Institut für Betriebswirtschaftslehre Fukushima Atomkatastrophe in Japan Einführungsbeispiel zu Business Ethics, Corporate Social Responsibility und Stakeholder Management Institut für Betriebswirtschaftslehre Fukushima: Atomkatastrophe in Japan I – Am 11. März 2011 ereignete sich vor der Ostküste Japans das Tohuku-Erdbeben mit einer Stärke von 9.0 auf der Richterskala und löste einen Tsunami aus, dessen Wellen lokal eine Höhe von über 20 Meter erreichten. – Eine Stunde nach dem Erdbeben trafen am Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi Tsunamiwellen in der Höhe von maximal 15 Metern ein, wodurch alle sechs Reaktorblöcke bis zu fünf Meter hoch überschwemmt wurden. – Das in das Atomkraftwerk eindringende Wasser zerstörte die zur Wärmeableitung wichtigen Meerwasserpumpen, elf der zwölf vorhandenen Notstromaggregate sowie die meisten Stromverteiler. 14.09.2015 Business & Society Prof. Dr. Sybille Sachs 2 Institut für Betriebswirtschaftslehre Fukushima: Atomkatastrophe in Japan II – Mangels Kühlung kam es zur Überhitzung in den Reaktoren und Abklingbecken für die Brennstäbe, wodurch die inneren Kerne der Reaktoren zu schmelzen begannen. – Durch gezielte Druckentlastungen konnte einerseits eine Explosion der Reaktoren verhindert werden, andererseits gelangten hochradioaktive Stoffe in die Umwelt. Durch mehrere Wasserstoffdetonationen in den Reaktorgebäuden gelangte zusätzlich radioaktiver Schutt in die Atmosphäre. – Ein Teil des zur Notkühlung der Reaktoren und Abklingbecken verwendete Meerwasser versickerte im Anschluss ungefiltert in den Boden oder gelangte zurück ins offene Meer. 14.09.2015 Business & Society Prof. Dr. Sybille Sachs 3 Institut für Betriebswirtschaftslehre Fukushima-Daiichi: Lage und Kraftwerk 14.09.2015 Business & Society Prof. Dr. Sybille Sachs 4 Institut für Betriebswirtschaftslehre Massnahmen zur Bekämpfung der Atomkatastrophe I Die Wiederherstellung der Kontrolle über die Reaktoren und der Abklingbecken im Kernkraftwerk Fukushima gestaltete sich als extrem schwierig: – 11.03.2011: Nach der Notabschaltung werden die darauf anspringenden Notstromdieselgeneratoren durch den Tsunami zerstört, wodurch die Kühlung der Reaktoren ausfällt. – 12.03.2011: Die Druckventile der Reaktoren werden aufgrund mangelnder Kühlung geöffnet, radioaktive Substanzen entweichen. Meerwasser, welches die Reaktoren zerstört, wird dennoch zur Kühlung benutzt. – 13.03.2011: Eine 20 Kilometer breite Evakuierungszone wird angeordnet. – 17.03.2011: Einsatz von Wasserwerfern und Helikoptern zur Kühlung der Reaktoren und der Abklingbecken. 14.09.2015 Business & Society Prof. Dr. Sybille Sachs 5 Institut für Betriebswirtschaftslehre Massnahmen zur Bekämpfung der Atomkatastrophe II – 04.04.2011: Radioaktives Kühlwasser, welches aus den Reaktoren austritt, wird mangels verfügbarer Auffangtanks direkt ins Meer geleitet. – 06.06.2011: Reinigungsanlagen zur Dekontaminierung des Kühlwassers werden in Betrieb genommen. – 10.08.2011: Alle Reaktoren und Abklingbecken werden durch geschlossene Systeme gekühlt. – 21.08.2011: Stabile Temperaturen von weniger als 100 Grad Celsius innerhalb aller Reaktoren. – 16.12.2011: Kaltabschaltung des Atomkraftwerks wird durch den amtierenden Premierminister kommuniziert. – 18.07.2012: Erste Brennstäbe können aus den Abklingbecken entfernt werden. – Ab Juni 2013: Auslaufendes kontaminiertes Kühlwasser aus den Sammelbecken wird als ernster nuklearer Störfall eingestuft. – März 2015: Elementarteilchen-Scan zeigt, dass in Reaktorblock 1 kein nuklearer Brennstoff mehr vorhanden ist. 14.09.2015 Business & Society Prof. Dr. Sybille Sachs 6 Institut für Betriebswirtschaftslehre Folgen der Atomkatastrophe – Durch das Erdbeben und den anschliessenden Tsunami verloren 19‘000 Menschen ihr Leben, 27‘000 wurden verletzt. – Auf dem Gelände des Atomkraftwerkes Fukushima starben drei Personen, 22 Personen verletzten sich und mehr als 100 Personen wurden radioaktiv verstrahlt. – Die Errichtung einer 20 km breiten Evakuierungszone betrifft insgesamt 150‘000 Anwohner, ihre Zukunft ist mehr als drei Jahre nach dem Unfall weiter unklar. Viele wohnen noch immer in provisorischen Unterkünften – Verschiedene Wirtschaftsbereiche wie die Fischerei, die Landwirtschaft, der Tourismus, oder sonstige exportorientierte Branchen müssen existenzbedrohende Umsatzeinbussen hinnehmen. Der volkswirtschaftliche Schaden wird auf 120 Milliarden USD geschätzt. 14.09.2015 Business & Society Prof. Dr. Sybille Sachs 7 Institut für Betriebswirtschaftslehre Beteiligte und betroffene Gruppierungen (I) – TEPCO (Tokyo Electric Power Company) ist der grösste Energieproduzenz Japans mit Quasi-Monopolen in verschiedenen Städten und Regionen. 2012 wird TEPCO aufgrund drohender Insolvenz durch die zu leistenden Entschädigungszahlungen verstaatlicht. – NISA (Nuclear and Industrial Safety Agency) ist die Aufsichtsbehörde der Energieindustrie. Sie untersteht dem japanischen Wirtschaftsministerium (METI). – Lokale Wirtschaftszweige wie Landwirte und Fischer, deren Produkte nicht mehr verkauft und exportiert werden können. Aber auch Unternehmungen, die durch die Evakuierungszone ihre Geschäftsgrundlage verlieren. 14.09.2015 Business & Society Prof. Dr. Sybille Sachs 8 Institut für Betriebswirtschaftslehre Beteiligte und betroffene Gruppierungen (II) – Die Menschen in der Evakuierungszone, welche durch den abrupten Wegzug ihre Lebensgrundlage verloren haben. – Politiker, welche plötzlich zu Krisenmanagern wurden (bspw. Premierminister Naoto Kan). – Arbeitnehmer, welche plötzlich hochriskante Notfalleinsätze durchführen oder dazu gezwungen werden (TEPCO-Mitarbeiter, Feuerwehrmänner und Soldaten). 14.09.2015 Business & Society Prof. Dr. Sybille Sachs 9 Institut für Betriebswirtschaftslehre Die Frage der Verantwortung – Die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) identifizierte in ihrem Inspektionsbericht folgende Unzulänglichkeiten, welche zur Atomkatastrophe in Fukushima führten: - Das Tsunamirisiko wurde massiv unterschätzt, bspw. waren die Schutzmauern gegenüber dem Meer zu niedrig - Die Atomaufsichtsbehörde war nicht unabhängig vom japanischen Wirtschaftsministerium, welches die Atomkraft aktiv förderte - Die Auslegung der Sicherheitsvorschriften an den Reaktoren sowie der Sicherheitsprozesse durch TEPCO war unzureichend - Es fehlte vor Ort an Notfallausrüstung (Kleidung, Dosimeter, Ersatzteile, etc.) TEPCO übernimmt die Hauptverantwortung für die Atomkatastrophe. Vorwürfe gegenüber der Regierung betreffend Katastrophenmanagement und Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörde bleiben bestehen 14.09.2015 Business & Society Prof. Dr. Sybille Sachs 10 Institut für Betriebswirtschaftslehre Aspekte des Krisenmanagements – TEPCO übernimmt gleich zu Beginn der Atomkatastrophe die Verantwortung für die Geschehnisse und bildet einen Krisenstab unter der Leitung ihres CEOs Masataka Shimizu. – Die Krisenkommunikation von TEPCO wird immer wieder kritisiert, da sie keine Transparenz über Fakten und Konsequenzen der Katastrophe schafft. Immer wieder müssen Fehler in kommunizierten Daten zugegeben werden. – Premierminister Naoto Kan erscheint am 15. März in der TEPCOFirmenzentrale und bildet persönlich einen Krisenstab aus Mitarbeitern der Regierung und TEPCO. Leiter des Krisentabes ist ein Vertrauter von Naoto Kan. – CEO Masataka Shimizu tritt unter der andauernden Kritik über TEPCOs Katastrophenmanagement am 20. Mai zurück. – Premierminister Naoto Kan tritt aufgrund der Kritik an seinem Katastrophenmanagement Ende August 2011 zurück. 14.09.2015 Business & Society Prof. Dr. Sybille Sachs 11 Institut für Betriebswirtschaftslehre Konsequenzen der Atomkatastrophe (I) – Mehr als 150‘000 Menschen haben durch die Evakuierungszone ihre Lebensgrundlage verloren und müssen diese neu aufbauen. Daraus entstehen hohe Schadenersatzforderungen gegenüber TEPCO und der Regierung. – TEPCO musste aufgrund der hohen Schadenersatzforderungen verstaatlicht werden, da die Unternehmung ansonsten insolvent wäre. – Verschiedene Wirtschaftszweige in Japan sind noch immer von den Konsequenzen der Atomkatastrophe betroffen (Landwirtschaft, Fischerei, Tourismus, Exportindustrie generell) – Versicherungsunternehmen schliessen Zahlungen infolge von Schäden durch Radioaktivität aus. – Mutationen in verschiedenen Tierarten werden um Fukushima festgestellt (bspw. Schmetterlinge, Jungfische). 14.09.2015 Business & Society Prof. Dr. Sybille Sachs 12 Institut für Betriebswirtschaftslehre Konsequenzen der Atomkatastrophe (II) – Nach der Atomkatastrophe von Fukushima schaltete Japan alle 50 Reaktoren zur Sicherheitsüberprüfung ab. Am 1. Juli 2012 ist erstmals wieder ein Reaktor hochgefahren worden, was von grösseren Demonstrationen in Tokio begleitet wurde. – Der für 2040 angekündigte Atomausstieg Japans wird im April 2014 aus wirtschaftlichen Gründen rückgängig gemacht, obwohl 85 Prozent der Bevölkerung einen Atomausstieg unterstützen. – Belgien, Deutschland und Spanien haben sich nach der Atomkatastrophe in Fukushima zu einem Atomausstieg entschlossen. Irland, Kuba, Österreich und die Philippinen werden ihre geplanten Reaktoren nicht weiter ausbauen oder ans Netz nehmen. – Die Schweiz führte eine Laufzeitbeschränkung der bestehenden Atomkraftwerke auf 50 Jahre ein, was einem Ausstieg aus der Atomkraft bis 2034 gleichkommt. – März 2015, 4 Jahre nach dem Tsunami, lebten noch immer rund 230’000 Menschen in Notunterkünften wie Containersiedlungen und provisorisch belegten Apartments. 14.09.2015 Business & Society Prof. Dr. Sybille Sachs 13 Institut für Betriebswirtschaftslehre Gesellschaftliche Auswirkungen http://www.ardmediathek.de/tv/Quarks-Co/Fukushima-danach/WDRFernsehen/Video?documentId=26968360&bcastId=7450356 Wohnräume (Dekontamination) Lebensmittel (Kontrollen im Anbau und Einzelhandel, regionale Vermarktung) Öffentliche Plätze, Spielplätze (Messung der Radioaktivität) Kinder (Schilddrüsenuntersuchungen) 14.09.2015 Business & Society Prof. Dr. Sybille Sachs Seite 14 Institut für Betriebswirtschaftslehre Fragestellungen bezüglich Corporate Social Responsibility – In welcher Hinsicht verhalten sich die verschiedenen Parteien unternehmerisch verantwortungsvoll? In welcher Hinsicht nicht? – Welche verschiedenen Unternehmungen sollten Verantwortung übernehmen? Bis zu welchem Ausmass? 14.09.2015 Business & Society Prof. Dr. Sybille Sachs 15 Institut für Betriebswirtschaftslehre Fragestellungen bezüglich Stakeholder Management – Welche Stakeholder sind involviert? In welcher Beziehung stehen diese zu den beteiligten Unternehmungen? – Wie hätten die Probleme durch den Einbezug der Stakeholder minimiert oder gar vermieden werden können? 14.09.2015 Business & Society Prof. Dr. Sybille Sachs 16
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