Ausgabe 26 - Juni 2015

Nr. 26 | JUNI 2015
Zeitsouverän mit
selbstbestimmten
Arbeitszeiten?
Gleicher Lohn
für gleichwertige
Arbeit
Interview:
»Frauen
traut Euch!«
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in eigener sache
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INHALT
in eigener sache
Frauen entscheiden zu jeder Zeit
Cornelia Leunig Frauen entscheiden
zu jeder Zeit
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editorial
Heute für morgen Zeichen setzen
Edeltraud Glänzer
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titelthema
Die Grenzen der Freiheit: Zeitsouverän mit
selbstbestimmten Arbeitszeiten? entgeltanalyse
Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit chemietarifrunde 2015
Statements von Kommissionsmitgliedern gleichstellung
Gewerkschaftliche Pionierinnen
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6
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8
interview
»Frauen traut Euch!«
Im Gespräch mit Beate Bockelt
initiative
Arbeiten in Eigenregie
aktivitäten
Berichte aus den Landesbezirken
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aktuelles
Recht so:
Betriebsratswahl eine Frau zu viel?
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IMPRESSUM
Herausgeberin:
IG Bergbau, Chemie, Energie,
Hauptvorstand,
Abteilung Frauen/Gleichstellung
Königsworther Platz 6, 30167 Hannover
Tel. 0511 7 63 12 82, Fax 0511 7 63 17 08
E-Mail: [email protected]
Verantwortlich:
Edeltraud Glänzer
Das Jahr 2015 ist auch das Jahr vor dem nächsten
IG BCE-Frauentag. Vom 26. bis 28. Mai 2016 sind
Kolleginnen und Gäste eingeladen, neue Impulse
zu geben und zu bekommen, sich zu informieren,
über neue Herausforderungen zu diskutieren und
Anregungen aufzunehmen, welche Maßnahmen
in den Unternehmen entwickelt werden müssen,
um der Zeit im Leben eine neue Bedeutung zu geben. Unter dem Arbeitsmotto »Arbeit.Leben.Zeit«
Cornelia Leunig
können sie prüfen, von welchen »alten« VorstelLeiterin der Abteilung
lungen wir uns lösen müssen und was ZeitsouveFrauen/Gleichstellung
ränität bedeutet. Das wird sicher spannend. Hinweise gibt es schon jetzt, dass keine Zeit zu haben,
gestern war. Heute ist angesagt: sich Zeit zu nehmen. Zeit für sich, seine Familie.
Und auch die Arbeit findet darin ihren Platz.
In einer Arbeitswelt, in der Männer lange das Sagen hatten und noch immer
­haben, brauchen wir Vorreiterinnen, die selbstbewusst und unbeirrt ihren Weg
gingen und gehen. Frauen, die es in Kauf nehmen, einsam an der Spitze zu bleiben, um die Gleichstellung von Frauen und Männern voranzutreiben. Warum wir
so lange brauchen und noch immer nicht angekommen sind, hat mit Macht zu
tun. Kommt eine Frau in eine bestimmte Position, muss dafür ein Mann verzichten. Wer kennt schon den Mann, der das freiwillig macht? Es gibt ihn, natürlich,
aber zu einer Mehrheit gehört er, leider, noch nicht.
In und mit den Kolleginnen und Kollegen der IG BCE als starker Partnerin können wir punkten. Mit unserer Arbeit erreichen wir unsere Kolleginnen am Arbeitsplatz vielleicht nicht immer und sofort. Aber wenn wir den Diskurs eröffnen
und auf diese Frauen zugehen, wenn wir wissen, welche Interessen sie haben,
kann aus zwei Seiten ein Ganzes werden.
In Memoriam
In ihrem Leben waren sie starke Frauen. Ob als Betriebsratsvorsitzende, als
Mitglied des ehrenamtlichen Hauptvorstands oder als Gewerkschaftssekre­
tärin: Ihr Engagement spiegelt sich in ihren verantwortungsvollen Funktionen
wider. In unserer Erinnerung bleiben sie Vorbild.
In diesem Sinne haben wir Abschied genommen von
Roswitha Uhlemann,
Renate Behrendt,
Cornelia Stockhorst-Köthe.
Wo wir sind, sind auch sie.
Redaktion:
Petra Adolph, Julia Osterwald,
Cornelia Leunig, ­Ursula Salzburger
Bezirksfrauenausschuss München
Mitarbeit: Özlem Körber, Sabine Ruhland
Statement »Art. 23 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948«
Design, Satz & Druck:
BWH GmbH – Die Publishing Company
Beckstraße 10, 30457 Hannover
Fotos/Grafik:
Werner Bachmeier, Ebersb. (Titel); DDRockstar©fotolia (4);
yossarian6©fotolia, Ronny Mehne (6); [email protected],
Christian Burkert (7); boersenblatt.net (8); Yvonne Wolters (9);
by-studio©fotolia (10);­Sami Atwa/SoVD (11);
webdata©fotolia, AlienCat©fotolia, Sabine W
­ interwerber (12)
Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche
§ Arbeit.
Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entloh§ nung,
die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existentenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale
Schutzmaßnahmen.
Es gibt noch viel zu tun! Die Charta ist aktueller denn je.
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editorial
editorial
Liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen,
heute für morgen Zeichen
setzen! Das war nicht nur
das Motto des diesjährigen
Internationalen Frauentages
– der Leitgedanke ist aktueller denn je. Denn auch 2015 sind bereits wichtige Zeichen
gesetzt worden.
Das Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen
und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst ist verabschiedet worden. Damit müssen börsennotierte und voll mitbestimmungspflichtige Aufsichtsräte ab 2016 mit mindestens
30 Prozent Frauen besetzt sein. Wir begrüßen das Anliegen dieses Gesetzes, mehr Frauen in Führungspositionen
zu bekommen. Viel zu lange haben freiwillige Selbstverpflichtungen wenig Erfolg gebracht. Wir haben uns konstruktiv in die Debatten eingebracht und dabei deutlich
gemacht, dass die Förderung und Berücksichtigung gut
ausgebildeter Frauen die Unternehmensmitbestimmung
nicht unterlaufen darf. Auch deshalb haben wir immer gefordert, dass die Mitbestimmungsrechte für Betriebs­
rätinnen und Betriebsräten gestärkt werden müssen. Nun
gilt es nicht länger über die gesetzliche Regelung zu klagen, sondern an der Umsetzung zu arbeiten. Unser Tipp
an alle Arbeitnehmervertreter/-innen: Nutzt die nächste
Aufsichtsratssitzung und macht Euren Einfluss geltend.
Verlangt die verbindlichen Regelungen, die auf Euer Unternehmen zugeschnitten sind.
Und nutzt für die Umsetzung im Betrieb die Charta der
Gleichstellung. Auf dem letzten Frauentag verabschiedet,
ist sie zu einem wahren Erfolgsmodell geworden. Zahlreiche – auch börsennotierte – Unternehmen haben sich zu
den Grundsätzen und Zielen der IG BCE bekannt und
Maßnahmen zur betrieblichen Umsetzung auf den Weg gebracht. Wir glauben, dass sich die Debatte um die Quote
auch ganz hervorragend dazu eignet, die Charta und un­
sere Ziele weiterzuverfolgen.
Aktuell steht das Gesetzesvorhaben für mehr Entgeltgleichheit und Transparenz auf der Tagesordnung. Die zuständige Ministerin hat einen Entwurf noch vor der SomEdeltraud Glänzer
stellvertretende
Vorsitzende der IG BCE
ausgabe 26 | Juni 2015
merpause angekündigt. Und auch hier können wir mit
Stolz sagen, dass wir »gut unterwegs sind«. Überall dort,
wo es Tarifverträge und starke Betriebsrätinnen und Betriebsräte gibt, sind die Unterschiede deutlich geringer. Wir
haben in verschiedenen Unternehmen Entgeltanalysen
durchgeführt und sind den Ursachen auf den Grund gegangen. Außerdem haben wir unsere Kompetenzen und
Erfahrungen in den Beirat Logib-D eingebracht. Wir müssen uns also nicht verstecken und werden auch hier deutlich machen, dass eine Stärkung der Mitbestimmung zu
mehr Gerechtigkeit führt.
Maßnahmen, wie zum Beispiel das neue ElterngeldPlus,
sorgen für mehr Partnerschaftlichkeit. Auch diese Regelungen tragen zu besseren Rahmenbedingungen für mehr
Chancengleichheit bei. Mit der neuen Regelung ist es für
Mütter und Väter nun einfacher, Elterngeldbezug und Teilzeitarbeit miteinander zu kombinieren. Eltern, die früh in
Teilzeit wieder in den Beruf einsteigen wollen, bekommen
länger finanzielle Unterstützung und gewinnen so Zeit für
die Familie. Außerdem wird die Elternzeit flexibler. Bis zu
24 Monate zwischen dem dritten und achten Geburtstag
des Kindes können ohne Zustimmung des Arbeitgebers
genommen werden. Wir haben dieses Anliegen mit vorangetrieben.
Die IG BCE ist eine starke Organisation – und das seit
125 Jahren. In diesem Jahr schauen wir auf eine wechselvolle und erfolgreiche Geschichte zurück und wollen
­feiern: unsere Stärken, unsere Erfolge und unsere zahlreichen ehrenamtlich Aktiven. Ihr habt unserer Gewerkschaft Gesicht und Stimme gegeben, und Ihr seid ein wesentlicher Teil unserer Erfolgsgeschichte.
Wir sehen uns am 19. September beim Familienfest in
­Essen.
Eure
Edeltraud Glänzer
4
titelthema
Die Grenzen der Freiheit:
ZEITSOUVERÄN
mit selbstbestimmten Arbeitszeiten?
Ob es sich um die Betreuung der Kinder, die Pflege der Eltern oder die
berufsbegleitende Weiter­bildung handelt – flexible Arbeitszeiten schaffen
Freiräume und ­ermöglichen es den Beschäftigten, Arbeit und Privates unter
einen Hut zu bringen. Selbstbestimmte Arbeitszeiten ver­mitteln ein Gefühl
von Freiheit und Kontrolle, versprechen Zeitsouve­ränität. ­Beschäftigte mit
diesen Arbeitszeiten müssten also ein recht entspanntes (Arbeits-)Leben
haben. Oder?
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titelthema
editorial
H
err und Herrin über seine Ar­beitszeit sein. Ein Traum?
Nicht unbedingt. Im Vergleich zu ihren Kolleginnen und
Kollegen mit festen Arbeitszeiten besteht für Beschäftigte
mit selbstbestimmten Arbeitszeiten nämlich trotz ihrer Autonomie ein höheres Risiko, härter und mehr zu arbeiten. In der Arbeitsmarktforschung nennt sich dieses Phänomen das »Autonomie-Kontrolle-Paradoxon« (Widerspruch von Selbstständigkeit
und Kontrolle). Ein wesentlicher Antreiber dabei ist die in der
Arbeitsmarkt- und Sozialforschung sogenannte Norm der idealen
Arbeitskraft: Die ideale Arbeitskraft arbeitet in Vollzeit, hat keine
Verpflichtungen außerhalb der Arbeit und steht dem Betrieb uneingeschränkt zu Verfügung. Sie dient Vorgesetzen und Beschäftigten häufig als Maßstab, den sie an ihre Kolleginnen und Kollegen ansetzen, die wiederum diese Ansprüche übernehmen und
auf sich selbst anwenden. Wenn auch indirekt, übt der Betrieb so
doch Kontrolle über die Beschäftigten aus. Zeitsouverän? Sind
diese Beschäftigten also nur bedingt.
Männer scheinen ein höheres Risiko für Selbstausbeutung zu haben als Frauen, letztere verlängern ihre Arbeitszeiten bei fehlenden zeitlichen Grenzen weniger. Erklärt werden kann dieser
Unterschied unter anderem mit der ungleichen Verteilung von unbezahlter Arbeit zwischen Frauen und Männern. In erster ­Linie
reduzieren Frauen ihre Arbeitszeit, um Verpflichtungen oder Interessen in anderen Lebensbereichen nachkommen zu können, sie
übernehmen nach wie vor den größten Teil der Hausarbeit, Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen. Diese Aufgaben setzen zeitliche Grenzen, an die die Arbeitszeit angepasst werden
muss. Männer haben hingegen häufiger eine Partnerin, die ihnen
den Rücken frei hält. Für sie ist es daher weniger problematisch,
auch mal länger zu arbeiten. Zudem wird vor allem von Männern
erwartet, dass sie den größten Teil ihrer Zeit und Energie in Erwerbsarbeit investieren. Während es bei Frauen akzeptiert ist, Erwerbsarbeit wegen privater Angelegenheiten zurückstellen, werden Männer, die längere Auszeiten nehmen oder in Teilzeit
arbeiten, auf der Arbeit häufig schief angesehen. Auch aus diesen
Gründen sind Frauen sehr viel öfter in Teilzeit beschäftigt als
Männer (gemäß dem Gender Daten Portal des Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung
knapp 58 Prozent der erwerbstätigen Frauen und sogar 69 Prozent der erwerbstätigen Mütter). Sie gelten damit aber auch wiederum nicht als ideale Arbeitskräfte und unterliegen weniger den
antreibenden Erwartungen, die das Arbeitsumfeld an diese Beschäftigten stellt, vor allem an Männer und Frauen, die trotz familiärer Verpflichtungen in Vollzeit arbeiten.
Aber auch von der sonstigen Arbeitsorganisation hängt ab, ob Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tatsächlich zeitsouverän mit
selbstbestimmten Arbeitszeiten sind: Beschäftigte arbeiten beispielsweise mehr und intensiver, wenn sie selbstbestimmte Arbeitszeiten haben und gleichzeitig Bonuszahlungen erhalten. Die
finanzielle Entlohnung von erbrachten Leistungen schränkt die
Zeitsouveränität ein. Und auch in unterschiedlichen Ländern sind
selbstbestimmte Arbeitszeiten in unterschiedlichen Maße mit
Zeitsouveränität verbunden: In den Niederlanden beispielsweise
ausgabe 26 | Juni 2015
haben die Beschäftigten eine gute Work-Life-Balance, weil die Arbeitszeit im Interesse der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen
flexibilisiert wurde: durch die Ausweitung der Teilzeitarbeit, eine
Reform der Sozialleistungen und die Begrenzung der Lohnentwicklung. In Großbritannien und Deutschland hingegen, wo die
Arbeitszeit im Interesse der Arbeitgeber flexibilisiert ist, ein hoher Rationalisierungsdruck bei hohen Arbeitskosten herrscht, gehen selbstbestimmte Arbeitszeiten eher zulasten der Beschäftigten: sie arbeiten mehr und länger, um mehr Arbeit in gleicher
Zeit zu schaffen. Und nicht nur das: In beiden Ländern, deren Arbeitsmarkt- und Familienpolitik vorwiegend die Vollzeitarbeit
von Männern fördert, sind Männer weniger zeitsouverän mit
selbstbestimmten Arbeitszeiten als etwa in Schweden oder den
Niederlanden. In den Niederlanden ist es nicht nur für Frauen,
sondern auch für Männer, normaler, in Teilzeit zu arbeiten. Diese
gelockerte Vollzeitnorm unterstützt die Zeitsouveränität.
Sowohl Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik als auch die betriebliche
Arbeitsorganisation prägen also die Wirkung von selbstbestimmten Arbeitszeiten. Gewerkschaften und Mitbestimmung haben damit die Möglichkeit und, mehr noch, die Aufgabe, die Flexibilisierung der Arbeitszeit im Interesse der Beschäftigten zu gestalten.
Sie müssen für eine Arbeitsorganisation sorgen, die die Vorteile
von selbstbestimmten Arbeitszeiten, nämlich Autonomie und
Kontrolle über die Arbeit, zur Geltung bringt. Und schließlich
sollten Gewerkschaften und Betriebsräte eine Betriebskultur
­befördern, in der Beschäftigte selbstbestimmte Arbeitszeiten für
ihre Aktivitäten außerhalb der Arbeit tatsächlich auch nutzen
können. Es gilt, die Vollzeitnorm aufzubrechen und für eine »Normalität« von Arbeitszeiten zu sorgen, die den zeitlichen Bedürfnissen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern tatsächlich
entsprechen.
Dr. Yvonne Lott ist
Soziologin und
w
­ issenschaftliche
Mitarbeiterin am WSI
in der Hans-BöcklerStiftung. Dort forscht
sie zu Arbeitszeiten,
zur Arbeitsorgani­sation
und zu Lebensver­
läufen von Beschäftigten. Geschlechtergleichheit ist dabei
stets im Zentrum ihres
Interesses.
Dr. Yvonne Lott
Wirtschafts- und Sozial­
wissenschaftliches
Institut (WSI)
6
entgeltanalyse
ȆBER GELD SPRICHT FRAU
NICHT – MAN(N) HAT ES!«
So könnte man die Entgeltdifferenz
von 22 Prozent zwischen Frauen
und Männern in Deutschland salopp
er­klären. Aber ist das auch die Realität
in den Unternehmen der Bayer AG?
Um diese Frage zu klären, wurden auf
Initiative von Gesamt­betriebsrat und
Arbeit­geber Entgeltanalysen in drei
Bayer-Gesell­schaften mit einem Frauenanteil zwischen 21 und 37 Prozent
durchgeführt. Maßgebliche Treiberinnen dabei waren Roswitha Süßelbeck und Andrea Holstein-Wagner.
Gleicher Lohn für
gleichwertige Arbeit
Grundlage für die auf dem Ana­
lyseinstrument »Logib-D« (kurz für
»Lohngleichheit im Betrieb –
Deutschland«) basierende Unter­
suchung bildeten die Daten von
rund 4.200 Tarifbeschäftigten, ATsowie leitenden Angestellten.
Das Gesamtergebnis der Analyse
zeigt: Es gibt eine bereinigte* Entgeltlücke von 0,6 bis 1,7 Prozent.
Die unbereinigte Entgeltlücke liegt
zwischen 13 und 22 Prozent. Heißt:
Ausgehend von den bereinigten
Roswitha Süßelbeck
Zahlen erhalten Frauen und Mänstellv. Betriebsratsvor­
ner in den beteiligten Gesellschafsitzende Bayer AG
ten gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit. Guckt man auf die unbereinigten Zahlen und auf deren
Zustandekommen ist festzustellen: Den vergleichsweise größten
Einfluss auf die Entgeltdifferenz hat das Anforderungsniveau.
Anders ausgedrückt: Je weniger
­
Frauen als Männer in hoch qualifizierten Tätigkeiten vertreten sind,
desto höher ist die Entgeltdifferenz.
Dagegen haben Ausbildung, berufliche Stellung und der Teilzeitfaktor
nur sehr geringen Einfluss. Es muss
also ein größerer Fokus auf die
Entwicklung von Frauen in an­
spruchsvolleren Tätigkeiten und
Führungsfunktionen gelegt werden.
Die Anwendung des Bundesentgelttarifvertrages trägt mit Sicherheit
dazu bei, die Lohnunterschiede zwiAndrea Holstein-Wagner
schen Frauen und Männern zu verMitglied im Betriebsrat
ringern, reicht aber allein nicht aus.
Bayer AG
Für zwei Gesellschaften wurde vereinbart, eine vergleichbare Entgeltanalyse wieder in drei Jahren durchzuführen.
Bernd Naaf, Arbeitsdirektor der
Bayer CropScience AG:
Ich freue mich über das positive Ergebnis. Wir werden weiter an Ver­
besserungen der Rahmenbedingungen arbeiten. Mit einer Vielzahl
von Teilzeitmodellen und unserer Kinder­tagesstätte soll eine schnel­
lere Rückkehr von Frauen in den Beruf ermöglicht werden. Auch die
Erhöhung des Frauenanteils in leitenden Positionen wird ein Schwer­
punkt unserer Personalarbeit sein.
Roswitha Süßelbeck, stellvertretende BayerBetriebs­rats­vorsitzende am Standort ­Leverkusen:
Die Resultate sind eine Bestätigung unserer jahrelangen Arbeit, um
die Chancengleichheit zu verbessern und Diversity zu fördern. Es
lohnt sich, Entgeltanalysen durchzuführen, um an vergleichbaren
Zahlen die Situation in den Unternehmen zu bewerten und Maßnah­
men zur Entgeltgleichheit von Frauen und Männern mit dem Arbeit­
geber zu vereinbaren. Spekulationen kosten Energie und Zeit und füh­
ren nicht zu mehr Entgeltgleichheit.
Zur Ermittlung der unbereinigten Entgeltlücke werden die durch­
schnittlichen Entgelte aller erwerbstätigen Frauen und Männer
miteinander ver­glichen, ohne dass dabei Ausbildung, Betriebs­
zuge­hörigkeit, potenzielle Erwerbstätigkeit, berufliche Stellung
und Ausbildungs­niveau berücksichtigt werden.
Die bereinigte Entgeltlücke ergibt sich, indem die durchschnitt­
lichen Entgelte von Frauen und Männern mit denselben Merk­
malen wie gleicher Anzahl an Ausbildungsjahren, gleicher
Betriebs­zuge­hörigkeitsdauer sowie gleichem Anforderungsniveau
oder gleicher beruflicher Stellung verglichen werden.
www.logib-d.de
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chemietarifrunde
2015
editorial
STATEMENTS VON KOMMISSIONSMITGLIEDERN
Ich fand es spannend, die Verhand­
lungen als Bundestarifkommissions­
mitglied zum ersten Mal live mitzuerle­
ben. Diese Tarifrunde ist viel heftiger
verlaufen, als die letzten Jahre. Die pro­
vokante Haltung der Arbeitgeberseite
konnte dank der bundesweiten Prote­
staktionen, in ­denen rund 100.000 Kol­
leginnen und ­Kollegen ihren Forde­
rungen Nachdruck verliehen,
aufgebrochen werden. Besonders wich­
tig war mir die Weiterführung des De­
mografie-Tarifvertrags, da wir bei
­Bayer dazu gute Vereinbarungen abge­
schlossen haben, die nur so weiter ge­
Marianne Maehl
führt werden können. Das kommt nicht
Bayer CropScience AG
nur den älteren Kolleginnen und Kolle­
Frankfurt
gen zugute, sondern auch den ganz jun­
gen, da wir über die Demografie-Vereinbarung vermehrt Auszubildende
übernehmen k­ önnen. Eine drei vor dem Komma wäre toll gewesen, und
auch eine kürzere Laufzeit. Die 40 Euro mehr für die Auszubildenden und
die neue Regelung mit insgesamt 412 Euro mehr für Demografie sind echt
gut, daher mussten wir in der Entgeltfrage einen Kompromiss eingehen.
Bei der nächsten Tarifrunde im Sommer 2016 aber geht es nur ums Geld!
Um dann ein noch besseres Ergebnis erzielen zu können, brauchen wir noch
mehr Unterstützung aus den Betrieben. Wenn ich meinen Eindruck aus
dieser Tarifrunde zusammenfassen soll? Eine spannende Runde mit vielen
tollen ­Aktionen vor Ort!
Für mich war es wichtig, bei den
Verhandlungen dabei zu sein. So konnte
ich zum einen die Forderung der Be­
schäftigen direkt einbringen und zum
anderen den Verhandlungsverlauf, die
Stimmung und das Verhandlungsergeb­
nis zurückspiegeln.
Besonders am Herzen lag mir das The­
ma »Generationentandem«. Dies ist ein
guter Einstieg, um den Älteren einen
gleitenden Ausstieg aus dem Job zu er­
möglichen und gleichzeitig eine Zu­
kunftsperspektive für die jüngeren Be­
schäftigten zu schaffen. In den
diesjährigen Verhandlungen konnten
Alexandra Friedrich
wir uns hier auf kein Ergebnis einigen.
B. Braun AG
Die weitere Finanzierung des Demogra­
Melsungen
fiefonds ist ein klarer Erfolg und ein
wichtiger Grundstein für die zukünftigen Diskussio­nen des Generations­
tandems. Rückblickend fand ich es erschreckend, wie die Arbeitgeber uns
unterstellt haben, wir würden Frühverrentungsmodelle vorantreiben wol­
len. Denn eines ist doch klar: 2008 wurde das Fundament für die Demogra­
fiefonds geschaffen, beide Seiten haben die Notwendigkeit dafür gesehen
und einen zukunftsweisenden Schritt getätigt. Jetzt ging es darum, einen
weiteren zukunftsweisenden Schritt zu machen. Die Arbeitgeber haben vor
den Verhandlungen nicht ihre Hausaufgaben gemacht und sich mit der
Thematik auseinandergesetzt. Dies muss sich für die nächsten Verhand­
lungen ändern. Mein Dank gilt allen, die sich für unsere Forderungen ein­
gesetzt haben, denn die Teilnahme an den vielen Aktionen hat mir wieder
bestätigt, dass wir eine starke Gewerkschaft sind.
ausgabe 26 | Juni 2015
Es war eine Ehre, entsendet zu sein.
Eine Chance, die natürlich auch mit
großer Verantwortung verbunden ist.
Live dabei zu sein und hinter die Ku­
lissen blicken zu können, hat mir einen
noch besseren Zugang zur Gewerk­
schaft und zum Ergebnis verschafft.
Ich kann mich jetzt besser identifizie­
ren. Und es hat mir erleichtert, un­
seren Azubis das Ergebnis vermitteln
zu können. Für sie habe ich mir mehr
Geld gewünscht. Was sie bisher hatten,
ist knapp bemessen. Junge Leute sollen
mobil sein, aber sie müssen es sich
auch leisten können. Und die Entwick­
Maria-Lucia Amoddeo
lung des Demografie-Fonds war mir
BASF SE
wichtig. Auch wir als »junge Genera­
Ludwigshafen
tion« dürfen bei diesem Thema nicht
vergessen werden. Wir möchten nicht nur für die Alten einsteigen, sondern
auch von ihnen lernen können. Darüber, was im schlimms­ten Fall am En­
de der Tarifrunde als Ergebnis hätte herauskommen können, wollten wir
uns vorher innerhalb der Jugend gar nicht den Kopf zerbrechen. Wir ha­
ben unsere Forderungen gut überlegt, gut begründet und für realistisch
gehalten. Deswegen haben wir positiv gedacht, dass wir forderungsnah
abschließen. In der BASF-Belegschaft war die Stimmung angespannt,
die Leute waren enttäuscht. Sie haben sich über die Aussagen der Arbeit­
geber geärgert, fanden sie realitätsfern. Die Leute arbeiten hart, sind
abends geschafft und dann hören sie, dass ihre Forderungen nach mehr
Geld und mehr Entlastung nicht ernst genommen werden. Sie fühlen sich
dadurch wenig wertgeschätzt. Verglichen mit vorherigen Tarifrunden
war der Ton unter der Gürtellinie. Es war eine Geizrunde, die großen Är­
ger und große Betroffenheit ausgelöst hat. Aber wir waren bereit zu
kämpfen. Mit den 40 Euro mehr für unsere Azubis sind wir auf jeden
Fall sehr zufrieden, das ist ein super Ergebnis. Aber auch beim Demogra­
fie-Thema haben wir als Jugend jetzt eine riesige Chance, mitzugestalten.
Ich war in Vertretung für die
Belegschaft hier, das bedeutet mir
viel. Es ist eine verantwortungsvolle
Aufgabe, den Beschäftigten die Ergeb­
nisse zu vermitteln und deren Zustan­
dekommen zu erklären. Die unter­
schiedlichen Themen spielen ja für sie
differenzierte Rollen.
Eine vernünftige Vergütung für die
Azubis fand ich wichtig. Ich sehe sonst
Probleme, in der Zukunft noch Ausbil­
dungsplätze zu besetzen. Entsprechend
wichtig war und ist mir auch die De­
mografie-Frage, denn sie betrifft alle.
Wir haben mit dem ersten Abschluss
Manuela Strauch
vor zehn Jahren einen Wegweiser ge­
Lanxess Deutschland
schaffen. Grundsätzlich habe ich die
GmbH Krefeld
Verhandlungen in diesem Jahr als
schwieriger empfunden als in der Vergangenheit. Die Arbeitgeber haben
sich nicht besonders verhandlungsbereit gezeigt. Die IG BCE steht für re­
alistische, differenzierte Forderungen und gute Sozial­partnerschaft.
Demgegenüber waren die Arbeitgeber sehr, sehr verhalten. Mir scheint es
so, als hätte es einen Trend gegeben, das wirtschaftliche Risiko auf die
Arbeitnehmerseite abzuwälzen. Aufgrund des Einsatzes der vielen Men­
schen, die auf die Straßen gegangen sind, war überhaupt ein Ergebnis
möglich. Dafür bedanke ich mich bei allen Mitgliedern ganz herzlich. Es
war ein hart erkämpfter Abschluss.
8
gleichstellung
Gewerkschaftliche
Pionierinnen
VON DR. SIBYLLE PLOGSTEDT
Frauen standen immer Seite an Seite mit ihren Kollegen und vertraten
gemeinsam mit ihnen die Interessen von Frauen und Männern. Ohne ihr
Engagement könnten wir heute nicht von Erfolgen reden und mit guten Beispielen arbeiten. Dafür sind wir ihnen dankbar. Die IG BCE feiert in diesem
Jahr ihr 125-jähriges Jubiläum. Anlass genug, die aktive Frauenpolitik innerhalb der Gewerkschaftsbewegung zu würdigen.
Dr. Sibylle Plogstedt
»Mut« stammt von »sich mühen«. Er spricht
die Seele an, den Geist, das Denken, das
Empfinden. Mut ist mit Kraft verbunden
und der Bereitschaft, sich zu erproben. Auch
und vor allem auf dem Berufsweg. Töchter
aus Arbeiterfamilien waren da Pionierinnen.
Und die Gewerkschaften lange die einzige
Möglichkeit für einen beruflichen Aufstieg.
Diese sind legendär geworden:
Maria Weber (1919–2002), von ihren
Gefährtinnen als Kumpeltyp und »harter
Knochen« bezeichnet, entstammte einer
katholischen Bergarbeiterfamilie. Ihren
Lehrberuf Schneiderin mochte sie nicht,
wollte Ärztin werden. Stattdessen begann
sie, die Gesellschaft zu kurieren. Sie arbeitete als Telefonistin in einem Chemiebetrieb, wurde Mitglied der IG Chemie. Später besuchte sie die ­
gewerkschaftlichen
Akademien, wurde Hauptamtliche, Betriebsratsvorsitzende und schließlich erste
stellvertretende Vorsitzende im DGB. Keine
Frau brachte es dort bisher weiter als sie,
die zu den Begründerinnen der Frauen­
arbeit in den Gewerkschaften gehört.
Webers Gegenspielerin im DGB war
­Babette Rögner (1905–1992). Ihr Vater,
der Arbeiter Georg Krämer, wurde 1923 ermordet, ihr Mann befand sich zeitweise in
Gestapohaft, weil er sozialdemokratische
Schriften verteilte. Die gelernte Schuhstepperin war schon vor 1933 Betriebsrätin
und 1949 eine der wenigen weiblichen Delegierten auf dem DGB-Gründungskongress in München. 1950 wurde sie Vorstandsmitglied im geschäftsführenden Vorstand der Gewerkschaft Leder. Als Weber
1956 für den Vorstand des DGB kandidierte, wurde sie von den Sozialdemokratinnen als Gegenkandidatin nominiert,
scheiterte aber daran, dass im Sinne der
Einheitsgewerkschaft entschieden wurde,
die DGB-Vorstandsfrau müsse der CDU angehören.
Rose Marquardt (1907–2005) gilt als
»Stammmutter« innerhalb der IG Chemie.
Die Tochter eines ungelernten, bildungshungrigen Arbeiters begann mit der
Frauenarbeit schon bevor die Nazis die
­
Gewerkschaftshäuser erstürmten. Mutig
­
versteckte sie Mitgliedslisten und Beitragsmarken, Geld und Maschinen vor den
­Nazis. Nach dem Krieg begann sie zunächst
als Sekretärin von Otto Adler, der 1946
zum Vorsitzenden der IG Chemie-PapierKeramik gewählt und kurz vor seinem Tod
(12. Dezember 1948) erneut in diesem Amt
bestätigt wurde. Nach seinem Tod übernahm sie erneut die Frauenarbeit.
Legendär ist auch Marlies Kutsch (1919–
1989), die Leiterin der Frauenabteilung in
der IG Bergbau und Energie. Sie galt als
aktive Gewerkschafterin, der es sogar gelang, die Ehefrauen der Bergarbeiter zu organisieren. Sie kooperierte mit Maria Weber und galt als graue Eminenz im
DGB-Bundesfrauenausschuss. Die SPDGewerkschafterin gründete über ihre Gewerkschaftsarbeit hinaus den Verband alleinstehender berufstätiger Frauen und war
im Deutschen Frauenrat aktiv. Sie leitete
die bundesweit erste Gleichstellungsbehörde im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit und zählte zu den
Strateginnen in der gewerkschaftlichen
Frauenpolitik, die ihr die Frauenbeauftragten und deren Abgrenzung von den Betriebsräten verdankt.
Gründerinnen haben viel durchlebt. Trotzdem blieben sie wachen Geistes, um Frauen­
politik und Demokratie in Gewerkschaften
und Gesellschaft voranzutreiben.
»Mit vereinten Kräften – Zur Gleichstellungsarbeit der DGB-Frauen in Ost
und West (1990–2010).«
Verlag Psychosozial, 19,90 € (erschien
im März 2015)
9
interview
editorial
»Frauen,
traut Euch!«
Beate Bockelt (51), Gesamtbetriebsratsvorsitzende bei Sanofi Aventis
und Mitglied im Hoechst-Aufsichtsrat sowie Mitglied im ehrenamtlichen
Hauptvorstand der IG BCE. Engagement liegt ihr im Blut.
Du bist in diversen gewerkschaftlichen Funktionen aktiv, hast eine
bis 1982 ­zurückreichende Aktiven-­
Biographie. Was treibt Dich an?
Ich engagiere mich gerne für andere. Und
ich habe einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Ich glaube, er ist vor allem der
Grund für mein Engagement. Ich war
schon in der Schule Klassensprecherin. In
der Berufsgruppe aktiv zu sein, mich als
Vertrauensfrau zu engagieren, das passte zu
meiner Persönlichkeit. Und nachdem ich
einmal aktiv und in die Gewerkschaft reingewachsen war, ergab sich für mich das
­eine aus dem anderen.
Jetzt bist Du außerdem im ehrenamtlichen Hauptvorstand der IG BCE
und im Hoechst-Aufsichtsrat . . .
Ich wollte mehr bewegen können und auch
mehr Verantwortung übernehmen. Das
war die Grundlage dafür, dass ich Entscheidungen für weitere Mandate treffen
konnte.
Was hat Dich gereizt?
Über die Arbeit im ehrenamtlichen Hauptvorstand bestimme ich mit, wohin es mit
der Organisation in den nächsten Jahren
gehen soll und trage strategische Entscheidungen mit. Das interessiert mich. Ich er-
ausgabe 26 | Juni 2015
weitere ständig mein Wissen. Über den
Aufsichtsratsposten nehme ich Einfluss auf
Unternehmensentscheidungen und setze
strategische Akzente. Das finde ich spannend. Ich kann im Sinne des Standortes
und der Kolleginnen und Kollegen Einfluss
darauf nehmen, dass unser gutes Niveau
erhalten bleibt. Ich möchte, dass es unseren
Beschäftigten und ihren Kindern auch
noch in 20 Jahren gut geht. Das ist eine
verantwortungsvolle Aufgabe.
Immer wieder wird bemängelt, dass
Frauen verantwortungsvolle Posten
übernehmen. Hat das »Frau-Sein« in
Deinen Entscheidungen je eine Rolle
gespielt?
Nein. Ich bin glücklicherweise in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem es nie hieß
»Tu dies nicht!« oder »Du kannst das nicht,
weil Du ein Mädchen bist«.
Warum fällt es anderen Frauen
schwer?
Frauen sind zögerlicher als Männer. Sie
überlegen lieber ein zweites Mal, bevor sie
eine Entscheidung treffen. Ich würde ihnen
am liebsten sagen: »Traut Euch etwas zu!
Nehmt ein Scheitern in Kauf, das passierte
anderen auch.«
Beate Bockelt
Gesamtbetriebsrats­
vorsitzende,
Sanofi Aventis
Ist der Aufsichtsrat eine
Männerdomäne?
Zumindest nicht bei uns. Etliche französische Kollegen auf der Arbeitgeberseite
sind noch von der »alten Garde«, die hatten
anfangs Probleme mit den relativ vielen
Frauen auf der Arbeitnehmerbank. Aber
mit der Zeit haben sie festgestellt, dass die
genauso kompetent sind. Und mittlerweile
gibt es auch zwei Frauen auf der Arbeitgeberseite, die sehr qualifiziert sind und
keine »Alibifrauen«.
Hältst Du eine Frauenquote für
Aufsichtsräte für sinnvoll?
Früher hätte ich mit »nein« geantwortet.
Ich dachte, dann hängt frau immer der
­Makel »Quotenfrau« an. Aber die ganzen
freiwilligen Selbstverpflichtungen der vergangenen Jahre haben unterm Strich nichts
gebracht. Deshalb ist die Quote sicher eine
gute Türöffnerin bis sich die Erkenntnis
durchgesetzt hat, dass Frauen doch was
können.
Was können Frauen?
Sie springen leichter über ihren Schatten.
Ihnen fällt es leichter, in kniffligen Situa­
tionen im Interesse der Sache zuzugeben,
wenn sie einen Fehler gemacht haben.
Julia Osterwald
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initiative
OFFENSIVE FRAUEN –
Arbeitszeitregime
Im Rahmen der Offensive Frauen wurden Interviews mit Frauen im Büro, im Labor und in der Produktion
geführt. Ein Thema, welches die Frauen immer wieder angesprochen haben, ist die Arbeitszeit im Hinblick
auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
G
roßen Herausforderungen sehen sich insbesondere alleinerziehende Mütter gegenübergestellt. So berichtet eine
­Alleinerziehende: »Der Kindergarten schließt, bevor ich meine
Arbeitszeit erfüllt habe. Zum Glück kenne ich die Kindergärtnerin privat. Die passt auf meinen Sohn auf, bis ich ihn bei
ihr abholen kann!«
Arbeiten die Frauen in flexiblen Arbeitszeitregimen, können sie
die beruflichen Anforderungen und die privaten Belange überwiegend gut miteinander vereinbaren. Insbesondere die Frauen im Labor verfügen über ein hohes Maß an Autonomie. Sie gestalten ihre
Arbeitsabläufe weitestgehend autark. Herausforderungen treten
dann auf, wenn erstens das private Netzwerk (Familie, Freunde)
nicht unterstützt und zweitens die Institutionen der Kinderbetreuung nicht ausreichend große Zeitfenster anbieten. Die Herausforderungen werden dann überwiegend privat gelöst. Betriebsrätinnen und Betriebsräte finden unter Einbindung der betroffenen
Frauen gute Lösungen, um die Lage hinsichtlich der Vereinbarkeit
von Beruf und Familie zu erleichtern.
Arbeiten die Frauen in Teilzeit, beispielsweise um die Kinderbetreuung zu gewährleisten, treten sekundäre Effekte auf: Frauen in
Teilzeit werden systematisch bei der Weiterbildung und Förderung
benachteiligt. Zum einen liegt dies an der strukturellen Planung
der Weiterbildung, zum anderen an der Förderungsbereitschaft
durch die Vorgesetzten. So werden Frauen in Teilzeit überwiegend
als nicht vollwertige Arbeitnehmerinnen wahrgenommen. Auch
setzen sich die Frauen selbst unter Druck. Sie möchten ihre Arbeit
gut erledigen und den Erwartungen des/der Vorgesetzen und der
Kolleg(inn)en entsprechen. Mit der reduzierten Arbeitszeit steigt
hierdurch die Arbeitsintensität an. Themen sind folglich die Arbeitsplanung und die Bestimmung des Arbeitsvolumens in der Arbeitsstunde sowie die Gestaltung von Weiterbildung.
Frauen, die in der Produktion in Schichtarbeit tätig sind und Kinder erziehen, sind besonders belastet. So ist die Schichtarbeit an
sich bereits eine erhebliche Belastung mit Auswirkungen auf die
Gesundheit und die private Lebensführung. Mit Familienanhang
werden die Belastungen potenziert. Der Tagesablauf der Frauen ist
strikt um die Schichtarbeit organisiert. Abweichungen von der üblichen Routine, beispielsweise die Ankündigung von Mehrarbeit
oder das An- bzw. Absagen von Schichten, führen zu einem erheblichen Organisationsaufwand für die Frauen. Manchmal ist es nur
der verpasste Bus, der den restlichen Tagesablauf durch­einander
wirft. Die Folge ist Stress in ungesundem Umfang. Dies gilt es bei
der Arbeitsplanung zu berücksichtigen. Betriebsrätinnen und Betriebsräte sind aufgefordert, dies bei den Verantwortlichen zu thematisieren und Lösungen zur Entlastung anzubieten.
Weitere Informationen bezüglich der Analyseergebnisse und
Instrumente zur Umsetzung sind erhältlich bei:
Abteilung Politische Schwerpunktgruppen – Offensive Frauen,
Marion Hackenthal,
[email protected], Tel. 0511 76 31 386.
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aktivitäten
editorial
Die IG BCE war und ist in vielen Themen Trendsetterin. Wir freuen uns, wenn
wir unsere Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben davon überzeugen
können, dass wir gute Arbeit in den Betrieben gestalten. Eine Auswahl an
Beispielen aus den Landesbezirken zeigt: Nur so geht Erfolg!
Nord
Nordost
Westfalen
Nordrhein
Hessen/Thüringen
RheinlandPfalz/Saarland
Nord
Bade
dende
Würrrttembe
e
erg
Im Netzwerk mit anderen Gewerkschaften trafen sich am 15. März
Frauen in Hannover, um
beim jährlichen »Politischen Frauen­frühstück
mit Kultur« mit der stellvertretenden IG BCEVorsitzenden Edeltraud Glänzer zu diskutieren. Ihr Impulsreferat
zum Thema »60 Jahre Kampf um Arbeitszeit – Wir streiten wieder«
war Einstieg in die Diskussion. Für den kulturellen Teil sorgte das
Duo »Schönundgut« mit Liedern »von heute und gestern über Liebe
und Abschiede.«
Nordost
Der Landesbezirk Nordost lud seine Kolleginnen am 27./28. März
zum Thema »Neue Nachbarinnen: Flüchtlingsfrauen« ins Bildungszentrum Kagel ein. Gezeigt wurde die Wanderausstellung »Auf gepackten Koffern – Leben in der Abschiebehaft« des Flüchtlingsrats
Berlin. Das kulturelle
Rahmenprogramm stand
unter dem Motto »Kulturelle Vielfalt«. Gast am
Samstag war Dilek Kolat, Berliner ­
Senatorin
für Arbeit, Frauen und
Integration. Außerdem
wurden Sachspenden für
das Wohn­übergangsheim
für Asylsuchende in Fürstenwalde/Spree gesammelt. Damit setzten
die Frauen ein Zeichen und machten deutlich: Gewerkschafterinnen
heißen Flüchtlinge, die in unserem Land Schutz vor Verfolgung, Folter und unmenschlicher Behandlung suchen, herzlich willkommen.
Westfalen
Auch die Frauen im Landesbezirk Westfalen arbeiteten beharrlich
und engagiert an den gemeinsamen Zielen der Frauen- und Gleichstellungspolitik der IG BCE. Sie sind überzeugt: Die Themen der
Charta sind die Themen der Gleichstellung und so überraschte es
nicht, dass ein weiteres Unternehmen in Westfalen dafür gewonnen
werden konnte, die Charta zu unterschreiben: Am 9. März 2015 unterzeichnete die Technische Fachhochschule Georg Agricola und bekannte sich mit ihrer Signatur zur Zielsetzung Gleichstellung.
Nordrhein
Im Landesbezirk Nordrhein trafen sich rund 120 Kolleginnen aus
sämtlichen Bezirken am 8. März zum traditionellen »Frauenfrüh-
ausgabe 26 | Juni 2015
Bayern
stück« im Volksgarten Düsseldorf, um die Erfolge ihrer Arbeit zu feiern. »Angekommen
sind wir noch nicht, aber wir haben schon viel
erreicht«, fanden sie und das war auch der Tenor, als die stellvertretende IG BCE-Vorsitzende Edeltraud Glänzer über Entgeltgleichheit, Frauen in Führung und Arbeitszeit sprach.
Hessen/Thüringen
Das Frauenreferat der Stadt Frankfurt lud am 20. März zu einer
Veranstaltung zum Thema »Entgeltungleichheit« in die Frankfurter Goethe-Universität ein. Studienergebnisse zur Einkommens­
lage von Frauen in Frankfurt am Main wurden vorgestellt und anschließend wurden Handlungsansätze diskutiert.
Baden-Württemberg
Im Landesbezirk Baden-Württemberg trafen sich am 20. März
Frauen von IG BCE und DGB auf dem Paradeplatz in Mannheim. Im Gepäck hatten sie eine Leiter. Mit dieser Karriere­
leiter wurde Passantin­
nen und Passanten demonstriert, wer sie wie
schnell erklimmt und damit anschaulich verdeutlicht: Die (Aufstiegs-)
Chancen von Frauen und
Männer sind noch immer sehr unterschiedlich.
Rheinland-Pfalz/Saarland
Im Landesbezirk Rheinland-Pfalz/Saarland trafen sich am
20. März Patricia Erb, Betriebsratsvorsitzende der Boehringer
­Ingelheim GmbH, und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz mit anderen Gästen zu einer Diskussionsrunde zum
Thema »Frauen in Führung«. Hinweis der Redaktion: Malu Dreyer
hat neben vielen anderen namhaften Personen aus Politik, Wirtschaft und Verbänden ein Statement zur Charta der Gleichstellung
auf der IG BCE-Website gegeben, und das Thema »Frauen in
­Führung« ist eines der Handlungsfelder der Charta.
Bayern
Im Landesbezirk Bayern hatte am 20. März in Zusammenarbeit
mit dem DGB, unter anderem in Garching, eine Aktion zur Entgeltlücke von 22 Prozent stattgefunden. Sie sollte die Aufmerksamkeit auf das Thema »Entgeltungleichheit« richten. Darüber
­hinaus war es gelungen, die Inhaberinnen eines Schmuckladens
und eines Kreativladens davon zu überzeugen, ihren Kundinnen
an diesem Tag 22 Prozent Rabatt einzuräumen.
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aktuelles
RECHT SO:
Betriebsratswahl: Eine Frau zu viel?
Nach dem Beschluss des Arbeitsgerichtes
Köln wirkt es sich nicht auf die geschlechterquotierte Besetzung aus, wenn im Laufe
der Wahlperiode ein weiteres Mitglied des
Minderheitengeschlechtes nachrückt. Insbesondere wird das nach dem Quoten­
as­
pekt gewählte Mitglied nicht ausgetauscht.
Damit wies das Arbeitsgericht den Antrag
eines Betriebsrates ab. Dieser hatte die
Quote als übererfüllt angesehen, weil ein
Mitglied des Minderheitengeschlechtes in
den Betriebsrat nachgerückt war und dabei
ein Mitglied des Mehrheitsgeschlechtes ersetzt hatte.
Bei seiner Entscheidung bezog sich das Arbeitsgericht Köln auf eine Entscheidung
des Bundesarbeitsgerichtes (BAG), das
schon im Jahr 2013 festgestellt hatte, dass
eine »Übererfüllung der Quote« wegen des
Wortes mindestens nicht eintreten kann. Es
handelt sich bei der Besetzung des Betriebsratsgremiums nicht um eine starre
Quotenregelung, die eine Verteilung exakt
entsprechend der Geschlechteranteile vorsieht, wie dies derzeit bei der Quotierung
von Aufsichtsräten und Vorständen diskutiert wird, sondern das Betriebsverfassungsgesetz berücksichtigt die Geschlechter in dem Verhältnis, wie sie im Betrieb
vertreten sind.
Dem klagenden Betriebsrat attestierte das
Gericht auch ein unzureichendes Rechts-
verständnis, weil eine gewählte Betriebs­
rätin nicht aufgrund des Proporzes aus dem
Gremium ausscheiden kann. Dies widerspricht dem Grundsatz der Ämterstabilität.
AZ: 17 BV 296/14, 12.11.2014
Eine Frage – eine Antwort
Wie viele Schwangerschaftsmeldungen erfolgen
jährlich durch den Arbeitgeber an die zuständigen
Aufsichtsbehörden?
(Circa-Angabe, Stand: Juni 2013)
Die ersten zehn Einsendungen mit der richtigen
Antwort erhalten einen kleinen Preis.
Bitte die richtige Lösung auf eine Postkarte ­
schreiben und senden an:
IG BCE
Abteilung Frauen/Gleichstellung
Königsworther Platz 6
30167 Hannover
oder per E-Mail an: [email protected]
Einsendeschluss
30. Juni 2015
Vorbildlich
Dr. Christina Boll, Forschungsdirektorin am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI), hat ein Rechenbeispiel von zwei Frauen aufgemacht, die ihre Ausbildung
zum gleichen Zeitpunkt begannen, von denen eine aber
eine Unterbrechungszeit (warum auch immer) nahm. Das
Ergebnis: Letztere stand nach ihrer Rückkehr finanziell
deutlich schlechter da, als ihre Kollegin, die ihren beruflichen Werdegang fortsetzte. Und schlimmer noch als das:
Diesen Gap holt sie bis zur Rente nicht auf. Der Foliensatz
mit dem Rechenbeispiel kann in der Abt. Frauen/Gleichstellung bestellt werden.
sind Unternehmen, die die Herausforderungen der demografischen Entwicklung anpacken und die Kompetenz gut ausgebildeter Frauen nutzen.
Vorfahrt
haben Unternehmen, die aus eigener Überzeugung handeln und nicht erst per Gesetz dazu gezwungen werden
müssen, Frauen in Führung zu bringen.
Vorankündigung
eines Workshops »Entgeltgleichheit« am 25. August 2015 in Hannover. Zielgruppe sind Betriebs­
rätinnen und -räte sowie Personalverantwortliche.
Ansprechpartnerin: Cornelia Leunig, 0511 7 63 12 82.