Interview_Marlitt Wendt-1

MEIN PFERD 7/15
TITELGESCHICHTE
THEMA: HORSEMANSHIP - QUO VADIS?
INTERVIEW MIT MARLITT WENDT
Auf ihrer Homepage und in verschiedenen Artikeln kritisieren Sie, dass etliche
Pferdetrainer oder so genannte Horsemen mit Druck, Hierarchien und Dominanz
arbeiten und dies mit dem Herdenverhalten der Pferde rechtfertigen. Wie konnten sich
solche Trainingsansätze wohl derartig verbreiten?
Die Geschichte der Domestikation unserer heutigen Haustiere basierte ja weitgehend auf der
physischen Unterwerfung der Tiere, sie wurden geschlagen, zusammengebunden und ihr
Wille wurde gebrochen. Heutzutage sind wir glücklicherweise schon so weit den Tieren ihre
Leidensfähigkeit und auch ihre eigenen Bedürfnisse einzugestehen, aber immer noch spukt in
den Köpfen die Vorstellung, dass es immer einen Chef geben müsse und Tiere nur über
Strafen diese angeblich natürliche Ordnung respektieren würden. Da wissenschaftlich
gesehen auch eine Arbeit über Strafen, Druck und negative Verstärkung letztlich zum
„gewünschten Ergebnis“ (jedenfalls wenn man die Bedienbarkeit eines Pferdes in den Fokus
rückt und seine Psyche ausblendet) führt, wird sie solange salonfähig bleiben, wie MarketingExperten es schaffen, gewisse Methoden schön zu reden.
In der Tat wird noch sehr häufig geschrieben, dass Pferde in der Herde
Rangordnungskämpfe austragen, auch um ein Leittier zu finden. Offenbar ist diese
Sichtweise sehr eindimensional und veraltet. Worum geht es Pferden untereinander
tatsächlich?
Durch unsere Haltungsformen beeinflussen wir schon die Verhaltensweisen, welche uns im
Alltag mit den Pferden am meisten auffallen. Zumeist stellen die Gruppen keine gewachsene
H e r d e n s t r u k t u r d a r, d a s A n g e b o t a n B e w e g u n g s r a u m u n d a n r e g e n d e n
Beschäftigungsmöglichkeiten ist unzureichend und wenn dann der Mensch nur zu den
Fütterungszeiten den Tieren begegnet scheinen die Pferde nur über Drohgebärden zu
kommunizieren. Dabei ist der Alltag einer harmonischen Herde vergleichsweise
unspektakulär, da wird friedlich gemeinsam gegrast und unsichtbar für den menschlichen
Beobachter kommunizieren die Tiere ihre Gefühle und Bedürfnissen den anderen
Artgenossen gegenüber. Den Tieren geht es um die Herstellung eines stabilen
Beziehungsgeflecht, in dem jedes Individuum in seinen Stärken und Schwächen
kennengelernt und geschätzt wird.
Gibt es denn trotzdem einen Leithengst - oder gibt es ihn nicht?
Natürlich kann es einen Leithengst, so wie es auch Leitstuten geben kann oder eine Gruppe
von erfahrenen älteren Tieren welche für die Gruppe bestimmte Entscheidungen treffen. Auch
Jungpferde oder vermeintliche Außenseiter können die Geschicke der Herde mitbestimmen.
Jede Pferdeherde ist anders. Pferde kommunizieren ständig miteinander und in jedem
Augenblick übernehmen die Tiere bestimmte Rollen, mal animiert ein ausgelassenes
Exemplar die anderen zu einem Spiel, dann bestimmt ein anderes Pferd für die Herde den
Nachmittag im Schatten der Bäume zu verbringen oder ein besonders hungriges Tier sichert
sich den besten Platz am Futter.
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Sie schreiben, dass viele Pferdetrainer die Körpersprache des Leithengstes zu imitieren
versuchen, u.a. mit der Arbeit im Roundpen. Warum halten Sie gerade diese Arbeit im
Roundpen für völlig überholt?
Diese Pferdetrainer versuchen ja immer nur einen einzigen Aspekt dieses sagenumwobenen
Leithengst zu imitieren, nämlich seine Fähigkeit durch schiere körperliche Überlegenheit
Kämpfe zu gewinnen. Wer die Methoden des Dominanztrainings am Vorbild eines
vermeintlichen Leithengstes praktiziert, übersieht dabei in der Regel, dass er sich dem
altbekannten pressure-release-Verfahren bedient und damit die Regeln der Lerntheorie
anwendet. Allerdings befindet er sich auf Seite der Strafen und der negativen Verstärkung. Er
nutzt für sich die wesentlich stressärmere und sensitivere Form der positiven Verstärkung
nicht. Anerkannte Pferdepersönlichkeiten zeichnen sich nämlich innerhalb einer Herde durch
ihre sozialen Kompetenzen aus, sie bringen Ruhe in eine Gruppe, sie kommunizieren sehr
subtil ständig mit allen Herdenmitgliedern und agieren zum Wohle aller in dieser
Gemeinschaft.
Warum ist eine Dominanzbeziehung zwischen den unterschiedlichen Arten Pferd und
Mensch ihrer Meinung nach ohnehin nicht möglich?
Die Dominanztheoretiker möchten ja immer eine Hierachie etablieren an deren Spitze der
Mensch steht, nun hat aber die Evolution in den letzten paar Millionen Jahren so eine
Rangordnung zwischen artfremden Individuen nie vorgesehen. Per Definition besteht eine
Rangbeziehung nur zwischen Individuen, die miteinander um Ressourcen wie etwa Nahrung
oder Sexualpartner konkurrieren. Dies trifft auf die Mensch-Pferd-Beziehung nicht zu.
Viele Trainingsansätze basieren darauf, dass Pferde eine Führungspersönlichkeit
brauchen, weil diese Pferd und Mensch Sicherheit gibt: Pferde wüssten so z.B. was von
ihnen erwartet wird und der Mensch sei in der Zusammenarbeit mit dem deutlich
schwereren und kräftigeren Pferd geschützter. Alles Ausreden?
Bei dem gemeinsamen Training geht es ja immer darum, dass Mensch und Pferd etwas
lernen. Und wie alle Säugetiere teilen wir bestimmte Lernmechanismen, das bedeutet wir
müssen uns über die Lerninhalte und die Formen unserer Kommunikation einigen. Lernen
bedeutet also immer das Verstehen des Anderen und seiner Intentionen. Von einer „starken
Führungspersönlichkeit“ welche mit Druck und Strafe arbeitet lernt das Pferd nur wie man
diesen unangenehmen Reizen aus dem Weg geht. Das Tier lernt so in einer Atmosphäre der
Angst möglichst nichts falsch zu machen und diese psychische Belastung ist aus meiner Sicht
Gift für jede Beziehung zu einem anderen Lebewesen.
Sie betonen, dass Pferde friedfertig miteinander kommunizieren und nicht nur - worauf
sie häufig reduziert werden - kämpfen. Wie kommunizieren sie genau und was bedeutet
das für uns Menschen?
Man muss sich einfach mal die Zeit nehmen und ohne „Arbeitsauftrag“ die Pferde auf der
Weide beobachten. In welchen Gruppenkonstellationen sie zueinander stehen, wem sich die
einzelnen Tiere zuwenden oder wie sie ihre Aufmerksamkeit auf weit entfernte Ereignisse
synchronisieren. Auch welche Formen der Kommunikation sie gegenüber dem Menschen
anwenden, ob sie aktiv unsere Nähe suchen und neugierig unsere Aktivität beobachten.
Manchmal zeigt uns schon ein auffordernder Blick ihre Bereitschaft mit uns zusammen etwas
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zu unternehmen und vielleicht auf einem kleinen Spaziergang einfach die unaufdringliche
Nähe des Anderen spüren zu dürfen.
Wenn Pferdetrainer also das Verhalten der Pferde untereinander auf ihre Arbeit
übertragen wollen, worauf müssten sie bei ihrer Arbeit achten?
Im Training geht es darum gemeinsame Ziele zu verfolgen, dafür müssen wir den Pferden
Anreize bieten und unsere gemeinsame Arbeit angenehm gestalten. Mensch und Pferd lernen
am besten wenn wir Spaß an der Arbeit haben und sich unsere Bemühungen lohnen.
Futterbelohnungen wie z.B. beim Clickertraining verschaffen so dem Pferd viele
motivierende Erfolgserlebnisse, aber auch selbstbelohnende Aktivitäten wie etwa Laufspiele
oder Kraulpausen können bei einigen Lerntypen den Trainingsalltag bereichern.
Regeln, feste Rituale, Grenzensetzung und Konsequenz sind bei der gemeinsamen
Arbeit aber dennoch wichtig. Die Frage ist nun: Bis zu welchem Punkt?
Selbstverständlich sollte das Pferd keine Gefahr für den Menschen darstellen, aber es ist eine
Illusion zu glauben, wenn man sein Tier mir Schmerzreizen unterdrückt würde man sein
Hobby sicherer machen. Gerade die armen Geschöpfe, welche in der ständigen Angst leben
bestraft zu werden und keine eigenen Ideen verwirklichen dürfen können irgendwann zu
Gegenaggressionen neigen und dann sowohl ihren Peinigern wie auch Unbeteiligten großen
Schaden zufügen.
Typische Beispiele, bei denen gerne auf Dominanz- oder Rangordnungsprobleme
verwiesen wird, sind Pferde, die drängeln, beim Führen überholen oder beim Putzen
zappeln. Wie bekomme ich diese Situationen in den Griff, ohne in den LeithengstModus zu verfallen?
Diese häufig beobachteten Verhaltensweisen sind natürlich störend für den Menschen, aber
die Ursachen sind höchst individuell und können nur im jeweiligen Kontext der Situation
erklärt werden. Da machen es sich viele Trainer gerne leicht und haben immer die gleiche
Antwort parat, nämlich das die Pferde ein Dominanzproblem haben. Wenn z.B. das Pferd am
Putzplatz „zappelt“ ist es kurzsichtig das Tier für dieses Verhalten zu bestrafen. Vielleicht ist
dem Pferd einfach langweilig dort rumzustehen, während die Reiterin mit dem Handy
telefoniert oder in der Sattelkammer trödelt. Dem Tier wird überhaupt kein Anreiz für das
Stillstehen geboten und versteht natürlich nicht, warum es darauf warten soll gestriegelt zu
werden. Aber wenn wir aus dieser Situation ein interessantes Spiel für das Pferd machen,
indem wir es etwa das ruhige Stehen immer mal wieder mit einem Signal und dann mit einer
Futterbelohnung versüßen, so entsteht für Reiter und Pferd eine Win-Win-Situation. Das
Stichwort zur stressarmen Erziehung ist die Anwendung der positiven verstärkung und die
Kenntnis der seit vielen Jahren gut erforschten Lerngesetze.
Stichwort Körpersprache: Eine klare, selbstbewusste Körpersprache ist trotzdem
wichtig, wenn ich mit meinem Pferd kommuniziere und möchte, dass es mich
respektiert...
Unsere Körpersprache kann vieles ausdrücken und kommuniziert oft Botschaften deren wir
uns gar nicht bewusst werden. Aber unser Ziel sollte es immer sein das Pferd nicht mit
unserer Körpersprache einzuschüchtern und zu ängstigen. Respekt verdient man sich nicht
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wenn man eine Drohkulisse aufbaut oder man glaubt eine Atmosphäre der Angst würde uns
vor diesen großen Tieren schützen. Eine respektvolle Beziehung kann nur entstehen wenn
beide Seiten angstfrei miteinander umgehen und wir unseren Wiaufzwingen, sondern auch
seine Bedürfnisse und Freiräume respektieren.
Interview: Julia Schay-Beneke
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