtschaftshilfe (RGW) koordinierten Marktes der
»Ostblockstaaten«, mit dem Produktionseinbruch
und der hohen Arbeitslosigkeit wird auch im
DIW nicht vorausgesehen. Die zu optimistische
Einschätzung fast aller Institute trägt wesentlich
zu den Illusionen der Wendezeit bei.
Die »blühenden Landschaften«, mit denen die
Politik ein griffiges Bild für das Ziel der Transformation findet, werden zur schweren Hypothek
für den Einigungsprozess. DIW-Präsident Lutz
Hoffmann kritisiert 1990 öffentlich, die ökonomische Vernunft sei bei der Wiedervereinigung
auf der Strecke geblieben.75 So warnt das DIW vor
Betriebsschließungen und Massenentlassungen
in den neuen Bundesländern bei einem tatsächlichen Wechselkurs von 1:1. Bis zur Jahrtausendwende gibt es im DIW einen Forschungsschwerpunkt zur ökonomischen Bewältigung der
deutschen Einheit. Bereits im Juni 1990 weitet das
DIW die Langzeiterhebung Sozio-oekonimisches
Panel (SOEP) auf Haushalte in der ehemaligen
DDR aus.
AnhAltEnDEr AuFBAu oSt
Die neuen Bundesländer sind auch heute noch
deutlich davon entfernt, wirtschaftlich auf
eigenen Beinen zu stehen. Ausdruck der wirtschaftlichen Schwäche sind – trotz der sichtbaren
Erneuerung der Infrastruktur und der gelungenen Re-Industrialisierung – die vergleichsweise
52
geringe Produktivität, eine kleinteilige Wirtschaftsstruktur und der Mangel an Zentralen von
großen, international agierenden Unternehmen.
Bis heute beschäftigt sich das DIW Berlin intensiv
mit der Bewältigung der Teilungsfolgen und mehr
und mehr mit den Perspektiven angesichts einer
schrumpfenden Bevölkerung.
GlEIchhEIt DEr lEBEnSvErhältnISSE?
Die Wissenschaftler am DIW verweisen auf Einf lussfaktoren, die quer zur gängigen Forderung
nach Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost
und West stehen. Dazu zählen sie die im Vergleich
zum Westen geringere Bevölkerungsdichte und die
Siedlungsstruktur ostdeutscher Länder. Denn,
so die Einschätzung, eine überdurchschnittliche
Wirtschaftsleistung hängt in erheblichem Maße
mit hoher Besiedlungsdichte zusammen. Es sei
illusionär zu glauben, solche Strukturunterschiede mittelfristig ausgleichen zu können. Lange
historische Prägungen würden hier nachwirken.
Das DIW warnt deshalb 2009 vor zu simplen
Ost-West-Vergleichen und fordert in der öffentlichen Debatte einen »neuen Realismus«.76 Im
Vordergrund müsse die Förderung von Forschung,
Entwicklung und Innovation stehen.77
Auch EIn AuFBAu oSt:
DAS DIW In DEr uKrAInE
Die Umwälzungen von 1989 beeinf lussen nicht
nur die Forschungsagenda, sie führen auch zu
neuen internationalen Aufgaben. Denn der Aufbruch zu politischer Freiheit und Marktwirtschaft
hat nach 1989 alle Staaten des zusammenbrechenden »Ostblocks« erfasst. Ein prominentes Beispiel
ist die »Deutsche Beratergruppe Wirtschaft bei
der ukrainischen Regierung«.78 Unter Führung
des DIW berät sie ab 1994 ukrainische Partner in
Parlament, Präsidialverwaltung, Zentralbank und
anderen Institutionen. Das Ziel ist, ein eigenständiges Institut für Wirtschaftsforschung und
Politikberatung in Kiew aufzubauen. 1999 kann
die Einrichtung in Kiew die Arbeit aufnehmen.
Mittlerweile hat sie sich eine Spitzenposition in
der Ukraine erarbeitet. Inhaltlicher Schwerpunkt
ist die nachfrageorientierte, makroökonomische
Beratung bei der Umsetzung von Wirtschaftsreformen.
Öffnung der österreichischungarischen Grenze 1989:
Massenflucht von DDR-Bürgern.
Industrielandschaft Bitterfeld, 1991.
Menschen erklimmen die Berliner
Mauer vor dem Brandenburger Tor,
10. November 1989.
53
Auf dem Weg nach Mitte:
Neuausrichtung des DIW
Die 90er Jahre verändern die deutsche Wissenschaftslandschaft erheblich. Globalisierung und der sich
beschleunigende Übergang zur Wissensgesellschaft
bedeuten große Herausforderungen. Auch das DIW in
Berlin entwickelt sich weiter und stärkt die Grundlagenforschung – auch um dadurch die wissenschaftliche Qualität der Politikberatung zu verbessern.
54
12.000
Meter Bücher und Zeitschriften treten 2007 beim Umzug des DIW Berlin
die Reise von Berlin-Dahlem nach Berlin-Mitte an – ins Zentrum der
Hauptstadt.
uMStruKturIErunG ZuM
GloBAlEn ForSchunGS- unD
BErAtunGS DIEnStlEIStEr
1997 evaluiert der Wissenschaftsrat das DIW.79
Er beurteilt die Forschungsleistung des Instituts zwar überwiegend positiv. Die Prüfungskommission empfiehlt gleichwohl inhaltliche,
personelle und strukturelle Veränderungen, um
auch zukünftig strategische, themenorientierte
Forschung mit gesellschaftlicher Relevanz und
dem Anspruch auf wissenschaftliche Exzellenz zu
gewährleisten.
DIW-Präsident Lutz Hoffmann und die Gremien
reagieren unmittelbar auf die Evaluationsergebnisse. Die Zahl der Abteilungen wird von neun
auf sechs reduziert und die Kooperation mit den
Universitäten verstärkt. Hoffmanns Nachfolger
Klaus F. Zimmermann führt den Umstrukturierungsprozess fort. Als Ziel benennt er bei seinem
Amtsantritt im Jahr 2000, das DIW fest in die
Berliner und die nationale Forschungslandschaft
zu integrieren.80 Gleichzeitig will er das Bekenntnis zum Standort durch eine Ergänzung des Institutsnamens deutlich machen: Aus dem »DIW«
wird das »DIW Berlin«.
uMZuG In DAS hErZ DEr hAuPtStADt
Im Juli 2007 zieht das Institut in die Mohrenstraße 58 in Berlin-Mitte – ein wichtiger Schritt in
der Entwicklung zum modernen Wissenschaftsdienstleister. Mit seinem neuen Standort in der
Mitte befindet sich das Institut nun räumlich
unweit von Regierung, Medien und Verbänden.
Die Nähe zur Humboldt-Universität, zur Technischen Universität Berlin sowie die unmittelbare
Nachbarschaft zur Hertie School of Governance
ermöglichen es, Wissen intelligent zu vernetzen.
Mit der nun geografisch etwas entfernteren Freien
Universität Berlin bleibt das DIW Berlin durch
zahlreiche Kooperationen wissenschaftlich eng
verzahnt.
turBulEnZEn unD ProFIlSchärFunG
Ende 2009 gerät das DIW Berlin in heftige Turbulenzen. Prüfer des Berliner Landesrechnungshofs
werfen der Institutsleitung schwere Fehler in der
Verwendung öffentlicher Mittel vor. Im Februar
2011 stellt Präsident Klaus F. Zimmermann sein
Amt zur Verfügung. Gert G. Wagner und Georg
Weizsäcker übernehmen die wissenschaftliche
Leitung des Instituts und führen es erfolgreich
durch die Evaluierung durch die Leibniz-Gemeinschaft im Frühjahr 2012. Zur Schärfung des Forschungsprofils entsteht eine Clusterstruktur mit
vier übergeordneten Arbeitsbereichen, in denen
neun Forschungsabteilungen und die forschungsbasierte Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel angesiedelt sind.
Im Jahr 2013 wird der Makroökonom Marcel
Fratzscher Präsident des DIW Berlin. Die europäischen und globalen Perspektiven des Instituts
werden ausgebaut und die Bedeutung der Politikberatung gestärkt.
55
DAS DIW GrADuAtE cEntEr
DIE »BErAtunGStochtEr«: DIW Econ
Im Jahr 2006 startet das
DIW Berlin ein ambitioniertes Doktorandenprogramm: das DIW Graduate Center. Das Programm
fördert in Zusammenarbeit mit den Berliner und
Brandenburger Universitäten junge, exzellente
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler aus aller
Welt. Ein besonderes Merkmal ist die internationale und empirische Ausrichtung des Programms.
Im ersten Jahr stehen ein intensives Kursprogramm sowie Praktika im In- und Ausland auf
dem Plan. Im zweiten Teil der Ausbildung bereiten
On-the-Job-Training in den Abteilungen des Instituts und vertiefende Forschung auf die Promotion vor. 2010 wurde die systematische Aus- und
Weiterbildung fest in der Satzung des Instituts
verankert. Das DUW Graduate Center kooperiert
mit Doktorandenprogrammen der Berliner Universitäten und der Max-Planck-Gesellschaft.
Im Juli 2007 geht die
DIW ECON GmbH an
den Start. Die Tochtergesellschaft des DIW Berlin ist ein eigenständiges Unternehmen für kundenorientierte
wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Beratung.
Der Schwerpunkt der DIW ECON liegt in der
empirischen Analyse, der Rückgriff auf die
wissenschaftliche Kompetenz des DIW Berlin ist
naheliegend. Die DIW ECON bietet als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Markt maßgeschneiderte, kundenorientierte Projektlösungen auf
Grundlage neuester ökonomischer Erkenntnisse
und fundierter Analysen.
Königin-Luise-Straße 5, Berlin-Dahlem:
Sitz des DIW Berlin von 1956 bis 2007.
56
Sitz des DIW Berlin ab 2007: Mohrenstraße 58, Berlin-Mitte.
Kurz gefragt:
Marcel Fratzscher
Was macht das DIW Berlin aus?
Das DIW Berlin hat eine große Tradition, ist eines der
ältesten und renommiertesten Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland. Hinzu kommt das in seiner
Breite einzigartige Themenspektrum: Die vier Forschungsbereiche decken von der makroökonomischen
Analyse über Themen der Nachhaltigkeit und Industrieökonomie bis hin zu den öffentlichen Finanzen
und Lebenslagen vieles ab, was ökonomisch und
gesellschaftspolitisch von Bedeutung ist. Etwa 250
Mitarbeiter, neben Ökonomen auch Soziologen und
Politologen, arbeiten fächerübergreifend und betrachten beispielsweise Finanzkrisen aus verschiedenen
Perspektiven. Das ermöglicht einen Blick auf das große
Ganze, was nicht zuletzt für die Politikberatung sehr
wertvoll ist.
Welche Rolle spielt die Politikberatung?
Die Beratung politischer Entscheidungsträger ist Kern
unseres öffentlichen Auftrags. Sie ist die Brücke von der
Wissenschaft in die Politik. Niemandem ist geholfen,
wenn Wissenschaftler nur für sich oder andere Wissenschaftler forschen. Das Ziel ist, aus der Forschung
relevante Erkenntnisse zu gewinnen, die in die Realität
übertragbar sind und dem Menschen von Nutzen sind.
Wir leben in einer immer komplexeren Welt, in der die
Nachfrage nach ökonomischen Expertisen steigt. Unsere
Arbeit hat den Anspruch, als Grundlage für wichtige,
zukunftsweisende Entscheidungen zu dienen.
Wofür steht das DIW Berlin?
Wir sind ein unabhängiges Wirtschaftsforschungsinstitut
und eine innovative und kritisch urteilende Denkfabrik.
Wir stehen für Objektivität und Neutralität und einen
interdisziplinären Ansatz, der empirisch und theoretisch
geleitet ist. Die weiter zunehmende Globalisierung und
internationale Verflechtung verlangt europäische und
globale Perspektiven, denn: Herausforderungen wie
Finanzkrisen oder Klimaprobleme enden nicht an nationalen Grenzen, sie lassen sich nur auf internationaler
Bühne verstehen und lösen. Und die Zukunft Deutschlands und die Europas sind unzertrennlich miteinander
verbunden.
57
58
Schlaglichter
der DIW-Forschung
59
Der Schweinezyklus
In den Anfangsjahren des Instituts erscheint eine
seiner bis heute einf lussreichsten Studien. Ihr
Autor ist der IfK-Mitarbeiter Arthur Hanau. Er
weist darin die zyklische Bewegung agrarischer
Märkte anhand der Produktion von Schweinef leisch nach. Am IfK erscheint als Sonderheft
der Vierteljahrshefte seine Dissertation über »Die
Prognose der Schweinepreise«.81
öKonoMEtrISchE MEthoDE
Das Arbeitsumfeld am IfK erweist sich als ein
Glücksfall. Hanau lernt moderne statistische
Methoden kennen und kann den Blick von seinem
begrenzten Forschungsgebiet auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung weiten. Er wendet in
seiner Studie zum »Schweinezyklus« wirtschaftswissenschaftliche Methoden an, die in das später
so genannte Feld der Ökonometrie fallen. Diese
verbindet ökonomische Theorien mit statistischen und mathematischen Ansätzen. Sie wird
vorwiegend in der Volkswirtschaft benutzt, um
modellhaft Zusammenhänge zwischen Variablen
zu formulieren und empirisch zu prüfen – wie
beispielsweise den Zusammenhang zwischen der
Aufzuchtzeit von Schweinen und dem Investitionsverhalten von Landwirten.
WAS ISt DEr SchWEInEZyKluS?
Auflagen binnen weniger Jahre
erlebt die Dissertation von Arthur
Hanau zum »Schweinezyklus«.
60
Wie kommt es zur instabilen Marktsituation mit
heftigen Preisschwankungen? Hohe Preise motivieren die Landwirte zu verstärkten Investitionen.
Wegen der Aufzuchtzeit wirken sie sich jedoch
verzögert auf das Angebot aus. Dies führt zu
einem sprunghaft ansteigenden Überangebot mit
Preisverfall. Die Folge: Die Landwirte reduzieren
wieder die Produktion – was sich ebenfalls zeitverzögert auswirkt. Der so entstandene Überschuss
der Nachfrage lässt die Preise wieder steigen. Hanaus Studie zeigt die Wirksamkeit eines Verzögerungseffekts (time lag) im Anbieterverhalten und
erlaubt neue wirtschaftstheoretische Einsichten.
EIn MEIlEnStEIn
Das IfK setzt mit dieser Veröffentlichung einen
Meilenstein in der Entwicklung der modernen
landwirtschaftlichen Marktforschung – und weit
über diese hinaus. Die empirisch nachgewiesene
Erklärung der zyklischen, sich selbsttätig fortsetzenden Preis-Mengen-Schwankungen geht als
ein Musterbeispiel der dynamischen Analyse in
die Wirtschaftswissenschaften ein. Der Begriff
»Schweinezyklus« wird noch heute im übertragenen Sinne für ähnliche Vorgänge in Wirtschaft
und Gesellschaft gebraucht.82
DIE SchWEInEFIBEl
Hanaus Ergebnisse haben vor allem aber ganz
praktische Folgen. Landwirte können ihre Erträge
sehr viel besser planen. Fritz Baade, der später
Direktor des Kieler Instituts für Weltwirtschaft
(1948–1961) wird und von 1949 bis 1965 für die
SPD im Deutschen Bundestag sitzt, verfasst
dazu 1929/30 eine populäre »Schweinefibel«,
die auf Hanaus Forschungsergebnissen basiert.
Die Darstellung der »Reichsforschungsstelle für
landwirtschaftliches Marktwesen« ist für die bäuerliche Leserschaft in Versform gehalten und zum
Arthur Hanau wird 1902
im bürgerlich-städtischen
Milieu Hannovers geboren.
Eher unüblich wählt er den
Beruf des Landwirts. Hanau
wendet sich später der theoretischen Landwirtschaft zu
und ist von 1927 bis 1930
Mitarbeiter des Instituts.
Nach dieser Zeit ist Hanau am Institut für landwirtschaftliche Marktforschung an der Landwirtschaftlichen
Hochschule Berlin tätig, wo er sich habilitiert. 1933 wird
dieses Institut von den Nationalsozialisten geschlossen, Hanau selbst erleidet Diskriminierungen in der
NS-Diktatur, vom Lehrentzug bis zur Einweisung in
Zwangsarbeiterlager Ende 1944.87 Nach dem Zweiten
Weltkrieg beschäftigt ihn die US-Militärregierung in
Deutschland als Sachverständigen. Später leitet er das
Institut für landwirtschaftliche Marktforschung an der
1947 gegründeten Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) in Braunschweig. Von 1953 bis 1955 ist
er in Rom als Berater für die Ernährungs- und Landwirt-
besseren Verständnis bebildert. Die Zeichnungen
stammen von Hermann Abeking.83 Die »Schweinefibel« sorgt für großes Aufsehen und findet
sogar Eingang in die Plenardebatten des Reichstags. In den Verhandlungen am 2. Dezember 1929
erwähnt der kommunistische Abgeordnete Johannes Schröter die »ominöse Schweinefibel«.84
DAS lEBEn hIntEr DEn ZAhlEn
Über seine Profession hat Arthur Hanau einmal
gesagt: »Bei aller Statistik und Mathematik müssen wir aber Ökonomen oder besser Wirtschaftsund Sozialwissenschaftler bleiben.«85 Eine
Würdigung fasste dieses Selbstverständnis, das
auch für den Forschungsansatz des DIW Berlin
Geltung beanspruchen kann, so: »Arthur Hanau
gehörte zu den Menschen, für die statistische Daten Leben haben, weil sie ein Instrument sind, das
ihnen Einblick in bestehende Verhältnisse, ihre
Entwicklung und deren Triebkräfte gewährt.«86
Heute ist die Bibliothek des DIW Berlin nach
Arthur Hanau benannt.
schaftsorganisation der UNO (FAO) tätig und gehört
dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten an. 1955
folgt er schließlich dem Ruf auf den in der Bundesrepublik ersten Lehrstuhl für landwirtschaftliche Marktlehre
an der Georg-August-Universität Göttingen. Hanau stirbt
1985 in Göttingen an den Folgen eines Verkehrsunfalls.
»Stille reserve«
Das DIW Berlin prägt über die Jahrzehnte immer wieder
neue Begriffe und macht so Phänomene der Wirtschaft
fassbar. Neben dem »Schweinezyklus« geht auch der in
der Arbeitsmarktforschung populäre Begriff der »stillen
Reserve« auf das DIW bzw. das IfK zurück. Als »stille
Reserve« bezeichnet man Personen, die arbeitssuchend
sind und unter bestimmten Bedingungen auch bereit
wären, eine Arbeit aufzunehmen, sich aber nicht arbeitslos melden und damit aus den üblichen Statistiken
herausfallen.
61
Bildliche Darstellung des Schweinezyklus, in:
Reichsforschungsstelle für landwirtschaftliches
Marktwesen (Hsg.), Schweinefibel. Was man vor
dem Decken seiner Säue beachten muss, 1930.
Zeichnung: Hermann Abeking.
Die »Schweinefibel« findet auch Eingang in die Plenardebatten des Reichstags. In den Verhandlungen am 2. Dezember
1929 erwähnt der kommunistische Abgeordnete Schröter die
»ominöse Schweinefibel« kritisch.
62
Kaufabschluss per Handschlag: Ein Ferkel
wechselt den Besitzer, 1929.
63
Die Arbeitsgemeinschaft wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute (ARGE)
25
Institute und andere Einrichtungen sind heute in der
ARGE zusammengeschlossen.
Im Februar 1949 entsteht – auf Anregung Ludwig Erhards und Mitinitiative des DIW-Präsidenten Ferdinand
Friedensburg – die »Arbeitsgemeinschaft deutscher
wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e.V.«
(ARGE).88 Friedensburg wird ihr erster Vorsitzender.
Das DIW Berlin engagiert sich seither aktiv für die
ARGE.
64
EFFIZIEnZ In DEr WIrtSchAFtSWISSEnSchAFtlIchEn ForSchunG
Die in der »Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute«
(ARGE) zusammengeschlossenen Institute und
andere Einrichtungen tauschen sich in wirtschaftspolitischen und wirtschaftswissenschaftlichen Fragen aus. Sie beraten in einer langfristig
und planmäßig koordinierten Zusammenarbeit
die Bundesregierung. »Hier ist nicht nur ein
neues Forschungsinstrument, sondern eine völlig neue Forschungsmethode geschaffen worden:
die Anwendung des Prinzips der Teamarbeit
auf dem Gebiet der praktischen Wirtschaftsforschung«, schreiben die Verantwortlichen.89 Für
die Wochenzeitung »Die Zeit« bedeutet Anfang
der 50er Jahre die Arbeits- und Aufgabenteilung
durch Abstimmung der Programme »eine Art
Planwirtschaft in der Forschung«.90
Die Arbeitsgemeinschaft bewährt sich als Organisator institutsübergreifender Forschungsarbeiten.
Dazu gehört über Jahrzehnte auch die so genannte
Gemeinschaftsdiagnose, das ist die jeweils im
Frühjahr und im Herbst eines Jahres erstellte
Konjunkturprognose der führenden deutschen
Wirtschaftsforschungsinstitute. Nach der Änderung des Ausschreibungsverfahrens durch das
zuständige Bundesministerium ist die ARGE seit
Herbst 2007 nicht mehr für die Gemeinschaftsdiagnose zuständig.
Die Präsidenten Lutz Hoffmann und Klaus F.
Zimmermann waren jeweils etwa zehn Jahre als
Vorsitzende der ARGE tätig, seit 2013 ist DIWPräsident Marcel Fratzscher ihr Vorsitzender.
Die Geschäftsstelle der ARGE ist seit knapp zwei
Dekaden am DIW Berlin verankert.
DIE ZuKunFt BlEIBt unSIchEr –
trotZ DEr GEMEInSchAFtSDIAGnoSE
1950 will Wirtschaftsminister Ludwig Erhard ein
»bundesnahes« Institut schaffen, das viermal
jährlich Konjunkturprognosen für die Regierung
erstellt. Die Wirtschaftsforschungsinstitute fürchten Bedeutungsverlust und weisen auf mögliche
politische Einflussnahme hin. Sie schlagen ihrer-
seits vor, eine gemeinsame Prognose zu erstellen.
Eine wissenschaftlich fundierte Konjunkturprognose: Das ist eine echte Innovation.
Die erste Gemeinschaftsdiagnose Mitte 1950
umfasst vier Seiten. Heute ist sie 20-mal so lang.91
»Vor diesen Anlässen halten der zuständige
Minister und seine leitenden Beamten jedes
Mal den Atem an.« So spitzt die Wochenzeitung »Die Zeit« 1972 zu, was sich alljährlich
im Frühjahr und Herbst vollzieht. Denn dann
wird die Gemeinschaftsdiagnose veröffentlicht.
Auftraggeber der Konjunkturprognose ist zwar
die Bundesregierung. Aber was die Wissenschaftler zu sagen hätten, so »Die Zeit« über die
»unbequemen Ratgeber«, sei für die politischen
Akteure nicht immer schmeichelhaft – und
was sie für die Zukunft anböten, oft nur schwer
durchzusetzen.92
Inzwischen konkurriert die Gemeinschaftsdiagnose, die einen weltwirtschaftlichen und einen
binnenwirtschaftlichen Teil beinhaltet, längst mit
einer Reihe anderer Prognosen: mit den eigenständigen Vorhersagen der beteiligten Institute,
denen der Wirtschaftsverbände und Banken, des
Sachverständigenrats (der so genannten Fünf
Weisen) und der Bundesregierung, schließlich
mit den Prognosen des IWF, der OECD, der EUKommission und der Europäischen Zentralbank.
WIE KoMMt ES Zur GEMEInSchAFtS DIAGnoSE?
Zu Beginn der halbjährlichen Beratungen steht
ein gewaltiger Datenberg93. Die Statistiken und
Analysen der verschiedenen Institute laufen hier
zusammen. In einem zweiwöchigen Konklave
versuchen bis zu 50 Mitarbeiter aus den beteiligten Instituten, darin die Richtung zu erkennen:
Wohin und mit welchem Tempo bewegen sich
die deutsche und die internationale Wirtschaft?
Konjunkturelle Schwankungen werden an der
vierteljährlichen gesamtwirtschaftlichen Produktion festgemacht. Die Prognosen stehen am
Ende einer gründlichen Analyse sowie intensiver
Diskussionen und sind das Ergebnis langjähriger
Erfahrungen. Und wenn man keine gemeinsame
Linie findet? Dann bleibt das Minderheitsvotum.
65
DEutSchE WIrtSchAFtSForSchunGSInStItutE
Mit dem DIW Berlin kooperieren insbesondere folgende der leibniz-Gemeinschaft angehörigen Wirtschaftsforschungsinstitute u.a. unter dem Dach der
ArGE.
ARGE
-Institute.de
Das Institut für Weltwirtschaft (IfW), 1914 in
Kiel noch im Kaiserreich gegründet, ist das älteste
Wirtschaftsforschungsinstitut in Deutschland.
Heute ist es der Kieler Universität angegliedert,
ohne ein Teil von ihr zu sein. Es widmet sich vor
allem weltwirtschaftlichen Fragestellungen wie der
Globalisierung. Dabei gilt es – geprägt von den
beiden ehemaligen Präsidenten Herbert Giersch und
Horst Siebert – als angebotsorientiert und sucht nach
Lösungen, die Anreize für eigenverantwortliches
Handeln setzen.
Das rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) wurde bereits 1926 als
Außenstelle des DIW-Vorläufers IfK gegründet. Zu den
Schwerpunkten des seit 1943 rechtlich selbständigen
Instituts gehört neben Arbeitsmarkt, Gesundheit,
Umwelt und Bildung auch die Analyse der Wirtschaft
Nordrhein-Westfalens und der Bereiche Energie und
Stahl.
Das leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
(ifo) wurde 1949 gegründet und sitzt in München.
Der breiten Öffentlichkeit ist das ifo durch den
monatlich ermittelten Geschäftsklimaindex bekannt.
Es befasst sich vor allem mit der Analyse der Wirtschaftspolitik in Deutschland, aber auch mit den
Gebieten Sozialpolitik, Arbeitsmarkt, Strukturwandel
und Finanzmärkte.
Das leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
halle
(IWH) wurde 1992 gegründet und ist das wichtigste
Institut für die ostdeutsche Wirtschaft. Anfangs befasste es sich vor allem mit dem Übergang von der Planzur Marktwirtschaft. Das IWH versteht sich jedoch
ausdrücklich nicht als ostdeutsches Regionalinstitut.
Zentrale Forschungsgebiete sind auch allgemeine Themen wie Wettbewerb und Bildung, der Arbeitsmarkt
im Umbruch, kommunale Wirtschaft und föderativer
Staat unter Anpassungsdruck.
66
Auch die folgenden Einrichtungen zählen zu den
ARGE -Instituten, gehören jedoch – anders als das
DIW Berlin – nicht der Leibniz-Gemeinschaft an.
Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) wurde 1990 auf Initiative der
baden-württembergischen Landesregierung, der
Wirtschaft des Landes und der Universität Mannheim gegründet und nahm im April 1991 die Arbeit
auf. Übergreifender Forschungsgedanke am ZEW ist
die ökonomische Analyse funktionstüchtiger Märkte
und Institutionen in Europa.
Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) wurde 2005 in Düsseldorf
gegründet und ist Teil der gewerkschaftsnahen
Hans-Böckler-Stiftung. Das IMK arbeitet besonders
bei Fragen des Arbeitsmarkts und der Lohn- und
Sozialpolitik eng mit dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-BöcklerStiftung zusammen. Der Leiter des Instituts, Gustav
A. Horn, und eine Reihe seiner Mitarbeiter waren
zuvor - teils langjährig - am DIW tätig.
Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln
(IW), 1951 als Deutsches Industrie-Institut gegründet, versteht sich als Wissenschaftsdienstleister.
Von Verbänden und Unternehmen der privaten
Wirtschaft finanziert, vertritt es eine klare marktwirtschaftliche Position und möchte das Verständnis
wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse in
Politik und Öffentlichkeit verbessern und Diskussionen anstoßen.
67
Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
WIE unD WoZu WIrD DIE lEIStunG EInEr
volKSWIrtSchAFt BErEchnEt?
Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, kurz
VGR, gibt Auskunft über die Entstehung, Verteilung und Verwendung des Bruttoinlandsprodukts.
Alle ökonomischen Transaktionen einer Volkswirtschaft werden quantitativ erfasst und tabellarisch dargestellt. Die Ergebnisse erlauben es, den
Wirtschaftsablauf eines Landes in seiner Gesamtverflechtung ständig zu verfolgen.94 Damit dient
die VGR der Politik als Informationsgrundlage für
konjunkturelle und wirtschaftspolitische Entscheidungen.
DIE GESchIchtE DEr vGr AM DIW
Vor dem Zweiten Weltkrieg versuchen die Forscher des DIW in Anlehnung an amerikanische Vorbilder, das wirtschaftliche Geschehen
anhand einzelner Indikatoren zu erfassen. Eine
Zusammenfassung dieser Teilergebnisse, etwa zur
landwirtschaftlichen Produktion, zu Einzelhandelsumsätzen und zur Wohnungswirtschaft, erfolgt
nur zögerlich. Es fehlt die Grundlage, um eine
quantitative Analyse der Gesamtwirtschaft durchführen zu können.95
Doch Ernst Wagemann möchte die Wirtschaft
als Gesamtprozess verstanden wissen. Bereits
seine 1928 erschienene »Konjunkturlehre« stellt
den Versuch dar, das Volkseinkommen für das
Beispieljahr 1913 sowohl von der Einkommens- als
auch von der Ausgabenseite her zu erfassen.96
Diese Ansätze kommen während des Zweiten
Weltkriegs jedoch zum Erliegen, weil statistische
Quellen versiegen. Zudem dürfen die meisten
Daten nicht veröffentlicht werden.
1947 gelingt es dem DIW, mit den Mitarbeitern
Ferdinand Grünig und Rolf Krengel, die erste
deutsche Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
zu veröffentlichen.97
InPut-outPut-rEchnunG – DIE
»BuchhAltunG« DEr volKSWIrtSchAFt
Die Input-Output-Rechnung ist in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts ein wichtiger Bestandteil der VGR.98 Sie zerlegt die Volkswirtschaft in
einzelne Wirtschaftsbereiche und beschreibt deren
wechselseitige Abhängigkeiten. Eine Input-OutputRechnung gibt an, welchen »Input« (Einsatzstoffe,
Arbeit, Kapital, Maschinen) es braucht, um eine
Einheit eines bestimmten Produkts (»Output«)
herzustellen. Damit erlaubt dieses Rechenmodell
Analysen der Auswirkungen wirtschaftspolitischer
Eingriffe auf die Produktions- und Preisentwicklung. So kann das DIW mithilfe der Input-OutputRechnung in den 70er Jahren beispielsweise die
Wirkung des »Ölpreisschocks« auf die Preisentwicklung quantifizieren.
2.903.8
68
verfechter der Input-output-rechnung
Wassily Leontief, geboren
1905 in München, studiert
Philosophie und Soziologie,
schließlich Wirtschaftswissenschaften in
Leningrad. Er wird 1929 in
Berlin von Werner Sombart
promoviert, bevor er in China die Regierung Chiang
Kai-sheks in Fragen des Eisenbahnbaus berät. Nach
seiner Übersiedlung in die USA lehrt Leontief an der
Harvard University. Hier entwickelt er die Input-OutputAnalyse. Sein 1941 veröffentlichtes Buch »The Structure
of the American Economy 1919–1929« macht die neue
Form der Darstellung ökonomischer Zusammenhänge
weltweit bekannt. 1973 erhält er den Wirtschaftsnobelpreis. Leontief stirbt 1999 in New York.
Reiner Stäglin (*1938) ist
als Experte für die Analyse
von Input-Output-Daten von
1962 bis zu seiner Pensionierung am DIW Berlin tätig. Er ist Honorarprofessor
für Wirtschaftsstatistik an
der Freien Universität Berlin
und seit 2004 Lehrbeauftragter an der Universität Potsdam.
EIn InStruMEnt DEr PlAnWIrtSchAFt?
Trotz dieser Kritik wird im DIW ein entsprechendes Referat in der Abteilung »Industrie« gegründet. Der Berliner Senat beteiligt sich an der Finanzierung des Projekts. Bis Mitte der 80er Jahre,
als das Statistische Bundesamt die Input-OutputRechnung übernimmt, ist die Input-Output-Tabelle
des DIW die einzige kontinuierlich bereitgestellte
Quelle zur Wirtschaftsverf lechtung in Deutschland.
Schon 1962 hatte das Institut eine Input-OutputRechnung für das Gesamtgebiet der Bundesrepublik Deutschland erstellt. In politischen
Kreisen ist dies teils heftig umstritten. Denn die
Input-Output-Rechnung gilt als »Instrument der
Planwirtschaft«. Nur wo man planen will und
nicht die »unsichtbare Hand des Markts« walten
lassen möchte, heißt es, bedürfe es der genauen
statistischen Erhebung.
Stäglin ist von 1992 bis 2000 Präsident und Vizepräsident der International Input-Output Association und
Vorsitzender der Deutschen Statistischen Gesellschaft
(2000–2004). Sein Engagement für die amtliche Statistik wird 2006 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse
gewürdigt.
800.000
Euro beträgt das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands 2014.
69
Das SOEP *
(* Sozio-oekonomisches Panel)
lAnGZEItStuDIE »lEBEn In DEutSchlAnD«
– DAS SoEP
Politikberatung braucht eine fundierte empirische Basis und sollte sich an den besten verfügbaren Daten und Indikatoren orientieren. Das
DIW Berlin verfügt mit der Langzeitstudie »Sozio-oekonomisches Panel« (SOEP), auch »Leben
in Deutschland« genannt, über eine der weltweit
führenden Datenquellen. Bei der Erhebung steht
nicht die Politikberatung im Vordergrund, sondern primär die Grundlagenforschung. Gerade
deswegen ist das SOEP auch für die Politikberatung so wertvoll.
Das im Jahr 1983 vom damaligen Präsidenten
Hans-Jürgen Krupp am DIW angesiedelte SOEP
ist eine jährlich wiederkehrende Befragung in
der Bundesrepublik Deutschland.
Seit über 30 Jahren erhebt diese Längsschnittstudie Daten von immer denselben, zuvor zufällig
ausgewählten Personen in mittlerweile rund
15.000 Privathaushalten. Die dabei erhobenen
Mikrodaten geben Auskunft über Persönlichkeitsmerkmale, Wertvorstellungen, Gesundheit,
die familiäre Situation, Bildung, Einkommen,
Wohnsituation sowie der Lebenszufriedenheit
der Befragten.99
Mit der im Jahr 2012 begonnen Innovationsstudie (SOEP-IS) bietet das SOEP darüber hinaus
eine einzigartige, für neue Forschungsideen von
nationalen und internationalen Forscherinnen und
Forschern offene Infrastruktur für die Realisierung von »state-of-the-art« -Surveyforschung in
Deutschland.
Die in den Befragungen des Kooperationspartners
TNS Infratest Sozialforschung (München) gewonnenen Daten bilden die Grundlage für wissenschaftliche Forschungsarbeiten und Sozialberichterstattungen in aller Welt. Mittlerweile existieren
70
über 7.000 nationale und internationale Publikationen, die auf Daten des SOEP basieren.100 Debatten
wie die über das angebliche »Verschwinden der
Mittelschicht« oder die Frage, wovon eigentlich etwas so Entscheidendes wie die Lebenszufriedenheit
der Menschen abhängt, werden durch Daten des
SOEP erheblich beeinflusst – kaum ein Zweig der
Gesellschaftswissenschaften, der nicht auf SOEPDaten zurückgreift. Zunehmend analysieren auch
international ausgewiesene Entwicklungs- und
Persönlichkeitspsychologen die Daten des SOEP.
Die Kombination aus Forschung, Politikberatung
und Bereitstellung von Forschungsinfrastruktur
hat Modellcharakter für andere wissenschaftlich
fundierte Erhebungen in aller Welt. Die britischen,
australischen und schweizerischen Haushaltspanels basieren auf dem deutschen Vorbild.101
Das SOEP hat sich in seiner Geschichte im DIW
Berlin immer wieder veränderten gesellschaftlichen Bedingungen angepasst. Als die Mauer 1989
fällt, wird die Studie bereits im Juni 1990 auf
Haushalte in der DDR ausgeweitet.102 Seit 1994/95
gibt es mit der »Zuwanderer-Stichprobe« eine eigene Erhebung über die Lebensbedingungen von
Zuwanderern, die im Jahr 2013 aktualisiert und
wesentlich verbessert wurde.103
SOEP-Daten zur Einkommensverteilung sind
Grundlage für die seit 1998 regelmäßige Berichterstattung des Sachverständigenrats für die Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Auch in die 2001 begonnenen Armuts- und Reichtumsberichte der Bundesregierung fließen SOEPbasierte Berechnungen regelmäßig ein. Auch im
Rahmen der in den Jahren 2010 bis 2013 erfolgten
Evaluierung familienpolitischer Leistungen stellt
das SOEP sowie entsprechende Stichprobenausweitungen die zentrale Datenbasis dar. Die auf Basis
des SOEP international und national durchgeführten Arbeiten zur Lebenszufriedenheit prägen die
gesellschaftliche Debatte zur Ergänzung des
BIP um soziale Indikatoren zur Lebensqualität.
Kurz gefragt: Prof. Dr. Jürgen Schupp,
Direktor des SoEP im DIW Berlin106
»EIn MESSInStruMEnt Für DIE SoZIAl-,
WIrtSchAFtS- unD vErhAltEnSWISSEnSchAFt«: DAS SoEP In DEr BEWErtunG DES
WISSEnSchAFtSrAtS
Wie würden Sie das SOEP kurz beschreiben?
Die Langzeitstudie SOEP ist eine der großen Erfolgsgeschichten der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften
weltweit. Wir sind eine forschungsbasierte Infrastruktureinrichtung, die Daten nicht nur für Sozialwissenschaften
und Ökonomie, sondern seit einigen Jahren in wachsendem Umfang auch für die Psychologie zur Verfügung
stellt. Fragen physischer wie mentaler Gesundheit gewinnen ebenfalls an Bedeutung. Wir erheben Informationen
für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich für
so unterschiedliche Themen wie Arbeitsmarktbeteiligung,
Erwerbseinkommen, schulische und berufliche Bildung,
Lebenszufriedenheit oder Sozialpolitik interessieren.
Die Daten der 30. Erhebungswelle gingen an rund 500
Forscherinnen und Forscher im In- und Ausland, die diese
Daten intensiv analysieren.
2008 untersucht der Wissenschaftsrat als
zentrales wissenschaftspolitisches Beratungsgremium in Deutschland in einem »Forschungsrating« erstmals in Deutschland die
Forschungsleistung in den Fächern Chemie
und Soziologie.104 Nur drei der 57 bewerteten
soziologischen Forschungseinrichtungen
werden als »exzellent« eingestuft – darunter
das SOEP.105
Auch die wenig später erfolgte Evaluation
durch den Wissenschaftsrat würdigt Ende
2009 das SOEP als eine der wichtigsten
Forschungsinfrastrukturen im Bereich der
Sozial-, Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaften. Schließlich bescheinigt 2012 die
Leibniz-Evaluierung des DIW Berlin dem
SOEP, erfolgreich in eines der sehr gut bewerteten Cluster integriert zu sein und selbst
seit vielen Jahren kontinuierlich exzellente
Leistungen zu erarbeiten.
Welche einschneidenden Erlebnisse hat es in der
Geschichte des SOEP gegeben? Für eine seinerzeit
in Berlin-Dahlem angesiedelte Studie war der Fall der
Mauer natürlich der historische Meilenstein überhaupt.
Einen besseren Impuls für eine Längsschnittstudie zur
Beobachtung und Analyse individueller Lebensverläufe
in privaten Haushalten gibt es praktisch nicht. Wir haben
sofort begonnen und bereits im Juni 1990 die erste Erhebungswelle durchgeführt – als es die DDR noch gab. Für
diese rasche Umsetzung der Langzeitstudie ernten wir bis
heute weltweiten Respekt.
Die Einführung des Mindestlohns ab 2015 ist kein Ereignis, dass mit der deutschen Vereinigung vergleichbar ist.
Aber auch bei diesem wirtschaftspolitischen Experiment
wird das SOEP wichtige Daten zur evidenzbasierten
Politikberatung liefern. Erstmals werden die standardisierten Befragungen auch mit qualitativen Erhebungen bei
ausgewählten Befragten kombiniert.
Das SOEP wurde 2008 vom Wissenschaftsrat als eines
der drei besten soziologischen Institute bewertet.
Wie geht es seitdem weiter? Unser Ehrgeiz ist es, die
Exzellenz unserer nicht nur in der Ökonomie und der
Soziologie, sondern auch in der Politikwissenschaft, Psychologie und Gesundheitswissenschaften angesiedelten
Arbeiten immer wieder aufs Neue zu bestätigen, unsere
internationale Vernetzung beständig auszubauen und
mit unserem Innovationssample SOEP-IS herausragende
Pionierarbeit zu leisten.
71
72
Schlüsselthemen
Am Puls der Zeit: Das DIW Berlin und
politisch-gesellschaftliche Schlüsselthemen
73
Forschen im Kreuzfeuer des Kalten Kriegs
DIE ABtEIlunG »MIttElDEutSchlAnDForSchunG«
»Die wissenschaftliche Erhellung politischer (oder
politisch bestimmter) Sachverhalte ist immer
politisch bedingt. Für ein heikles Feld wie die
Deutschlandpolitik gilt das besonders«, schreibt
1971 das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«.107
Wie heikel das Forschen über die DDR lange Zeit
ist, zeigt sich an der Arbeit des DIW.
Das Institut versteht sich von seinem Neubeginn
nach dem Zweiten Weltkrieg an als gesamtdeutsche Einrichtung, die sich mit der Wirtschaftsentwicklung beider deutscher Staaten befasst.
In der jungen Bundesrepublik gilt jedoch der
»Alleinvertretungsanspruch«. Die Bundesregierung sieht sich als Vertreterin aller Deutschen
und erkennt die DDR als Staat nicht an. »Das
marktwirtschaftliche System ist überlegen!« – »Die
DDR wird nicht lange bestehen!«: Dies sind in der
Bundesrepublik der 50er Jahre unumstößliche
Pfeiler der Beschäftigung mit dem zweiten deutschen Staat.108 Das DIW lässt sich in seiner Arbeit
allerdings nicht einschränken. Seine bereits vor
Gründung der Bundesrepublik im April 1949
eingerichtete Arbeitsgruppe/Abteilung »Sowjetische Besatzungszone« (ab 1954 »Abteilung für
Mitteldeutschlandforschung«) sammelt Daten zur
wirtschaftlichen Situation der späteren DDR, zum
Produktionspotenzial, zur Bevölkerung und zur
Versorgung sowie zum Ost-West-Handel.109
nEuE oStPolItIK – nEuE
DDr-ForSchunGEn – AltE KrItIK
Mitteldeutschland, Ostzone, sowjetisch besetzte
Zone (SBZ), DDR – im Laufe der Zeit wechseln
zwar die Bezeichnungen, das Forschungsobjekt
bleibt jedoch dasselbe. Das DIW erringt auf diesem
Feld eine führende Position. Mitte der 60er Jahre
rückt das DIW als eine der ersten Einrichtungen von der rein »systemkritischen« DDR- und
Osteuropa-Forschung ab. Stattdessen versucht das
Institut, die Planwirtschaft aus sich selbst heraus
74
zu analysieren. Anhand wirtschaftlicher Kennziffern wie Kauf kraft, Sozialprodukt oder Außenhandelsbilanz werden Bundesrepublik und
DDR verglichen. Dieser Forschungsansatz lässt
politische Akteure misstrauisch werden, etwa den
»Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands«. Mit diesem Gremium aus
hochrangigen Politikern und Wissenschaftlern,
das 1952 vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen gegründet wird, arbeitet das Institut
zeitweise eng zusammen. Ab Mitte der 60er
Jahre verschlechtert sich das Verhältnis jedoch
merklich: Der Forschungsbeirat moniert, das
DIW beurteile die DDR zu wohlwollend.110
Derartige Konf likte verschärfen sich mit der
»neuen Ostpolitik« Willy Brandts. Im Grundlagenvertrag erkennt die Bundesrepublik 1972 die
DDR staatsrechtlich an. Zuvor hat das DIW die
Ost-Abteilungen »Mitteldeutsche Wirtschaft«
und »Auslandswirtschaft (Ost)« zusammengelegt (1967) und zwei Jahre später die Abteilung
»Mitteldeutsche Wirtschaft« in »DDR und östliche
Industrieländer« umbenannt. 111
DAS hAnDBuch »DDr-WIrtSchAFt«
Das DIW will über Fachkreise hinaus auch die
breite (westliche) Öffentlichkeit erreichen. 1971
publiziert es unter der Federführung des damaligen Abteilungsleiters Peter Mitzscherling das
Handbuch »DDR-Wirtschaft«. Es liefert auf 400
Seiten detaillierte Informationen zu einzelnen
Wirtschaftsbereichen. Der »Forschungsbeirat für
Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands«
lässt gleichzeitig ein ähnliches Handbuch vorbereiten. Das »Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen«, das das Werk herausgeben
soll, lehnt die Vorlage der Forschungsstelle jedoch
als theoretisch veraltet ab und gibt der DIW-Studie
den Vorzug.112 Das erfolgreiche Buch füllt eine
Forschungslücke, wird mehrfach neu aufgelegt
und ins Englische übersetzt. Das DIW ist aber
auch maßgeblich an der Konzeption und Erstellung der »Materialien zum Bericht zur Lage der
Nation« beteiligt, die die deutsche Bundesregierung 1971 und 1974 herausgibt.113
BEStAnDSAuFnAhME: DIE MAtErIAlIEn Zur
lAGE DEr nAtIon 1987
AltE KontrovErSEn, nEu vErPAcKt
Wenn das DIW die Entwicklung in der DDR
positiv kommentiert, verbreitet das die SED über
ihre Staatsmedien.115 Die häufigeren negativen
Einschätzungen werden indes verschwiegen. In
der Bundesrepublik wird das DIW zur wichtigsten Informationsquelle über die DDR-Wirtschaft.
Seine Daten sind hilfreich bei den Verhandlungen
mit der DDR über Wirtschafts- und Umweltprobleme. 1985 erteilt der damalige Bundesminister für
innerdeutsche Beziehungen, Heinrich Windelen
(CDU), dem DIW den Auftrag, den gesamten
empirischen Teil zum »Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland 1987« zu erstellen.
Auf mehr als 560 Seiten entsteht hier unter der
Leitung von Doris Cornelsen das letzte umfassende Zahlenbild zur wirtschaftlichen und sozialen
Situation der beiden deutschen Staaten. Es wird
zugleich Grundlage vieler wirtschaftspolitischer
Überlegungen nach 1989, auch wenn man im
Nachhinhein bedauern mag, dass viele der vorhandenen Informationen in der Hektik des Vereinigungsprozesses nicht zur Kenntnis genommen
werden. Allerdings kennen auch die Fähigkeiten
des DIW Grenzen. Es unterschätzt zwar nicht die
wirtschaftlichen Probleme des Landes, wohl aber
die politischen Veränderungskräfte, die 1989 zum
Zusammenbruch des Systems führen.
Die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition wird
nach 1982 im Grundsatz von der christlich-liberalen Koalition fortgeführt. Politisch motivierte
Kritik wird nunmehr verstärkt mit methodischen
Zweifeln an der Arbeit der Abteilung »DDR und
östliche Industrieländer« begründet.114 Kann man
wirtschaftliche Kennziffern so unterschiedlicher Wirtschaftssysteme überhaupt miteinander
vergleichen? Und woher kommen die Informationen über die DDR, mit denen das DIW arbeitet?
Sind die offiziellen Statistiken der DDR nicht
weitgehend gefälscht? Diese Kritik kann das DIW
entkräften. Denn DDR-Statistiken werden vom
Institut grundsätzlich nicht ungeprüft übernommen. Ein Hauptteil seiner Arbeit besteht gerade
darin, die methodischen Abweichungen der Statistik in Ost und West zu berücksichtigen, so etwa
bei Kaufkraft- und Sozialproduktvergleichen. Zudem stützt das DIW seine Arbeit nicht allein auf
staatliche Quellen. Intensiv wird die Bezirkspresse
ausgewertet. Die Mitarbeiter führen Gespräche in
der DDR und notieren sich bei Reisen dorthin die
Preise in den Geschäften.
12,5
Mit dem Ende der DDR wird die entsprechende
Abteilung zunächst in »Ostdeutschland und
Osteuropa« umbenannt. Nach der deutschen
Wiedervereinigung heißt sie schließlich »Osteuropa-Abteilung«, später geht diese in der Abteilung »Weltwirtschaft« auf.
Jahre wartet man 1989 in der DDR
im Schnitt auf einen Neuwagen.
75
August 1961: Berliner
versuchen, Verwandte
und Freunde auf der
anderen Seite der
Mauer zu sehen.
Cover des Handbuchs »DDR-Wirtschaft«,
Juni 1971.
Unterzeichnung des Grundlagenvertrags
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der DDR im Palais Schaumburg,
8. November 1972.
Im Bild: Der Staatssekretär beim Bundeskanzler und Bundesbevollmächtigte für
Berlin, Egon Bahr (r.) und DDR-Staatssekretär Michael Kohl.
Bundeskanzler Willy Brandt 1971 bei
einem Bootsausflug mit dem sowjetischen
Staats- und Parteichef Leonid Breschnew
auf dem Schwarzen Meer. Zentraler
Gegenstand des informellen Treffens:
die Ostpolitik der Bundesregierung.
76
In der Bundesrepublik werden ab den 1950er Jahren
Plattenbausiedlungen im Akkord aus dem Boden
gestampft.
77
Umwelt und Energie
Grad Celsius – so lautet die Gefahrengrenze
für die globale Erwärmung im 21 Jahrhundert.
78
voM trEIBStoFF …
Als rohstoffarmes, aber hoch industrialisiertes
Land ist Deutschland von importierten Energieträgern abhängig. Energie und Rohstoffe
sind deshalb schon seit den 30er Jahren ein
Forschungsschwerpunkt des DIW.116 Mit dem
Wirtschaftsaufschwung seit Mitte der 50er Jahre
steigt der Energiebedarf in der Bundesrepublik
dramatisch an. Das Institut beobachtet die Effekte
der internationalen Preisentwicklung bei Energieträgern auf die Kosten der deutschen Industrieproduktion. Zu teuer, zu energieintensiv, schlussfolgert das Institut und mahnt zur Sparsamkeit.117
Doch erst der »Ölpreisschock« 1973 macht den
westlichen Industrieländern deutlich, wie sehr sie
von Rohstoffen und Energien abhängen, und lässt
in der breiten Öffentlichkeit das Bewusstsein
entstehen, dass es so wie bisher nicht weitergehen
kann.
… unD trEIBhAuS
Seit den 70er Jahren stellt sich nicht nur vermehrt
die Frage, was aus der heimischen Industrie wird,
wenn die Reserven an Kohle und Öl verbraucht
sind. Auch die Verschmutzung der Umwelt durch
fossile Brennstoffe wird zunehmend thematisiert,
der »Treibhauseffekt« zum allgegenwärtigen
Schlagwort. Einen Ausweg aus der bedrohlichen
Situation aufgrund begrenzter Vorkommen
scheint zunächst die Kernenergie zu bieten.
Spätestens seit dem schweren Unfall im Kernkraftwerk Three Mile Island nahe Harrisburg/
USA 1979 formiert sich dagegen jedoch weltweit
Widerstand. Das DIW befasst sich bereits seit
den späten 70er Jahren mit den technischen
und wirtschaftlichen Möglichkeiten alternativer
Energien.118 Dabei ergreift es deutlich Position
und appelliert an die Politik, mit entschiedenen
Maßnahmen Umweltschäden und Klimawandel
zu bekämpfen.119
öKonoMISchE BEGrünDunG Für GloBAlEn
uMWEltSchutZ
lange die Ansicht, Umwelt- und Klimaschutz sei
eine Angelegenheit für Idealisten.
Das DIW erkennt früh, dass erst ökonomische
Argumente einen entscheidenden Wandel
zugunsten des Umweltschutzes einleiten können. Es arbeitet eng mit dem Bundestag und
der Bundesregierung zusammen und erstellt
energiepolitische Studien.120 Einen Schritt in
Richtung einer grundlegenden Änderung stellt
die Idee einer »Ökosteuer« dar. Ein sparsamerer
Energieverbrauch soll mit ökonomischen Mitteln
gelenkt werden. Hierzu erarbeitet das Institut im
Auftrag von Greenpeace 1994 ein viel beachtetes
Konzept.121
Das DIW argumentiert in zahlreichen weiteren
Studien gegen das verbreitete Vorurteil, Umweltschutz schädige den Wirtschaftsstandort
Deutschland. Statt Panikmache liefern die
Wissenschaftler nüchterne Berechnungen.
Wirtschaftlichkeitsargumente sollen die umweltpolitischen Zauderer überzeugen. Seit 2004
schätzt das DIW Berlin die Kosten des Klimawandels. Mithilfe eines globalen Simulationsmodells
werden die durch Umweltkatastrophen, Hitze,
Regen, Gesundheitsschäden und andere Faktoren
entstehenden Schäden berechnet: 2007 sind dies
alleine für Deutschland bis ins Jahr 2050 Kosten
in Höhe von 800 Milliarden Euro.122
DIE KrISE AlS chAncE
In der Finanzkrise 2008 erkennt das DIW Berlin
die Möglichkeit, Grundlegendes neu zu diskutieren. »Die Wirtschafts- und Finanzkrise ist
auch eine Chance auf eine nachhaltige, klimaverträgliche Wirtschaft«, sagt Karsten Neuhoff,
Leiter der DIW-Abteilung »Klimapolitik«, die 2012
geschaffen wurde. In Umwelttechnologien sehen
die Wissenschaftler einen neuen Wachstumsfaktor, von dem Deutschland als technikstarkes Land
besonders profitieren könnte.
Das Thema Umweltschutz ist zwar verstärkt auf
der Tagesordnung und erhält in den 80er Jahren
neue Dynamik, dennoch herrscht in Deutschland
79
Protestdemonstration gegen das Waldsterben,
München 1984.
Braunkohlekraftwerk im
April 1991.
In der Ausgabe des »Spiegel« vom
16. November 1981 wird das Waldsterben zum Titelthema.
80
Das DIW Berlin erkennt früh, dass ökonomische Argumente einen entscheidenden Wandel
zugunsten des Umweltschutzes einleiten können. In neuen Umwelttechnologien sehen die
Wissenschaftler darüber hinaus einen Wachstumsfaktor für Deutschland.
81
507
Der europäische Einigungsprozess
»In dem festen Willen, die Grundlagen für einen
immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zu schaffen, entschlossen, durch
gemeinsames Handeln den wirtschaftlichen und
sozialen Fortschritt ihrer Länder zu sichern, indem
sie die Europa trennenden Schranken beseitigen«124 – in diesem Geist von Frieden und Freiheit
unterzeichnen im März 1957 Frankreich, Italien,
die Benelux-Länder und die Bundesrepublik die
Römischen Verträge. Die westeuropäische Wirtschaftsgemeinschaft von damals sechs Staaten hat
sich bis heute zu einer politischen Union von 28
Staaten fortentwickelt.
DIE ABtEIlunG
»AuSlAnDSWIrtSchAFt WESt«
Das DIW widmet dem Prozess der europäischen
Einigung von Beginn an hohe Aufmerksamkeit.
Der Stellenwert zeigt sich in der Bildung einer
neuen Abteilung »Auslandswirtschaft West« 1957.
82
Millionen Menschen leben nach der
Osterweiterung in der EU.123
Diese sammelt Datenmaterial aus den EG-Mitgliedsstaaten und baut Kontakte zu europäischen
Wirtschaftsforschungsinstituten auf.125 Das Institut befürwortet die wirtschaftliche Integration und
fordert darum die Mitgliedsstaaten immer wieder
auf, Protektionismus abzubauen, Ungleichgewichte untereinander zu beseitigen und zu einer
gemeinsamen Politik zu finden.126
vErEIntE KonJunKturForSchunG
Ein Kind der Römischen Verträge ist auch die
Gründung der Association d’Instituts Européens
de Conjoncture économique (AIECE, Vereinigung
der europäischen Konjunkturforschungsinstitute).
1957 finden sich dazu Vertreter des DIW und der
Wirtschaftsinstitute IRES in Belgien und INSEE
in Frankreich zusammen. Von Anfang an – und
ungewöhnlich für die damalige Zeit – sind mittelund osteuropäische Institute mit von der Partie.
Diese Zusammenarbeit im Bereich der Konjunk-
turforschung greift der europäischen Einigung
voraus. Heute hat die AIECE mehr als 40 Mitglieder aus 20 Ländern. Sie halten in zahlreichen Arbeitsgruppen regelmäßige Treffen ab. Dabei geht
es längst nicht mehr nur um europäische, sondern
auch um globale Konjunkturfragen.
DAS DIW unD DIE
Eu-oStErWEItErunG
Nach dem Zusammenbruch des »Ostblocks«
setzt sich das DIW konsequent für die EU-Osterweiterung ein. Das Institut kann sich auf einen
beträchtlichen Wissensvorsprung stützen: Denn
es hat sich schon über vier Jahrzehnte mit der
Welt hinter dem »Eisernen Vorhang« befasst. Als
dieser sich hebt, berät das Institut die Länder Mittel- und Osteuropas im Transformationsprozess
zu Demokratie und Marktwirtschaft. Zum Jahreswechsel 1992/93 nimmt dazu das »Kooperationsbüro Osteuropa-Wirtschaftsforschung« seine Arbeit
auf.127 Bei der EU wirbt das DIW zudem um finanzielle Hilfe für die Staaten und auch dafür, diese
schrittweise in den gemeinsamen Markt einzubinden.128 Mit dem Ende des Kalten Kriegs rückt auch
die Welt außerhalb Europas stärker in den Blick
der Wirtschaftsforscher. Die zuständige Abteilung
mit dem Referat »Europäische Gemeinschaft«
heißt ab 1991 »Weltwirtschaftliche Strukturen«.
Seit 1997 trägt sie (mit kurzer Unterbrechung von
2012 bis 2015 »Entwicklung und Sicherheit«) den
Namen »Weltwirtschaft«.
WAnDErn nAch WEStEn
»Wer hat Angst vor dem polnischen Klempner?«,
fragt im Juli 2005 provozierend die »Süddeutsche
Zeitung« ihre Leser.129 Trotz der Freude über den
Zusammenbruch des Kommunismus wird mit
dem Drängen der ostmitteleuropäischen Staaten
in die EU die Zuwanderung billiger Arbeitskräfte
in den westlichen EU-Staaten zum Schreckgespenst. Der Kopenhagener EU-Gipfel hat 1993
die Weichen für die Osterweiterung gestellt und
die von den Kandidatenländern zu erfüllenden
Kriterien festgelegt.
Welche Folgen wird die Osterweiterung vor allem
für den europäischen Arbeitsmarkt haben? Zum
gemeinsamen Markt gehört neben der Freiheit des
Waren- und Dienstleistungsverkehrs sowie des
Kapitals die freie Mobilität der Arbeitskräfte. Das
Lohngefälle und die Unterschiede im Lebensstandard lassen die Altmitglieder eine massenhafte
Ost-West-Wanderung fürchten. Das DIW Berlin,
das sich seit 1998 verstärkt mit den Perspektiven
der Arbeitsmigration befasst, gibt Entwarnung.130
Es prognostiziert, dass die Zuwanderung sich
nach der EU-Erweiterung in Grenzen halten und
die westlichen Arbeitsmärkte nicht stark belasten
werde. Im Gegenteil: Sie werde sich positiv auf
Einkommen, Konsum und Beschäftigung in den
Einwanderungsregionen auswirken.131
Die Westwanderung fällt tatsächlich geringer aus
als vorab geschätzt.132 Die Integration führt zu
einer Angleichung des Lebensstandards, weshalb
mögliche Migrationsmotive schwinden. Dennoch
wird die Osterweiterung in Deutschland weiterhin
überwiegend mit Skepsis aufgenommen. Von den
meisten Ländern der EU wird den ostmitteleuropäischen Staaten bei ihrem Beitritt 2004 die
Freizügigkeit gewährt, nicht jedoch von Deutschland. Arbeitnehmer aus den Neu-Mitgliedsstaaten
dürfen nur in wenigen Ausnahmefällen in
Deutschland arbeiten. Auch die Niederlassungsfreiheit, die in der EU allgemein gilt, wird von der
Bundesregierung für mehrere Branchen außer
Kraft gesetzt. Zahlreiche Wirtschaftsexperten,
nicht nur am DIW Berlin, beklagen die negativen
Wirkungen dieser Maßnahme auf die Know-howEntwicklung im Land und warnen vor zunehmender illegaler Tätigkeit.133 Die Regelung zur
eingeschränkten Freizügigkeit, die eigentlich nur
bis 2006 gelten sollte, wird jedoch nochmals bis
2009 und schließlich bis 2011 verlängert.
83
Urlauber posieren vor einem Schlagbaum, 50er Jahre.
84
Unterzeichnung der Römischen Verträge
über die Gründung der EWG und der
EURATOM, 25. März 1957.
Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen
Union vor dem Gästehaus Farmleigh
anlässlich der Feier zur Aufnahme von zehn neuen
Ländern in die EU, 1. Mai 2004.
Tschechien wird EU-Mitglied, 1. Mai 2004.
85
Globalisierung
DIE WElt ISt EIn DorF
Der globale Warenexport ist seit 1950 um mehr
als 2.800 Prozent gestiegen.134 Neue Informationstechnologien verbinden die Welt und beschleunigen die Kommunikation. Die Expansion ausländischer Direktinvestitionen erfolgt über modulare
Produktionsprozesse, die in transnationalen
Unternehmensstrukturen organisiert und aus
internationalen Kapitalströmen finanziert werden.
Der fortschreitenden außenwirtschaftlichen Deregulierung und Liberalisierung liegt ein ausgeprägter Wachstumsgedanke zugrunde. Die westlichen industrialisierten Staaten profitieren noch
immer am stärksten von dieser Entwicklung. Die
fünf führenden Wirtschaftsstaaten (USA, Japan,
Deutschland, China und Großbritannien) haben
zusammen einen Anteil von rund 60 Prozent am
Welt-Bruttoinlandsprodukt.
hErAuSForDErunGEn DEr
GloBAlISIErunG
Das DIW Berlin zeigt in seinen Studien, dass die
Globalisierung gleichwohl zu mehr Wettbewerb
führt und auch die bislang führenden Industriestaaten unter Druck setzt. Innovationen zu entwickeln und diese erfolgreich auf den Weltmärkten
zu vertreiben, bestimmt heute mehr denn je über
Wohlstand und wirtschaftliche Dynamik eines
Landes. Deutschland verfügt zwar über wesentliche Kompetenzen in Schlüsselbereichen wie der
Informations- und Kommunikationstechnologie,
der Nano-, Bio- und Gentechnologie sowie in der
Medizintechnik. Damit sich Deutschland aber als
hoch entwickelter Industriestaat mit hohen Lohnkosten gegen die billiger produzierende internationale Konkurrenz weiterhin behaupten kann, fordert
das DIW Berlin noch größere Anstrengungen in
der Innovationspolitik.135
86
AuSlAuFMoDEll SoZIAlE
MArKtWIrtSchAFt?
Die Wissenschaftler am DIW Berlin beschäftigen
sich seit Jahren auch mit den Herausforderungen
der Globalisierung für den deutschen Sozialstaat.
Billiglohnkonkurrenz, Steuerf lucht und neue
Armut sind Schlagworte einer heftig geführten
öffentlichen Debatte. Das bundesrepublikanische
Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft steht
auf dem Prüfstand. Investitionen in die Bildung
sind für das DIW Berlin der Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Nötig ist deshalb
eine breite Qualifizierungsoffensive.136
hErAuSForDErunG FInAnZ- unD
WIrtSchAFtSKrISE
Selten zuvor sind die globalen Strukturen der
Wirtschaft so deutlich wahrgenommen worden
wie in der Finanz- und Wirtschaftskrise, die als
eine der schwersten in der Geschichte in den Jahren 2008/2009 die Welt in Atem hält. Nach einer
Phase starken Wachstums in weiten Teilen der
Welt war zwar angesichts des normalen wellenförmigen Konjunkturverlaufs mit einer Abschwächung zu rechnen. Das DIW Berlin prognostiziert
diesen Trend auch frühzeitig. Doch dass sich
aus der tatsächlich eintretenden Abkühlung der
Wirtschaftsentwicklung die größte Finanzkrise
seit 1929 entwickelt, wird auch von den Berliner
Konjunkturexperten nicht vorausgesehen. Die
Krise in Zeiten der Globalisierung ist aufgrund
ihrer Dynamik eine große Herausforderung für
die Wirtschaftsforschungsinstitute.
2.600.000.000
Armen stehen weltweit 800 Milliardäre gegenüber.
hErAuSForDErunGEn Für DIE KonJunKturProGnoSE
Im Herbst 2008 kommt es infolge der Börsencrashs, Bankenpleiten und Unternehmensverluste zu drastischen Prognoserevisionen. Gegenüber
der Öffentlichkeit müssen Konjunkturforscher
erklären, was sie und ihre Prognosen zu leisten
vermögen.
Prognostiker sind mit gleich zwei potentiellen
Fehlerquellen konfrontiert: Die wohl wichtigste Bestimmungsgröße der konjunkturellen
Entwicklung ist das menschliche Verhalten, und
dieses lässt sich notorisch schlecht vorhersagen.
Hinzu kommt: Selbst wenn sich das menschliche Verhalten besser prognostizieren ließe,
gäbe es eine Vielzahl von unerwarteten Einf lüssen, die zu einer veränderten wirtschaftlichen
Entwicklung führen könnten – seien es Naturkatastrophen, plötzliche Änderungen bei den
Rohstoffpreisen oder eben die Entscheidung der
US-Regierung, die Investmentbank Lehman
Brothers in den Konkurs gehen zu lassen. Solche
Ereignisse zu prognostizieren ist selbst für den
erfahrensten Prognostiker unmöglich – Konjunkturforschung hat eben nichts mit Hellseherei zu tun.
die konjunkturellen Folgen eines wirtschaftlichen »Schocks« besser abgeschätzt werden.
Hierzu haben die Konjunkturforscher des DIW
Berlin immer ein Auge auf die Entwicklungen in
anderen Bereichen der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung und versuchen, die in diesen
Disziplinen erarbeiteten Erkenntnisse in ihren
Modellen zu berücksichtigen.
So wird im DIW Berlin während und nach der
Finanzkrise die Analyse der Finanzmärkte und
des Bankensystems vorangetrieben; die makroökonomischen Prognosemodelle berücksichtigen
mittlerweile die Folgen von massiven Aktienkurs- oder Immobilienpreisschwankungen auf
die Konjunktur oder beziehen Mechanismen zur
Simulation von Bankenkrisen ein.
Auch methodisch entwickelt sich die Prognosearbeit weiter. Seit 2014 stützt sich das monatlich
erscheinende DIW Konjunkturbarometer »unter
der Haube« auf eine neue Technologie, die die
zeitnahe Auswertung einer enormen Breite konjunkturrelevanter Informationen zulässt.
Allerdings lässt sich das Verständnis des Verhaltens der Menschen in Reaktion auf solche
Ereignisse verbessern – und damit können auch
87
Frankfurter Börse, Kurssturz des Dax, 23. Januar 2008.
88
Demonstration in Berlin zum
Londoner G20-Gipfel zur
globalen Wirtschafts- und
Finanzkrise, 2009.
Pepsi in Bangkok.
Der Flugverkehr hat sich in den letzten
Jahrzehnten drastisch erhöht.
89
90
Anhang
91
Finanzierung des DIW Berlin
Das DIW Berlin ist ein gemeinnütziger eingetragener
Verein (e.V.). Für die Finanzierung des DIW Berlin
aus öffentlichen Zuwendungen gilt seit dem 1. Januar
1977 die zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und den Ländern am 28. November 1975 abgeschlossene und für Berlin durch das Gesetz vom 8. Juli 1976
verabschiedete Rahmenvereinbarung zwischen Bund
und Ländern über die gemeinsame Förderung der Forschung nach Artikel 91b Grundgesetz.
92
Das DIW Berlin ist das einzige Institut der
Leibniz-Gemeinschaft, das auf Bundesseite zwei
Zuwendungsgeber hat. Der Grund dafür liegt in
der Integration des Sozio-oekonomischen Panels
(SOEP) in die institutionelle Förderung im Jahr
2003. Als multidisziplinäre forschungsbasierte
Infrastruktureinrichtung wird das SOEP auf
Seiten des Bundes vom BMBF betreut, da der
Auftrag des SOEP weit über den Aufgabenbereich des BMWi hinausgeht. Der Bund finanziert
zwei Drittel der Förderung für die Forschungsinfrastruktureinrichtung SOEP, die Länder einen
Anteil von einem Drittel.
DIE FInAnZEn DES InStItutS
Heutige Grundlage der Finanzierung ist das
Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern über die Errichtung einer Gemeinsamen
Wissenschaftskonferenz (GWK-Abkommen) vom
19. September 2007.
Zuständige Ressorts sind auf Seiten des Landes
Berlin die für Forschung zuständige Senatsverwaltung (seit November 2011 Senatsverwaltung
für Wirtschaft, Technologie und Forschung)
und auf Bundesseite das Bundesministerium
für Wirtschaft und Energie (BMWi) sowie das
Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF). Die gemeinsame Förderung von Bund
und Ländern zu je gleichen Anteilen (ohne
SOEP) macht rund zwei Drittel des Institutshaushalts aus. Hinzu kommen Einnahmen aus
Projekten und Aufträgen Dritter, Mitgliedsbeiträge sowie Spenden.
Parteien
45
47
8
-
-
-
-
-
1929
373
59
35
6
-
-
-
-
-
1945/46
460
68
16
5
5
-
6
-
-
1950
547
76
15
k.A.
0
8
-
-
-
1960
1.286
69
11
0
0
15
1
4
-
1970
5.446
56
3
0
0
1
32
8
0
1980
14.228
62
1
0
0
0
34
2
0
1990
23.337
56
1
0
0
0
30
11
2
1995
30.462
53
1
0
0
0
29
15
2
2000
33.640
46
Summe sonstiger Mittel: 54
2005
18.805
c
63
Summe sonstiger Mittel: 37
2010
20.306c
67
Summe sonstiger Mittel: 33
2011
21.103c
72
Summe sonstiger Mittel: 28
2012
25.307c
65
Summe sonstiger Mittel: 35
2013
25.960c
68
Summe sonstiger Mittel: 32
2014
26.271
71
Summe sonstiger Mittel: 29
a
a
b
in Tausend Reichsmark
b
1. April – 31. Dezember 1960
Ministerien
inkl. EU
c
Zeilensumme in Prozent; Insgesamt: 100
a
Industrie
Gewerkschaften
201a
Summe
Stiftungen
Arbeitgeber
1925
Jahr
Bundesländer
Zuwendungen
Finanzierungsstruktur des DIW Berlin 138
Der Haushalt des DIW Berlin hatte im Jahr 2013
ein Volumen von knapp 26 Millionen Euro und
im Jahr 2014 von mehr als 26 Millionen Euro.
in TausendEuro
93
Leiter des Instituts
ErnSt WAGEMAnn (1884–1956)
Direktor von 1925 bis 1941; Präsident von 1941 bis 1945
Nach seinem Studium wird Wagemann 1907 zum Doktor der
Philosophie promoviert, 1914 folgt die Habilitation an der FriedrichWilhelms-Universität Berlin. 1919 wird er zum außerordentlichen
Professor dort berufen. Ab 1923 ist Wagemann für zehn Jahre
Präsident des Statistischen Reichsamts. 1925 gründet er das »Institut
für Konjunkturforschung« (IfK), dessen Leiter er bis 1945 ist. Nach
dem Krieg verlässt er Deutschland und wird ein weiteres Mal zum
Gründervater, diesmal des »Instituto de Economía« diesmal an der
Staatsuniversität Santiago de Chile in seinem Geburtsland Chile.
FErDInAnD FrIEDEnSBurG (1886–1972)
Präsident von 1945 bis 1968
Friedensburg, promoviert im Fach Geologie, wird 1925 Polizeivizepräsident in Berlin und zwei Jahre später Regierungspräsident in
Kassel. 1933 wird er aufgrund »liberaler Haltung« von den Nationalsozialisten entlassen. 1935 ist er mehrere Monate in Gestapo-Haft.
Ab 1939 forscht er als »auswärtiger Mitarbeiter« am IfK bzw. am DIW.
Ernst Wagemann setzt sich für ihn ein und unterstützt ihn finanziell.
Friedensburg ist nach dem Krieg Mitbegründer der CDU in Berlin
und wird 1948 für kurze Zeit amtierender Oberbürgermeister der
Stadt. Er wird später Abgeordneter im Deutschen Bundestag und
im Europäischen Parlament. Ab 1953 lehrt er als Honorarprofessor für
Bergwirtschaft an der Technischen Universität Berlin.
94
KlAuS DIEtEr ArnDt (1927–1974)
Präsident von 1968 bis 1974
Arndt beginnt nach seinem Studium der Volkswirtschaftslehre an der
Freien Universität Berlin als wissenschaftlicher Mitarbeiter am DIW.
1954 wird er promoviert und 1959 mit 32 Jahren zum damals jüngsten Abteilungsleiter im Bereich »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung« ernannt. Ab den 60er Jahren verfolgt er auch eine politische
Karriere. Er wird Abgeordneter in Berlin und im Bundestag, ab 1967
für drei Jahre unter Karl Schiller Parlamentarischer Staatssekretär im
Bundesministerium für Wirtschaft. Von 1971 bis 1974 ist er Mitglied
des Europäischen Parlaments.
KArl KönIG (1910–1979)
Präsident von 1975 bis 1979
Als Student kommt König in der nationalsozialistischen Diktatur
aufgrund seiner sozialdemokratischen Überzeugung ins Zuchthaus.
Erst nach Jahren an der Front und anschließender sowjetischer
Gefangenschaft, aus der er erst 1950 entlassen wird, kann er sein
Studium der Volkswirtschaftslehre beenden. Danach arbeitet er bei
den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), deren Vorstand und Direktor
er ab 1960 ist. 1959 wird König Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus. Er ist von 1965 an für zehn Jahre Wirtschaftssenator in Berlin.
König stirbt 1979 – im Amt als DIW-Präsident – auf dem Rückweg
von der Leipziger Messe nach Berlin an Herzversagen.
95
hAnS-JürGEn KruPP (*1933)
Präsident von 1979 bis 1988
Krupp wird 1961 als Wirtschaftsingenieur an der Technischen Universität Darmstadt zum Doktor promoviert, 1967 folgt die Habilitation. Zwei Jahre später ergeht der Ruf auf den Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität
Frankfurt am Main, deren Präsident er von 1975 an für vier Jahre ist.
1979 wechselt er ins Präsidentenamt des DIW und übernimmt im
selben Jahr die Ko-Leitung eines Sonderforschungsbereichs, aus dem
1983 das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) am DIW hervorgeht.
1987 erfolgt der Ruf auf den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre der
Technischen Universität Berlin, den er bis 1993 innehat. 1988 wechselt
Krupp in die Politik: Er wird Finanzsenator in Hamburg und 1991 Senator für Wirtschaft sowie Zweiter Bürgermeister. Von 1993 bis 2001
ist er Präsident der Landeszentralbank Hamburg.
lutZ hoFFMAnn (*1934)
Präsident von 1988 bis 1999
1962 wird der Volkswirt an der Christian-Albrechts-Universität Kiel
promoviert. Nach der Habilitation 1969 folgt er dem Ruf an die Universität Regensburg als ordentlicher Professor für Volkswirtschaftslehre. 1977/78 ist er Berater der Weltbank und von 1985 bis 1989
Direktor der United Nations Conference on Trade and Development
(UNCTAD). Im selben Jahr übernimmt er das Präsidentenamt des
DIW und geht als Professor an die Freie Universität Berlin. Von 2001
bis 2007 leitet er als Direktor das Osteuropa-Institut München.
KlAuS F. ZIMMErMAnn (*1952)
Präsident von 2000 bis 2011
Dem Studium der Volkswirtschaftslehre und Statistik an der
Universität Mannheim Zimmermanns folgen 1984 die Promotion,
drei Jahre später die Habilitation. 1989 nimmt er den Ruf an die
Ludwig-Maximilians-Universität München an. Nach verschiedenen
Gastprofessuren wird er 1998 an die Friedrich-Wilhelms-Universität
Bonn berufen, wo er gleichzeitig das von der Deutschen Poststiftung
gegründete »Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit« (IZA) übernimmt. Er leitet das DIW von 2000 bis 2011 und wird Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin.
96
GErt G. WAGnEr (*1953)
Vorstandsvorsitzender von 2011 bis 2013
Nach dem Studium der Soziologie und Volkswirtschaftslehre an der
Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main wird
Wagner im Jahr 1984 an der Technischen Universität Berlin promoviert, wo 1992 auch die Habilitation in Volkswirtschaftslehre erfolgt.
Im Jahr 1989 übernimmt Wagner die Leitung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) im DIW, die er seit 1992 mit Lehrstühlen an
der Ruhr-Universität Bochum, der Europa-Universität Viadrina in
Frankfurt/Oder (1997-2002) und der TU Berlin (seit 2002) verbindet. Anfang 2011 wird Wagner zum Vorsitzenden des Vorstands
(Präsident) des DIW Berlin gewählt. Er bleibt weiterhin Max-PlanckFellow am MPI für Bildungsforschung in Berlin und ist seit Februar
2013 als Vertreter des SOEP Mitglied im Vorstand des DIW Berlin.
MArcEl FrAtZSchEr (*1971)
Präsident seit 2013
Auf ein Vordiplom Fratzschers in VWL an der Universität Kiel
folgen ein B.A. in Philosophy, Politics, and Economics (PPE) der
University of Oxford (UK), ein Master of Public Policy der Harvard
University John F. Kennedy School of Government (USA) und ein
Ph.D. in Economics vom European University Institute in Florenz
(Italien). Während der Asienkrise 1996-98 arbeitet er als Makroökonom beim Harvard Institute for International Development
(HIID) in Jakarta für die Regierung Indonesiens. Zudem ist er beim
Peterson Institute for International Economics in Washington D.C.
und für die Weltbank tätig. Von 2001 bis 2012 ist Fratzscher für die
Europäische Zentralbank (EZB) tätig. Seit 2013 ist er Präsident des
DIW Berlin und Professor für Makroökonomie und Finanzen an der
Humboldt-Universität Berlin.
97
Anmerkungen und Abbildungsnachweis
AnMErKunGEn
1
Siehe zur Gründungsgeschichte und zu den ersten Jahrzehnten: Krengel, Rolf, Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (Institut für Konjunkturforschung) 1925 bis 1979,
typografisches Manuskript im DIW Berlin, Berlin 1985.
Vgl. John Adam Tooze: Official Statistics and Economic Gover
nance in Interwar Germany, Dissertation an der London
School of Economics, 1996, Berechnungen des DIW Berlin.
19
Vgl. zur Charakterisierung der Kriegswirtschaft: Wehler, HansUlrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 4: Vom Beginn
des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen
Staaten 1914–1949, München 2008, S. 915 ff.
20 Vgl. dazu u. a.: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung,
Das Deutsche Institut, S. 121.
21 Siehe dazu: Tooze, Adam: Thesen, S. 12–16; Tooze, Adam,
Weimar´s Statistical Economics, in: Economic History Review,
Bd. 52, S. 523-543, hier S. 539 f.
2
Statistisches Reichsamt, Institut für Konjunkturforschung,
Die weltwirtschaftliche Lage Ende 1925, Berlin 1925.
22 Die Mitarbeiterzahl ergibt sich aus Angaben bei Krengel:
Institut, S. 51 ff.; diese bestätigt auch: Deutsches Institut für
Wirtschaftsforschung, Das Deutsche Institut, S. 8.
3
Wagemann, Ernst: Konjunkturlehre. Eine Grundlegung zur
Lehre vom Rhythmus der Wirtschaft, Berlin 1928.
23 Krengel, Institut, S. 103.
4
Vgl. dazu v. a.: Kulla, Bernd: Die Anfänge der empirischen
Konjunkturforschung in Deutschland 1925–1933, Berlin 1996.
5
Krengel: Institut, S. 66.
6
Ebd., S. 57 ff.
7
Ebd.
8
Ebd.
9
Wagemann, Ernst: Geld- und Kreditreform (= Staatswissenschaftliche Zeitfragen, Heft 1), Berlin 1932.
10 Zit. nach Kulla: Konjunkturforschung, S. 71.
11
Siehe zum Wochenbericht des DIW Berlin: Fremdling, Rainer/
Stäglin, Reiner, Profund, präzise, pünktlich: 80 Jahre Wochenbericht spiegeln die deutsche Wirtschaftsgeschichte, in: DIW
Wochenbericht, 14/2008.
24 Vgl. Ferdinand Friedensburgs Geleitwort zu: Wissler: Ernst
Wagemann, S. 7 f.
25 Siehe zu Friedensburgs Erinnerungen an diese Zeit: Friedensburg, Ferdinand: Wirtschaftsforschung und Wirtschaftsführung. Vorträge und Aufsätze, Festgabe für Ferdinand
Friedensburg zum 70. Geburtstag, Berlin 1956, S. 4 f.; ders.,
Es ging um Deutschlands Einheit: Rückschau eines Berliners
auf die Jahre nach 1945, Berlin 1971, S. 37 ff.
26 Friedensburg: Es ging um Deutschlands Einheit, S. 38 f.
27 Ebd., S. 40.
28 Siehe zu diesem Themenkomplex: ebd., S. 42 ff.; Krengel:
Institut, S. 120 und 123.
29 Siehe dazu: Krengel: Institut, S. 111 ff.
30 Zit. nach: ebd., S. 124 f.
12
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Das Deutsche
Institut für Wirtschaftsforschung 1925–1945 in der Erinnerung
früherer Mitarbeiter, Berlin 1966, S. 2.
31 Zit. nach: http://www.verkehrswerkstatt.de/luftbruecke
/?seite=archiv&jahr=1948&monat=6&article=gb0020
(20.04.2015).
13
Zu diesem Schluss kommt auch Tooze: Tooze, Adam, Thesen
zur Geschichte des IfK/DIW 1925–1945, DIW Discussion
Paper Nr. 82, Berlin 1993, S. 7. Konträr dazu: Wissler, Albert,
Ernst Wagemann: Begründer der empirischen Konjunkturforschung in Deutschland. Mit einem Geleitwort von Ferdinand
Friedensburg (= Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung,
Sonderheft 26), Berlin 1954, S. 45–50.
32 Vgl. Berlins Wirtschaft in der Blockade (= Deutsches Institut
für Wirtschaftsforschung, Sonderheft 19), Berlin 1949, S. 5.
33 Krengel: Institut, S. 120 und 136.
34 Zit. nach: Wildmann, Lothar: Einführung in die Volkswirtschaftslehre, Mikroökonomie und Wettbewerbspolitik,
München 2007, S. 99.
14 Vgl. Tooze, Thesen, S. 7.
35 DIW Wochenbericht, 36/1952.
15
36 Der wirtschaftliche Wiederaufbau in Westdeutschland, in:
DIW Wochenbericht, 17 und 18/1950.
Rolf Krengel nennt den 16. Juni 1933, Rudolf Regul den
6. Juni 1933 als Datum der Wiedereinsetzung. Siehe dazu
auch (insbesondere zu den Bittbriefen): Tooze, Thesen: S. 8;
siehe außerdem zum Vorgang Wagemann: BArch R 43 II,
1157e. Zu berücksichtigen sind im Übrigen die Mitgliedschaften Wagemanns in diversen NS-Organisationen. Er war
Mitglied der NSDAP (eingetreten im Mai 1933, Mitgliedsnummer 3078159), der SA (ab September 1933) und des
BNSDJ (ab Oktober 1933).
16 Krengel, Institut, S. 58 ff.
17
Siehe dazu: BArch NS 19/2053, Bl. 2–29.
18 Vgl. DIW Wochenbericht, 31/1933.
98
37 DIW Wochenbericht, 2/1955.
38 Vgl. dazu u. a. Reichel, Richard: Neue Berechnungen zum
deutschen Wirtschaftswunder, in: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 93 (3/2002), S. 55 ff.
39 Zehn Jahre Deutsche Mark, in: DIW Wochenbericht, 25/1958.
40 Vgl. Erhard, Ludwig, Das Problem der freien Marktwirtschaft,
in: Vjh 2/1949, S. 71.
41 Siehe dazu: DIW Wochenbericht, 36/1952.
42 Vgl. Vom Wirtschaftswunder zum Konjunkturproblem. Wie
denkt der Mann auf der Straße über aktuelle Fragen der
deutschen Wirtschaft u. Industrie?, Hamburg 1956, S. 6.
60 Vgl. Zur Wirtschaftslage. Konjunkturabschwächung erfordert
neue Expansionsprogramme, in: DIW Wochenbericht,
39/1977, S. 343–348.
43 Vgl. Konjunktur im Zeichen der Nachwehen, in: Die Zeit,
Nr. 31, 4.8.1955.
61 Vgl. Hinrichs: Verschuldung.
44 DIW-Jahresbericht 1950, S. 4.
45 Vgl. dazu: Fremdling/Stäglin: Profund, präzise, pünktlich,
S. 171 ff.
46 Friedensburg, Wirtschaftsforschung, S. IX.
47 Ebd., S. 15.
62 Vgl. Eine mittelfristige Strategie zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung, in: DIW Wochenbericht, 15/1978, S. 147–157.
63 DIW-Jahresbericht 1983, S. 6.
64 Vgl. Was bringt der Einstieg in die 35-Stunden-Woche? Zu den
ökonomischen Auswirkungen einer schrittweisen Verkürzung der
tariflichen Arbeitszeit, in: DIW Wochenbericht, 31/1983, S. 383.
48 Steiner, André: Zwischen Wirtschaftswundern, Rezession
und Stagnation. Deutsch-deutsche Wirtschaftsgeschichte,
in: Kleßmann, Christoph/Lautzas, Peter (Hg.): Teilung und
Integration. Die doppelte deutsche Nachkriegsgeschichte als
wissenschaftliches und didaktisches Problem (= Reihe Politik
und Bildung 41), Schwalbach 2006, S. 177–191; Schneider,
Gernot: Wirtschaftswunder DDR. Anspruch und Realität, Köln
1990. Siehe dazu auch: Reichel, Richard: Neue Berechnungen
zum deutschen Wirtschaftswunder, in: Orientierungen zur
Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 93 (3/2002), S. 55–60,
und Heske, Gerhard: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
DDR 1950–1989. Daten, Methoden, Vergleiche, Köln 2009.
65 Siehe dazu DIW Tätigkeitsberichte 1985, S. 7, 1986, S. 7,
1987, S. 7 und 1988, S. 6.
49 Der Spiegel, 3.1.1966.
70 Vereintes Deutschland – geteilte ..., S. 582.
50 Vgl. DIW Wochenbericht, 51 und 52/1966.
71 Aktuellere Studien zum Thema (v. a. auf Basis des SOEP)
online unter http://www.diw.de/de/diw_01.c.359590.
de/publikationen_veranstaltungen/publikationen/
aktuelle_schwerpunkte/aktuelle_schwerpunkte.
html?y[]=1995&y[]=2015&t=Frauen%20im%20
Erwerbsleben&p=*&m=*&i=
51 Vgl. dazu: Fremdling/Stäglin: Profund, präzise, pünktlich,
S. 171 ff.
52 Siehe: Dittberner, Jürgen: Große Koalition: 1966 und 2005, in:
Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 35–36/2007). http://
www1.bpb.de/publikationen/H0M2YN,0,Gro%DFe_Koalition:
_1966_und_2005.html (20.04.2015).
53 Vgl. DIW Wochenbericht 39/1967.
54 Vgl. Hinrichs, Jutta: Die Verschuldung des Bundes 1962–2001.
(Arbeitspapier, hg. von der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.,
Nr. 77) Sankt Augustin, Juni 2002. http://www.kas.de/wf/
de/33.465/ (20.04.2015).
55 Vgl. Die Lage der Weltwirtschaft und der westdeutschen Wirtschaft im Frühjahr 1973, in: DIW Wochenbericht, 16/1973,
S. 125–138. Die Lage der Weltwirtschaft und der westdeutschen Wirtschaft im Herbst 1973, in: DIW Wochenbericht,
43/1973, S. 383–396.
56 Vgl. Hohense, Jens, Und sonntags wieder laufen. Die erste
»Ölkrise« 1973 und ihre Perzeption in der Bundesrepublik
Deutschland, in: Salewski, Michael/Stölken-Fitschen, Ilona
(Hg.): Moderne Zeiten. Technik und Zeitgeist im 19. und 20.
Jahrhundert (= Historische Mitteilungen – Beihefte 8), Stuttgart 1994, S. 175–196, hier S. 180.
66 Münke, Stephanie: Blick in die Forschung. Frauenarbeit und
Frauenlöhne, in: Viertelshefte zur Wirtschaftsforschung (Vjh)
29/1960, S. 191–201.
67 Vereintes Deutschland – geteilte Frauengesellschaft, in:
DIW Wochenbericht, 41/1990, S. 575.
68 Erwerbstätigkeit und Einkommen von Frauen in der DDR, in:
DIW Wochenbericht, 19/1990, S. 263.
69 Frauen in Familie und Beruf, in: DIW Wochenbericht,
29/1990, S. 408.
72 Vgl. Die Lage der DDR-Wirtschaft zur Jahreswende, in:
DIW Wochenbericht, 5/1989.
73 Siehe dazu: Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen, HA
XVIII, 19330: »Stand und Entwicklung der DDR-Wirtschaft in
den 80er Jahren«.
74
Vgl. DIW, IfH, IWH 1999, siehe dazu auch: Brenke, Karl: Die
Jahre 1989 und 1990: das wirtschaftliche Desaster der DDR:
schleichender Niedergang und Schocktherapie, in:
VJH 2/2009, S. 20.
75 Bach, Stefan/Trabold, Harald: Zehn Jahre deutsche Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, in: Vjh 2/2000, S.
149-151, hier S. 149.
76 Vgl. Brenke, Karl/Zimmermann, Klaus F.: Ostdeutschland
20 Jahre nach dem Mauerfall: was war und was ist heute mit
der Wirtschaft?, in: Vjh 2/2009, S. 32–62.
77 Eickelpasch, Alexander: Forschung, Entwicklung und Innovation in Ostdeutschland, in: Vjh 2/2009, S. 78–109.
57 Zit. nach: http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/
themen/147744/index.html (20.04.2015).
78 Siehe dazu: http://www.ier.com.ua/en/
(20.04.2015).
58 Siehe dazu: Zur Wirtschaftslage. Wirtschaftliche Situation in
der westlichen Welt immer noch labil, in: DIW Wochenbericht,
26/1975, S. 205.
79 Vgl. Stellungnahme zum Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin, Wissenschaftsrat, 1998. OnlineDokument: http://www.wissenschaftsrat.de/texte/3317-98.
pdf (20.04.2015).
59 Siehe dazu: Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung 1974,
in: DIW Wochenbericht, 51 - 52/1973; Empfiehlt sich ein
umfangreiches Konjunkturprogramm?, in: DIW Wochenbericht,
30/1975, S. 240 f.; Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung
1977, in: DIW-Wochenbericht, 3 - 4/1977, S. 15–34, hier S.
20; Öffentliche Haushalte 1977/78. Durchgreifender Kurswechsel in der Finanzpolitik erforderlich, in: DIW Wochenbericht, 36/1977, S. 311–319.
80 Vgl. DIW-Jahresbericht 2000, S. 18.
81 Hanau, Arthur: Die Prognose der Schweinepreise (= Sonderheft 7 der Vierteljahrshefte zur Konjunkturforschung), Berlin
1927. Siehe als Online-Dokument die 2., erw. Auflage von
1928 unter http://www.diw.de/sixcms/detail.php/43353
(20.04.2015).
99
82 Vgl. dazu: Schmitt, Günther (Hg.): Landwirtschaftliche
Marktforschung in Deutschland. Hanau zum 65. Geburtstag,
München 1967 (darin v. a. die Würdigung Hanaus durch Emil
Woermann); Plate, Roderich, Arthur Hanau, in: Buchholz, H.
E., u.a. (Hg.), Landwirtschaft und Markt. Arthur Hanau zum
80. Geburtstag, Hannover 1982, S. 7–20; ders., Arthur Hanau
zum Gedenken, in: Allg. Statist. Archiv 69 (1986), S. 411–413.
83 Vgl. Baade, Fritz: Schweinefibel, oder: Was jeder Bauer vor
dem Decken seiner Sauen bedenken muss, hg. von der Reichsforschungsstelle für landwirtschaftliches Marktwesen, Berlin
1929.
99 Übersicht über das SOEP. Leben in Deutschland. http://www/
de/diw_02.c.221178.de/ueber_uns.html (20.04.2015).
100 Bundesministerium für Bildung und Forschung: 25 Jahre
Leben in Deutschland – 25 Jahre Sozio-oekonomisches Panel,
Bonn/Berlin 2008, S. 26.
101 Trommsdorff, Gisela: 25 Wellen des Sozio-oekonomischen
Panels (SOEP): Gewinn für interdisziplinäre Forschung, in:
VJH 77/2008, S. 201.
102 Ebd., S. 40.
84 Vgl. http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w4_
bsb00000110_00282.html (20.04.2015).
103 Wagner, Gert G.: Die Längsschnittstudie Sozio-oekonomisches
Panel (SOEP) – Die Jahre von der Wende zur Jahrtausendwende,
in: Vjh 77/2008, S. 47, 54–57.
85 Zit. nach: Woermann, Emil, Arthur Hanau, in: Schmitt, Günther
(Hg.): Landwirtschaftliche Marktforschung in Deutschland.
Hanau zum 65. Geburtstag, S. 12.
104 Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung: 25 Jahre
Leben in Deutschland S. 26; Trommsdorff: 25 Wellen des
Sozio-oekonomischen Panels, S. 201.
86 Vgl. Plate, Roderich: Arthur Hanau zum Gedenken, S. 411–413.
105 Forschungsrating Soziologie, http://www.diw.de/de/
diw_02.c.222515.de/25_wellen_soep_2008.html
(20.04.2015). Datenbericht Soziologie, http://www.diw.
de/documents/dokumentenarchiv/17/diw_01.c.82786.de/
soep_forschungsrating2008.pdf (20.04.2015).
87 Vgl. dazu: Bruch, Rüdiger vom/Jahr, Christoph (Hg.): Die Berliner Universität in der NS-Zeit, Bd. I: Strukturen und Personen,
Stuttgart 2005, S. 223.
88 Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft sind – laut »Die Zeit«
– im Gründungsjahr neben dem DIW das Kieler Institut für
Weltwirtschaft, das Hamburgische Welt-Wirtschaftsarchiv, der
Bremer Ausschuss für Wirtschaftsforschung, das Münchner
Institut für Wirtschaftsforschung, das Rheinisch-Westfälische
Institut für praktische Wirtschaftsforschung (Essen), die
Sozialforschungsstelle der Universität Münster mit Sitz in
Dortmund, das Wirtschaftswissenschaftliche Institut der
Gewerkschaften (Köln), das Institut für landwirtschaftliche
Marktforschung (Völkenrode), die Forschungsstelle für allgemeine und textile Marktwirtschaft (Vreden), weiter das Statistische Amt des VWG (Wiesbaden) und die Bank Deutscher
Länder, schließlich das Deutsche Büro für Friedensfragen
(Stuttgart). Vgl. Die Zeit, Nr. 23, 9.6.1949.
89 Friedensburg: Wirtschaftsforschung, S. XIII.
90 Die Zeit, Nr. 23, 9.6.1949.
91 Vgl. dazu: Das Überraschungsei der Institute, in: Wiwo,
19.10.2004.
92 Die unbequemen Ratgeber, in: Die Zeit, Nr. 49, 8.12.1972.
93 Siehe dazu: Bünnagel, Doris: Frühjahrsgutachten. Prognose
mit Tradition. Zweimal im Jahr wagen Wissenschaftler eine
Vorhersage über das Wirtschaftswachstum, in: LeibnizJournal 2/2001, www.diw.de/sixcms/detail.php/39151
(20.04.2015).
94 Siehe dazu: Krengel, Rolf: Volkswirtschaftliche Input-OutputRechnung, Berlin 1953, S. 9.
95 Vgl. Grünig, Ferdinand: Die Anfänge der »Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung« in Deutschland, Berlin 1951, S. 81.
96 Vgl. Wagemann, Ernst: Konjunkturlehre; siehe auch: Grünig,
Anfänge, S. 80.
97 Vgl. dazu: Arndt, Klaus Dieter: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen als Instrument der Wirtschaftsbeobachtung
durch die deutschen wirtschaftswissenschaftlichen Institute,
in: Konjunkturpolitik – Zeitschrift für Konjunkturforschung 7
(1961), S. 280 f.
98 Siehe dazu: Stäglin, Reiner: Zur Input-Output-Rechnung in
der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bestandsaufnahme, in:
Empirische Wirtschaftsforschung. Festschrift für Rolf Krengel
aus Anlass seines 60. Geburtstages, Berlin 1980, S. 95.
100
106 Interview mit Joachim R. Frick und Jürgen Schupp: Transkript,
28.09.2011.
107 Vgl. Der Spiegel, 8.2.1971.
108 Siehe dazu: Hüttmann, Jens: DDR-Geschichte und ihre
Forscher. Akteure und Konjunkturen der bundesdeutschen
DDR-Forschung, Berlin 2008.
109 Siehe dazu: Krengel: Institut, S. 131 f., 141.
110 Vgl. Gloe, Markus: Planung für die deutsche Einheit. Der
Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung 1952 bis
1975, Wiesbaden 2005, S. 107 und 291.
111 Krengel, Institut, S. 208.
112 Siehe dazu: Gloe, Markus, Planung für die deutsche Einheit,
S. 152.
113 Vgl. Mitzscherling, Peter, Zweimal deutsche Sozialpolitik.
(Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Sonderheft
123), Berlin 1978, S. 6. Siehe dazu: Weidenfeld, Werner/
Korte, Karl-Rudolf, Handbuch zur Deutschen Einheit 19491989-1999, Frankfurt/New York 1999, S. 228.
114 Siehe beispielhaft die Kritik von Gernot Schneider im
Deutschland-Archiv 1984, die besonders auf die unterschiedlichen Funktionsmechanismen der Währung in beiden
Systemen aufmerksam macht (Schneider, Gernot: Ermittlung
innerdeutscher Verbrauchergeldparitäten, in: DeutschlandArchiv 18/1984, Bd. 9, S. 944–951, hier S. 946). Ausführlich
zur Problematik der DDR-Statistik am Beispiel des Lebenshaltungskostenindex: Schevardo, Jennifer: Vom Wert des Notwendigen (= Beiheft VSWG 185), München 2006. Siehe dazu auch
die scharfen Vorwürfe und bis ins Persönliche reichenden
Spekulationen bei: Lippe, Peter von der: Die gesamtwirtschaftlichen Leistungen der DDR-Wirtschaft in den offiziellen
Darstellungen. Die amtliche Statistik der DDR als Instrument
der Agitation und Propaganda der SED, in: Deutscher Bundestag (Hg.), Materialien der Enquete-Kommission »Aufarbeitung
von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland«,
Bd. II/3 (Machtstrukturen und Entscheidungsmechanismen
im SED-Staat und die Frage der Verantwortung), Baden-Baden,
und (als Taschenbuchausgabe) Suhrkamp Verlag, Bd. II, Teilbd.
2, 1995, S. 1973–2193, 2048.
115 Siehe dazu: Klinkmüller, Erich: Strukturelle Schwächen und
Stärken des Währungsgebietes der Mark, in: Fragen zur Reform der DDR-Wirtschaft. Tagungsband zur Sondertagung der
Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher
Forschungsinstitute e. V. in Bonn am 12. Februar 1990, Berlin
1990, S. 85–110, hier S. 94.
116 Vgl. beispielhaft: Zur Entwicklung der Energiewirtschaft im
Jahre 1937, in: DIW Wochenbericht, 5/1938; Regul, Rudolf
(unter Mitw. von Karl Georg Mahnke): Energiequellen der
Welt. Betrachtungen und Statistiken zur Energiewirtschaft
(= Sonderhefte des Instituts für Konjunkturforschung 44),
Berlin 1937.
117 Vgl. Koch, Käthe/Krengel, Rolf: Der Kostenfaktor Energie in
der westdeutschen Wirtschaft, Berlin 1962, S. 50 f.
118 Die Verknüpfung von Ölkrise und Umweltproblematik zeigt
beispielhaft: Dolinski, Urs/Ziesing, Hans-Joachim (unter Mitarbeit von Klaus-Dieter Labahn): Maßnahmen für eine sichere
und umweltverträgliche Energieversorgung (= Deutsches
Institut für Wirtschaftsforschung – Sonderheft 125), Berlin
1978.
119 Als Beispiel für frühe Arbeiten des Instituts zu Möglichkeiten
der steuerpolitischen Lenkung des Energieverbrauchs siehe:
Energiepolitik und Klimaschutz in Deutschland, in: DIW
Wochenbericht, 9/1994, S. 119–127.
120 Zu Möglichkeiten des Einsatzes erneuerbarer Energien siehe
die Gemeinschaftsarbeit von DIW und Fraunhofer-Institut
für Systemtechnik und Innovationsforschung Karlsruhe:
Erneuerbare Energiequellen. Abschätzung des Potenzials der
Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahr 2000, München/
Wien 1987.
ten für die Arbeitnehmerfreizügigkeit, in: DIW Wochenbericht,
31/2001, S. 477, 481.
132 Vgl. EU-Osterweiterung, Übergangsfristen führen zu Umlenkung der Migration nach Großbritannien und Irland, in: DIW
Wochenbericht, 22/2005, S. 353–359.
133 Siehe beispielhaft: Lemmen, Sarah: Eigentor für Deutschland?
Die Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und
ihre Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt (DGAP aktuell
5/2008); siehe auch: EU-Osterweiterung, Übergangsfristen,
S. 353–359.
134 Vgl. dazu: Bundeszentrale für politische Bildung, Zahlen und
Fakten: Globalisierung, http://www.bpb.de/wissen/Y6I2DP
(20.04.2015).
135 Vgl. Innovationspolitik, in: DIW Wochenbericht, 16/2007;
Belitz, Heike, Was bedeutet die Globalisierung der Industrieforschung für den Standort Deutschland?, in: DIW Wochenbericht, 18/2008.
136 Vgl. http://www.diw.de/de/diw_01.c.342317.de/themen_nachrichten/innovationsindikator_2009_%20deutschland_hat_aufholbedarf.html (20.04.2015).
137 http://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/
warum-prognosen-die-krise-verschaerft-haben;2208930
(20.04.2015).
138 Vgl. John Adam Tooze: Official Statistics and Economic
Governance in Interwar Germany, Dissertation an der London
School of Economics, 1996, Berechnungen des DIW Berlin.
139 Vgl. http://www.diw.de/documents/publikationen/73/
diw_01.c.396795.de/diw_1925_1945_erinnerung.pdf
121 Vgl. Ökosteuer – Sackgasse oder Königsweg. Wirtschaftliche
Auswirkungen einer ökologischen Steuerreform in Deutschland. Ein Gutachten des DIW Berlin für Greenpeace, Mai
1994. Online-Dokument unter
https://www.diw.de/sixcms/detail.php/43359 (20.04.2015).
122 Vgl. Die ökonomischen Kosten des Klimawandels, in: DIW
Wochenbericht, 42/2004; Klimawandel kostet die deutsche
Volkswirtschaft Milliarden, in: DIW Wochenbericht, 11/2007.
123 http://europa.eu/abc/keyfigures/sizeandpopulation/
index_de.htm (10.2.2010).
124 Online-Dokument unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent/DE/TXT/?uri=CELEX:11957E/TXT (20.04.2015).
125 Vgl. DIW-Jahresbericht 1958, S. 8.
126 Vgl. EG-Agrarpolitik – Zündstoff in einer erweiterten Gemeinschaft, in: DIW Wochenbericht, 24/1978, S. 238; Zur Frage
des Einflusses von Strukturunterschieden auf den Integrationsprozess in der Europäischen Gemeinschaft, in: DIW
Wochenbericht, 9/1973, S. 77–80; Stabilitätspolitik in der EG
und ihre Bedeutung für die Wirtschafts- und Währungsunion,
in: DIW Wochenbericht, 45/1973, S. 405–412, hier S. 411.
127 DIW-Jahresbericht 1993, S. 78.
128 Maastricht: Ausblendung Osteuropas ein Fehler, in: DIW
Wochenbericht, 15/1992, S. 190–193.
129 Vgl. Süddeutsche Zeitung, 23./24.7.2005, http://www.
sueddeutsche.de/kultur/681/407457/text/ (20.04.2015).
130 European Integration Consortium (DIW, CEPR, FIEF, IAS,
IGIER): The Impact of Eastern Enlargement on Employment
and Wages in the EU Member States, Berlin/Milano 2000.
131 Vgl. DIW-Jahresbericht 1999, S. 29, EU-Osterweiterung:
Abschottung oder regulierte Öffnung? Zu den Übergangsfris-
101
Leseempfehlungen zur vertiefenden Information
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rengel, Rolf: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin 1986.
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ulla, Bernd: Die Anfänge der empirischen Konjunkturforschung in Deutschland 1925–1933,
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Messer, Ralf und Wagner, Gert G.: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung als Beispiel für
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ooze, Adam: Thesen zur Geschichte des IfK/DIW 1925-1945, hg. vom Deutschen Institut für
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Wikipedia Commons: S. 16
103
»Bei aller Statistik und Mathematik müssen wir aber Ökonomen
oder besser Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler bleiben.«
Arthur Hanau war von 1927–1930 Mitarbeiter des „Instituts für Konjunkturforschung” (IfK) und Begründer
der landwirtschaftlichen Marktforschung in Deutschland. Der von ihm geprägte Begriff „Schweinezyklus”
ist auch heute noch als Beispiel für das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage lebendig.
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für Wirtschaftsforschung e. V.
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