1 9.3 Nash-Gleichgewicht Die Wirtschaftswissenschaften und die sogenannte Spieltheorie stehen schon immer in einem engen Zusammenhang. Die Beiträge von Cournot und Bertrand können zu den frühesten spieltheoretischen Arbeiten gezählt werden. Gleichzeitig haben sie zum Verständnis von Märkten beigetragen. Die moderne Spieltheorie hat sich immer auf diese frühen Wurzeln in den Wirtschaftswissenschaften bezogen. Die enge Verbindung wird auch darin deutlich, daß der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 1994 u.a. einem Mathematiker (Nash) zugesprochen wurde. Nash ist es u.a. zu verdanken, daß die Ideen von Cournot zum Ergebnis von interdependenten Entscheidungen auf eine viel breitere Grundlage gestellt wurden. Die Anwendungen haben sich dadurch explosionsartig vervielfacht. Gerade bei der Anwendung spieltheoretischer Konzepte auf wirtschaftswissen-schaftliche Fragestellungen fiel auf, daß die von von Neumann, Morgenstern und Nash gelegten Grundlagen der Spieltheorie nicht für alle Anwendungsbereiche geeignet sind. Es wurden feinere Werkzeuge gebraucht. Ein solches Werkzeug, das insbesondere seit den späten 70er Jahren zahlreiche Anwendungen gefunden hat, ist das Konzept des "Teilspiel-perfekten Gleichgewichts", das auf den deutschen Wirtschaftswissenschaftler Reinhard Selten zurückgeht. Auch er erhielt u.a. aufgrund dieses zentralen Beitrages als bislang einziger deutscher Wirtschaftswissenschaftler im selben Jahr den Nobelpreis. Wir werden in diesem Abschnitt einerseits das Gleichgewichtskonzept von Nash und im nächsten Abschnitt das Gleichgewichtskonzept von Selten skizzieren und mit ihrer Hilfe andererseits einige Aspekte des Cournot-Modells besprechen. Kommen wir zunächst zu dem Gleichgewichtsbegriff von Nash. Dieser entspricht einer direkten Übertragung des Cournot-Gleichgewichts auf einen allgemeineren Kontext. Wir werden hier nur zwei Entscheidungsträger thematisieren. Alles, was hier besprochen wird, läßt sich jedoch auch auf beliebig viele Entscheidungsträger verallgemeinern. Die Entscheidungsträger heißen in der Spieltheorie Spieler. In dem Cournot-Modell waren die beiden Unternehmen die Spieler. Jeder Spieler ist erstens durch die ihm offenstehenden Strategien charakterisiert. Diese werden allgemein in einer Strategienmenge zusammengefaßt. Im Cournot-Modell sind die Strategieentscheidungen die Mengenentscheidungen. Die Strategienmenge ist dort die Menge aller nicht negativen Mengen (jede Menge kann grundsätzlich gewählt werden, negative Mengen machen keinen Sinn). Jeder Spieler ist zweitens durch eine Auszahlungsfunktion (pay-off function) charakterisiert. Die Auszahlungsfunktion hängt von den gewählten Strategien beider Spieler ab. Wenn man mit u1 die Auszahlungsfunktion des ersten Spielers und mit aj die 2 Strategie des Spielers j bezeichnet, dann ist der Wert der Auszahlungsfunktion für den ersten Spieler u1(a1, a2) und für den zweiten Spieler u2(a1, a2). Darin kommt die Interdependenz der Entscheidungen zum Ausdruck. Im Cournot-Modell entspricht die Gewinnfunktion in Abhängigkeit der Outputmengen der beiden Unternehmen der Auszahlungsfunktion. Ein Spiel kann daher durch die Strategienmengen Ai und die Auszahlungsfunktionen ui vollständig beschrieben werden. Welche Entscheidungen die Spieler in einem solchen Spiel treffen werden, wird durch das NashGleichgewicht beschrieben. Es ist wie folgt definiert: Die Strategien (a1∗ , a 2∗ ) heißen Nash-Gleichgewicht, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: u1 (a1∗ , a 2∗ ) ≥ u1 (a1 , a 2∗ ) ∀a1 ∈ A1 u2 (a1∗ , a 2∗ ) ≥ u2 (a1∗ , a 2 ) ∀a 2 ∈ A2 . Vergleicht man für das Cournot-Modell, welche Strategienkombinationen ein NashGleichgewicht darstellen, so sind es genau die Mengenkombinationen, die in diesem Modell Cournot-Gleichgewicht genannt wurden. Dies sieht man am schnellsten ein, wenn man beispielsweise die erste Bedingung wie folgt ausdrückt: Bei gegebener Wahl des zweiten Spielers a 2∗ , wird im Nash-Gleichgewicht die Strategie des ersten Spieler so gewählt, daß seine Auszahlungsfunktion maximiert wird. In der Sprache des Cournot-Modells: Bei gegebener Menge des zweiten Unternehmens q 2C muß das erste Unternehmen die Menge so wählen, daß sein Gewinn maximiert wird. Das bedeutet aber, daß die Wahl so getroffen wird, daß die Mengenkombination auf der Reaktionsfunktion des ersten Unternehmens liegt. Entsprechend fordert die zweite Bedingung, daß die Kombination auf der Reaktionsfunktion des zweiten Unternehmens liegt. Die beiden Forderungen zusammen implizieren, daß die Mengenkombination auf beiden Reaktionsfunktionen liegen muß. Dies charakterisierte aber gerade das CournotGleichgewicht. Fazit: Das Cournot-Gleichgewicht ist ein Spezialfall des NashGleichgewichts. Dasselbe gilt für das Bertrand-Gleichgewicht. 3 Diese Charakterisierung hat dem Cournot-Modell die unberechtigte Kritik beschert, daß es von "irrationalen" Erwartungen ausgeht. Vordergründig gehen die Unternehmen davon aus, daß das andere Unternehmen seine Outputmenge nicht ändert. Und die Annahme, daß das andere Unternehmen seine Menge nie ändert, wurde als Annahme "irrationaler" Erwartungen interpretiert. Nach der Diskussion in 9.1 dürfte klar sein, daß diese Kritik nicht berechtigt ist. Das Cournot-Gleichgewicht - und damit auch das Nash-Gleichgewicht - ist gerade durch Überlegungen darüber geprägt, welche Erwartungen rational sind. Das eine Unternehmen erwartet, daß das andere Unternehmen nicht von dem Cournot-Niveau abweicht, weil es keinen Anreiz dazu hat. Das Gleichgewichtskonzept macht keine Aussage darüber, was die Unternehmen erwarten, wenn sich die Gleichgewichtsmengen nicht realisieren. Wir werden das Cournot-Modell nun noch einmal mit Hilfe des Nash-Gleichgewichts untersuchen. Wir tun dies in einem vereinfachten Kontext, in dem die Unternehmen nur über eine "hohe" Menge oder eine "niedrige" Menge entscheiden können. Dies wird uns erlauben, die unterliegenden Annahmen des Cournot-Modells besser zu verstehen. Die Strategienmengen der beiden Spieler bestehen jetzt nur noch aus zwei möglichen Strategien. Dies ermöglicht es, die Werte bei allen Kombinationen übersichtlich in einer Tabelle, der sogenannten Auszahlungsmatrix darzustellen: Spieler 2 hoch (H) niedrig (N) hoch (H) (u1 ( H , H ), u2 ( H , H )) (u1 ( H , N ), u2 ( H , N )) niedrig (N) (u1 ( N , H ), u2 ( N , H )) (u1 ( N , N ), u2 ( N , N )) Spieler 1 In jedem Feld stehen also die Werte der Auszahlungsfunktion für die vier möglichen verschiedenen Strategienkombinationen. Wir werden nun spezielle Zahlen annehmen. Spieler 2 H N H (64, 64) (80, 60) N (60, 80) (72, 72) Spieler 1 Die Werte auf der Hauptdiagonalen sind dadurch entstanden, daß von einer PreisAbsatzfunktion 24 - y und der Kostenfunktion C(y) ≡ 0 ausgegangen wurde. Links oben 4 stehen die Werte, die sich bei dieser Spezifikation im Cournot-Gleichgewicht ergeben (die Mengen sind jeweils 8). Rechts unten stehen die Werte für den Fall, daß beide Unternehmen sich den Monopolgewinn teilen (die Mengen sind dann jeweils 6). Als Übung vollziehe man dies nach. Betrachten wir die Auszahlungsmatrix als einzige Information. Sollten die Unternehmen H oder N wählen? Ist es rational zu erwarten, daß der Spieler 1 N wählt? Offensichtlich ist es dies nicht. Denn völlig unabhängig davon, was der zweite Spieler wählt, steht sich der erste Spieler immer besser, wenn er H wählt. Die rationale Erwartung ist demnach die Wahl H durch den ersten Spieler. Aus denselben Gründen ist es auch rational zu erwarten, daß der zweite Spieler dieselbe Wahl trifft. Als einzige rationale Erwartung bleibt die Wahl (H, H). Wir haben hier den Spezialfall eines Spiels, in dem jeweils eine der beiden Strategien immer besser ist als die andere. Man sagt dann, daß die schlechtere von der besseren dominiert wird. Hier gelangen wir durch die Elimination dominierter Strategien zu einem eindeutigen Ergebnis. Es wäre schön, wenn man auf derart einfache Weise stets zu einem Endergebnis käme. Viele wirtschaftlich interessante Spiele haben leider kein Gleichgewicht in dominierenden Strategien. Es ist nun eine einfache Übung, sich zu überlegen, daß das Nash-Gleichgewicht in diesem Spiel ebenfalls (H, H) ist. Wir haben hier eine zusätzliche Begründung für die Rationalität des Nash-Gleichgewichts, allerdings nur für die Fälle, in denen es ein Gleichgewicht in dominierenden Strategien gibt. Die eigentliche Motivation, das Nash-Gleichgewicht für ein Cournot-Spiel in einem vereinfachten Kontext zu bestimmen, liegt aber natürlich nicht darin, das CournotGleichgewicht noch einmal herzuleiten. Vielmehr kann man aus der obigen Matrix einige weitere Aspekte ablesen. Beachten Sie, daß beide Unternehmen einen höheren Gewinn erzielen würden, wenn sie beide eine geringere Menge gewählt hätten. Sie wählen diese Möglichkeit nicht, weil sie beide einen einseitigen Anreiz haben, von dieser Wahl abzuweichen. Wenn sie sich nicht kooperativ verhalten, kommt es wegen dieser Anreizstruktur für beide zu einem schlechteren Ergebnis. Dies ist eines von vielen Beispielen für eine Situation, die in der Literatur Gefangenendilemma genannt wird. Warum dies so heißt, können Sie z.B. bei Varian, Kap. 27 nachlesen. Wir haben im ersten Kapitel schon einmal eine Situation kennengelernt, die in dieselbe Klasse von Situationen paßt. Das Gemeinsame an den Situationen, die durch die Problematik des Gefangenendilemmas beschrieben werden, ist, daß individuelles nichtkooperatives Verhalten letztendlich allen schadet. Eine kooperative Lösung würde alle Spieler besser 5 stellen. Aber jeder Spieler hat einen individuellen Anreiz, von der kooperativen Lösung abzuweichen. Eine Möglichkeit, mit dieser Situation umzugehen, besteht darin, daß sich die beiden Unternehmen zusammensetzen und gemeinsam beschließen, wieviel die beiden Unternehmen jeweils produzieren sollen. Wenn sie dies tun, können sie (N, N) beschließen und sich dadurch beide besser stellen. Solche Produktionsabsprachen werden unter dem Begriff Kartell zusammengefaßt. Ein Teil der Wettbewerbspolitik befaßt sich gerade mit der Einschätzung von Kartellen. Kartelle werden als wirtschaftlich schlecht angesehen, weil sie u.a. die Versorgung der Konsumenten verschlechtern. Deshalb versucht die Kartellgesetzgebung, solche Kartellabsprachen zu verhindern. Wir werden hier nicht weiter darauf eingehen. Die entsprechenden Argumente werden sowohl in der Vorlesung "Markt und Wettbewerb" als auch vertieft in der Vorlesung "Wettbewerbspolitik" thematisiert. Hier soll nur darauf hingewiesen werden, daß die obige Auszahlungsmatrix auch dazu herangezogen werden kann, um zu argumentieren, daß ein Kartell mit erheblichen Stabilitätsproblemen zu kämpfen hat. Jedes Unternehmen hat einen Anreiz, von der Kartellabsprache abzuweichen. Die Möglichkeit einer Kartellbildung ist oft auch als Kritik an dem Cournot-Modell vorgetragen worden. Es wurde argumentiert, daß davon auszugehen ist, daß die Unternehmen ihren gemeinsamen Vorteil einer Kartellabsprache sehen und ihn auch realisieren werden. Daher sei die Beschreibung eines Marktergebnisses durch das Cournot-Modell wenig plausibel. Diese Argumentation verkennt jedoch die zentralen Stabilitätsprobleme von Kartellen. Als weiterer Kritikpunkt an dem Cournot-Modell wurde seine statische Natur angeführt. Wie schon im Kontext mit dem Bertrand-Modell macht das Cournot-Modell nur uneingeschränkten Sinn, wenn wir ein einmaliges Aufeinandertreffen der beiden Unternehmen modellieren wollen. Wenn die Unternehmen wiederholt aufeinandertreffen, läßt sich wieder eine andere rationale Strategie als die des Cournot-Gleichgewichts vorstellen. Dann könnte die Strategie nämlich wie folgt aussehen. Wenn ein Unternehmen die niedrige Menge wählt, wird auch das andere Unternehmen die niedrige Menge wählen. Wenn ein Unternehmen einmal die hohe Menge wählt, wird auch das andere Unternehmen die hohe Menge wählen. Diese gegenseitige Androhung von Vergeltungsmaßnahmen kann in einem dynamischen (wiederholten) Kontext dazu führen, daß die beiden Unternehmen bei den niedrigen Mengen und damit bei den höheren Gewinnen bleiben. Jedoch ist auch diese Möglichkeit zunächst nur eine Denkmöglichkeit. In der Vorlesung "Wettbewerbspolitik" wird die Wahrscheinlichkeit dafür, daß eine solche Strategie als 6 stabil anzusehen ist, als eher gering eingeschätzt. Die entsprechende Kritik an dem Cournot-Modell ist daher nicht unbedingt stichhaltig.
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