Aus der Zeit der Hexenverfolöunöen Ein Nachtrag zur Arbeit „Der letzte Akt im Drama der Hexenprozesse in der Grafschaft Vaduz und Herrschaft Schellenberg" - (Jahrbuch 1957) v o n Otto Seger — 331 — Aus der Zeit der Hexenverfolgungen Ein N ä c h t r a g zur A r b e i t „Der letzte A k t i m Drama der Hexen« prozesse i n der Grafschaft V a d u z und Herrschaft Schellenberg von Otto Seger Neue Urkundenfunde und ihre Bedeutung Als im Jahre 1802 das Fürststift Kempten säkularisiert, d. h. aufgehoben wurde, wanderten seine Urkunden, soweit sie nicht verloren gingen, i n verschiedene Archive. Bei der Abfassung meiner Arbeit «Der letzte Akt i m Drama der Hexenprozesse i n der Grafschaft Vaduz und Herrschaft Schellenberg» wusste ich noch nicht, dass i m Bayerischen Hauptstaatsarchiv unter den kemptischen Akten auch das Material zu finden ist, das Fürstabt Rupert von Bodman aus der Zeit seiner Tätigkeit als kaiserlicher Kommissar hinterlassen hat. Es ist sehr reichhaltig, und etwa 2400 Seiten befinden sich nun als Mikrofilme in unserem Landesarchiv. Für die Mühe der Bereitstellung der Akten und der Verfilmung sei der bayerischen Archivverwaltung, besonders Herrn Archivrat Dr. Hipper, an dieser Stelle der beste Dank ausgesprochen. Diese Arbeit wertet davon nur aus, was sich auf die Hexenprozesse bezieht; und sie ist ein Nachtrag zur oben genannten Abhandlung. Unter der kemptischen Signatur C L X I V Lit. D «Criminalia» waren sechs Bündel von Akten verwahrt, von denen Nr! 4 verloren ist. E i n Faszikel enthält Akten der kaiserlichen Kommission, ein anderes Verfügungen des Reichshofrates, zwei befassen sich mit dem Gutachten der Universität Salzburg und den an sie zu erteilenden Auskünften. Als Urkunde am wertvollsten ist das «Schellenbergische Inquisilionsprotoköll puncto. Mägiae.1651 — 1680». Es handelt sich dabei um das längst verloren geglaubte Original des Protokollbuches, in dem alle Anzeigen eingetragen und die Zeugenverhöre protokolliert wurden. — 332 — Wenn wir es lesen, erschrecken wir über die unheilvolle Mischung von Aberglauben, Furcht und Hass, die aus ihm spricht. Es ist ein schaurig anmutendes Buch, denn manche Person, die darin eingetragen war, wurde eines Tages gefangen genommen, «weil sie i m Buche stand»,, gefoltert und hingerichtet. Die Namen dieser Menschen sind i m alphabetischen Verzeichnis mit einem Kreuze versehen. Die neuen Funde bestätigen, was aus den Wiener Akten .und dem Salzburger Gutachten erforscht werden konnte,' sie geben aber auch neue Einzelheiten und genauere Aufschlüsse. .Dies sei die Rechtfertigung des vorstehenden Nachtrages zu meiner ersten Arbeit über die Hexenprozesse. . . Ich habe darin die Zahl der Opfer mit etwa 300 angeben können. «Es beklagen sich die Nachgelassenen der Hingerichteten, so über 300 Personen, wegen zugefügten Schimpfes und Schadens über alle Massen». Die Angabe der Zahl stammt diesmal- aus einem Kommissionsbericht, ist also als amtlich anzusehen, und sie spricht von mehr als dreihundert Opfern ! Ein Detail als Ergänzung: Auf einem unscheinbaren kleinen Blatt Papier sind die-Namen der Hingerichteten aus dem Dorfe Vaduz verzeichnet. Es ist der einzige Fall einer vollständigen Zusammenstellung der Opfer, denn die Akten betreffen sonst nur die letzten Jahre der Hexenprozesse. Vaduz hatte damals etwa 250 Einwohner, das ist uns aus einer Untertanenliste bekannt. Das Verzeichnis enthält die Namen von einunddreissig Hingerichteten ! Die Beschlagnahme der Gelder war ein Kernpunkt der Prozesse, oft wohl der eigentliche Grund, warum ein Mensch zum Opfer wurde. Wieder wollen wir die Worte eines Kommissionsberichtes hören: «Es ist kein Zweifel, dass die Konfiskationen vom ersten Anfang der Prozesse vor u n g efäh r zweiunddreissig Jahren über 100 000 Gulden betragen». Vergleichen wir den Betrag mit einer anderen Summe der damaligen Zeit: Er ist u n g efäh r so gross wie der Kauf betrag der Herrschaft Schellenberg. In den Akten finden wir zwei Protokolle von Konfiskationsverhandlungeri. Die Abrechnung, «Abraitung» genannt, vom 1. A p r i l 1680 ergibt eine Beschlagnahmesumme von 8617 Gulden ! A n einem einzigen Tage, in einer einzigen Sitzung konfiszieren die Beamten diesen — 333 — für die damalige Zeit und unsere Verhältnisse ungeheuren Betrag ! Und der Graf musste nur sein «vidi» darunter schreiben und die Gelder waren sein ! . W i r müssen feststellen, da'ss auch die Untertanen an den Konfiskationen nicht uninteressiert waren. Die Lasten f ü r Reichsabgaben und die Quartierskosten für' Winterquartiere des Militärs waren damals besonders hoch und laut einem alten Vertrage von der Herrschaft zu bestreiten. Der Graf w i l l sie nun auf die Untertanen abwälzen, aber diese- wehren sich und beziehen sich auf den Vertrag. In einem Berichte heisst es dazu, die Untertanen hätten folgenden Vorschlag gemacht: «Der'Herr Graf solle mit den Prozessen fortfahren und ihnen hernach die Konfiskationsgelder überlassen. Sie wollen alsdann die Winterquartiere aushalten: gestalten darauf die Prozesse kontinuiert und nur die Reichsten exequiert worden, deren Gut konfisziert worden». Hinrichtungen zum Zwecke der Lösung eines Streites um die Tragung von finanziellen Lasten — eine Nebenerscheinung der furchtbaren Zeit, Hinrichtungen, von Mitbürgern um des Geldes willen gebilligt ! Auch das Verhalten der Beamten und' Richter und ihre Verantwortung wird aus den Münchener Urkunden noch deutlicher. Jedes Mittel ist den Amtsleuten recht, ihre Opfer zu finden. Da ist von einer Person die Rede, die Spitzeldienste leistet. «Unterschiedliche Male ist er jetzt mit Ungestümigkeit i n die Häuser der Suspekten hineingerumplet, jetzt hirieingeschlichen, u m auszukundschaften, ob man sich fürchte, fliehe und dadurch der Verdacht vermehrt werde». Dieselbe Methode wendet Landvogt B rügler sogar persönlich an: Er ruft-vor dem Hause eines Verdächtigen laut, er sei ein Hexenmeister, und der Geschreckte wendet sich zur Flucht. Er wird i n Feldkirch verhaftet und grausam gefoltert ! Unter den Richtern befinden sich, -wie es i n einem Berichte heisst, Personen, die gleichzeitig «Ohrenbläser, Kläger, Indizienzuträger und Zeugen waren, welche sich gerühmt, dass sie einen oder den andern aus dem Wege räumen». ' So kommt es, dass der Fürstabt anordnet, die Beamten und Richter seien zur Rechenschaft zu ziehen, ihr Vermögen z u inventarisieren und sie selbst nötigenfalls zu verhaften. Der eine oder andere der Verantwortlichen ist inzwischen gestorben, und zum Schlüsse wird das Verfahren gegen den eigentlichen Juristen.der Prozesse eröffnet, der we- — 334 — gen seiner Rechtskenntnisse als der Hauptverantwortliche angesehen wird. Er wird vorgeladen, gebraucht Ausflüchte und erscheint nicht. Lange zieht sich das Verfahren hin, und ein Brief an den Fürstabt ist zeitlich'der letzte der Münchener Akten überhaupt. Er mutet uns an, als hätte diese Verantwortung ein KZ-Henker unseres Jahrhunderts geschrieben, so verdreht er die Tatsachen und gibt sich f ü r unschuldig aus: Niemals sei er bei einer Inquisition i n Vaduz gewesen (im Schellenberger Inquisitionsbuch ist er namentlich angeführt !); schuldig seien der verstorbene Landvogt und die verstorbenen Landamänner, nicht er. Wohl sei er bei den Folterungen anwesend gewesen, aber mehr als Anwalt der Examinierten, deren manche i h m ihr Leben zu verdanken haben. Verhaften und foltern habe er nur lassen, wenn es die Gutachten aus Lindau angebrächt erscheinen Hessen. Er habe Weibspersonen aus Eschen, die man ihm überlassen, heimgeschickt zu ihren lieben Kindern. Leute, von denen er gewusst habe, dass sie i n eine Pfarrgemeinde der Meiser Kapuziner geflüchtet seien, habe er nicht angezeigt Der einzige Jurist, also der einzige Fachmann und darum f ü r die Prozesse zumindest formal i n erster Linie verantwortlich, stellt sich als ein Wohltäter dar ! Und zum Schlüsse klagt er gar, er habe f ü r seine Arbeit eine schlechte Belohnung empfangen; hundert Gulden habe er sogar noch zugut . . . Die Strafe scheint ihn nicht erreicht zu haben. * x x N u n wollen wir uns den vier Bereichen zuwenden, f ü r die unsere Akten wesentlich neue Erkenntnisse geben: 1. Den Aussägen über die Folterungen, 2. den Urteilen und ihrer Begründung, 3. der Schreckensherrschaft gegen- die Hinterbliebenen und 4.. dem Vorgehen des Fürstabtes gegen den Grafen. . Der Leser wird finden, dass diese-Arbeit unseren Erkenntnissen über die Prozesse und ihre Furchtbarkeit und den Umfang des Hexenwahnes i n manchen Punkten Klarheit gibt, furchtbare Klarheit allerdings. ' — 335 — Aussagen über die Folterung, besonders das „Spanische Fusswasser" Die Juristenfakultät zu Salzburg schlägt dem kaiserlichen K o m missar vor, Verhöre über die Art der Folterungen anzustellen. W i r haben schon gesehen, dass nur zwei Frauen, Barbara Moratin und • Catharina Bregenzerin, alle Grade der Tortur überstanden haben. N u r sie sind überlebende Zeugen, die es am eigenen Leibe erfahren haben, was i n der Folterkammer auf Schloss Vaduz geschehen ist. N u n machen sie vor den Delegierten des Fürstabtes ihre Aussagen.' Lesen wir zuerst das Protokoll, das mit Barbara Moratin zustandekommt : «Barbara Moratin von Mauren, schellenbergische Herrschaft, ist vor zwei Jahren, eingangs des Monats September als eine verlassehe Wittib als eine Hexe eingezogen, nach Vaduz gefangen geführt, examiniert und den dritten Tag i n das sogenannte spanische Fusswasser gesetzt worden, welches erschreckliche Torment sie, soviel ihr davon, verlorenen Bewusstseins halber, noch erinnerlich, folgender ^Gestalt beschrieben : Erstlich habe man sie auf ein niederes Böcklein gesetzt, ihr die H ä n d e hinter den Rücken mit einem Strick zusammen an eine Wandangebunden, damit sie nicht nach vorne fallen könne, hernach, damit sie auch nicht nach rückwärts sinken möge, ihr einen anderen Strick um den Hals gelegt und solchen vorne auch fest angebunden, hernach die Füsse mit zwei Brettern, deren eines hinter den Waden, das andere aber auf die Schienbein gelegt waren, weit voneinander gespannet, hierauf einen Strick über die blossen Knie gebunden und mit Schrauben alles. zusammengezogen,- welches ein solcher Schmerz sei, dass ihr gleich alle Sinne vergingen, weshalb sie nicht wissen könne, wie lang sie i n solcher Marter gesessen sei. Den dritten Tag habe man sie mit zwei Steinen an die Waage oder Folter aufgezogen und ungefähr eine Viertelstunde daran hangen lassen, gleich darauf auf den Esel gesetzt und mit verbundenen Augen angeschraubt; unterdessen seien die Amtleute zum Mittagessen gegangen und hätten sie also jämmerlich sitzen lassen. Als sie nun wieder gekommen, haben sie ihr einen Rauch unter das Hemd gemacht, und als sie'sich schliesslich nicht mehr geregt habe, sei sie herabgelassen und wiederum «in die Reichen'» ) gelegt worden. 1 Etliche' Tag hernach habe man sie wiederum i n das spanische - Fusswasser gesetzt, als sie aber wider ihr Seelen H e i l nichts zu bekennen gewusst, habe man sie nach zehn Tagen entlassen». Es folgt die Schilderung, die wir aus der ersten Abhandlung kennen: Die Amtleute fordern 170 Gulden f ü r die Unkosten und stellen endlich aus eigener Machtvollkommenheit gegen den Willen des Opfers einen Schuldbrief über 100 Gulden aus ! «Demütig flehet und bittet» nun Barbara Moratin, dass dieser Zinsbrief. ungültig gemacht werde. N u n erst ist es klar, was das berüchtigte Spanische Fusswasser gewesen ist: Möglichst weites Ausspreizen der Beine, Zusammenschrauben von "Brettern, die als Beinschienen gewirkt 'haben und zusätzlich Zusammenziehen der gespreizten .Knie mit einem Stricke. Aus der Anwendung der Beinschienen kommt der Name, denn auch andernorts geschieht es, dass Menschen i n «Spanische Stiefel» gesteckt werden, die zusammengeschraubt werden, wodurch ein fürchterlicher Schmerz, besonders an den Schienbeinen entsteht. N u n wird aber die Folter noch dadurch verstärkt, dass «mit scharfen Binden» die Knie fest zusammengezogen werden, wie es in der Aussage' von Kaplan •Hartmann zusätzlich heisst. • Der Name «'Fusswasser» hat mich i n meiner ersten Arbeit irregeführt, so dass meine damalige Mutmassung nun richtigzustellen ist. Die Delegierten des Fürstabtes -von Kempten forschen auch noch der Herkunft dieser Foltermethode nach. Aus Feldkirch wird berichtet, dass sie dort unbekannt sei. Es wird aber i n Erfahrung gebracht, dass sie i n Bünden und der Schweiz allgemein gebraucht werde. E i n Scharfrichter, zwei Stunden von Vaduz (im Bündnerland) beheimatet, habe sie dahin gebracht, und sie sei unter Landvogt Köberlin das erste M a l gebraucht worden. Zwei, drei oder gar vier Stunden seien die Opfer in dieser Folter verblieben, gelegentlich' länger ! W i r werden sehen, dass Kaplan. Hartmarin aus Schaan die gleiche Foltermethode i n Chur rnitmachen muss. ') "Keiche = mittelhochdeutsch kiche = Ort, wo einem-der Atem vergeht (hängt mit «keuchen» zusammen) = Gefängnis. — 337 — Wie ich nun feststellen konnte, wurde diese Folterart tatsächlich in G r a u b ü n d e n bei Hexenprozessen angewandt, und sie erhielt dort den einfach und harmlos klingenden Namen «die Kluppe». Die Aussage der Barbara Moratin beweist auf furchtbare Art, wie gefühllos und grausam die Amtleute (es waren gewöhnlich der Landvogt, der Schreiber, der Landammann und irgendwelche Gerichtsleute bei der Folterung zugegen, also sowohl Beamte des Grafen als auch Vertreter des Volkes) gewesen sind. Es ist ungeheuerlich: Sie gehen zum Mittagessen, w ä h r e n d das Opfer angeschraubt auf der Folter sitzt, und lassen erst ab, als die Arme ohnmächtig wird ! Und f ü r alles fordern sie so viel f ü r ihre Unkosten, wie damals ein kleines Bauernhaus gekostet hat ! U m zu ihrem Gelde zu kommen, treiben sie schliesslich schamlos Missbrauch der Amtsgewalt. N u n die nächste Aussage i m Wortlaut : - s «Catharina Bregenzerin ab dem Eschnerberg, Schellenberger Herrschaft, beklagt sich, dass sie vor zwei Jahren den 26. August f ü r eine Hexe eingezogen und i n Vaduz i n die Keichen gelegt worden sei. A l s sie nun zuerst i n dem Examen nicht gestehen konnte, dass sie das Geringste mit der Hexerei zu tun, habe man sie i n das Spanische Fusswasser (wegen dessen sie mit der Barbara Moratin übereinstimmt) gesetzt und drei Stunden drin gehalten, darüber wiederum f ü r eine Hexe examiniert und gesagt, sie solle nur bekennen, dass sie eine grausame Hexe sei. Als sie aber solches ihres Gewissens halber nicht bekennen konnte, habe man sie gleich darauf an die Waage geschlagen und eine halbe Viertelstunde daran hangen und nach vier Tagen vor die Amtleute kommen lassen, welche ihr mit guten Worten gesagt, weil sie nichts an ihr gefunden, wollen sie selbige auf Wohlverhalten aus dem Gefängnis entlassen. Als sie aber unter das Schlosstor gekommen war und heimgehen wollte, seien wohl zehn oder zwölf Mann dagewesen, welche sie rücklings aufgehebt, auf eine Leiter gebunden und wiederum i n die Verhörstube getragen, allwo der Landvogt sie wiedermalen examiniert und hernach an die Folter geschlagen, Steine an die Füsse hängen und eine halbe Stunde hängen lassen, worauf er sie i n die Keichen geführt. Nach ungefähr fünf Tagen'habe man sie abermalen i n das. Fusswasser gesetzt und wohl drei Stunden drin gelassen. Nach acht oder zehn Tagen sei sie vor die Obrigkeit geführt und nach Auflegung der rechten Hand auf die linke Brust (wobei Peter — 338 — Matt f ü r sie angeloben musste) wiederum nach Hause entlassen worden. Dann habe man von ihrem Mann 180 Gulden f ü r die Unkosten gefordert (jedoch mit 100 Gulden zufrieden gemacht), welche er mit Verlust von 30 Gulden habe aufnehmen und bezahlen müssen. Diese 130 Gulden w ü r d e n ihr' nicht allein, sondern auch ein rechtserkehntlicher Abtrag f ü r alle erlittenen, f ü r keusche Augen und Ohren zu vernehmen nicht gebührlichen Spott, Schande und unbeschreibliche Leibesmarter hoffentlich von Rechts wegen wiederum ersetzt und erstattet werden sollen. Die höchste Justiz sei derwegen alleruntertänigst und demütigst angerufen». Welche seelische Kraft gehörte dazu, dass eine .Frau solche Folterungen erträgt, und mehr noch, bei der gemeinen Überlistung und Gewaltanwendung nicht zusammenbricht'! «Alleruntertänigst und demütigst» ruft sie die Gerechtigkeit an. Die einfache Frau vom Eschnerberg hat das gfösste Heldentum bewiesen, das wir i n den Greueln der Prozesse finden. Wir wissen, dass der Kaplan von Schaan, Gerold Hartmann; auch angeklagt war, können aber aus den Salzburger Akten nichts Näheres entnehmen. Auch er gibt der kaiserlichen Kommission seine Erfahrung zu Protokoll und schildert, wie er i n Chur die gleiche Folter des spanischen Fusswassers erlitten habe, «welches ein solcher Schmerz ist, dass es mir gleich allen Sinn und Verstand genommen, daher ich nit wissen kann, wie lang ich i n solcher unchristlicher Torment gesessen bin». Dies also sind die Aussagen, welche die kaiserliche Kommission den Juristen nach Salzburg schickt/ die Aussagen der einzigen Menschen, welche die Folterung der letzten Verfolgungsperiode überstanden haben. Nach dem Tode von Kaplan Hartmann berichtet dessen Bruder, dass der Geistliche drei Jahre i m Gefängnis gewesen und schliesslich «von der heiligen Kongregation in Rom in integrum restituiert», also freigesprochen und wieder im Amte eingesetzt worden sei. ^ Kaplan Gerold Hartmann unterzeichnet das Protokoll am 28. A u gust 1682 in Frastanz, war also nicht wieder in Schaan tätig. . Herr Archivrat Dr. Hipper fand in den Münchener Akten einen Brief des Pfarrers von Schaan Johannes Oehfi vom 17. September 1682 an den Fürstabt. — 339 — Kaplan Hartmann, so wird berichtet, habe es nicht gewagt, nach Schaan zurückzukehren, denn es sei sehr zweifelhaft, ob seine Gegner den Entscheidungen Roms gehorchen werden. Die Pfarrangehörigen seien vom Landvogt aufgefordert worden, sich der Wiedereinstellung zu widersetzen, vier Soldaten bewachten ständig das Haus des Kaplanes und hätten Auftrag, ihn vom Betreten der Kirche abzuhalten, wenn er erscheine. Der Landvogt habe erklärt, er k ü m m e r e sich nicht um den Bischof oder den Papst und auch nicht um die Exkommunikation. Und wenn der Graf wegen Gerold Hartmann exkommuniziert werde, dann werde er ihn töten. Einem reichsfreien Grafen könne auch der Kaiser nicht -widersprechen und ihn nicht hindern. Gerold Hartmann sei und bleibe ein Hexenmeister. Pfarrer Oehri berichtet weiter, dass der Landammann das Volk aufgehetzt habe, so dass es glaubt, die Entscheidungen aus Rom seien erschlichen und' erschwindelt. , ' Zum Schlüsse beklagt der Pfarrer die Verhältnisse i m Lande, am meisten aber i n seiner. Pfarrei, und erklärt sich ausserstande, die Wiedereinsetzung von Kaplan Hartmann zu erreichen.. ' Der (in gutem Latein verfasste) Brief ist ein trauriges Zeichen der Lage: E i n Jahr nach dem Verbote der Prozesse widersetzen sich der Graf, der Landvogt und der Landamanh dem Auftrage des kaiserlichen Kommissars, auf Grund des Freispruches der päpstlichen Behörde den unschuldigen Kaplan wieder in sein Amt einzusetzen ! N Die Gerichtsverhandlüng Landamann Basil Hoop liess 1682, die bestehenden Gesetze und Verordnungen in einem «Landsbrauch» abschreiben, einem Buche, das ihn bei Erbabhandlungen und Gerichtsverfahren diente. In dem Kapitel «Klage auf die vorgestellten Malefizpersonen» wird als Muster eines Kriminalprozesses (der Text stammt bezeichnenderweise aus der Zeit des Grafen Ferdinand) eine Klage wegen Hexerei angeführt. Der Vorgang ist folgender: Der Landvogt lässt als Klage gerichtlich vorbringen, dass die betreffenden Personen «vor etlichen Tagen i n die gräfliche Fronfestung Vaduz i n die Gefangenschaft genommen, darinnen sie etliche Missetaten sowohl güt- als peinlich bekannt haben». Er beantragt Verlesung der Geständnisse, Anhörung- und Urteil. Der Land- — 340 — Schreiber verliest auf Antrag des Richters. (also wohl des Landammannes als Vorsitzenden) die Geständnisse. Dann folgt ein Text, der wohl die Form der Ansprache des Richters isf: «Wie jetzt jedermann verstanden, dass diese armen vorgestellten Menschen an Gott verzweifelt, sich mit Leib und Seele an den Teufel ergeben, was einem Christenmehschen nicht gebührt, und andere mehr zauberische und schädliche Stücke begangen, auch Schaden getan haben; derentwegen bitte er zu erkennen, dass sie das Leben verwirkt haben und gerichtet werden nach kaiserlichem und königlichem Reichsrecht vermöge ihrer gräflicher Gnaden wohlhergebrachter löblicher Freiheiten und Statuta, damit ihr schrecklicher Tod jedem Menschen ein Abschrecken und Vorbild sei». Nach dieser Erklärung heisst es: «Darauf redet der Armen Sünder Fürsprech und nach vollendeter Rede folgt der Kläger weiter und er'hellet mit zweien Worten das vorige und bittet abermalen, mit Urteil und Recht die Beklagten am Leben zu strafen. • Dann repliziert der Sünder Fürsprech, der Kläger aber f ü r das drittmal sagt, er lasse es bei dem vorigen verbleiben und setzt es hiemit zu Recht». Hier bricht der Text ab, ein Blatt ist aus dem'Buche herausgeschnitten ! Das Weitere steht fest: Der Stab wird gebrochen, das Urteil gesprochen, die Angeklagten werden hingerichtet. Klar wird aus diesem Texte Folgendes: Das Verfahren ist summarisch. Mehrere Personen werden angeklagt, und Kläger ist der Landvogt ! Die Ansprache des Richters stellt keine Einzelvergehen fest, sondern ganz allgemein das, was unter Hexerei verständen wird. Die Rede des Verteidigers ändert von vornherein am Verfahren nichts. Die Drei ist eine heilige Zahl, dreimal verlangt der Kläger das Urteil, und das dritte M a l «setzt er es zu Recht». Wenn also ein Geständnis vorliegt, dann ist keine Hilfe mehr möglich, das Gericht sinkt zur blossen Formsache herab, der Kläger — als Landvogt ein Beamter der Herrschaft — hat alles Recht und alle Macht ! Die Urteilsform Das Rechtsgutachten der Universität Salzburg bemängelt unter anderem, dass sich in den Akten keine schriftlichen Urteile finden. In München existiert ein Text f ü r die Todesurteile, der folgenden Wortlaut hat: — 341 — End- und gnädiges Urteil. In peinlicher Rechtfertigung sich haltend zwischen dem hochgeborenen Herrn Ferdinand Carl Franz Grafen zu Hohenems, Gallara und Vaduz, Freiherrn auf Schellenberg, Herrn z u Dornbirn und L u stenau, hochgräflicher Excellenz unserem gnädigsten Grafen und Herrn verordneten Anwalt als Kläger des einen und den armen vorgestellten Malefizpersonen beklagten andern Teils ,ist auf vorgebrachte Klage, Antwort, Rede und Widerrede^ selbst eigenem Bekenntnis, besonders aber auf gehaltenen Rat. der Rechtsgelehrten zu Recht erkannt und gesprochen, dass jetzt besagte Malefizpersonen vermöge der kaiserlichen Rechte, besonders aber nach Kaiser Karl V . peinlicher Halsgerichtsordnung, weil sie Gott den Allmächtigen,, die heilige Jungfrau Maria und alle Heiligen verleugnet und sich dem leidigen Teufel ergeben, unkeusche Werke mit i h m verübt, sich auf die nächtlichen Tänze und bösen Zusammenkünfte verfügt, etliche schädliche Rüfen und Hagel gemacht, dadurch die liebe Frucht verderbt, etliche auch Ross und Vieh verderbt, 1 derowegen sind sie sämtlich dem Nachrichter an die Hand gegeben und von ihm von diesem Gerichtsplatz hinweg auf die gewöhnliche Richtstätte, End und Ort, wohin man dergleichen arme Personen hinz u f ü h r e n pflegt, geführt und daselbst mit dem Feuer lebendig verbrannt zu Tode gebracht worden. Ihre Leichen sollen allda an dem gewöhnlichen Ort vergraben werden. Zu wohlverdienter Straf und zu einem abscheulichen Exempel. Die hochgeborene Exzellenz Herr Ferdinand Carl Franz Graf zu Hohenems haben auf geschehenes demütiges und gehorsames Bitten und Anhalten sowohl der geistlichen als weltlichen Personen von dem abgelesenen über gegenwärtige arme Sünder ausgestellten rechtmässi-. gen Urteil i n Gnaden das gemildert, dass diese Malefizpersonen allda mit dem Schwert vom Leben zum Tod dem kaiserlichen Recht gemäss hingerichtet, nach welchem Vollzug die Körper zu Aschen verbrannt werden sollen. • Gegeben zu Schloss Vaduz. — 342 — Über die Urteilsform viel zu sagen, erübrigt sich, denn sie spricht' f ü r sich selbst. Schon der Titel ist ein Hohn — wenn nämlich nach allen uns bekannten Willkürakten bei der Zeugeneinvernahme, den Verhören und der F.olterung ein Todesurteil noch als «gnädig» bezeichnet wird ! ' . " " ' ' Zudem nimmt sich das Gericht nicht einmal mehr die Mühe, jeweils ein eigenes Urteil auszustellen, es handelt sich förmlich um eine Art von Formular, i n das nur die Namen der Verurteilten einzutragen sind ! Man ersparte sich somit die Urteilsbegründung selbst bei Todesurteilen !. , Aus dem Texte dürften wir auch vermuten, dass immer zu gewissen Zeiten mehrere Personen miteinander oder knapp hintereinander hingerichtet wurden,- wir haben schon aus den Verhandlungsprotokollen gesehen, dass meist Tag auf Tag verhandelt und gefoltert wurde, bis dann nach einer Pause, eine neue Welle von Gerichtssitzungen folgte. Vermutlich wurde der juristisch gebildete Richter aus Vorarlberg f ü r gewisse Perioden ins Land beordert, worauf dann alles seinen schnellen Lauf zu nehmen hatte. Unser Text wurde draussen auf dem Richtplatz den Verurteilten vor ihrer Hinrichtung verlesen, es war das letzte, was sie i n ihrem Leben hörten. Die «hochgeborene Exzellenz», der Graf wird seinen Opfern noch als «in Gnaden» handelnd dargestellt ! Die Schreckensherrschaft gegen die Hinterbliebenen Nach der Verurteilung des Grafen und der Ungültigerklärung der Prozesse erhalten die Hinterbliebenen der Opfer Gelegenheit, ihre A n sprüche gegen die Herrschaft anzumelden, ebenso die ausser Land Geflohenen. Aus der Begründung ihrer Forderung erfahren wir furchtbare Einzelheiten. . Da klagt eine Frau mit vier Kindern, deren Mann aus Angst vor der Gefangennahme ausser Land geflohen war, dass die Männer, welche die Scheiterhaufen zum Verbrennen der Opfer aufzurichten hatten, «ihr Bitten und Weinen ungeachtet alles Holz vom Hause weggeführt». Sogar das Holz f ü r die Hinrichtung wird also geraubt. W i r erfahren es noch schrecklicher aus einem anderen Falle : Die Witwe eines vermögenden Mannes (das konfiszierte Gut wird mit 3300 Gulden bewertet) klagt, man habe ihr sogar das Holz zum Ver- — 343 — brennen des Mannes vom Hause geholt und den Wein, den die Amtleute und der Henker bei der Exekution getrunken haben. Und sie fügt hinzu, bei der Hinrichtung hätten viele geweint, weil ihr Mann immer sehr gefällig gegen jedermann und die acht Kinder immer sehr .lieb gewesen seien. • Eine Triesenbergerin gibt an, der Weibel und, die Geschworenen hätten sie vor 18 Jahren wollen aus der Alpe holen, sie sei aber ins Ausland entlaufen und habe durch volle achtzehn Jahre schwere A r beit i n der Landwirtschaft verrichtet. W ä h r e n d ihrer Abwesenheit habe man ihre Kuh, ihr Rind, den ganzen Hausrat und alles liegende Gut konfisziert. W i r haben dieses Verhalten schon i m Salzburger Gutachten'bemängelt gefunden, und es wird auch zu einem der Gründe, warum die Prozesse als ungültig erklärt werden: Die Konfiskation sei erfolgt, ohne dass man i m mindesten wusste, ob die Flüchtigen überhaupt schuldig seien. Eine andere. Frau berichtet, sie sei einen Monat i m Gefängnis gewesen und auch gefoltert worden, ihr Mann und ihre Mutter seien vor Kummer gestorben, und obwohl die Juristenfakultät zu Tübingen ihre Unschuld schriftlich erklärt habe, sei sie dennoch i m Gefängnis gehalten worden, bis sie durch die Gnade Gottes entronnen sei. Der Fall ist nicht ganz klar, einmal, weil wir nicht wissen, können, wie es zu einem Gutachten der Universität Tübingen gerade i n diesem Falle kommt, dann aber auch, weil an anderer Stelle gesagt wird, die Angeklagte sei auf die feierliche Protestation ihres Pfarrers der Exekution .entzogen worden. Aus Schaan kommt eine Witwe zur Kommission und meldet, dass man vor drei Jahren ihren Mann geköpft und verbrannt habe. Sie fordert f ü r sich und ihre sechs Kinder die Rückgabe der 40 Gulden, welche die Amtleute als Unkosten f ü r sictr gefordert und abgenommen haben. Ein Mann aus Schaan gibt folgendes zu Protokoll : Sein Vater sei eingezogen, und ihm sei alle Tortur angetan worden, hernach hätte man ihn wieder vor das Schlöss gehen lassen, allein darauf wiederum gefangen, auf eine Leiter gebunden und i n die Verhörstube getragen und allda so gefoltert, dass er morgens tot gefunden worden. Seine Leiche habe man an einem ungewöhnlichen Ort begraben. — 344 — Die Angehörigen des zu Tode Gefolterten mussten nun aber das Ross bezahlen, das den Leichnam geführt, eine K u h hergeben und dreihundert Gulden Konfiskationsgelder dazu ! Es handelt sich nicht um den einzigen Fall, i n dem die Folterung zum Tode führte. In der Liste der Vaduzer Opfer steht bei einemNamen «so auf dem Esel gestorben und unter dem Galgen begraben»; Kein Gefühl der Schuld lastet auf . den Folterknechten und den Richtern, sie begraben das Opfer ihrer Grausamkeit dort, wo die Verurteilten ihre letzte Ruhe finden ! Nach unseren heutigen Rechtsbegriffen können wir es uns gar nicht vorstellen, dass sich die' Bürger, die Hinterbliebenen der Opfer nicht gegen diese Willkür erhoben. Zwei Gründe sind es, die sie daran hinderten : Die Anschauungen der Zeit waren noch so vom Hexenwahne befangen, dass niemand wusste, was Recht, was Unrecht war. W i r sehen es immer wieder, dass L a n d a m m ä n n e r und Richter i n den Prozessen nicht milder waren als die Beamten des Grafen, dass sie Prozesse und Konfiskationen förderten. Dazu kommt noch, dass die Zeit eine durch und durch absolutistische ist: Lange Zeit dachte niemand an die Möglichkeit, gegen den Landesherrn und seine Willkür Recht zu bekommen, bis endlich Pfarrer Kriss von Thesen mit ein paar geflohenen Bürgern den Stein ins Rollen brachte, indem er d a f ü r sorgte, dass die Klage gegen den Grafen bis zum Kaiserhofe kam. - Selbst menschlich ergreifende Klagen über den Verlust von lieben Angehörigen finden wir selten. Eine Frau schauert zusammen, als sie bei der Arbeit i m Weinberg die Schreie ihres Mannes von der Folter hört, Kinder werden bemitleidet — das ist fast alles, was wir finden. Willkür und Folter und Tod waren so gewalttätig und häufig eingekehrt i m Lande, dass sie nichts Ungewöhnliches mehr waren. Die rohe Macht lag i n den H ä n d e n der Amtsleute. Als eine Frau wegen der Hinrichtung des Mannes beim Landvogt klagt, sagt ihr dieser ins Gesicht, sie solle nicht viel machen, oder er wolle ihr den Kopf selber abhauen. Dabei habe er den Säbel gezogen und geflucht. Die Frau berichtet der Kommission, man könne daraus ersehen, dass die sauberen Amtsleute zugleich Kläger, Richter und Henker sein wollen — und wir erkennen immer wieder, wie recht sie mit diesen Worten hat. Erkenntnisse des Ausgeliefertseins, des Verlorenseins kommen gelegentlich zutage. Ein Mann, dessen Vater und drei Schwestern ver- — 345 — brannt worden sind (der Besitz war bei der Verhaftung konfisziert worden), durchschaut den ganzen Vorgang: «Wo das Gut einmal angegriffen worden, da muss das Blut darum vergossen werden». • «Die Amtsleute haben die Reichen aus Begierde nach Gut, die Armen aus Hass und Rachgier aus dem Wege geräumt», erkennt eine Frau, aber auch sie -fügt hinzu, wie fast alle ihre Leidensgenossen denkend: «Daher könnte niemand wissen, welcher schuldig oder unschuldig gestorben . . . » Einen Sühnevorschlag finden wir unter den Akten, der den armen Opfern die Ehre und die Grabesruhe wiedergeben soll: Die Richter und' ihre Helfer sollen an Leben und Gut abgestraft, die Protokolle dann verbrannt werden. Die Asche aller Verbrannten soll auf dem Friedhof beigesetzt werden, die Opfer sollen öffentlich als i n Ehren erklärt werden, die Protokolle sind zu vernichten. Die Namen der Hingerichteten seien i n die Bruderschafts- und J a h r z e i t b ü c h e r a u f z u n e h m e n und eine ewige Jahrzeit sei ihnen allen zu stiften. Das Vorgehen, gegen den Grafen Die Münchener Urkunden bestätigen die Richtigkeit meiner früheren Darstellung, wie Fürstabt Rupert von Kempten als kaiserlicher Kommissar i n den beiden Herrschaften i n der Angelegenheit der Hexenprozesse energisch und zielbewusst vorgegangen ist: Zuerst Einholung von Nachrichten aus Feldkirch und Innsbruck, dann Sistierung aller Prozesse, Abforderung aller Akten und Übersendung an die Universität Salzburg zur Erstattung eines Rechtsgutachtens, und schliesslich Übersendung dieses Gutachtens und vieler anderen Unterlagen an den Reichshofrat, der die zuständige Behörde war. Die Münchner Akten bestätigen aber nicht nur, sie ergänzen auch. Fürstabt Rupert liess Mitteilungen über die Persönlichkeit des Grafen sammeln und Zeugen über seine Handlungen und sein Verhalten vernehmen. Es wird nun das Bild über den Menschen klarer, und wir erkennen deutlich krankhafte Züge i n seinem Charakter. E i n paar Beispiele, eines ungeheuerlicher als das andere, sollen diese Behauptung erhärten : - 346 — W i r haben schon gehört, wie unstät und ausschweifend sein Leben gewesen ist. Die Vaduzer Hofkapläne müssen selbst berichten, er sei «bald da, bald dort herumyagiert, teils ausser Landes, und habe von morgens bis abends nichts anderes als .Wein und Tabak in Gesellschaft seiner Stall- und Jägerburschen getrunken und sei mit allerhand gemeinem Lumpengesindel umgezogen. Unbeherrschtheit ist einer der Grundzüge seines- Wesens. Als ihm der Bischof von Chur wieder Vorhaltungen gemächt hat, habe es nicht nur nichts genützt, sondern der Graf sei so wütend geworden, dass er in der Nacht i n allen Teufels Namen gescholten und zum Galgen geritten und mit kontinuierlichen Flüchen wieder zurückgekommen sei ! Eine ungewöhnliche Reaktion auf Mahnungen zur Besserung ! Ein anderer Bericht sagt, er habe nicht nur weltliche, sondern auch geistliche Personen mit Androhung der Pistole angegriffen und dieselbe gegen das Fenster losgebrannt. Einigen seiner Untertanen habe er den blossen Degen an das Herz gesetzt, andere mit Prügeln traktiert, dass sie fingerdicke Geschwülste bekamen. Einem Untertanen, der sich über Willkürakte beklagte, gab er zur Antwort; er werde ihn, wenn die kaiserliche Kommission weg sei, in einen Turm werfen, dass ihn die Sonne nicht mehr viel bescheinen werde. In der Kirche habe er «mit allerhand ungereimten Gebärden, Zoten und. Possen, die Leute öfter zum Gelächter als zu schuldiger Andacht bewogen». Sadistische Züge sind aus diesem Verhalten deutlich'zu erkennen. Das furchtbarste Beispiel sadistischer Roheit gibt folgender Protokolltext: «Nach Aussage der Kapläne zu Vaduz soll er mit den Beamten, als die armen Leute i n dem Schloss i n caüsa magiae gefangen gelegen und torquiert worden, unter der Tortur die Spielleut geholt und getanzet haben, und da sie die. armen Leut i n der scharfen Tortur erbärmlich schreien hörten, selbige ausgelacht haben: Wie können diese Vöglein singen, lasst sie nur singen !» Solche Berichte lassen den Entschluss des kaiserlichen Kommissärs reifen, der dann auch ausgeführt w i r d : Der Graf wird gefangen genommen, zuerst i n die Feste Neuburg gesetzt und dann i m Gefängnis eines Schlosses i m Bereiche des Fürststiftes Kempten so lange verwahrt, — 347 — bis er stirbt. «Auch sein Verhalten im Arrest lässt nicht die geringste Hoffnung auf Besserung aufkommen», heisst es i n einem Berichte. Es brauchte i m Zeitalter des Absolutismus viel, bis eine solche Massregelung eines reichsunmittelbaren Landesherren geschah, aber die Energie des hochangesehenen Fürstabtes und die Unbestechlichkeit des Richters erlösten das Land. A m 22. Juni 1684 fällt die Entscheidung des Kaisers, beziehungsweise des Reichshofrates: Der Graf wird seiner Gerichtsbarkeit entsetzt, die Prozesse werden ungültig erklärt, konfisziertes Geld und Gut sind zurückzugeben.' Noch am gleichen Tage wird der Graf i n einer formellen Vorladung, von Kaiser Leopold eigenhändig unterzeichnet und mit dem Reichssiegel versehen, an den Wiener Hof vorgeladen. Dieses Schreiben stellt.sozusagen die Rechtsmittelbelehrung dar und lässt dem Grafen noch die Möglichkeit, sich gegen die Vorwürfe zu verantworten. Der Inhalt ist folgender: Der: kaiserliche Rat und Reichhofrat-Fiscal Franz Karl Sartorius von Schwanenfeldt hatte ein vernichtendes^ Gutachten über die Prozesse beim Reichshof rate abgegeben, der höchsten Justizbehörde des Reiches, der die Rechtsprechung über die reichsunmittelbaren Herren zustand. Neben den Formfehlern, die i n Salzburg ganz eingehend festgestellt wurden, wirft er dem Grafen insbesondere vor, dass er Geld und Gut von Personen konfisziert habe, ohne dass man überhaupt gewusst habe, ob sie schuldig seien. Sogar nach dem Verbot der Prozesse hätten die Beamten i n Vaduz weiterhin Güter konfisziert. Ausdrücklich wird auf die allzugraüsame Art der Folterung verwiesen. Dem Grafen wird die Gerichtsbarkeit i n seinen Landen entzogen, mit der Begründung: «Quod Domini propter nimiam saevitiam in subditos iurisdictionem amittant, aliisque poenis coerceri possint», das heisst: Die Herren können wegen allzugrosser Grausamkeit gegen ihre Untertanen die Gerichtsbarkeit verlieren und mit anderen Strafen belegt werden. Der kaiserliche Rat hat Vorladung des Grafen beantragt und der Kaiser erkennt sie zu Recht. Die Vorladung geschieht i n ebenso feierlich-umständlichen wie energischen Worten: - — 348 — «Wir heischen und laden demnach Dich von Römischer kaiserlicher Macht, auch Gericht und Rechts wegen hiemit und wollen, dass Du. innerhalb der nächsten zweien Monaten, von der Insinuier- oder Verkündigung dieser unserer kaiserlichen Ladung zu rechnen, so wir Dir f ü r den ersten, änderten, dritten und endlichen Gerichtstag setzen hernach selbst oder durch Deinen gevollmächtigten Anwalt an unseren kaiserlichen Hof, welcher Orten derselbe alsdann sein wird, erscheinest, zu sehen und zu hören, Dich um obbemeldeter verübter widerrechtlicher Prozeduren und Verfahrungen willen, der habenden Kriminaljurisdiction entsetzen, auch i n denen Reichssatzungen und Konstitutionen einverleibten Strafen gefallen zu sein, mit Urteil und Recht zu sprechen, zu erkennen und zu erklären, oder aber beständige Ursachen, ob Du einige hättest, dagegen i n Rechten, wie sichs gebühret, vorzubringen». Der Graf wird also mit einer Frist von zwei Monaten nach Wien vor Gericht bestellt und erhält Gelegenheit, zur Verantwortung. Im Schlussatz erklärt der Kaiser ganz energisch, es werde die Verhandlung nach Recht und Gerechtigkeit stattfinden, ob der Graf nun erscheine oder nicht.'-«Danach wisse Dich zu richten». Die Verantwortung des Grafen erfolgt reichlich spät und ist naturgemäss i n keiner Weise überzeugend. A m 18. M a i 1685 reicht er ein Schreiben beim Reichshof rate ein. Alles sei .ohne sein Vorwissen geschehen; er habe die Beamten von seinem Vater ü b e r n o m m e n und Vertrauen i n sie gehabt, i n der Meinung, sie werden es nach dem Rechte machen. Er habe also guten Glaubens gehandelt, weil er die Beamten als taugliche Instrumente angesehen habe. Besonders habe er auch, den juristisch gebildeten Richter, der i m Besitze des Lizentiatsgrades ist, als qualifiziert f ü r Kriminalprozesse erachtet. • . ' Für die-Schuld der Beamten könne der Landesherr nicht haftbar gemacht werden, das sei ein bestehender Rechtsgrundsatz. Zudem sei bei einzelnen Prozessen i n Lindau bei Juristen Rat geholt worden, was eine besondere Vorsichtsmassnahme gewesen sei. Zum Schlüsse stellt der Graf den Antrag auf Wiedereinsetzung i n ' sein altes Recht. — 349 — Er hat den einfachsten Weg gewählt, die Abwälzung der gesamten Schuld auf seine Beamten, und nicht ein Wort wird gebraucht f ü r die Rechtfertigung seines persönlichen Vehaltens. W i r finden i n den Akten keine Antwort auf die Eingabe, und vielleicht ist sie nie gegeben worden, war sie doch verspätet und am wahren Sachverhalt vorbeigehend. Ein Jahr später ist Graf Ferdinand Carl Franz i m Gefängnis des Schlosses Kemnath i m Allgäu gestorben. Gerade die Münchener Urkunden belegen die Schwere seiner Schuld, das Unmenschliche, Krankhafte seines Verhaltens gegen die Untertanen. W i r wiederholen, was schon i n der f r ü h e r e n Arbeit betont wurde: Dem unerschrockenen, gradlinigen Eintreten des Fürstäbtes Rupert von Kempten und dem Ansehen seiner Person-verdankt es unser Land, dass die Hexenprözesse sofort ihr Ende fanden, als der Kaiser ihn zum Kommissar eingesetzt hatte. x * •* Die Bedeutung unserer Abhandlung über das lokale Interesse f ü r die. Geschichte unserer Heimat hinaus hat Herr Landesarchivar Dr. Klein i n den «Mitteilungen der Gesellschaft f ü r Salzburger Landeskunde» .umschrieben, wenn er die Entscheidung des Reichshofrätes wie folgt beurteilt: «Dieser Ausgang ist letzten Endes ein Ehrehzeugnis f ü r das so viel verlästerte Heilige Römische Reich Deutscher Nation: In manchen .— gewiss i m ganzen nicht sehr häufigen — Fällen und innerhalb nicht allzu mächtiger Territorien konnte es immerhin den Untertanen einen wirksamen Rechtsschutz gegenüber fürstlicher. W i l l kür bieten. Es war doch keine ganz leere Phrase, wenn man die «Germanische Freiheit» nicht nur i n der Fürstenliberalität, sondern auch darin sah, dass jeder.Deutsche seine Obrigkeit vor Gericht ziehen konnte».
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