8Zweisimmen St.-Marien

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Zweisimmen
St.-Marien-Kirche
Kapitel 8 | Zweisimmen | st.-marien-Kirche
DaS Dorf unD Seine Kirche
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Die Kirche von Zweisimmen steht am untersten Ausläufer
des Rinderberges; ihr Platz ist damit in Dorfnähe und dennoch aus der Ferne prominent und gut sichtbar. Unterhalb
der Kirchentreppe war bis zum grossen Brand von 1862 das
eigentliche Dorfzentrum mit der alten Gerichtslinde, Handwerksbetrieben, Läden und der Wegkreuzung in Richtung
Boltigen, Saanenmöser und Lenk. Beim Wiederaufbau wurde die Strassenführung verlagert; damit geriet der Kirchhof
an den Rand des Dorfes.
Zweisimmen wird – wie alle Kirchen im Simmental/Saanenland der damaligen Zeit – erstmals im Kirchenverzeichnis des Bistums Lausanne von 1228 («Duessimenes»)
erwähnt. Die Entstehung der Kirche ist verknüpft mit den
Besitzverhältnissen der Burgen auf dem Mannenberg ob
Mannried. Die dortigen Ritter stifteten zu einem unbekannten Zeitpunkt eine Kirche und ein sog. Widumsgut zur
Finanzierung eines Priesters; das Gelände unterhalb der
Kirche und der hintere Teil des Friedhofes heissen bis heute
«Wydemmatte». Damit hatten die Herren vom Mannenberg
(um 1280 die von Raron aus dem Wallis, ab etwa 1300 die
von Strättligen) den «Kirchensatz» (Kollatur) inne und durften Priester berufen. Die Verarmung und Verschuldung der
Ritter von Strättligen führte zum Verkauf des Kirchensatzes und damit auch der Einnahmen aus dem Kirchen- Zehnten
an das Augustiner-Chorherren-Kloster Interlaken; die Burgen gingen
ein Jahr später an den Grafen Peter von Greyerz. Es ist davon auszugehen, dass auf den stattlichen Burganlagen auf
dem unteren und oberen Mannenberg einst auch eine Kapelle vorhanden war. Eine Wegkapelle soll der Sage nach
auch in der Nähe der Laubeggburg gestanden haben, woher
der Flurname «Kapelliboden» herrühren soll. Verbürgt ist
die Kapelle auf der Blankenburg, die noch auf Darstellungen des 18. Jh. deutlich mit ihrem steilen Dach, dem kleinen
Dachreiter samt Glöckchen und Kreuz auf der Spitze erkennbar ist; sie wurde – wie der gesamte Amtssitz des Kastellans – 1767 durch eine Feuersbrunst zerstört. Ihre starken
Mauern blieben bis heute erhalten; im 19. Jh. tagte hier das
Bezirksgericht, zuletzt war dort das Kreisgrundbuchamt
untergebracht.
! Leidens­
mystik:
Christus­
darstellung
im
Zweisimmer
Messbuch
von 1470.
" Kirche und
Beinhaus
am Fusse
des Rinder­
berges.
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An Zweisimmen angeschlossen war St. Stephan. Ab 1408
hatte der Priester von Zweisimmen vier Mal pro Woche Messe im Nachbardorf zu lesen. Zwar erlangte die Gemeinde ab
1433 die Zusicherung der kirchlichen Selbständigkeit; der
Vollzug dieser Trennung von Zweisimmen verzögerte sich
jedoch bis 1525 oder wurde verzögert, vermutlich weil dem
Kloster Interlaken dadurch wesentliche Einnahmen aus dem
Kirchenzehnten verloren zu gehen drohten. Von St. Stephan
war wiederum Lenk abhängig. Daneben soll es im Spätmittelalter diverse Kapellen gegeben haben; verbürgt ist dies (wie
erwähnt) für das Schloss Blankenburg, wahrscheinlich ebenso auf den Burgen Mannenberg und Laubegg, nach mündlicher, aber nicht verbürgter Überlieferung auch in Mannried,
Grubenwald und auf der Pfaffenmatte. Zweisimmen war die
Hauptkirche des Obersimmentales, auch wenn in St. Stephan
möglicherweise schon früher eine Kirche stand.
Das Ensemble von Kirchentreppe, Kirche, Beinhaus und Friedhof
gibt heute einen guten Eindruck vom mittelalterlichen Kirchhof. Der Friedhof erfuhr eine Erweiterung nach Nordwesten
hin erst im Jahre 1850.
GeSchichte DeS KirchenbauS
Der heutige Kirchenbau erhielt seine Grundfläche in der 2.
Hälfte des 15. Jahrhunderts. Er ist in einer ersten Phase die
Erweiterung eines älteren hochmittelalterlichen Gotteshauses (um 1000, möglicherweise noch älter) im 13./14. Jh. Dabei
blieben die nördlichen Wände vom Schiff und vom Chor (bis
zum Knick im Mauerwerk auf der Stirnwand) erhalten; deren Oberflächen sind innen wie aussen wesentlich unebener
als die im neueren Teil. Nach Süden und Westen hin wurde
das Schiff vergrössert. Der Chor erhielt seine jetzige Grösse
erst gegen Ende des 15. Jh. In der Grösse und Ausgestaltung
der Kirche spiegelt sich die Bedeutung Zweisimmens als
Hauptort des Obersimmentals wider. Sie war Maria geweiht,
darum auch zahlreiche Bezugnahmen auf sie im Bildprogramm der Kirche.
Im Jahre 1453 erfolgte eine allgemeine Visitation der Gemeinden durch den Bischof von Lausanne. In Zweisimmen wurde
dem Priester – «unter dessen Leitung und Seelsorge ungefähr
dreihundert Feuerstellen sind» (sub cuius regimine seu animarum cura sunt tercentum foci vel circa) – bescheinigt, dass
hier «im Ganzen und im Einzelnen alles in guter Ordnung sei»
(omnia et singula competenter stare); neben einigen Kleinigkeiten wurde lediglich verlangt, dass das (von einem Schreiber
kopierte) Messbuch des Priesters auf seine Richtigkeit und
Vollständigkeit hin geprüft und eine Sakristei gebaut werde
(heutiger Anbau beim Turm). Innerhalb der nächsten 50 Jahre
setzte dann ein regelrechter Erneuerungsboom ein, der riesige
Geldsummen verschlungen haben muss und sich nur erklären
lässt mit der intensivierten Kirchlichkeit der Epoche und dem
Bedürfnis der Menschen, sich durch Zuwendungen an die Kirche das Heil zu sichern: 1456 neue Decke im Schiff (Inschrift),
1470 kostbares neues Messbuch für den Barbara-Altar, um
1480 Wandmalereien an der Nord- und Südwand des Schiffes, 1481 Bau des Beinhauses, um 1490 Bau des Pfarrhauses,
um 1490 Vergrösserung des Chores, um 1500 neue Decke und
Front des Chores, 1500 Guss einer dritten Glocke. 1516 wurde
eine (weitere?) Kaplanei gestiftet, nachdem schon im 15. Jh.
ein Frühpriester erwähnt worden war.
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Zweisimmen gehörte zu den Gemeinden, die sich lange gegen die Einführung der Reformation zur Wehr setzten.
Der damalige Priester Ulrich Ubert und der Kastlan auf
dem Blankenburger Schloss Anton Bütschelbach gehörten zu den heftigsten Gegnern. Mit der Reformation 1528
wurde die Übermalung der Bilder angeordnet. Die Bilder
über dem Eingang draussen wurden allerdings erst um 1600
übertüncht; hier könnte eine Rolle gespielt haben, dass sie
Maria als Leserin der hl. Schrift zeigen, was ganz im Sinne der Reformation war. Die Freilegung der Bilder erfolgte anlässlich von Renovationen 1947 – 1949 und 1957/58.
Bei der heutigen Betrachtung der Bilder ist zu bedenken,
dass meist nur noch die Konturen-Vorzeichnungen und die
stark vom Putz aufgenommenen Grundfarben sichtbar sind.
Beim grossen Dorfbrand von 1862 drangen die Flammen
so nahe an die Kirche, dass die Turmmauern heiss wurden.
Das Gebäude blieb aber unversehrt. Ebenfalls gefährdet war
die Kirche 1940, als das Pfarrhaus brannte; nur ein in vollem Laub stehender grosser Kastanienbaum hat damals ein
Übergreifen der Flammen verhütet.
" Kirche Zweisimmen um 1900:
Hier sind noch die Bibelsprüche
sichtbar, die einst über den
Wandmalereien auf dem An­
strich waren. Riesige Holzöfen
sorgten für etwas Wärme wäh­
rend der Predigt.
auSSen
Westliche Aussenwand (unter Vordach), um 1500: Links Christophorus mit dem Christuskind, wie häufig auf die Aussenwand
der Kirche gemalt; durch eine später eingesetzte Grabtafel
(für Pfr. Emanuel Schönweitz, verstorben 1757, und dessen
bereits 15 Jahre zuvor verschiedene Ehefrau samt Kind) teils
zerstört.
Mitte «Mariae Verkündigung». Trinitarische Darstellung: Gott
Vater oben, der Sohn bereits «unterwegs» zu Maria, Taube
an Mariens Ohr als Symbol des Hl. Geistes. Maria vertieft in
die hl. Schrift, aufgeschlagen ist die Verheissung Jesaja 7,14
(lat.): Siehe eine Jungfrau wird schwanger werden... Schriftband des Engels Gabriel: Ave Maria, gratia plena, dominus
tecum (Gegrüsst seist du, Maria, voll der Gnaden; der Herr
ist mit dir); siehe die Bilddeutung im Kasten. Rechts: Kampf
des hl. Georg mit dem Drachen, in dessen Hals die zerbrochene
Lanze steckt. Vom benachbarten Fels aus sieht die Königstochter zu, welche Georg durch seinen Kampf rettet.
Verteilt über die Wand: Namen mit Rötelschrift, teils mit
Jahrzahl, aus dem 15. und 16. Jahrhundert (die jüngste rechts
gut lesbar: «Hans Wollandt 1590»). Unterhalb von Maria
Zeichnung eines damals modischen Schnabelschuhs mit Seitenbindung und Schelle an der Spitze. Rechts daneben: «Bay
Hans 1508»; identische Namensinschrift auch im Beinhaus,
mittlerer Stock, innen neben dem Kapellenfenster.
Angekohlte Balkenköpfe, das Vordach tragend: Der Sage
nach sollen im 17. Jh. fahrende Schüler aus Deutschland versucht haben, die Kirche anzuzünden mit dem Ziel, die Wohnhäuser zu plündern, während die Besitzer den Brand löschten. Der Plan misslang. Man fing von den Brandstiftern aber
einzig einen 17-jährigen namens Sprenzel, der dann auf dem
Galgenbühl hingerichtet wurde.
Kirchturm: Die mit goldenen Ziffern auf dem Helm des Kirchturmes angebrachte Jahrzahl «1898» erinnert an die damals
stattgefundene Turmrenovation.
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