Geschichte der Landschaft in der Schweiz

Herausgegeben von Jon Mathieu, Norman Backhaus,
Katja Hürlimann, Matthias Bürgi
GESCHICHTE
DER LANDSCHAFT
IN DER SCHWEIZ
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Von der Eiszeit bis zurMGegenwart
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Jon Mathieu, Norman Backhaus, Katja Hürlimann, Matthias Bürgi
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Geschichte der Landschaft in der
Schweiz
Von der Eiszeit bis zur Gegenwart
Herausgegeben von
Jon Mathieu, Norman Backhaus, Katja Hürlimann, Matthias Bürgi
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Die Herausgebenden danken:
– der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL für
logistische und finanzielle Unterstützung,
– dem Bundesamt für Umwelt BAFU für finanzielle Unterstützung,
– Dr. Stephan Meyer vom Orell Füssli Verlag für die Idee zu diesem Buch und für die
Betreuung während der Produktion,
– Helena de Anta, M. A., vom Orell Füssli Verlag für ihre intensive Mitarbeit bei der Buchherstellung,
– und den Autoren und Autorinnen der einzelnen Kapitel für ihr grosses Engagement.
© 2016 Orell Füssli Verlag AG, Zürich
www.ofv.ch
Rechte vorbehalten
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Dadurch begründete Rechte, insbesondere der
Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen,
der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf andern Wegen und der
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vorbehalten. Vervielfältigungen des Werkes oder von Teilen des Werkes sind auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie sind grundsätzlich vergütungspflichtig.
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Umschlagfoto: Die Luftaufnahme zeigt Interlaken am Thunersee und den Brienzersee im
Hintergrund.
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-280-05601-1
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de
abrufbar.
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Inhaltsverzeichnis
Einführung Landschaft als historischer Prozess
11
»Landschaft« im Wandel der Zeit 12 | Ausgewählte
Forschungsliteratur 14 | Schweizer Geschichte 16 |
Stadt-Land-Interaktion 18 | Fragestellung und
Gliederung des Buches 20
Die Epoche der Waldlandschaft
25
1
Die Gletscher auf dem Rückzug
Das Ende der letzten Eiszeit 29 | Die Entstehung der
heutigen Landschaft 32 | Glaziale Erosion und Akkumulation 34 | Entstehen und Vergehen der Seen 37 |
Flusserosion und Massenbewegungen modellieren heute
das Relief 40 | Der Mensch als geologischer Faktor 43
29
2
Ausdehnung der Wälder und frühe Besiedlung
Archäologische Untersuchungsmethoden 45 | Das Land
wird grün 47 | Wälder, so weit das Auge reicht … 48 |
Erste Bauern 49 | Bronzezeit 53 | Die Landschaft
öffnet sich 55
45
Erster Teil
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3
Das erste Jahrtausend
58
Raumgliederung und Verkehrsorganisation unter
römischer Herrschaft 58 | »Civitates« – hierarchisch
gegliederte Territorien 61 | Siedlungsanlage und
Architektur – mediterrane Vorbilder und einheimische
Traditionen 63 | Waldlandschaft und landwirtschaftliche
Innovation 65 | Spätantike – zwischen Krise und Wandel 66 | Regionale Entwicklungen an der Schwelle zum
Mittelalter 68 | Anfänge des Landesausbaus 70
Zweiter Teil Landesausbau in Mittelalter und Neuzeit
73
4
Agrarintensivierung – aus Wald wird Feld und Wiese
78
Burgen – Städte – Dörfer – Klöster 78 | Agrarintensivierung 79 | Urbarmachung des Waldes: Mittelland 82 |
Urbarmachung des Waldes: Alpen und Jura 83 |
Der Landesausbau – ein vielschichtiger Prozess 86 |
Land- und waldwirtschaftliche Landschaften 87
5
Die Entdeckung der Landschaft als
territoriale Ressource
91
Landschaften des Wissens 91 | Landschaften der Kollektive 96 | Landschaften der Armut 101
6
Agrarzonen in Jura, Mittelland und Alpen
Häuser und Landschaften der Schweiz 106 |
Siedlungs- und Flurformen 108 | Nutzbauten und
Transportsysteme 111 | Terrassierung 113 | Vom
Acker zur Wiese 115 | Nationale Symbolik 116
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Wahrgenommene Landschaft:
Gelehrte, Schriftsteller und Künstler
Eine überlieferte Praxis 119 | Rousseau und die Neue
Héloïse 121 | Der Triumph des Spektakulären 124 |
Historische Variationen – das Beispiel des Rheinfalls 126 | Romantische Wirkungen 133
Dritter Teil Urbanisierung – die Moderne kommt
119
137
8
Die Expansion der Städte
143
Was ist eine Stadt? 143 | Ungleiche Urbanisierung in
Mittelalter und Neuzeit 144 | Der grosse Wachstumsschub der Städte 1850 bis 1914 148 | Eine Industriestadt:
Winterthur 151 | Eine touristische Stadt: Luzern 153 |
Kriegs- und Krisenzeit 1914 bis 1945 156
9
Entstehung der Verkehrslandschaft
159
Elemente und Materialien des Verkehrswegbaus 159 |
Chausseen und Kunststrassen 161 | Eisenbahnen 165 |
Automobilstrassen der Zwischenkriegszeit 168 | Die Verkehrslandschaft – Infrastruktur und Wahrnehmung 171
10
Die Korrektion der Natur
175
Wasser ist wichtig 175 | Wuhren und Wässerwiesen 176 |
Die Linthkorrektion als politisches Projekt 179 |
Der Wandel des Wissens 182 | Renaturierungen 185
11
Landschaft abbilden: Karten, Panoramen und Reliefs 189
Gedruckte Karten des 16. bis 18. Jahrhunderts 190 | Die
Dufour- und Siegfriedkarte – Grossunternehmen des 19. Jahrhunderts 191 | Kartografie und Nationalstaat 195 |
Rigi-Panoramen 199 | Reliefs: Franz Ludwig Pfyffer, Xaver
Imfeld 202 | Ein Spiegel von Raum und Zeit 204
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Landschaft bewahren: Natur- und Heimatschutz
206
Eine Landschaft für die Schweizer Identität 207 | Landschaftsschutz als bürgerliche Bildung und Erziehung 209 |
Alte Vorstellungen, neu formuliert: die Praxis der Popularisierung 213 | Landschaftsschutz als geistige Landesverteidigung 217
13
Gartenkunst vom Barock bis zur Gegenwart
219
Vom Barock- zum Landschaftsgarten 219 | Spätes
19. Jahrhundert: Landschaft in städtischen Gärten und
Anlagen 222 | Frühes 20. Jahrhundert: Reformgarten und
Avantgarde 225 | 1930er bis 1950er Jahre: Landschaft
erneut als Vorbild 227 | Nachkriegszeit: zwei Ansätze für
die moderne Stadtlandschaft 228 | Postmoderne: Wer
produziert die Landschaft in der Stadt? 231
Vierter Teil Landschaft zwischen Agglomeration und Wildnis
235
14
Wissenschaft, Politik, Planung
Geografen und ihre Landschaftsvorstellungen 240 |
Hochschulen und Hochschulinstitute 243 |
Programmforschung 245 | Politischer Aufbruch 246 |
Planung und Verwaltung 250 | Ausblick 252
240
15
Landwirtschaft unter Druck
254
Landwirtschaft und Kulturlandschaft 254 | Landschaftswandel im ehemaligen »Kornland« – das Beispiel Limpach 256 | Der Weg zur Multifunktionalität 259 |
Fallbeispiel Obstbau 261 | Bilanz und Ausblick 264
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16
Forest Transition – der Wald kehrt zurück
267
Übernutzte Wälder? 267 | Keine Kahlschläge! 269 |
Vom Plenterwald zum Sihlwald 270 | »Unser Wald« –
Naturschutz und nationale Landschaft 273 | Ökologische
Wende und »Waldsterben« 275 | Der Wald kehrt zurück 277 | Demokratisierung des Waldes 279
17
Verkehrs- und Siedlungsentwicklung
281
Wechselwirkung von Landschaft und Verkehr 281 |
Landschaftsprägende Wirkungen von Verkehrsmitteln 282 | Rechtliche und politische Auseinandersetzungen 286 | Interpretationen des Wandels 289 | Verkehr
und Siedlungsexpansion 292 | Der Alpenfaktor 294
18
Die Parkbewegung
295
Eine internationale Bewegung 297 | »Der Schweizerische
Nationalpark« 299 | »Pärke von nationaler Bedeutung« 303 | Eine neue Generation 306
Schluss
Die Schweiz – ein europäisches Landschaftslabor
309
Was bisher geschah… 309 | Die Schweiz im europäischen
Kontext 310 | Wohin geht die Reise? 320 |
325
Anhang
Anmerkungen
326
Autoren und Autorinnen
361
Register
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Schluss
Matthias Bürgi
Die Schweiz – ein europäisches
Landschaftslabor
Was bisher geschah…
»Ist Landschaftsgeschichte in der Schweiz eine Geschichte des Niedergangs
und der Zerstörung, oder kann man sie auch anders betrachten?« – diese
Frage stellt Jon Mathieu in seinem einführenden Kapitel. Die in diesem
Buch erzählte Geschichte der Landschaft beginnt bei den prägenden Kräften
der Gletscher und führt bis zu den heutigen Debatten über Schutz und Nutzung. Wir nehmen staunend zur Kenntnis, welchen gewaltigen Kräften die
Erdoberfläche während der Eiszeiten ausgesetzt war. Und wir stellen zugleich
fest, dass das Ausmass dieser Spuren nicht nur den Raum, sondern auch die
Zeit erfahren lassen: die Zeit, die es gedauert hat, bis die Täler durch den
Eisschliff ausgehobelt waren; die Zeit, die es gedauert hat, bis diese durch
Erosionsprozesse mit Sand und Steinen auf das heutige Niveau aufgefüllt
waren; und die Zeit, die nacheiszeitlich die Bodenbildung und die damit
einhergehende Entwicklung der Vegetation benötigte.
Laut dem einführenden Kapitel ist Landschaft ein Raumausschnitt und
zugleich dessen Wahrnehmung und Bewertung. Diese Vieldeutigkeit erschwert die Reduktion auf einfache Variablen, wie sie vor allem in den Naturwissenschaften bevorzugt werden: Zwar kann man Landschaftsstrukturen
wie Hecken oder Trockenmauern ausmessen, und die Art der Bodenbedeckung oder die Sichtbarkeit des Geländes von einem Standort aus kann berechnet werden. Auch die Biodiversität wird als Indikator für den Zustand
der Landschaft herbeigezogen, da sie ein Mass für die Vielfalt der Pflanzenund Tierarten in einer bestimmten Landschaft darstellt. Aber ist damit die
Landschaft erfasst? Wenn wir Landschaft nicht (nur) in Zahlen fassen wollen, dann wird die Doppeldeutigkeit des Begriffs schillernd und inspirierend
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für einen umfassenderen Zugang zur Landschaft, wie er in interdisziplinären
Projekten angestrebt, aber auch im persönlichen Landschaftserlebnis erfahren oder in der Kunst gepflegt wird. So findet die wahrgenommene Landschaft bildhaften Ausdruck in Stichen und Gemälden – die Entwicklung von
Perspektive und Bildausschnitt kann als Ausdruck des Wandels der gesellschaftlichen Deutung von Landschaft interpretiert werden.
Und dann bricht in der Folge der industriellen Revolution die Moderne
über die Landschaft herein, mit Städten, Infrastruktur, Verkehr, Industrie,
Drainagen und Meliorationen. Die weitgehend agrarisch geprägte Landschaft wird überprägt durch diese neuen Faktoren und zugleich wird sie zum
romantisch verklärten Sehnsuchtsort. Gleich wie die Agrarlandschaft die
Waldlandschaft an die Peripherie verdrängt hat, drängen die Spuren der Moderne die sogenannte traditionelle Kulturlandschaft an den Rand. Neue
technologische Möglichkeiten erlauben es, naturräumliche Grenzen zu überwinden. So werden Flüsse umgeleitet, »autogerechte« Brücken überspannen
Täler, und die Landschaft wird zunehmend durch klare Linien und harte
Grenzen strukturiert. Prozesse, die im eingangs erwähnten Zitat mit »Niedergang und Zerstörung« in Verbindung gebracht werden, bestimmen zunehmend das Landschaftsbild.
Punktuell beginnt die Gesellschaft dem Machbaren Grenzen zu setzen –
so wird bereits ab den 1920er Jahren der Bau grosser Talsperren zur Energiegewinnung kontrovers diskutiert (vgl. Kapitel 10). Korrektive Bewegungen
setzen ein und die verlorene Idylle der traditionellen Kulturlandschaft wird
in Teilen geschützt und reproduziert: geschützt beispielsweise durch inventarisierte Trockenwiesen und -weiden und reproduziert mit den in den ökologischen Aufwertungsmassnahmen im landwirtschaftlichen Bereich geförderten Hecken, Trockensteinmauern und Hochstammobstgärten oder auch in
Naturgärten mit Blumenwiesen und Ruderalflächen.
Die Schweiz im europäischen Kontext
Die modernisierte, umgestaltete – oder in den Worten von Klaus C. Ewald –
»ausgewechselte«536 Landschaft der Schweiz besticht immer noch durch eine
grossartige Vielfalt. Dies lässt sich beispielsweise an den vier Dreiländerecken
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der Schweiz illustrieren (Liechtenstein bleibt hier für einmal als Nachbar
unberücksichtigt). Wie die für diesen Text angefertigten Fotoserien zeigen,
umfassen diese Stadtlandschaften (Abb. 60–62) und hochalpine Freizeitarenen (Abb. 63–65). Das für weite Teile der Schweiz typische Mosaik von Wald,
Landschaft und Siedlungen, das immer noch Spuren der einstigen Agrarstruktur zeigt, wie beispielsweise in den typischen Streusiedlungen des Appenzellerlandes oder den geschlossenen Dörfern im inneralpinen Bereich, ist
ebenso vertreten (Abb. 66–68) wie auch der Wasserreichtum, der für das
Landschaftsbild der Schweiz charakteristisch ist, sei es in Flusslandschaften
oder im Bereich von Seen (Abb. 69–71).
Die vier Dreiländerecken bieten aber nicht nur Anschauung für die Vielfalt der Schweizer Landschaften. Sie sind auch Orte, an denen sich trefflich
über Landschaften an sich nachdenken lässt: Drei Länder mit unterschiedlichen Staatsformen und gesetzgeberischen Rahmenbedingungen bezüglich
Raumplanung, Land- und Forstwirtschaft und Naturschutz teilen sich jeweils eine Landschaft. Gibt das Landschaftsbild Hinweise darauf, aus welchem Land es stammt? Die länderspezifische Verkehrssignalisation für den
Strassenverkehr entlang von Bahngeleisen oder für Fussgänger sind oft die
klarsten Hinweise auf die Länderzugehörigkeit. Manchmal gibt auch das
Vorhandensein von Kahlschlägen im Waldareal, die in der Schweiz verboten
sind, einen Tipp. Wenn klare Hinweise fehlen und wir die Gegend nicht gut
kennen, ist eine Zuordnung oft schwierig. Landschaften machen nicht an
Landesgrenzen halt – wie dies auch schon für die Agrarzonen galt (vgl. Kapitel 6). Vergleichende Untersuchungen über Grenzen hinweg können aber
Aufschluss darüber geben, inwiefern und wie stark länderspezifische Faktoren landschaftsprägend wirken.
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Am bekanntesten ist das Dreiländereck Basel, gebildet von Frankreich–Deutschland–Schweiz.
Es ist Teil der urbanen Landschaft von Abb. 60: Weil am Rhein (D), Abb. 61: Huningue (F), und
Abb. 62: Basel (CH ).
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Hochalpin geprägt ist die Landschaft rund um den Dreiländerpunkt Italien–Frankreich– Schweiz.
Abb. 63: Blick vom Grand Col de Ferret (Grenze CH–I) auf den Mt. Dolent. Abb. 64: Blick von der
Bergstation Aiguille des Grands Montets auf den Argentièregletscher (F). Abb. 65: Blick ins Val
Ferret (CH).
Karte: © Bundesamt für Landestopografie
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Siedlungen rund um den Dreiländerpunkt Österreich–Italien–Schweiz. Abb. 66: Nauders (A),
Abb. 67: Tschlin (CH), Abb. 68: Reschen am See (I)
Karte: © Bundesamt für Landestopografie
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Der Dreiländerpunkt Deutschland–Österreich– Schweiz liegt im Bodensee. Abb. 69: Lindau (D),
Abb. 70: Bregenz (A), Abb. 71: Rorschach (CH)
Karte: © Bundesamt für Landestopografie
Fotos: © Stefan Klesse
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Es gibt somit keinen landschaftlichen Sonderfall Schweiz. Die Schweiz bietet
aber ausgezeichnete Voraussetzungen für eine intensive Auseinandersetzung
mit landschaftlichen Fragen – gerade auch im europäischen Kontext. Durch
die starken klimatischen und topografischen Gradienten vereinigt sie innerhalb ihrer Grenzen naturräumliche Voraussetzungen, wie sie in weiten Teilen
Europas herrschen. Dicht besiedelte Ballungsräume mit hoher Wirtschaftsleistung, produktive Landwirtschaftsgebiete und praktisch menschenleere
alpine Regionen finden sich auf engem Raum. In dieser Betrachtung eignet
sich die Schweiz als europäisches Landschaftslabor: Sie vereinigt viel von der
europäischen biogeografischen, landschaftlichen und kulturellen Vielfalt in
sich und erlaubt an ihren Grenzen und vor allem an den Dreiländerecken in
einem vergleichenden Ansatz die Untersuchung der spezifisch europäischen
Gesetzgebung auf die Landschaftsentwicklung.
Wohin geht die Reise?
Mit dem neuen Landschaftsbeobachtungssystem LABES steht in der Schweiz
seit Neuestem eine weltweit einzigartige interdisziplinär erarbeitete Datengrundlage zur Verfügung, für die explizit nicht nur die Landschaft als Raumausschnitt, sondern – ganz im Sinn der Europäischen Landschaftskonvention – auch dessen Wahrnehmung und seine Bewertung periodisch erhoben
werden. Ein Resultat von LABES zeigt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner die Schönheit der Landschaft in dem stark durch Siedlungen geprägten Mittelland und dem Tessin am tiefsten bewerten.537 Ist dies eine Folge
davon, dass ein unausgesprochener gesellschaftlicher Konsens darüber besteht, dass die Landschaft im Alpenraum ungleich stärker schützenswert ist
als im Mittelland und dieses somit gewissermassen der Verschandelung preisgegeben wird? Oder war der Druck auf die weniger dicht besiedelten Gebiete
geringer, was zu weniger anthropogenen Eingriffen in die Landschaft der
Alpen führte mit entsprechend positiver bewertetem Ergebnis? Tatsache ist,
dass der Zustand, die Veränderung und die Veränderungsgeschwindigkeit
der Landschaft ein Thema öffentlicher Debatten geworden ist. Dies zeigt sich
in diversen Initiativen zum Schutz des Kulturlandes, in der Einführung von
Landschaftsqualitätsbeiträgen an die Landwirtschaft, in den Diskussionen
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zur Bedeutung einer schönen Landschaft im Standortmarketing und den
Debatten darüber, ob Windkraftanlagen auf Jurahöhen und windexponierten Alpenpässen im Rahmen der Energiewende tolerierbar sind.
Dies weist auf einen weiteren Aspekt des Landschaftslabors Schweiz hin:
Auf engem Raum soll eine Vielzahl sich teilweise diametral gegenüberstehenden gesellschaftlichen Bedürfnissen befriedigt werden. Sollen Alpentäler
Sömmerungsgebiete und somit Kulturlandschaften bleiben? Sollen sie Wildnisgebiete werden oder zur Erzeugung von erneuerbarer Energie unter Wasser und in Wert gesetzt werden? Sollen hier Tiere ihre Ruhe haben oder die
Freizeitgesellschaft ihren Tummelplatz zum Klettern, Biken und Gleitschirmfliegen bekommen? Noch stärker akzentuiert sind diese Raumnutzungskonflikte in Siedlungsnähe, wo die Nachfrage nach zusätzlichem Wohnraum,
Flächen für Intensivlandwirtschaft und zur lokalen Nahrungsmittelproduktion, nach Erholung in naturnahen Naherholungsgebieten und der Bedarf an
zusätzlichem Raum für Tier und Pflanzen aufeinanderprallen. Alle Akteure
haben gute Argumente wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Natur.
Welche Bedeutung kommt in diesem Zerren und Reissen einer integralen
Sicht auf die Landschaft zu?
Ein umfassendes Landschaftsverständnis stellt die Wechselwirkung des
Menschen und seiner Umwelt ins Zentrum – der Slogan »Ich präge die
Landschaft – die Landschaft prägt mich« einer Plakatserie der »Naturschutzkonferenz der kleinen Bergkantone« von 1995 brachte dies treffend zum Ausdruck. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es an dieser Stelle tönt: Nicht
nur die englischen Touristen im 19. Jahrhundert wollten eine Landschaft erleben, ohne den Einheimischen zu begegnen (vgl. Kapitel 7), auch Werbeplakate zu den neuen Regionalen Naturparks zeigen Bilder von menschenleeren Kulturlandschaften. Kulturlandschaften hingegen entwickeln sich mit
dem Menschen und für den Menschen. Bedeutungsvoll ist hier die Nähe der
Begriffe Kulturland und Kulturlandschaft: Kulturland ist Teil der Kulturlandschaft und stellt in dieser Einbettung eine Lebensgrundlage dar. Auch
der naturfern lebende »Hors-sol-Mensch« isst Brot, dessen wichtigste Bestandteile auf einem Acker gewachsen sind, und trinkt Wein, der aus einem
bestimmten Rebberg stammt. Wie stark werden die Diskussionen um Selbstversorgungsgrad, ökologische Produktionsweise, Regionalprodukte und der
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Boom von Urban Farming die Zukunft der Landschaft in der Schweiz mitprägen? Und welche Bedürfnisse stehen eigentlich dahinter: Wird der urbane
Farmer zu seinem Tun motiviert, weil er den persönlichen Bezug zu den
Wurzeln seiner Nahrungsmittel als Bereicherung erfährt? Will die urbane
Farmerin primär ihren ökologischen Fussabdruck verkleinern? Oder ist es
gar nur vorübergehend trendig, mit geschulterter Gartenhacke im Hochhauslift zu stehen, am Arm einen Korb voll frisch geerntetem Salat?
Anspruchsvoll wird die Suche nach klugen Lösungen zur Verbindung der
vielen Ansprüche gerade auch in den (peri-)urbanen Räumen: Wie lassen sich
die Forderungen nach verdichtetem Bauen, nach Erhaltung der historischen
Bausubstanz, nach Siedlungsökologie und neu auch nach lokaler Energieund Nahrungsmittelproduktion verbinden? Entlang des Gradienten von den
urbanen Zentren zu den alpinen Gipfeln begegnen wir den unterschiedlichsten Anspruchskonstellationen, welche die Landschaftsentwicklung prägten
und prägen werden. Der Blick zurück in die Geschichte verortet uns mit
unseren aktuellen Fragen auf der Zeitachse und zeigt den Wandel der Ansprüche und vor allem auch der Möglichkeiten, diese zu verwirklichen.
Längst ist klar, dass nicht mehr alles, was machbar ist, auch wünschenswert
ist.
Ein umfassendes Landschaftsverständnis ist eine Voraussetzung für kluge
Lösungen, und die hier vorliegende Sicht auf die Landschaftsgeschichte der
Schweiz lässt erahnen, in welchem Geist solche Lösungen gefunden werden
können. Wenn nicht allein die Biodiversität, sondern ebenso die (damit untrennbar verbundene) landschaftliche Vielfalt der Schweiz erhalten und weiterentwickelt werden soll, bedarf dies gewisser Grundsätze. Dazu gehören
das respektvolle Anerkennen des kulturellen Erbes, das die Kulturlandschaft
darstellt; das Bewusstsein, für welche Zeiträume die heutigen Entscheidungen landschaftsprägend wirken werden und eine sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Ort, der konkreten Landschaft und ihrem individuellen Charakter. Die Versuchung ist gross, in Analogie zur Anfang des 20. Jahrhunderts
propagierten »Waldgesinnung« (vgl. Kapitel 12) die Förderung einer »Landschaftsgesinnung« zu propagieren – doch ist diese Art von Aufruf nicht zeitgemäss. Angemessener ist es zu wünschen, dass der Landschaft in der Ausund Weiterbildung an Schulen und Hochschulen zukünftig grösseres
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Gewicht beigemessen wird. Für die Erarbeitung der erwähnten klugen Lösungen braucht es Fachleute unterschiedlichster Disziplinen, denen im Rahmen ihrer Ausbildung ein integrales Landschaftsverständnis vermittelt worden ist. Es braucht Expertise für die Durchführung von partizipativen
Planungsprozessen, damit dem viel zitierten Schlagwort von »Betroffene zu
Beteiligten machen« vermehrt und selbstverständlich nachgelebt wird. Derartige Prozesse können zu einer stärkeren Identifikation der Bevölkerung mit
ihrer Alltagslandschaft führen, was zur Lebensqualität auch im dicht bevölkerten Mittelland beiträgt. Die Landschaft soll als eine gesellschaftliche Zentralressource erkannt und respektiert werden. Statt radikalen Landschaftswandel hier und totalen »Käseglockenschutz« dort braucht es also Achtsamkeit
und Sorgfalt im Umgang mit der Landschaft. Ein historischer Zugang zur
Landschaft gibt hierzu Hintergrund, Verortung und Anregungen für die Zukunft.
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Autoren und Autorinnen
Norman Backhaus ist Humangeograf an der Universität Zürich. Seine Forschung bezieht sich auf Formen der Raumaneignung im Bereich von Naturschutz, Tourismus und Landschaftsentwicklung in der Schweiz und in
Asien.
Mark Bertogliati ist Forstingenieur ETH und promovierter Historiker mit
Spezialgebiet Waldgeschichte der Südschweiz. Er ist an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL und in
einem Ingenieurbüro tätig.
Simon Bundi ist promovierter Historiker mit Schwerpunkt Sozial- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Seine Lizentiatsarbeit erschien unter dem Titel: Graubünden und der Heimatschutz. Von der Erfindung der Heimat zur Erhaltung des Dorfes Guarda, 2012.
Matthias Bürgi forscht und lehrt an der Eidgenössischen Forschungsanstalt
für Wald, Schnee und Landschaft WSL und an der Eidgenössischen
Technischen Hochschule ETH. Er verbindet Ansätze der Landschaftsökologie, Historischen Ökologie und Umweltgeschichte.
Madlena Cavelti Hammer ist promovierte Geografin mit Spezialgebiet Historische Kartografie. Sie hat zahlreiche Forschungs- und Editionsprojekte
zu Kartenwerken, Panoramen und Reliefs durchgeführt und ist Mitbegründerin der »Cartographica Helvetica«.
Laura Fasol ist Mittelschullehrerin und doktoriert an der Universität Luzern
mit der Studie Stadtgestalt und Stadtgesellschaft. Identitätskonstruktionen
in Winterthur, Luzern und Bern um 1900.
Peter Haldimann ist promovierter Geologe. Er war mehr als 40 Jahre in der
praktischen Geologie tätig und war unter anderem Ko-Autor des Buches:
Geologie von Zürich - von der Entstehung der Landschaft bis zum Eingriff des
Menschen, 1989. Derzeit hält er an der ETH die Vorlesung Quartärgeologie.
Thomas Hammer ist Humangeograf an der Universität Bern. Zu seinen Spezialgebieten gehören nachhaltige Regional- und Landschaftsentwicklung,
Schutzgebiete und ländliche Entwicklung. Er hat Felderfahrungen im
Alpenraum und in Afrika.
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Katja Hürlimann ist promovierte Historikerin und Dozentin an einer Berufsfachschule. Sie publiziert über ältere Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (mit besonderer Berücksichtigung der Wald- und Forstgeschichte) und engagiert sich als Herausgeberin.
Susanne Karn ist promovierte Landschaftsarchitektin an der Hochschule für
Technik Rapperswil und Leiterin der Fachstelle Geschichte und Theorie
der Landschaftsarchitektur. Sie forscht und veröffentlicht zu den Themen
Gartenkulturgeschichte und Freiraumplanung.
Patrick Kupper ist Historiker an der Universität Innsbruck mit Schwerpunkt
transnationale Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte der Moderne.
Ausgehend vom Schweizerischen Nationalpark hat er die Forschung zur
Globalgeschichte von Schutzgebieten mitbegründet.
Urs Leuzinger ist Archäologe im Kanton Thurgau und Dozent an der Universität Innsbruck. Er leitet zudem das Museum für Archäologie Thurgau.
Zahlreiche Publikationen für das Fachpublikum und die interessierte Öffentlichkeit.
Jon Mathieu ist Historiker an der Universität Luzern mit Schwerpunkt Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte des 16. bis 19. Jahrhunderts. Viele
seiner Studien betreffen Bergregionen.
Claude Reichler ist emeritierter Literatur- und Kulturwissenschaftler an der
Universität Lausanne. Die Theorie und Geschichte der Landschaft gehört
zu seinen Spezialgebieten. Sein letztes einschlägiges Buch: Les Alpes et
leurs imagiers. Voyage et histoire du regard, 2013.
Hans-Ulrich Schiedt ist promovierter Historiker an der Universität Bern und
Leiter der Abteilung Forschung von »Via Storia – Stiftung für Verkehrsgeschichte«. Er hat zahlreiche Forschungsprojekte zur Verkehrsgeschichte
des 18. bis 20. Jahrhunderts durchgeführt und darüber publiziert.
Paul Schneeberger ist promovierter Historiker und Redaktor der »Neuen Zürcher Zeitung«, vor allem zuständig für Fragen des Verkehrs, der Raumordnung und des öffentlichen Dienstes. Unter seinen Büchern: Daheim.
Eine Reise durch die Agglomeration, 2013.
Sophie von Schwerin ist promovierte Landschaftsarchitektin und arbeitet als
wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Gartenkunstgeschichte an der
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Hochschule für Technik Rapperswil. Aktuell forscht sie zur Entwicklung
der Schweizer Landschaftsarchitektur im 20. Jahrhundert.
Dominik Siegrist ist Landschaftsplaner und Humangeograf an der Hochschule für Technik Rapperswil. Er ist Experte für naturnahen Tourismus,
Parks, Grossschutzgebiete und nachhaltige Entwicklung im Alpenraum.
Zahlreiche Projekte und Publikationen.
Daniel Speich Chassé lehrt und forscht an der Universität Luzern. Seine Interessensgebiete umfassen vor allem die Wirtschafts-, Wissens- und Globalgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts. Räumliche Schwerpunkte sind
Schweiz und Afrika.
Martin Stuber ist promovierter Historiker an der Universität Bern mit zahlreichen Publikationen zur Wissens- und Umweltgeschichte des 18. bis
20. Jahrhunderts. Er ist unter anderem Mitherausgeber von: Kartoffeln,
Klee und kluge Köpfe. Die Oekonomische und Gemeinnützige Gesellschaft
des Kantons Bern (1759–2009), 2009.
Renata Windler ist promovierte Archäologin bei der Kantonsarchäologie Zürich und hat sich vielfach mit Fragen der Siedlungs- und Landschaftsentwicklung von der Spätantike bis ins Hochmittelalter befasst. So etwa im
Beitrag zur Reihe Die Schweiz vom Paläolithikum bis zum Mittelalter,
2014.
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