Topologie – Lösungsblatt 2 Hagen Knaf, SS 2015 Aufgabe 1: Im Folgenden betrachte man die Standardtopologie auf der Menge der reellen Zahlen R, das heißt offene Mengen sind Vereinigungen offener Intervalle (a, b). Beginnend mit dem Intervall C0 := [0, 1] wird eine Folge C0 , C1 , C2 , C3 , . . . von Teilmengen Ck ⊂ R wie folgt definiert: • C1 := C0 \ ( 31 , 32 ) = [0, 13 ] ∪ [ 23 , 1], • C2 := [0, 13 ] \ ( 19 , 29 ) ∪ [ 32 , 1] \ ( 97 , 89 ) = [0, 19 ] ∪ [ 29 , 13 ] ∪ [ 23 , 79 ] ∪ [ 89 , 1], • ... • Ist Ck = Ik,1 ∪ Ik,2 ∪ . . . ∪ Ik,2k , Ik,j = [ak,j , bk,j ], so definiert man Ck+1 als Vereinigung aller Intervalle, die man erhält, indem man aus allen Ik,j das offene, mittlere Drittel entfernt: Ik,j Es sei C := T b −a 2(b −a ) \ (ak,j + k,j 3 k,j , ak,j + k,j3 k,j ) b −a 2(b −a ) = [ak,j , ak,j + k,j 3 k,j ] ∪ [ak,j + k,j3 k,j , bk,j ]. Ck . Bestimmen Sie den Rand von C. k∈N Welche Eigenschaften der Menge C finden Sie bemerkenswert? Bestimmung des Rands von C: Man kann hierzu die in der Vorlesung bewiesene Beziehung C = Rd (C) ∪ C ◦ verwenden, sofern es gelingt das Innere und den Abschluss von C zu ermitteln. Es sei x ∈ C ◦ , also C ∈ U(x). Dann existiert eine offene Umgebung U ∈ U(x) mit U ⊆ C. Da die Standardtopologie von R von einer Metrik herrührt, nämlich d(x, y) = |x − y|, ist U Vereinigung offener Kugeln. Die offenen Kugeln in der oben genannten Metrik sind die offenen Intervalle der Form (a, b), a < b. Es folgt (a, b) ⊆ U ⊆ C für gewisse Zahlen a < b. Folglich ist (a, b) ⊂ Ck für alle k. Nun ist Ck aber die disjunkte Vereinigung der Intervalle Ik,j , daher muss (a, b) in einem dieser Intervalle enthalten sein. Da die Länge der Intervalle 3−k beträgt, gibt es ein k ∈ N mit 3−k < b − a, womit (a, b) in keinem der Intervalle Ik,j liegen kann, ein Widerspruch. Es folgt: C ◦ = ∅. In der Metrik der reellen Zahlen sind die abgeschlossenen Kugeln die abgeschlossenen Intervalle der Form [a, b], a < b. Daher sind die Mengen Ck als Vereinigung endlich vieler abgeschlossener Mengen selbst abgeschlossen. Folglich ist C als Schnitt abgeschlossener Mengen abgeschlossen. Es folgt: C = C. Die Aussagen über das Innere und den Abschluss von C ergeben in der Kombination: Rd (C) = C. Beschreibung der Menge C: Eine längere Diskussion über die Art der Zahlen in der Menge C, bei der hoffentlich alle Beteiligten etwas gelernt haben – für den Dozenten gilt das jedenfalls, ergab folgende Vermutung: C={ ∞ X ck 3−k : ∀k ∈ N ck ∈ {0, 2}}. (1) k=1 Für die Inklusion ⊇ in dieser Behauptung führte eine Handzeichnung zu dem Beweis: ⊇: OK. Dieser Beweis besitzt zwar eine gewisse lakonische Eleganz, lässt aber im Detail zu wünschen übrig. Daher nun die weniger elegante Version. ∞ P Beweis der Inklusion ⊇: Es sei x = ck 3−k mit ck ∈ {0, 2}. Man zeigt k=1 zunächst: Die Zahlen x` := P̀ ck 3−k sind linke Intervallgrenzen von Inter- k=1 vallen I`,j` und es gilt I`,j` ⊃ I`+1,j`+1 . Den Beweis dieser Hilfsaussage führt man durch vollständige Induktion nach `. Für ` = 1 gilt x1 = 0 oder x1 = 32 , und damit I1,j1 = [0, 31 ] oder I1,j1 = [ 32 , 1]. Für ` = 2 ist daher entweder x2 = 0 oder x2 = 29 oder x2 = 32 oder x2 = 89 . Es folgt I2,j2 = [0, 91 ] oder I2,j2 = [ 29 , 31 ] oder I2,j2 = [ 23 , 79 ] oder I2,j2 = [ 89 , 1]. Insgesamt ist die Behauptung für den Fall ` = 2 damit bewiesen. Die Behauptung gelte nun bis ` ∈ N, ` > 2, und es sei x` = a`,j` . Ist dann c`+1 = 0, so folgt x` = x`+1 und daher I`,j` = [x` , x` + 3−` ] ⊃ [x` , x` + 3−(`+1) ] = I`+1,j`+1 . 2 2 die linke Intervallgrenze des Ist andererseits c`+1 = 2, so ist x`+1 = x` + 3`+1 rechten der beiden Intervalle, die durch Weglassen des mittleren Drittels aus I`,j` entstehen. Es gilt also I`,j` ⊃ I`+1,j`+1 , womit der Beweis der Hilfsaussage vollständig ist. Es gilt x − x` = ∞ X ∞ X ck 3−k ≤ k=`+1 2 · 3−k = 2 · 3−(`+1) k=`+1 ∞ X 3−k = 3−` , k=0 also x ∈ I`,j` für alle ` ∈ N und damit x ∈ C. Beweis der Inklusion ⊆: Es sei x ∈ C und I`,j` = [a`,j` , b`,j` ], ` ∈ N, seien diejenigen Intervalle, in denen x enthalten ist. Dann gilt einerseits x = lim a`,j` , `→∞ da die Länge der Intervalle I`,j` gegen 0 konvergiert. Andererseits gilt a`+1,j`+1 = a`,j` + c · 3−(`+1) , c ∈ {0, 2} nach Konstruktion der Intervalle I`,j` . Induktiv ergibt sich hieraus: a`+1,j`+1 = ` X ck 3−k , ck ∈ {0, 2}, k=1 und damit die Behauptung. Kardinalität von C: Die Menge C ist nicht abzählbar, enthält also insbesondere irrationale Zahlen. Man beweist dies mit Hilfe des üblichen Diagonalarguments durch einen Widerspruchsbeweis: Es sei x1 , x2 , x3 , . . . eine Abzählung der Elemente von C. Es sei ck ∈ {0, 2} der k-te Koeffizient von xk in der 3-adischen Darstellung von xk . Man definiert dk := 0 falls ck = 2 und dk = 2 falls ck = 0 und y := ∞ X dk 3−k ∈ C. k=1 3 Nach Voraussetzung ist y = x` für ein ` ∈ N. Da die 3-adische Darstellung eindeutig ist, folgt d` = c` im Widerspruch zur Wahl der Koeffizienten d` . Aufgabe 2: In der algebraischen Geometrie spielt die folgende Betrachtungsweise von Polynomgleichungssystemen eine große Rolle: Man betrachtet die Menge A aller Teilmengen A von Rn zu denen es eine Menge PA ⊆ R[x1 , . . . , xn ] von Polynomen in n Variablen gibt, für die A = {(a1 , . . . , an ) ∈ Rn : ∀p ∈ PA p(a1 , . . . , an ) = 0} (2) gilt. Mit anderen Worten: A ist die Lösungsmenge eines Polynomgleichungssystems in n Variablen mit reellen Koeffizienten und möglicherweise unendlich vielen Gleichungen. Zeigen Sie, dass O := {Rn \ A : A ∈ A} eine Topologie des Rn ist. Lösung: Es ist zu zeigen, dass die Mengen vom Typ (2) die abgeschlossenen Mengen einer Topologie bilden – siehe Satz 11 der Vorlesung. Zunächst ist die leere Menge ∅ die Menge der Nullstellen des Polynoms p = 1 und Rn ist die Menge der Nullstellen des Polynoms p = 0. Folglich sind ∅ und X vom Typ (2). Es seien nun A1 und A2 Mengen vom Typ (2) und P1 , P2 die zugehörigen Mengen von Polynomen. Man bildet dann P := {p1 p2 : p1 ∈ P1 , p2 ∈ P2 }. Es gilt A1 ∪ A2 = {(a1 , . . . , an ) ∈ Rn : ∀p ∈ P p(a1 , . . . , an ) = 0}, (3) denn: Ist (a1 , . . . , an ) ∈ A1 und p = p1 p2 ein beliebiges Element von P , so gilt p(a1 , . . . , an ) = p1 (a1 , . . . , an )p2 (a1 , . . . , an ) = 0 · p2 (a1 , . . . , an ) = 0. Folglich hat man A1 ⊆ {(a1 , . . . , an ) ∈ Rn : ∀p ∈ P p(a1 , . . . , an ) = 0}. Dasselbe lässt sich für die Menge A2 zeigen, womit in (3) die Inklusion ⊆ gilt. 4 Es sei nun (a1 , . . . , an ) ∈ {(a1 , . . . , an ) ∈ Rn : ∀p ∈ P p(a1 , . . . , an ) = 0}. Nimmt man (a1 , . . . , an ) 6∈ A1 an, so gibt es ein p1 ∈ P1 mit p1 (a1 , . . . , an ) 6= 0. Andererseits gilt nach Wahl von (a1 , . . . , an ) für jedes p2 ∈ P2 : (p1 p2 )(a1 , . . . , an ) = 0, woraus p2 (a1 , . . . , an ) = 0 und damit (a1 , . . . , an ) ∈ A2 folgt. In (3) gilt also auch die Inklusion ⊇. Es sei schließlich T eine Menge von Mengen des Typs (2). Zu jeder Menge A ∈ T sei PA die zugehörige Menge von Polynomen und [ PA . P := A∈T Dann gilt \ A = {(a1 , . . . , an ) ∈ Rn : ∀p ∈ P p(a1 , . . . , an ) = 0}, A∈T wie man unmittelbar einsieht. Aufgabe 3: In mathematischen Anwendungsgebieten wie der Bildverarbeitung möchte man Mengen im Hinblick auf geometrische Ähnlichkeit vergleichen können. Die folgende Übungsaufgabe liefert einen Ansatz in dieser Richtung: Es sei (X, d) ein endlicher metrischer Raum. Wie in der Vorlesung bereits eingeführt sei für eine Teilmenge A ⊆ X d(x, A) := min(d(x, a) : a ∈ A) der Abstand des Punktes x ∈ X von A. Für Teilmengen A, B von X sei dann d(A, B) := max(d(a, B) : a ∈ A) und D(A, B) := max(d(A, B), d(B, A)). Zeigen Sie, dass (P (X), D) ein metrischer Raum ist. Beweis: Die Symmetrie der Abbildung D : P (X) × P (X) → R≥0 ist leicht einzusehen. 5 Aus D(A, B) = 0 folgt d(A, B) = d(B, A) = 0. Die Gleichung d(A, B) = 0 liefert sodann d(a, B) = 0 für alle a ∈ A. Da d(a, B) = 0 nur für a ∈ B möglich ist, erhält man also A ⊆ B. Entsprechend liefert die Gleichung d(B, A) = 0 die Inklusion B ⊆ A, womit wie angestrebt A = B gilt. Schließlich ist die Dreiecksungleichung zu beweisen; seien hierzu A, B, C ∈ P (X). Man beweist zunächst die Ungleichung d(A, C) ≤ d(A, B) + d(B, C). (4) Nach der Dreiecksungleichung für die Metrik d gilt: ∀a ∈ A, b ∈ B, c ∈ C d(a, c) ≤ d(a, b) + d(b, c). Zu gegebenem a ∈ A gibt es ba ∈ B (ba hängt von a ab) mit d(a, ba ) = min(d(a, b) : b ∈ B) = d(a, B). Weiter gibt es ca ∈ C mit d(ba , ca ) = min(d(ba , c) : c ∈ C) = d(ba , C). Es gilt dann d(a, C) ≤ d(a, ca ) ≤ d(a, ba ) + d(ba , ca ), wobei d(ba , ca ) = d(ba , C) ≤ d(B, C) ist, woraus d(a, C) ≤ d(a, ba ) + d(B, C) folgt. Übergang zum Maximum auf beiden Seiten der letzten Ungleichung ergibt d(A, C) ≤ max(d(a, ba ) : a ∈ A) + d(B, C) = d(A, B) + d(B, C). Da die Mengen A, B, C beliebig waren, gilt auch d(C, A) ≤ d(C, B)+d(B, A). Es folgt: D(A, C) = ≤ ≤ = max(d(A, C), d(C, A)) max(d(A, B) + d(B, C), d(C, B) + d(B, A)) max(d(A, B), d(B, A)) + max(d(B, C), d(C, B)) D(A, B) + D(B, C). Studiengang Angewandte Mathematik 6 Hochschule RheinMain
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