Eine kurze Theologie Martin Luthers - EKHN

Examensvorbereitung ST von Simon Ahäuser
Eine kurze Theologie Martin Luthers
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Eine kurze Theologie Martin Luthers
Das Gericht
Das Gericht ist präsentisch und findet im Gewissen eines jeden Menschen statt. Gewissensbuße und
Letztes Gericht sind für ihn formal identisch. Das Gewissen ist der Träger des Gottesverhältnisses.
Die Erfahrung, die der Mensch im Gewissen macht, ist die des Gericht Gottes. Es ist wie, als würde
Gott sagen wollen: „Siehe, ich richte dich nicht, sondern stimme nur deinem Urteil über dich selber
zu und bekräftige es. Weil du anders über dich selbst nicht urteilen kannst, darum kann's auch ich
nicht tun. Also verdienst du nach dem Zeugnis deiner eigenen Gedanken und deines Gewissens
entweder den Himmel oder die Hölle.“
Nach dieser Vorstellung kann der Mensch also wissen, wie es um ihn im Gericht geschehen wird. Er
kann aber hier und jetzt die Entscheidung entscheidend verändern. Gott macht letztlich nichts
überraschendes. In mancher Hinsicht ist Luther daher – modern gesprochen – ein Vertreter der
„präsentischen Eschatologie“.
Allversöhnung?
Er kennt trotzdem die ewige Strafe für die Ungläubigen. Eine Allversöhnung hat er nicht gelehrt.
Luther wünschte sie sich, wünscht seinen Widersachern aber den Untergang. Am Jüngsten Tag
kommt es zum endgültigen Sieg über den Teufel und alle Gottlosen. Mit der Wiederkunft Christi
vollzieht sich die endgültige Scheidung. Lehren konnte er sie aufgrund des biblischen Zeugnis
sowieso nicht. Wenn es in 1Tim heiße, Gott wolle, dass alle Menschen selig werden, dann sagt das
nur, dass wir für alle bitten und allen predigen sollen. Gott könnte aber natürlich alle im Sterben
oder nach dem Tod selig machen. „Aber dass er's tue, kann man nicht beweisen.“ Er hat sie
daher nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Auferstehung der Toten
Weil Gott selbst ans Kreuz ging, ist der Mensch mit ihm bis den Tod hinein vereint, trotz eines
Sterbens in der Gottverlassenheit. Das ist die Quelle der Botschaft von der Versöhnung mit Gott.
Gott ist – modern gesagt – nicht der letzte Feind. Er ist „ein Gott der Lebenden und nicht der
Toten.“ Er macht lebendig und macht aus Nichts Etwas. Die Auferstehung bezieht sich auf den
einzelnen Menschen und die gesamte Schöpfung. Luthers Schöpfungslehre ist „eschatologisch
überformt“ (Asendorf). An der Schöpfung kann man auch ablesen, wie es nicht anders als durch den
Tod hindurch zum Leben geht. Man sehe sich ein Getreidekorn an, das da in der Erde zu verwesen
scheint: „ist ein nass Dinglein, kriegt ein Schwänzlein“; wer könnte vermuten, dass daraus jemals
Gerste wird - oder gar Bier! Neuer Himmel & Neue Erde im Sinne einer Verwandlung der alten
Welt sind schon jetzt in jedem neuen Frühling zeichenhaft sichtbar.
Luther folgert: „Die Auferstehung der Toten ist, so gewiss wie Gott: wer sie leugnet, leugnet
Gott.“ Gewissheit ist direktes Betroffensein vom universalen Kampf Gottes gegen die bösen
Mächte. Diesen Kampf können wir nur durch das befreiende Zeugnis von Jesu Christus aushalten
bzw. durchschauen.
Wir stehen also nicht daneben, sondern befinden uns vielmehr mitten drin, sind durch die Taufe in
das Christusgeschehen hineingenommen. Der Christ darf also mutig, geduldig und getröstet dem
eigenen Sterben entgegengehen, denn auch Teufel, Tod und Hölle dienen nur dem Guten.
Christus hat uns trotzdem das Sterben nicht abgenommen.
Sünde und Gerechtigkeit
Es gibt Gerechtigkeit/ Sünde vor den Menschen und Gerechtigkeit/ Sünde vor Gott.
Die Gerechtigkeit vor den Menschen ist eine Eigenschaft, die besitzt wird. Sie ist äußerlich sichtbar.
Der Mensch verfügt selbst darüber und ist dementsprechend dafür verantwortlich. Es kann daher
auch die Gerechtigkeit äußerlich gespielt sein, ist dann aber, weil ohne Liebe, vor Gott wertlos. Es
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ist zudem gefährlich, weil ich das Heil für mich und von mir selbst beanspruche. Kurz: „Vertrauen
in sich“ statt „Vertrauen auf Gott“. Der Mensch sieht nur auf sich und nicht auf Gott – er ist in sich
verkrümmt (incurvatus in sepipsum).Das ist im Anschluss an Tertullian und Augustin die
„essentielle Sünde“. Diese ist seit Adam vorgeben und ist daher ursprünglich nicht natürlich. Diese
Sünde äußert sich als Begehrlichkeit (Konkupiszenz), der Mensch ist gegen sie hilflos. Er muss
daher auf Gott hoffen. Die von Gott kommende Gerechtigkeit ist daher passiv.
Rechtfertigung
Für Luther steht der Mensch unter der Macht der Sünde und kann daher von sich aus nichts Gutes
tun. Deshalb können Werke auch keine Vergebung der Sünden bewirken.
Man unterscheidet zwischen zwei Rechtfertigungsverständnissen (welches Luther vertritt, ist
umstritten):
Entweder, weil Christus unsere Sünden auf sich genommen hat, wird Christi Gerechtigkeit
stellvertretend für den Menschen bei Gott angerechnet, Gott spricht uns gerecht (forensische
Rechtfertigung).
Oder Gott macht uns wirklich gerecht (effektive Rechtfertigung).
Obwohl wir Glaubende sind, bleiben wir laut Luther dennoch der Sünde ausgeliefert. Der Mensch
sei „simul iustus et peccator – zugleich Gerechter und Sünder“. Allein durch die Gnade, also „sola
gratia“ wird der Mensch gerecht und erlöst. Diese These wird das Materialprinzip des
Protestantismus genannt.
Bibelverständnis
Nach Luther ist die Schrift eigentlich von großer Klarheit (claritas), also deutlich zu verstehen. Ihre
Gesamtintention (!) ist so deutlich, dass sie keiner weiteren Auslegung oder Weiterentwicklung
bedarf. In dieser Auffassung liegt eine deutliche Kritik am mehrfachen Schriftsinn.Unsere eigenen
Vorurteile, Vorstellungen, Überzeugungen, d.h. unser spiritus proprius („eigener Geist“), halten
uns eigentlich davon ab. Der spiritus proprius steht zwischen uns und dem spiritus scripturae sacrae
(„Geist der Heiligen Schrift“). Durch große Anstrengung können wir ihn jedoch überwinden. Wenn
wir nicht mehr versuchen, die Bibel unseren Vorstellungen gemäß auszulegen, kann sie sich selbst
auslegen, kann sie ihre eigene Botschaft zu uns sprechen: Scriptura sacra sui ipsius interpres. So
wird die Schrift zum Wort, das uns anspricht. Sie wird wörtlich. Kritik an ihr bleibt möglich, denn
vordergründig steht immer Christus.
Wenn die Schrift von so großer Klarheit ist, warum gibt es dann so viele verschiedene
Interpretationen? Einerseits bringen alle ihren spiritus proprius mit. Andererseits besteht weiterhin
philologische Unkenntnis (vgl. optimistischer Bildungsgedanke der Humanisten).
Kirche und ihr persönliches Eschaton
Die Kirche ist nach Luther keine Institution, sondern die Gesamtheit der Gemeinschaft der
Gläubigen. Gott selbst hat die Kirche gestiftet, denn aus dem Hören auf Gottes Wort entsteht die
Versammlung der Gläubigen. Kirche konstituiert also Gottes eigenes Handeln in Wort und
Sakrament. Daher besteht Kirche auch, wenn in dieser Sünder, Heuchler und falsche Christen leben.
Dies führte später zur theologischen Bestätigung der Volkskirche. Was mit ihr ihm Eschaton
passiert, darauf gibt Luther keine Antwort. Nach Barth kann ihr Auftrag und Wesen aber nicht am
Ende der Welt erlöschen, da sie „Leib Christi“ sei.
Gesetz und Evangelium
Luther unterschied die Usus civilis (bzw. politicus) und theologicus (bzw. spiritualis/ elenchticus).
Melanchthon und Calvin führten den usus tertius legis ein.
Durch das Gesetz widerfährt dem Menschen eine gewisse Demütigung, eine Enttäuschung. Er kann
tun und lassen, was er will, er wird doch nicht gerecht. Es gibt jede Gesetzesform in drei
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Funktionen:
1. usus politicus legis (regelt gesellschaftliches Zusammenleben durch Vorschrift/ Strafe →
Schutzfunktion; weist meine Tat auf → für die Taten zuständig: hätte jeder den Glauben,
bräuchten wir keine Gesetze, denn jeder täte von selbst immer gute Werke)
2. usus elenchticus legis (offenbart mir in Anschauung des Gesetzes meine Sündhaftigkeit,
aufdeckende Funktion der Sündhaftigkeit und fehlenden Glauben und meinen Mangel, es
wirklich innerlich zu erfüllen, z.B. 1 Gebot: Äußerlich ja, innerlich nein!)
3. tertius usus legis (in den Wiedergeborenen; nur nach reformierter Tradition)
Das Evangelium ist hingegen die Zusage, die gute Botschaft an die Menschen. Das Evangelium
sagt, dass der Mensch doch bereits durch Gottes Gnade und Jesu Kreuzestod erlöst sei. Diese
Zusage, promissio, zeigt dem Menschen auf, dass er als Gläubiger erlöst werden wird. Dies folgert
Luther aus der Bibel und fordert deshalb „sola scriptura“ (Formalprinzip des Protestantismus). Alles
das in der heiligen Schrift, was Christus behandelt und erwähnt, ist Maßstab des Glaubens, quasi ein
Kanon im Kanon.
Ethik
Der Christ ist laut Luther innerlich frei. Äußere Zwänge, wie Werkglauben, machen unfrei, auch
innerlich. Daher kann nur allein der Glaube Richtschnur für gute oder schlechte Werke sein. Von
weitreichender Bedeutung war Luthers Zwei-Regimenten-Lehre: Hier stellt er erstmals fest, dass
es neben den Christen auch Nichtchristen gab. Früher waren einfach alle immer Christen. Die
Gläubigen brauchen kein weltliches Gesetz, weil Christus ja innerlich regiert. Nichtchristen
hingegen brauchen äußeres Recht mit Obrigkeitsherrschaft, um nicht in Untugend zu fallen.
Herrschaft und Obrigkeit ist laut Luther durchaus in Gottes Sinne, wie er Röm 13 entnimmt.
Zusammengefasst bedeutet die Zwei-Regimenten-Lehre also, dass Christus innerlich durch den
heiligen Geist regiert, äußerlich durch die weltliche Herrschaft.
Auch in Luthers Regimentenlehre wiederholt sich das gleiche eschatologische Muster. „Dem
Angriff Satans stellt Gott die beiden Regimente oder Reiche entgegen. „Die Regimentenlehre als
eschatologische Kampflehre!“(Asendorf)
De servo arbitrio (Vom unfreien Willen)
Thema der Schrift Luthers ist die wiederholt diskutierte Fragestellung christlichen Denkens, ob der
Mensch nach dem Sündenfall die Freiheit behalten habe, sich aus eigener Kraft für die göttliche
Gnade zu entscheiden, oder ob diese Entscheidung selbst bereits Geschenk der Gnade sei. Er bestritt
ganz entschieden, dass der Mensch bezüglich des Willens Gottes einen freien Willen habe, also
gegenüber dem, was Heil bewirkt. Über ewiges Heil oder ewige Verdammnis entscheidet allein der
souveräne Wille Gottes. Da hat der Mensch keinen freien Willen. Calvin schloss sich Luther in
dieser Position an, Melanchthon suchte eher den katholischen Weg in CA 18: „Der Mensch hat
keinen absolut freien Willen. Er ist zwar in der Lage, sich in weltlichen Dingen frei zu entscheiden
und ein vor Menschen ehrbares Leben zu führen (iustitia civilis), jedoch ist er nicht in der Lage,
Gottes Gebote zu erfüllen und vor ihm gerecht zu werden (iustitia spiritualis). Gerecht wird der
Mensch nicht durch seinen eigenen Willen, sondern durch den Heiligen Geist.“
Die drei Lichter
Die Lehre von den drei Lichtern steht am Schluss von De Servo Abitrio: Das Licht der Natur
(Unlösbar ist, warum einem Guten das Böse und andersherum widerfährt); Das Licht der Gnade
(löst diese Frage, es kommt ja noch eine jenseitige Vergeltung; sie weiß aber nicht, wie Gott den
verdammen kann, der nichts anderes als sündigen kann/ Wie kann Gott die Menschen für ihre
Sündhaftigkeit bestrafen, wenn doch Menschen gar nicht gut sein können?); Gott wirkt daher
ungerecht, nur das Licht der Herrlichkeit behauptet etwas anderes: Gottes Gerechtigkeit, die noch
unbegreiflich erscheint, wird hier offensichtlich.
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Fazit: Was jetzt uns noch verborgen bleibt von Gott, wird uns irgendwann erkenntlich sein. Es gibt
daher auch in Gottes eschatischem Handeln noch etwas, von dem wir nichts wissen.