Wahlfieber in Tansania: John Magufuli neuer Präsident

TANSANIA: WAHLEN
Wahlfieber in Tansania:
John Magufuli neuer Präsident
TANSANIA HAT GEWÄHLT. Der Kandidat der Regierungspartei (CCM), Dr. John Pombe Magufuli, setzte sich gegen
den oppositionellen Politikveteranen Edward Lowassa durch. Die Opposition spricht von Wahlbetrug, dem Land
scheint die größte Herausforderung noch bevorzustehen.
Enthusiastisch und unermüdlich stand
die Mehrheit der knapp 23 Millionen wahlberechtigten Tansanier am 25. Oktober 2015
Schlange, um an Wahlstationen im gesamten Land ihrer politischen Meinung Ausdruck zu verleihen. Sie konnten am Sonntag
gleichzeitig über den nächsten Staatspräsidenten, das nationale Parlament und die lokalen Stadt- und Gemeinderäte abstimmen.
John Pombe Magufuli, bis vor einigen Jahren
noch Minister im Kabinett der amtierenden
Regierungspartei „Chama cha Mapinduzi“
(CCM, „Partei der Revolution“), ging mit über
58 Prozent der Stimmen als Sieger hervor
und löst damit seinen Parteigenossen Jakaya Kikwete nach dessen zweiter Amtszeit als
Präsident des flächenmäßig größten ostafrikanischen Landes ab.
Magufulis schärfster politischer Konkurrent, Edward Lowassa, Hoffnungsträger der
stärksten Oppositionspartei Chadema („Partei der Demokratie und des Fortschritts“)
und seit kurzem Galionsfigur der oppositionellen Vierparteienkoalition Ukawa, kam
dagegen auf knapp 40 Prozent. Der ehemalige CCM-Parteikader und Premierminister
Lowassa erlangte damit das bislang beste Ergebnis, das die politische Gegenseite jemals
verzeichnen konnte. Nie zuvor, seit der Einführung des Mehrparteiensystems in den
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1990er Jahren, waren tansanische Wahlen
so umkämpft wie in diesem Jahr. Doch bereits der Wahlkampf ließ erkennen, dass die
diesjährigen Wahlen alles andere als normal
verlaufen würden.
Nominierung und Wahlkampf
Die Regierungspartei CCM schickte mit
Dr. John Pombe Magufuli bewusst einen politischen Außenseiter ins Rennen, der zuvor
im Regierungskabinett als bodenständiger
Technokrat galt. Von den anfangs 38 potenziellen CCM-Kandidaten, darunter politische
Schwergewichte wie Lowassa, Außenminister Bernard Membe und Parteinachwuchs
January Makamba, setzte sich Magufuli wider allen Erwartungen im Juli durch. Dabei
gilt es als wahrscheinlich, dass Präsident
Kikwete persönlich dafür gesorgt hatte, dass
Lowassa früh aus dem Rennen schied und
die CCM sich auf Magufuli als Kompromisskandidaten einigte.
Unter dem Wahlkampfslogan „Hapa kazi
tu!“ („Hier gibt’s nur Arbeit!“) versuchte der
promovierte Chemiker Magufuli sein öffentliches Profil als hart arbeitender Macher aufzubauen und erhielt von seinen Unterstützern aufgrund seiner Arbeit als Minister für
öffentliches Bauwesen und Landwirtschaft
die Spitznamen „Jembe“ (Feldhacke) und
„Bulldozer“. In seiner ersten öffentlichen Ansprache als CCM-Präsidentschaftskandidat
bat er die tansanische Bevölkerung dementsprechend bescheiden: „Bitte erlaubt mir,
euch als Präsident zu dienen!.“
Doch obwohl Magufuli in Umfragen von
vornherein führte, schien sein Sieg alles
andere als sicher. Magufulis eigene Partei
CCM stand insbesondere in den Großstädten politisch stark unter Druck. Die oppositionelle Vierparteienkoalition der „Allianz
der Volksverfassung“, besser bekannt unter
ihrem Swahili-Akronym „Ukawa“ (Umoja
wa Katiba ya Wananchi), die ursprünglich
von Gegnern eines von der Regierung vorgeschlagenen Verfassungsentwurfs gegründet
wurde, schien beinahe unaufhaltsam. Binnen weniger Wochen traten hochrangige
Parteikader von der CCM zur Opposition
über, darunter der ehemalige Botschafter
Juma Mwapachu, Parteiveteran Kingunge
Mwiru und der frühere Premierminister Frederick Sumaye. Edward Lowassas spektakulärer Übertritt hingegen warf mit Abstand
die größten politischen Wellen, denn Lowassa polarisiert auch innerhalb der Opposition.
Der zuvor designierte Chadema-Präsidentschaftskandidat Willibrod Slaa übergab gezwungenermaßen das politische Zepter an
Lowassa und verschwand kurz darauf von
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der politischen Bildfläche. Auch der Vorsitzende des oppositionellen
„Civic United Front“ (CUF), Prof. Ibrahim Lipumba, trat aus Protest gegen Lowassa von seinem Parteiposten zurück.
Lowassa ist alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Der aus Arusha stammende 62-jährige wohlhabende Geschäftsmann war bereits 2008 in einen Korruptionsskandal um den US-amerikanischen
Energiekonzern Richmond Development verstrickt und musste daraufhin seinen Posten räumen. Seitdem erhielt er vor allem von politischen Gegnern den Spitznamen „Lorushwa“, ein Wortspiel auf das
Swahili-Wort für Bestechungsgeld. Es ist zudem ein offenes Geheimnis, dass Lowassa schwer an Parkinson leidet und möglicherweise
amtsuntauglich ist. Dennoch war dieser im Juli, nachdem er die
Nominierung zum CCM-Präsidentschaftskandidaten wider allen Erwartungen verloren hatte, kurzerhand zur Opposition übergelaufen
und wurde dort, obwohl nicht von allen, mit offenen Armen empfangen. Lowassa ist trotz der Korruptionsvorwürfe landesweit populär
und seine Wahlniederlage gegen Magufuli scheint die tansanische
Demokratie zu strapazieren.
Rhetorik vom Wandel
Besonders bei der jungen Wählerschaft waren solche Gerüchte
kein großes Thema. In den urbanen Zentren Daressalam, Mwanza,
Arusha, Dodoma und Mbeya wurden die Rufe nach einem politischen Wandel immer lauter. Was genau dieser Wandel beinhalten
sollte, war jedoch weniger klar. Besonders gebildete Jugendliche
sehnen sich nach einem modernen und globalisierten Tansania und
sind äußerst kritisch gegenüber der alt anmutenden sozialistischen
Rhetorik der Regierung. Diese neue Generation „Bongo“, wie Tansania von Jugendlichen genannt wird, scheint es zudem zu wagen,
gegen das als marode geltende System aufzubegehren. Der Oppositionskoalition Ukawa spielte diese Aufbruchsstimmung in die Hände.
Auch viele Geschäftsleute und Intellektuelle sahen in Lowassa einen
populären Kandidaten mit realistischen Chancen auf einen Sieg gegen CCM. In sozialen Netzwerken mehrten sich Beiträge unter dem
Hashtag #Mabadiliko2015 („Wandel 2015“). Doch erscheint diese
„Wandel“-Rhetorik äußerst paradox, denn als ehemaliger Funktionär der Regierungspartei versuchte sich Lowassa als Gegner gerade
desjenigen politischen Systems zu profilieren, das er über Jahrzehnte
aufgebaut und bis zu seinem Parteiaustritt mitverkörpert hatte.
Auch Magufuli, als vermeintlicher Kandidat des Establishments,
der in mehreren Umfragen vor der Wahl bereits zu führen schien,
versprach ebenfalls einen Wandel. Besonders bei Wählern aus ärmeren Schichten setzte Magufuli erfolgreich auf eine Symbolik der
Volksnähe und posierte als handfester Arbeiter mit Hacke und Spaten. In Anspielung auf die Gesundheitsprobleme Lowassas machte
Magufuli unter jubelnden Zurufen seiner Anhänger Liegestützen
auf dem Wahlkampfpodium und heizte die versammelten Massen
damit weiter an.
Daudi, ein Versicherungsagent aus Daressalam, der ursprünglich
aus Mwanza stammt, erklärte seine Wahlentscheidung so: „Ich habe
für Magufuli gestimmt, weil Lowassa zu sehr auf den Sieg fixiert
schien. Magufuli kommt auch aus dem Norden Tansanias, so wie ich.
Er wird hoffentlich auf die vorherigen politischen Entscheidungen
aufbauen, aber trotzdem das Land verändern.“
Im Vorwahlspektakel hielt sich Amtsinhaber Kikwete bewusst zurück. Auf Wahlkampfplakaten waren vor allem John Magufuli und
sein Slogan „Hapa kazi tu!“ zu sehen. Doch rund eine Woche vor den
Wahlen wurde Präsident Kikwete unvorsichtig. Bei einem öffentlichen Auftritt während eines Staatsbesuchs im benachbarten Kenia
sprach er von 28 Millionen anstatt der tatsächlichen 23 Millionen
registrierten Wahlberechtigten und erntete daraufhin scharfe Kritik
von der Opposition, die sofort Betrug witterte.
Wahlergebnisse, Sansibar und das Nachspiel
Nach mehr als drei Tagen Stimmenauszählung wurde John Pombe Magufuli am 29. Oktober 2015 vom Vorsitzenden der Nationalen
Wahlkommission (NEC), Damian Lubuva, offiziell zum Wahlsieger
2015 erklärt. Seine Mitkandidatin Samia Hassan Suluhu bekleidet
damit als erste Frau das Vizepräsidentenamt Tansanias. Die Regierungspartei CCM gewann nicht nur die Präsidentschaftswahlen,
sondern erhielt auch eine Zweidrittelmehrheit im neuen Parlament.
Fünf amtierende CCM-Kabinettsmitglieder verloren ihre Sitze an
Mitglieder der Opposition. Zudem musste die CCM in den Stadt- und
Gemeinderäten Tansanias starke Einbußen in Kauf nehmen. Vor
allem in der Wirtschaftsmetropole Daressalam sowie den Großstädten Arusha und Mbeya verwies Chadema die Regierungsseite mit
einem Mal auf die Oppositionsbank. Von zehn Wahlkreisen in der
Millionenstadt Daressalam gewann die CCM diesmal nur drei.
Zur gleichen Zeit spielte sich auch im semi-autonomen Teilstaat
Sansibar ein politischer Krimi ab. Bereits am Mittwochabend, noch
vor Bekanntgabe der landesweiten Ergebnisse, kam es zum politischen Super-Gau. Als sich eine Niederlage der regierenden CCM abzeichnete, rief sich der oppositionelle Präsidentschaftskandidat der
„Civic United Front“ (CUF), Seif Sharif Hamad, ohne Zögern selbst
zum Sieger aus. Die CUF tritt schon seit Jahren für die sansibarische
Unabhängigkeit und weniger Kontrolle durch die Regierung in Dodoma ein. Die sansibarische Wahlkommission (ZEC) ließ daraufhin
das gesamte Wahlergebnis für nichtig erklären. Tansanische Sicherheitskräfte hatten bereits einen Tag zuvor den Sitz der sansibarischen Wahlkommission umstellt und vereinzelt Tränengas gegen
Demonstranten eingesetzt. Die Situation schien zunächst chaotisch.
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Der Autor promoviert an
der School of Geography
and the Environment,
Universität Oxford (GB).
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Internationale Wahlbeobachter der Afrikanischen
Union (AU), unter der Führung des ehemaligen nigerianischen Präsidenten Goodluck Jonathan, sowie
der Europäischen Union (EU) bescheinigten der Wahl
jedoch insgesamt ein gutes Zeugnis. Mit Ausnahme
einiger örtlicher Unregelmäßigkeiten, angeblich verschwundener Wahlurnen, kleineren Auseinandersetzungen zwischen Oppositionellen und Anhängern
der Regierungspartei und dem schwelenden sansibarischen Wahldebakel waren die Wahlen gut organisiert und verliefen größtenteils friedlich. Die tansanischen Streitkräfte und die nationale Polizei waren
über Tage hinweg in Alarmbereitschaft versetzt worden, um gegebenenfalls bei Ausbruch größerer Unruhen eingreifen zu können. Die tansanische Bevölkerung und Regierung erinnern sich noch genau an
die politischen Spannungen nach den kenianischen
Wahlen 2007/2008. Obwohl ein ähnliches Szenario
in Tansania von vornherein unwahrscheinlich schien,
war diesmal auch hier die politische Lage angespannter.
Auf einem Kontinent, auf dem der Regierung routinemäßig (und oftmals gerechtfertigt) Wahlbetrug
unterstellt wird, scheint der Sieg einer Regierungspartei automatisch verdächtig. Edward Lowassa und die
Oppositionskoalition Ukawa weigern sich weiterhin,
den Wahlsieg Magufulis offiziell anzuerkennen, und
fordern eine Neuauszählung. Manche Gerüchte sprechen sogar von möglichen internationalen rechtlichen Schritten. Wie diese aussehen sollen, ist jedoch
unklar.
Bei nüchterner Betrachtung ist der Sieg der CCM
jedoch kein Wunder. Ganz abgesehen von einigen
wenigen Unregelmäßigkeiten scheint CCMs Erfolg
durchaus nicht unrealistisch. Die Partei und ihre Vorgängerorganisation Tanzania African National Union (Tanu), mit der Gründungsvater ‚Mwalimu‘ Julius
Nyerere das Land 1961 in die Unabhängigkeit führte,
ist besonders in ländlichen Regionen überdurchschnittlich gut vertreten. In einem Staat, in dem fast
70 Prozent der Menschen von der Landwirtschaft leben, ist eine ländliche Wählerbasis oftmals ausschlaggebend. In den abgelegenen Provinzen des riesigen
Landes ist die CCM fast unangefochten stärkste Kraft
und kann in alter sozialistischer Manier mit einer
agrarwirtschaftlichen Agenda punkten. Die Opposition hingegen wendet sich vor allem denen zu, die
sich selbst zur urbanen Mittelschicht und einer jugendlichen Protestgeneration zählen. Doch auch das
Mehrheitswahlsystem Tansanias (first-past-the-post),
das das Land von seiner ehemaligen Kolonialmacht
Großbritannien „geerbt“ hat, macht Wahlsiege der Regierungspartei von über 60 Prozent nicht zur Seltenheit, sondern zur Regel.
Was bringt die Zukunft?
Die politische Landschaft Tansanias ist im Aufbruch. Das diesjährige Wahlfieber rund um die Kandidatenfrage und der darauf folgende Wahlkampf sind
dafür ein deutliches Zeichen. Durch die Gründung
der breiten Oppositionskoalition Ukawa haben sich
die Hoffnungen ihrer Anhänger potenziert. Lowassas
energischer Wahlkampf unter dem Motto „Mabadiliko“ (Wandel), für das Tausende Tansanier auf landesweiten Parteikundgebungen demonstrierten, hat dies
noch einmal unterstrichen. Die Regierungspartei CCM
hat sich jedoch bereits bei der Auswahl ihres Kandidaten für einen solchen „Wandel“ entschlossen, und
dies ist vor allem Ex-Präsident Kikwete zu verdanken.
Dieser fürchtete um sein politisches Erbe, sollte Lowassa mit der CCM zum Präsidenten aufsteigen. Die
Nominierung Magufulis, eines vermeintlichen „Jedermanns“ und „Arbeiters“, birgt große Chancen.
Während Kikwete bei seiner ersten Wahl 2005 zum
Präsidenten Tansanias noch über 80 Prozent der Stimmen sichern konnte, waren es bei seiner Wiederwahl
2010 nur noch 62 Prozent. Magufulis Wahlergebnis
von rund 58 Prozent setzt diesen Abwärtstrend weiter
fort. Dennoch ist auf lange Sicht das Schicksal der CCM
noch nicht besiegelt. Magufuli, der sich als Macher inszenierte und erfolgreich für sich geworben hat, muss
nun den Erwartungen einer jungen Bevölkerungsmehrheit gerecht werden, die sich Aufschwung, Arbeit und politische Offenheit auf die Fahnen geschrieben hat. Dabei steht eines fest: Es reicht lange nicht
mehr, sich auf außenpolitische Erfolge und eine Politik der Versprechungen zu verlassen, wie viele Amtsinhaber vor ihm. Nach seiner Amtseinführung am 5.
November muss Magufuli nicht nur diejenigen Wähler zurückgewinnen, die paradoxerweise aus Protest
gegen das Regime Lowassa gestützt haben, sondern
auch seine eigene Partei von innen reformieren und
zukunftstauglich machen. Die CCM, die „Partei der Revolution“, ist damit ironischerweise zugleich größtes
Hindernis und das wohl wichtigste Mittel zur Lösung
der politischen Wirren Tansanias. Die diplomatische
Beilegung der Sansibarfrage und die politische Transformation der ehemaligen Einheitspartei CCM sind
damit die wahren, noch bevorstehenden politischen
Herausforderungen des Landes. >> Hanno Brankamp