ASA Kurzfassung Gutachten GGSC

 [ Gaßner, Groth, Siederer & Coll. ]
Partnerschaft von Rechtsanwälten
ASA-Gutachten
Kurzfassung
Umsetzung der Abfallrahmenrichtlinie nur formaler Anlass zur Änderung der Überlassungspflichten
Die Umsetzung der europäischen Abfallrahmenrichtlinie bildet für die Bundesregierung den
formalen Anlass, auch die Regelungen über die Überlassungspflicht von Haushaltsabfällen
zu verändern und hierbei den Tätigkeitsspielraum gewerblicher Sammler erheblich auszuweiten. Im Ergebnis der Neuregelung wird die gewerbliche Sammlung zu einem eigenständigen Privatisierungsmodell für die Hausmüllentsorgung ausgeformt und der kommunalen
Aufgabenwahrnehmung strukturell angenähert. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die als „gewerbliche Sammlung“ in Abgrenzung zur kommunalen Hausmüllentsorgung nur unstrukturierte und gelegentliche Tätigkeiten zugelassen hat, wird so auf
den Kopf gestellt. Die Abfallrahmenrichtlinie selbst verhält sich jedoch gar nicht zu nationalstaatlichen Zuständigkeitsfragen und zwingt daher auch nicht zu einer Änderung der Überlassungspflichten. Dieser Änderungsbedarf wird von der Bundesregierung nun überraschenderweise aus
den europäischen Verträgen, also aus dem Primärrecht hergeleitet. Kabinettsbeschluss läuft der aktuellen Entwicklung des Europarechts diametral zuwider
Das Recht der europäischen Verträge ist jedoch seit mehreren Jahren gerade von der gegenläufigen Entwicklung geprägt, nämlich von der Aufwertung von Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge gegenüber dem Wettbewerbsprinzip.
Diese Entwicklung kommt insbesondere in Art. 16 EGV/Art. 14 AEUV, im Weißbuch der Kommission zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse aus dem Jahr 2004 sowie im Protokoll (Nr. 26) zu den Diensten von allgemeinem Interesse zum Vertrag von Lissabon zum Ausdruck. Hier wird stets der weite Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Definition
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und beim Zuschnitt von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betont, der nur auf offensichtliche Fehler hin überprüfbar ist. Der Erhalt der Funktionsfähigkeit
der öffentlichen Daseinsvorsorge stellt nunmehr ein anerkanntes Ziel der Europäischen Union selbst dar.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht begründbar, die Betätigungsmöglichkeiten gewerblicher
Sammler de lege ferenda zu Lasten der kommunalen Entsorgungszuständigkeit für Haushaltsabfälle auszuweiten. Der Kabinettsbeschluss fällt damit weit hinter den erreichten Stellenwert öffentlicher Dienstleistungen im europäischen Recht zurück und negiert die grundlegenden Wertungsentscheidungen der europäischen Organe.
Rechtsprechung der EuGH anerkennt in weitem Umfang die Besonderheiten der öffentlichen Daseinsvorsorge
Bereits nach der Rechtsprechung des EuGH ist die Hausmüllentsorgung eine Dienstleistung
von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, da zu ihrer flächendeckenden Erbringung die
Angebote privater Entsorgungsunternehmen möglicherweise nicht ausreichen. Die Mitgliedstaaten dürfen daher die Hausmüllentsorgung grundsätzlich durch staatliche Behörden
wahrnehmen lassen oder hierauf einen entscheidenden Einfluss behalten.
Zudem ist die Einbeziehung auch rentabler Leistungsbereiche in ein öffentliches Dienstleistungsmonopol ein anerkannter, legitimer Finanzierungsmodus für die entsprechende Allgemeinwohlaufgabe. Ein öffentlicher Aufgabenträger ist nicht verpflichtet, ein „Rosinenpicken“ durch private Wettbewerber in lukrativen Leistungsbereichen zuzulassen. Bereits die
Gefährdung einer zweckentsprechenden, gemeinwohlorientierten Aufgabenerfüllung zu
wirtschaftlich ausgeglichenen Bedingungen reicht danach aus, um die Einräumung eines
Ausschließlichkeitsrechts zu legitimieren.
Wertstofferfassung aus privaten Haushalten ist Teil der Daseinsvorsorge
Auch die Erfassung separierter Wertstofffraktionen stellt eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse dar, da auch „Wertstoffe“ aus privaten Haushalten Abfälle
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im Rechtssinne sind, keinesfalls durchgängig einen positiven Marktwert aufweisen und die
Sekundärrohstoffpreise einer hohen Volatilität unterliegen.
Weiter ist zu beachten, dass die Abfallrahmenrichtlinie selbst mit Art. 11 die Trennung und
das Recycling von Wertstoffen aus privaten Haushalten als Aufgabe der Mitgliedstaaten
formuliert und damit nicht den Marktgesetzen von Angebot und Nachfrage überantwortet
wissen will.
Mit § 14 Abs. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 des Kabinettsbeschlusses werden die öffentlich-rechtlichen
Entsorgungsträger künftig mit der getrennten Erfassung und hochwertigen Verwertung von
Wertstoffen aus privaten Haushalten explizit betraut.
Kein Erfordernis der Zulassung „höherwertiger“ gewerblicher Sammlungen
Der Kabinettsbeschluss will mit der vereinfachten Zulassung „höherwertiger“ gewerblicher
Sammlungen offensichtlich der vermeintlichen Gefahr begegnen, dass Entsorgungsleistungen zunächst monopolisiert, anschließend jedoch nicht in hochwertiger Art und Weise
wahrgenommen werden. Diese Gefahr besteht jedoch bei der Wertstofferfassung aus privaten Haushaltungen gerade nicht, da die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger diesbezüglich mit ausdifferenzierten Trenn- und Verwertungspflichten betraut werden (s. §§ 6 Abs. 1,
14 Abs. 1, 20 Abs. 1 des Kabinettsentwurfs). Mit der Zulassung gewerblicher Sammlungen
dementiert somit der Gesetzgeber seine eigene Betrauungsentscheidung.
Der in § 17 Abs. 3 Satz 3 angelegte isolierte Vergleich des „Dienstleistungsniveaus“ zwischen
öffentlich-rechtlichem Entsorgungsträger und gewerblichem Sammler benachteiligt zudem
strukturell die kommunale Aufgabenwahrnehmung, da ein gewerblicher Sammler sich allein
an den kurzfristigen Marktbedingungen orientieren kann und keine langfristigen Vorhaltekosten kalkulieren muss. Den gewerblichen Sammlern wird in der Folge das Recht eingeräumt, selbst den Komfortstandard festzulegen, oberhalb dessen die Hausmüllentsorgung
privatisiert werden darf.
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Der „Dienstleistungsvergleich“ krankt insbesondere daran, dass hier der untaugliche Versuch unternommen wird, politische Abwägungskriterien – Qualität, Effizienz, Dauer – in
Rechtsbegriffe zu transformieren. Dieser Versuch der Verrechtlichung eines „Dienstleistungsvergleichs“ ist zum Scheitern verurteilt, da er insbesondere die politisch-demokratische
Dimension des kommunalen Organisationsermessens negiert. Rechtssicherheit kann auf
dieser Grundlage schon gar nicht gewonnen werden.
Ausschluss gewerblicher Sammlungen zulässige Ermessensentscheidung des nationalen Gesetzgebers
Im Ergebnis bleibt es bei der Kompetenz des nationalen Gesetzgebers, zu prüfen, ob durch
die Zulassung gewerblicher Sammlungen die Gefahr begründet wird, dass die kommunale
Wertstofferfassung nicht mehr zu wirtschaftlich ausgeglichenen Bedingungen erbracht
werden kann. Eine generalisierende Prognoseentscheidung des nationalen Gesetzgebers,
dass gewerbliche Sammlungen auf Grund ihres selektiven Zugriffs auf die lukrativsten
Hausmüllbestandteile grundsätzlich geeignet sind, eine wirtschaftlich ausgeglichene kommunale Wertstofferfassung zu gefährden, kann gerade vor dem Erfahrungshintergrund des
„Kampfes um die Blaue Altpapiertonne“ nicht als offensichtlich fehlerhaft gelten.
Damit ist die Voraussetzung für einen Ausschluss gewerblicher Sammlungen von Hausmüll
erfüllt. Ein Rückfall hinter das „Altpapier-Urteil“ des Bundesverwaltungsgerichts ist europarechtlich erst recht nicht geboten.
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