Yorker Urkunde - Internetloge.de

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Karl Christian Friedrich Krause und
die Yorker Urkunde.1
Als die dritte der angeblich "drei ältesten Kunsturkunden der
Freimaurerbrüderschaft"2 hat Krause eine Urkunde mitgeteilt, die grosses
Aufsehen erregte und lange für echt galt, bis sie von Kloss 3 einer kritischen
Prüfung unterzogen wurde, die das Irrtümliche der Krauseschen Auffassung
darlegte. Obschon bei näherer Kenntnis der wirklichen Geschichte der
Freimaurerei und ihre Einrichtung im allgemeinen, sowie der englischen
Bauhütten insbesondere sich die Unhaltbarkeit der Krauseschen Ansicht immer
klarer stellte und auch noch andre Forscher, wie Asher 4, Keller5 u. a., die
gewichtigsten Gründe gegen die Echtheit der Urkunde vorbrachten, fehlte es
doch nicht an solchen, die sie als vollgültig ansahen, und dies führte sogar zu
einer vom Verein deutscher Freimaurer angeregten Forschungsreise Findels 6
nach England, deren Ergebnis unten folgt. Krause liess sich hier, wie bei der
Prüfung des sog. Freimaurerverhörs7 und des angeblich ältesten
Aufnahmerituals, von seiner Idee eines Menschheitbundes leiten, dessen
Anfang er in der Freimaurerei zu finden glaubte, und diese vorgefasste Meinung
hob ihn über alle Bedenklichkeiten hinaus, die sich dem fleissigen Forscher aus
der wirklichen Geschichte der Freimaurerei und andern Quellen ergaben, so
dass er umgekehrt die Quellenschriften, die der Verfasser der sogenannten Y. U.
benutzte, als aus dieser hergeleitet betrachtete und dadurch zu einem Ergebnis
kam, das zu den erheblichsten Irrtümern führte die maurerische
1
Entnommen: Allgemeines Handbuch der Freimaurerei, dritte, völlig umgearbeitete und mit den neuen
wissenschaftlichen Forschungen in Einklang gebrachte Auflage von Lennings Encyklopädie der Freimaurerei.
Herausgegeben vom Verein deutscher Freimaurer. Zweiter Band, M-Z, Seiten 564 - 570, Stichwort "Yorker
Urkunde". Max Hesse's Verlag, Leipzig 1901. Friedrich Moßdorf, geb. 1757, gest. 1843, Hof- und JustizKanzleisekretär in Dresden, Weggefährte Krauses, Freund und Berater der freimaurerischen Reformatoren
Schröder und Fessler, hat sich als Herausgeber der "Enzyklopädie der Freimaurerei" von C. Lenning, die in der
Zeit von 1822 - 1828 erschien, einen Ruf als Enzyklopädist erworben.
2
Die drei ältesten Kunsturkunden der Freimaurerbrüderschaft mitgetheilt, bearbeitet und durch eine Darstellung
des Wesens und der Bestimmung der Freimaurerei und der Freimaurerbrüderschaft, sowie durch mehrere
liturgische Versuche erläutert von Karl Christian Friedrich Krause. Dresden, Arnoldi, 1810.
3
Kloss, Georg Burkhard, *1787, †1854, Professor der Medizin, praktischer Arzt in Frankfürt a. M.,
freimaurerischer Bibliograph. 1805 wurde er als Lufton in der Loge "Zur Einigkeit" in Frankfurt aufgenommen,
seit 1828 deren Meister vom Stuhl, 1836 Großmeister des Eklektischen Bundes. Besaß eine für die damalige Zeit
aufsehenerregende freimaurerische Büchersammlung.
4
Carl Wilhelm Asher (* 30. November 1798 in Altona; † 29. September 1864 in Hamburg), deutscher Publizist,
übersetzte das Regius-Poem.
5
Ludwig Keller (1849 - 1915), deutscher Archivar, Freimaurer-Historiker und 1891 Gründer der ComeniusGesellschaft.
6
Gottfried Joseph Gabriel Findel (* 21. Oktober 1828 in Kupferberg; † 23. November 1905 in Leipzig),
freimaurerischer Schriftsteller und Verleger, 1856 in der Loge Eleusis in Bayreuth aufgenommen.
7
Freimaurerverhör Heinrichs VI., auch Locke-Manuskript und Leland-Manuskript, angeblich alte, in
Wirklichkeit gefälschte Handschrift, Freimaurerkatechismus der den von Anderson und Preston zum Freimaurer
gestempelten englischen König Heinrich VI. (der in Wahrheit die Baugilden unterdrückte) zum Verfasser haben
sollte.
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Geschichtschreibung bis zu Kloss herab beeinflusste und diese dadurch in ihrem
Wert und ihrer Verlässlichkeit sehr beeinträchtigte.
In der Vorerinnerung zu der Mitteilung der angeblichen alten Urkunde [Drei
Kunsturkunden, Band II, II, 8 fg.] legt Krause nicht nur seine Ansichten über
diese nieder, sondern erzählt auch, wie sie aufgefunden wurde und in seine
Hände gelangte. Aus den drei Ältesten Kunsturkunden der Freimaurerei, sagt er,
werde ihr Geschichtsbegriff erkannt und der Beweis vollendet, dass sie ein
teilweise ahnender Anfang des Menschheitbundes ist.
"Der erste Teil dieses Beweises liegt in den beiden ersten Kunsturkunden vor Augen.
Nur der letzte Teil ist noch zu führen übrig . . . Glücklicherweise hat sich auch ein
Denkmal der ältesten, von den Baulogen in England im J. 926 zu York angenommnen
Verfassung bis heute erhalten, welches nicht allein jenen Beweis vollendet, sondern
auch zum richtigen Verständnis und zur gründlichen Beurteilung der beiden zuvor
mitgeteilten Kunsturkunden dient."
Die Urkunde, worin jene älteste Verfassung dargestellt wird und "in der alten
vaterländischen Sprache", also angelsächsisch, verfasst ist, meinte er irrtümlich,
werde noch heute bei der Grossloge in York aufbewahrt.
„Die Grossloge zu York hat sich aus der ältesten, vom 10. Jahrh. an daselbst
ununterbrochen fortarbeitenden Maurerloge gebildet, welche, da in York seit dem J.
926 viele Allgemeinversammlungen (Generalversammlungen) der Maurer gehalten
wurden, bis zum J. 1717 als der wahre Sitz und als der Mittelpunkt der ganzen
engländischen Brüderschaft angesehen und geachtet wurde."
Seine Voreingenommenheit ging so weit, dass er annahm, aus dieser Urkunde
seien durch allerlei Änderungen und Umgestaltungen alle andern jüngern
Konstitutionen der Maurerlogen in England, Schottland und Irland vor und nach
dem J. 1717 geflossen; ja selbst die älteste Verfassungsurkunde der Steinmetzen
in Deutschland, die "Ordenunge der Steinmetzen zu Strasburg" 8 zeige mit der
Yorker Konstitution eine völlige Übereinstimmung. Die neuenglische (ältere)
Grossloge in London legte ihm zufolge für ihr Konstitutionenbuch die Urkunde
der Yorker Konstitution zu Grunde. Da nun die angeblich aus der Yorker
Konstitution geflossnen alten Grundgesetze (old charges 9) von allen in und
8
Aus dem Jahr 1459
Die "Old Charges" (Alte Pflichten) sind in alten Urkunden und Skipten, die Legenden, Regeln und
Vereinbarungen aus der operativen Maurerei enthalten, überliefert: Regius-Poem (1390), Cooke-Manuskript
(1410), „The Book of Masons“ - Tew-Form (Urfassung, ca. 1500), Kölner Urkunde (1535), „Die alte
Constitution“ – Dowland Manuskipt (ca. 1550), Die beiden Schaw-Statuten von 1598 und 1599, FalklandStatuten von 1636. Für die 1717 in London gegründete freimaurerische Großloge schuf George Payne
(Großmeister 1718 und 1720) unter Berücksichtigung des alten Cook Manuskriptes 1720 die "General
Regulations", die am 24. Juni 1721 auf der Versammlung der Großloge verkündet wurden. 39 dieser
"Allgemeinen Regeln" übernahm James Anderson in seinen Constitutionen von 1723: "THE 'CONSTITUTIONS'
OF THE FREE-MASONS. CONTAINING THE History, Charges, Regulations, &c.of that most Ancient und
Right Worshipful FRATERNITY.For the Use of the LODGES.LONDON: Printed by William Hunter, for John
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ausser Europa arbeitenden Freimaurerlogen als Grundgesetz des Bundes
angenommen worden seien, so sei der Einfluss dieser Kunsturkunde auf die
allmähliche Ausbildung der Verfassung der Brüderschaft und auf die
geschichtliche Beurteilung der bestehenden Verfassung unverkennbar. Wir
lassen zunächst Krause selbst weiter sprechen.
„Der verstorbne Br. Schneider10 in Altenburg hatte eine briefliche Nachricht des Br.
Böttger, der im J. 1799 zu London ein Exemplar der Yorker Konstitution gesehen hatte.
Br. Böttger beschreibt [vgl. A. J. I. 408] diese Handschrift ‚als einen sehr alten, aus 107
Blättern bestehenden Codex in gross Folio, wovon ungefähr ein Dritteil ihm
unverständlich gewesen, weil es alte englische Sprache sei; daher er auch einen
gelehrten Engländer als Dolmetscher habe brauchen müssen . . .'
Diese Nachricht veranlasste Br. Schneider, in Vereinigung mit den Brüdern Pierer11 und
Mörlin12, über die Yorker Konstitution weitere Nachforschungen in England selbst
anzustellen. Deshalb bat er seinen Freund, Br. van Dyk in Holland, als derselbe im J.
1808 durch Altenburg reiste, dass er die Yorker Konstitution abschriftlich oder in
lateinischer Übersetzung zu erhalten suchen möchte; aber erst zu Anfang des J. 1808
langte die von selbigem besorgte Übersetzung in Altenburg an. Diese Übersetzung erhielt
van Dyk durch einen seiner Freunde, William Erskine13, Obersten in Schottland, der sich
den Sommer über manchmal in oder um York aufhielt. Dass diese Übersetzung echt und
treu sei, hat zu Ende derselben ein Herr Stonehouse in York durch Namensunterschrift
und Siegel bescheinigt. Nach dieser Stonehousischen lateinischen Übersetzung verfertigte
Br. Schneider eine deutsche; er legte sie mehreren Kennern der lateinischen und
englischen Sprache vor, welche dieselbe durchgesehen und als treu, wie unten folgt,
beglaubigt haben. Auch Br. van Dyk wollte nach dieser Stonehousischen lateinischen eine
holländische besorgen. Von dieser seiner deutschen Übersetzung der Yorker Konstitution
übersandte mir nun Br. Schneider die beglaubigte Abschrift. Dass Culdeer14 die Yorker
Konstitution verfasst haben, wird im Folgenden gezeigt werden."
"Die äussern Zeugnisse der Echtheit dieser Urkunde sind vorzüglich folgende:
1) Die Urkundlichkeit der hier mitgeteilten deutschen Übersetzung derselben beruht
auf dem Zeugniss des J. Stonehouse, des Erskine, des Br. van Dyk. Hierzu
kommen aber noch ferner viele ältere und neuere, von Freunden und Feinden der
Brüderschaft herrührende Zeugnisse über das Vorhandensein der ältesten
Maurerkonstitution in York, wovon ich hier die vorzüglichsten anführte.
Senex at the Globe, and John Hooke at the Flower-de-luce over-against St. Dunstan's Church, in Fleet-street. In
the Year of Masonry – 5723.“ Die Yorker Urkunde nennt 926 als Erscheinungsjahr.
10
Krause titelt den II. Band: "Dritte Kunsturkunde - Die alte im Jahr 926 angenommene Yorker Constituion oder
Gesetzurkunde der Baulogen in England, nach dem bei der Großloge zu York aufbewahrten Orginale durch einen
Engländer im Jahr 1807 in's Lateinische und aus dem Lateinisch durch den Bruder J. A. Schneider, in Altenburg
im J. 1808 in' Deusche übersetzt und vom Herausgeber mit mit erklärenden Anmerkungen erlaütert. - Nebst einer
Sammlung von Constitutionen-Urkunden, welche insgesamt später als die Yorker Constitution, und auf der
Grundlage derselben verfaßt sind oder doch im Wesenlichen mit selbiger übereinstimmen."
11
Eugen Pierer (*23. Dezember 1823 in Altenburg; †19. Januar 1890 ebenda) war nach dem Tod seines Vaters
Heinrich August Pierer ab 1850 alleiniger Geschäftsführer der Altenburger Hofbuchdruckerei.
12
Vermutlich: Christian Heinrich Fürchtegott Mörlin, geb. 1787 zu Camburg, Archidiaconus zu Altenburg, † als
Pfarrer zu Monstab bei Altenburg im J. 1852, hat einige geistliche Lieder gedichtet.
13
Vermutlich: William Erskine (* 8 November 1773 – † 28 May 1852) Schottischer Orientalist und Historiker.
14
Die Culdee, Kuldeer oder Céli Dé (übersetzt „Vasallen des Gottes“) bildeten einen klösterlichen Orden mit
Ansiedlungen in Irland und Schottland. In frühen irischen Manuskripten ist der Name mit Cele De (die
„geschworenen Verbündeten Gottes“) belegt. Später wurde die Bezeichnung zu Coli dei latinisiert, abgeleitet von
culdei nach Hector Boece (1465-1536), welches allgemein Mönche und Einsiedler bezeichnete.
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2)
Das neuenglische, im J. 1717 aus vier einzelnen Londoner Logen
zusammengetretene Grossmeistertum, ... legte zwar bei dem Entwurfe seines
Konstitutionenbuches die älteste Yorker Konstitution in verschiedenen
Rezensionen zu Grunde, erlaubte sich aber dabei viele Erweiterungen,
Weglassungen und wesentliche Abänderungen der Kunstsprache und fand
besonders für gut, vorzuspiegeln, als wären seine Einrichtungen und Ansichten
der Verfassung nicht neu, sondern nur in der ältesten Konstitution enthalten . . .
Diese Grossloge musste überhaupt die alten Konstitutionen annehmen und
beibehalten, und ihre veränderte Gesellschaft als unveränderte alte darstellen,
weil sie sonst vom Staate schwerlich Duldung erhalten gekonnt hätte."
Es folgen hier nun Auszüge aus dem geschichtlichen Teil der
Konstitutionenbücher von 1728 und 1738, der Zueignung der erstem Ausgabe
und der in der Anmerkung erwähnten Approbation 15, wozu Krause allerlei die
ursprüngliche Grossloge verdächtigende, irrige Bemerkungen macht, die wir
hier weglassen. Dann schliesst er:
"So wie sich das alt-englische Ritual zu den übrigen Ritualen vor und nach dem J.
1717 verhält, so auch die Yorker Konstitution zu allen übrigen Konstitutionen; - man
erkennt in ihnen allen die alte Urkunde als ihre gemeinsame Grundlage. Schon
hieraus würde sich, im Vereine mit den innern Gründen ihrer Echtheit die
Schlussfolge ergeben: dass diese alte Yorker Konstitution die älteste, echte und
ursprüngliche ist, woraus alle neuern entsprungen sind und ihren masonischen
Gehalt, dem Erstwesentlichen nach, entlehnt haben."
"Diese Urkunde setzt es ausser Zweifel, dass die Freimaurerbrüderschaft weit älter,
als das neuenglische Grossmeistertum ist, und dass sie ursprünglich eine ganz andre
Verfassung hatte, als die 1717 begonnene Verfassung des erwähnten
Grossmeistertums. [. . .] Die vier einzelnen Logen in London, die nur ein Teil der
damals in England, Schottland, Irland und Frankreich16 bestehenden Brüderschaft
waren, hatten daher im J. 1717 wohl das Recht, sich unter irgend einer ihnen
zweckmässig, erscheinenden geselligen Form, Verfassung und Benennung zu einem
geselligen Ganzen zu vereinigen und innerhalb ihres Kreises völlig neue Einrichtungen
zu machen, auch diesen ihren Kreis so weithin auszubreiten, als sie es vermochten;
aber es ist dagegen dasselbe Recht auch allen andern Freimaurergesellschaften
zuzugestehen, und auch diesen ist es freizustellen, ob sie bei der alten Verfassung
bleiben oder sich eine neue geben. [. . .]
Man verstehe jedoch diese meine Behauptungen nicht so, als halte ich die äussere
Form und Verfassung unsrer Brüderschaft oder sonst einer menschlichen Gesellschaft
für gleichgültig, oder als nehme ich an, eine Masoneiverfassung habe das Recht, ganz
oder teilweise, fernerhin zu bestehen, irgend deshalb, weil sie alt oder neu sei oder
weil sie jetzt bestehe oder weil sie von dieser oder jener Person oder Gesellschaft
herrühre. Denn alle Gültigkeit einer Maurerverfassung beruht erstwesentlich darauf,
dass sie dem ewigen Urbegriffe und Urbilde gemäss (der ewigen Idee und dem
ewigen Ideal harmonisch) und dabei zeitgemäss ist. [. . .]
15
Approbation, von lateinisch approbatio, „Billigung“, „Genehmigung“.
Original Fußnote: „Von Bauhütten in Frankreich hat sich bis jetzt nicht die geringste Spur gefunden; sollten
solche aber, wie neuerdings gefundene Andeutungen es denkbar machen, in Irland bestanden haben, so standen
diese doch mit denen in England und Schottland in keinem Zusammenhang.“
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So wie das älteste Gebrauchtum (Ritual), so enthält auch die in unsrer Urkunde
dargestellte Verfassung einige Einrichtungen, die dem Wesentlichen nach für alle
Zeiten im werdenden Menschheitbunde beibehalten zu werden verdienen. [. . .]
Eine Beurteilung und Umbildung der Verfassung der Brüderschaft ist jetzt so nötig,
als jene Neuschöpfung der Bundinnung (Liturgie) und der ganzen Werkthätigkeit.
Dem herangewachsnen, höher auflebenden Bunde sind die alten Formen viel zu eng;
er bildet im reinen freien Geiste der alten Verfassung eine edlere neue, die sein
höheres Leben erhält und bekräftiget" [. . .]
Dieser Einleitung folgt nunmehr die sogenannte Yorker Konstitution mit ihren
Anhängen. Nach einer längern Einleitung, die bis auf die ältesten Zeiten
zurückgeht und die Baukunst schildert, heisst es weiter im Auszug:
"Doch wurden auch schon durch die Baukunst überall grosse und vortreffliche
Gebäude hergestellt gefunden; so blieben sie doch alle weit zurück gegen den
heiligen Tempel, welchen der weise König Salomo dem wahren Gotte zu Ehren in
Jerusalem aufführen liess und wobei, wie wir in den heiligen Büchern finden, eine
ungemein grosse Anzahl Arbeiter gebraucht wurden; und dazu gab der König Hiram
von Tyrus auch noch eine Anzahl. Unter diesen zugesendeten Gehilfen war des
Königs Hiram geschicktester Baumeister, einer Witwe Sohn, welcher den Namen
Hiram Abif führte und der hernach so vortreffliche Einrichtungen machte und die
kostbarsten Arbeiten lieferte, welche alle in den heiligen Büchern aufgezeichnet sind.
Alle diese Arbeiter waren in gewisse Ordnungen eingeteilt, welche König Salomo
genehmigt hatte; und so wurde bei diesem grossen Bau zuerst eine würdige
Gesellschaft der Baukünstler begründet. Ähnliche Einrichtungen trafen hernach die
Griechen und Römer, und von den Römern sind sie hernach über das Meer, aus
Italien und Gallien, zu uns herüber gekommen. Es bestanden aber diese
Einrichtungen darin, dass die Kunstarbeiter je nach dem, was sie arbeiteten, in
Kollegien oder Logen verteilt wurden, wovon jede einen Werkmeister und etliche
Vorsteher hatte, woher es kam, dass die Anordnungen der Baumeister pünktlich
befolgt werden konnten. [. . .]
Es mussten aber auch immer Lehrlinge angezogen werden, damit es nie an Arbeitern
fehlen möchte. So entstand eine vollkommene Vereinigung unter allen, und da die
Werkmeister und Vorsteher die Anordnungen von den Baumeistern erhielten, auch
eine Vereinigung aller dieser Logen untereinander; und Liebe und Freundschaft
verband alle zusammen so stark, dass jeder seinen Überfluss mit seinem bedürftigen
Bruder teilte, und alle nicht nur die bei der Arbeit, sondern auch die an sich selbst
bemerkten Fehler verbesserten. Vermutlich bei eben so schönen Anordnungen und
bei den vielen angestellten Arbeitern wurde das bewundernswürdige Werk des
Salomo, welches 30000 Personen fassen konnte, zum Erstaunen aller benachbarten
Völker, von denen Kenner nach Jerusalem kamen und es betrachteten, in 7 Jahren 6
Monaten durch Salomo, den Weisesten unter den Menschen, in seiner Grösse und
klugen innern Einrichtung zu Stande gebracht. Nachdem dies geschehen war, feierte
man ein allgemeines Fest, und die Freude über die glückliche Vollendung konnte nur
dadurch getrübt werden, dass bald darnach der vortreffliche Meister Hiram Abif starb.
Man begrub ihn vor dem Tempel, und von allen wurde er betrauert. So verbreitete,
sich aber die an diesem heiligen Gebäude zu Jerusalem angewandte ausnehmende
Baukunst. Sie hatte bei allen Völkern grosses Ansehen gewonnen: daher dieses viele
Baumeister und erfahrene Arbeiter benutzten, welche den Bau mit hatten vollenden
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helfen und nun weit umherzogen, um diejenigen zu belehren, welche weniger
Geschicklichkeit hatten, wobei sie ähnliche Einrichtungen trafen, als sie in Jerusalem
gelernt hatten."
Es folgt die Geschichte der Baukunst weiter in Phönizien, Griechenland, Rom
u. s. w, bis die Kund nach Britannien kam. Dann heisst es:
"Nun wurden die Kirchen in Canterbury und Rochester zuerst wieder erbauet und die
ältern Gotteshäuser repariert. Hernach schickte auch der König Karl Martell17 viele Maurer
über das Meer nach Britannien, weil es die sächsischen Könige verlangt hatten; und so
lebte die Baukunst unter Leitung der alten britischen Baumeister immer mehr auf. Zu
bedauern ist freilich, dass die Einfälle der Dänen manches schöne Augustische Gebäude
verwüstet, und dass sie viele Nachrichten von der Gesellschaft mit den Klöstern
verbrannt hatten, worin die Logen schon damals gehalten wurden; diesem Mangel aber
hat der fromme König Athelstan18, der die Kunst so sehr schätzte, dass er, wie uns
bekannt ist, als er Friede mit den Dänen gemacht hatte, viele prächtige Gebäude
hergestellt hat, abzuhelfen beschlossen. Er hat daher befohlen, dass die von dem
heiligen Albanus19 eingeführte Einrichtung der Römer wieder hergestellt und bestätigt
werde; daher er auch seinem jüngsten Sohne Edwin20 einen Befreiungsbrief für die
Maurer, um sich selbst untereinander regieren und Einrichtungen zum Gedeihen der
Kunst treffen zu können, ausgehändigt hat, weil dieser die Chargen selbst angenommen
und die Gebräuche erlernt hat. Er hat auch gallische Maurer kommen lassen und sie nun
mit zu Vorstehern bestellt, und die Einrichtungen der Griechen, Römer und Gallier,
welche sie in Schriften mitgebracht haben, nebst des heiligen Albanus Einrichtungen
durchsehen lassen; und hiernach sollen nun alle Maurergesellschaften eingerichtet
werden. Sehet also nun in dem frommen Prinz Edwin euern Beschützer, der den
königlichen Befehl ausrichten, euch untereinander aufmuntern und ermahnen wird,
begangene Fehler nicht wieder vorkommen zu lassen. Daher sollen alle Jahre die
Baumeister und Vorsteher von allen Logen einmal zusammenkommen und ihm Bericht
über die Bauten und was bei der Arbeit zu verbessern sein möchte, abstatten. Er hat
euch hierher nach York zusammenberufen lassen, und die Vorsteher sollen euch nun die
Gesetze vorsagen, welche sich in den alten glaubwürdigen Nachrichten, die
durchgegangen worden sind, gefunden haben und welche zu beobachten nützlich sind.
Folgendes aber sind die Gesetze, die ihr annehmen, und, wenn ihr sie angenommen
habt, mittels Auflegung der Hand auf das heilige Buch, das die Vorsteher darhalten
werden, zu beobachten versprechen werdet. Auch soll jeder Meister sie in seiner Loge
vorlesen lassen und es ebenso halten. Auch soll jeder Meister sie in seiner Loge vorlesen
17
Karl Martell (* ca. 688 / 689; † 22. Oktober 741 in Quierzy), fränkischer Hausmeier aus dem Geschlecht der
Arnulfinger, großmütterlicherseits aus dem der Pippiniden, Kaiser Karl der Große war sein Enkel. In zahlreichen
Feldzügen gegen Sachsen, Friesen, Aquitanier, Bayern und Alemannier festigte Karl Martell die fränkische
Reichsgewalt. 732 n.Chr. besiegte er bei Tours und Poitiers das Heer der arabischen Invasoren.
18
Æthelstan, * etwa 894; † 27. Oktober 939 in Gloucester, von 925 bis 939 König von England, war der älteste
Sohn und Nachfolger König Eduards des Älteren. Als sein Schwager, König Sihtric Caech im Jahre 927 starb,
fiel Æthelstan in dessen dänisch dominiertes Königreich Jorvik (York) ein und annektierte es. Am 12. Juli 927
wurde er, der Angelsächsischen Chronik zufolge, in Bamburgh von Königen und Herrschern, wie Hywel, König
der Westwaliser (Cornwall), Konstantin, König der Schotten, Owain, König von Gwent, sowie Ealdred,
Ealdorman von Bernicia, als Oberherr anerkannt.
19
Der Heilige Alban von England war der erste christliche Märtyrer in Britannien. Er wird von der katholischen
und der anglikanischen Kirche verehrt. Sein Gedenktag ist der 22. Juni. Zum ersten Mal wird er um das Jahr 480
bei Constantius in dessen Leben des heiligen Germanus von Auxerre schriftlich erwähnt.
20
Nach Geschichtsschreibung Andersons berief der jüngste Sohn des englischen Königs Athelstan, Prinz Edwin,
um 930 eine Zusammenkunft aller Maurer des Reichs nach York, bildete eine „allgemeine Loge“ und ernannte
sich zum Grossmeister.
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lassen, wenn ein neuer Bruder angenommen wird, indem ein solcher sich ebenfalls auf
dem Evangelium dazu verbindlich machen soll.
1. Die erste Pflicht ist, dass ihr aufrichtig Gott verehren und die Gesetze der
Noachiden befolgen wollt, weil es göttliche Gesetze sind, die alle Welt befolgen
soll. Daher sollt ihr auch alle Irrlehren meiden und euch dadurch nicht an Gott
versündigen.
2. Euerm Könige sollt ihr getreu sein ohne Verräterei, und der Obrigkeit, wo ihr euch
auch befinden werdet, gehorchen ohne Falschheit. Hochverrat sei fern von euch,
und erfahrt ihr des etwas, so sollt ihr den König warnen.
3. Gegen alle Menschen sollt ihr dienstfertig sein, und, soviel ihr könnt, treue
Freundschaft mit ihnen stiften, auch euch nicht daran kehren, wenn sie einer
ändern Religion oder Meinung zugethan sind.
4. Besonders sollt ihr auch immer treu gegeneinander sein, einander redlich lehren
und in der Kunst beistehen, einander nicht verleumden, sondern euch
untereinander thun, wie ihr wollet, dass euch andre thun sollen. Sollte sich daher
auch ein Bruder gegen irgend jemanden oder einen Mitbruder, vergehen oder
sonst fehlen, so müssen ihm alle beistehen, sein Vergehen wieder gut machen zu
können, auf dass er gebessert werde.
5. Treulich habt ihr euch auch zu den Beratschlagungen und Arbeiten der Mitglieder
in jeder Loge zu halten, und gegen jedermann, der kein Bruder ist, die Merkmale
geheim zu halten.
6. Jeder soll sich der Untreue enthalten, weil die Brüderschaft nicht ohne Treue und
Ehrlichkeit bestehen kann und ein guter Name ein grosses Gut ist. Auch sollt ihr
immer auf des Herrn oder Meisters, dem ihr dienet, Nutzen sehen und ihn
befördern helfen und immer seine Arbeit redlich zu Ende bringen.
7. Ehrlich sollt ihr auch immer bezahlen, wo ihr schuldig seid, und überhaupt nichts
zu Schulden bringen, wodurch der gute Ruf der Brüderschaft Gefahr laufen
könnte.
8. Sodann soll aber auch kein Meister ein Werk übernehmen, wenn er sich nicht für
geschickt genug dazu hält; denn er würde dem Baumeister und der Brüderschaft
nur Schande machen. Ferner, jeder Meister soll billigen Lohn fordern, doch so,
dass er leben und seine Gesellen bezahlen kann.
9. Ferner, niemand soll einen ändern verdrängen, sondern ihm die gefundene Arbeit
lassen, es sei denn, dass er untüchtig dazu wäre.
10. Ferner, kein Meister soll einen Lehrling anders, als auf die Zeit von sieben Jahren
annehmen; und da soll er ihn erst, nach Rat und Bestimmung seiner Mitbrüder,
zum Maurer machen.
11. Ferner soll kein Meister oder Gesell Gebühren nehmen, um jemand zum Maurer
zu machen, wenn er nicht frei geboren ist, in gutem Ruf stehet, gute Fähigkeiten
und gesunde Glieder hat.
12. Ferner, kein Gesell soll den andern tadeln, wenn er es nicht besser zu machen
weiss, als der, den er tadelt.
13. Ferner, jeder Meister soll anhören, wenn er von dem Baumeister, und jeder
Gesell, wenn er von dem Meister angehalten wird, seine Arbeiten zu verbessern
und sich darnach zu achten.
14. Ferner, alle Maurer sollen den Vorgesetzten Gehorsam erweisen und willig thun,
was sie ihnen heissen.
15. Ferner, jeder Maurer soll Gesellen aufnehmen, die über Land kommen und die
ihm die Merkmale geben. Er soll dann für sie sorgen, wie ihm gelehret ist. Auch
soll er notleidenden Brüdern zu Hilfe kommen, wenn er Wissenschaft von ihrer
Bedrängnis erhält, wie er gelehret ist, und sollte es auch bis auf eine halbe Meile
Weges sein.
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16. Ferner, kein Meister oder Gesell soll einen andern, der nicht zum Maurer gemacht
worden ist, in die Loge zulassen, um die Kunst des Formens zu sehen, oder ihn
Steine formen zu lassen, auch ihm kein Winkelmass oder Richtscheit machen,
oder die Anwendung davon lehren.21
Dies sind die Pflichten, die zu halten gut und nützlich sind. Was künftig noch gut und
nützlich befunden werden wird; soll immer aufgeschrieben und von den Vorstehern
bekannt gemacht werden, damit alle Brüder ebenfalls darauf verpflichtet werden können.
Hier endet sich die Konstitution."
Zur Geschichte sei mit Keller [FZ. 1863, S. 335] bemerkt, dass es höchst
auffällig erscheint, darin den berühmten Alcuin 22 nicht erwähnt zu finden, der in
York im 8. Jahrh. einer höhern Bildungsanstalt vorstand, und dass sie des Baues
der Peterskirche in York nicht gedenkt, die von Alcuin erbaut und 780
eingeweiht wurde, während sie doch die viel später gebauten und ferner
liegenden Kirchen von Canterbury und Rochester erwähnt.
Was die Prinz Edwinsche Konstitution betrifft, so zeigt sich bei einem
Vergleich mit den inzwischen aufgefundnen echten alten Konstitutionen, so z.
B. der Halliwellschen und der Cookeschen, dass sich gerade die Punkte, auf die
Krause so hohen Wert legt und die den milden Geist ihrer Verfasser sowohl,
wie ihrer Zeit bekunden sollen, in den echten alten Urkunden nicht finden,
obschon das Ganze augenscheinlich nach einer echten Urkunde bearbeitet
wurde. Weiter hat die Edwinsche Urkunde die Verbote der Diebeshehlerei,
Unkeuschheit u. s. w., die alle Urkunden haben, wenn auch nicht ganz
umgangen, doch in einer milden umschreibenden Weise berührt; umgekehrt
fehlen ihr die Artikel, die in den alten Zeiten von besonderer Wichtigkeit sein
mussten, um Einmischungen der weltlichen Macht in das Innere der
Brüderschaft zu umgehen und die deshalb in geeigneter Weise in die Alten
Pflichten übertragen worden sind: der Versöhnungstag und die Schlichtung von
beginnendem Streit zwischen Meister und Genossen.
Die angeblich auf Befehl des Königs Wilhelm III. gesammelten Alten Pflichten
zeigen bei einem Vergleich mit den echten alten Konstitutionen, denen sie ganz
unverkennbar nachgebildet sind, namentlich der im Gentlemans Magazine,
ebenfalls, dass für die Punkte, die eine für ihre Zeit ganz auffällig milde
Gesinnung atmen, etwas Ähnliches in den alten Konstitutionen nicht zu
entdecken ist. Auch die wiederholten Anspielungen auf Zeichen sind in den
echten Urkunden nicht vorhanden.
21
Original Fußnote: „Mehrere dieser Bestimmungen fehlen in alten Konstitutionen.“
Alkuin, angelsächsisch Ealhwine, auch Alhwin, Alchoin, latinisiert Albinus mit Beinamen Flaccus (* 735 in
der Nähe von York; † 19. Mai 804 in Tours?) war Gelehrter und wichtigster Berater Karls des Großen.
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Konnte nun selbst noch in jüngerer Zeit und nachdem Krauses Annahme von
Culdeern, als Abfassern der Yorker Konstitution, und Zusammenhang der alten
Brüderschaften mit den römischen Baukorporationen in Staub zerfallen war,
noch immer eine Möglichkeit aufdämmern, dass die beiden ersten Teile der
Urkunde, wenn auch in vergleichsweise neuer Zeit überarbeitet, einer Loge in
York als Grundgesetz gedient hätten, obschon der Redner der dortigen Loge
1726 seiner nicht gedachte, so ist es jetzt durch Findel nachgewiesen, dass
daran gar nichts ist, und damit stellt sich die sogen. Yorker Konstitution immer
deutlicher als das Machwerk von solchen heraus, die Verwirrung in der
Brüderschaft anzustiften gedachten.
Kloss glaubte sich bereits ans seinen Forschungen über die Yorker Konstitution
zu folgenden Schlüssen berechtigt:
1. „Es hat erwiesnermassen zu York im J. 1726 eine alte Handschrift, sogar
damals noch verbindend für die Brüderschaft, vorgelegen; sie ist zur
Befolgung empfohlen worden, mit gänzlicher Ignorierung des von
Anderson 1723 herausgegebnen Konstitutionenbuchs;
2. diese Handschrift zu York war aber mit den übrigen in England
vorfindlichen übereinstimmend und enthielt namentlich nicht die
Berufung auf die Noachiden, ebensowenig die der Krauseschen Urkunde
ausschliesslich eigentümliche Verordnung;
3. die der Krauseschen Urkunde beigefügten Konstitutionen unter Wilhelm
III.23 bieten wirklich eine jüngere Redaktion dar, laut ihrer innern
Annäherung an die sogen. Y. U.;
4. letztere ist jedoch später, als 1727, von irgend einem Bruder, mit zum
Teil beabsichtigten Lehrsätzen, zum Teil mit einer gelehrten Ausstattung
versehen, in die lateinische Sprache übertragen worden. Die Richtung
dieses Verfassers beurkundet sich durch die Nichterwähnung St. Albans
als Protomartyrs24 von England, im Widerspruch mit der Rede vom J.
1726;
5. da nur die zweite Ausgabe des Andersonschen Konstitutionenbuchs 1738
der Noachiden erwähnt, im J. 1756 aber diese Fassung der Alten
Pflichten von der Grossloge zu London aufgehoben wird, dagegen die um
auftauchende Spaltung der Brüderschaft, die sich alte Masonen fortan
benannt hat, in ihrem ersten Gesetzbuchs Ahiman Rezon25 1756, und
fortan in allen ihren folgenden verwandten Gesetzbüchern die Berufung
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Wilhelm III. von Oranien-Nassau (* 14. November 1650 in Den Haag; † 19. März 1702 im Kensington Palace
in Kensington) war seit 1672 Statthalter der Niederlande und ab 1689 in Personalunion König von England,
Schottland und Irland.
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Märtyrer, auch Martyrer, von griechisch „Zeuge“ bzw. „Zeugnis“, „Beweis“, Menschen, die um des
Bekenntnisses ihres Glaubens willen einen gewaltsamen Tod erdulden.
25
Die „Ancients“ hatten ihre eigene Konstitution, den so genannten Ahiman Rezon.
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auf die Noachiden26 als Gegensatz gegen das Grossmeistertum zu London
beibehalten hat, so
6. darf man annehmen, dass die Übertragung der nach 1726 in altenglischer
Sprache vorhandnen Konstitution in die erweiterte lateinische
Übersetzung später als um das J. 1738 (resp. 1756) vorgenommen worden
sei, und zwar zu einer Zeit, wo der Parteistreit der sogen. Alten Maurer
gegen die sogen. Modernen Maurer um 1772 auf das Lebhafteste
entbrannt war;
7. dass die Einflechtung des Noachismus in die Alten Pflichten keineswegs
auf einer oder mehreren unzweifelhaft echten Handschriften beruhe,
ergiebt sich aus dem höchst wichtigen urkundlichen Umstand, dass,
obgleich die Grossloge zu London bei ihrer Vereinigung mit der
Grossloge der Alten Maurer, am 28. Dez. 1813, manches aus dem Ritual
der letztern aufgenommen hat, dennoch die ursprüngliche Redaktion der
Alten Pflicht mit Hinweglassuug der Noachiden, wieder hergestellt und
beibehalten worden ist, es wäre denn, dass man hierdurch eine
Unterscheidung von den in Amerika sich fortwährend als Maurer
benennenden Brüdern hätte beibehalten wollen. Sicherlich aber ergeht
hieraus der Beweis, dass für die Noachiden keine alte unverdächtige
Urkunde sprach;
8. dass somit die Urkunde Krauses, wie getreu und gewissenhaft sie auch
nach der von Stonehouse erhaltnen Abschrift von Schneider übersetzt
und von Krause abgedruckt ist, bei weitem nicht die Glaubwürdigkeit der
vorhandnen alten englischen Konstitutionen verdient, dass sie eine
Umarbeitung derselben ist und dass sie unter allen bekannt gewordnen
Handschriften als die allerjüngste, manchmal sogar willkürlich,
umgearbeitete echte alte Urkunde betrachtet und behandelt werden
muss."
Es hat nicht an Bemühungen gefehlt, diesen Schlüssen gegenüber die Echtheit
der sogen. Yorker Konstitution aufrecht zu halten, obschon die seit dem
Erscheinen der Klossschen Schrift weiter bekannt gewordnen echten alten
Konstitutionen und die Aufdeckung der alten maurerischen Geschichte immer
mehr das Urteil von Kloss bestätigten. Jene erwähnten Bemühungen
veranlassten Asher in Hamburg [L. XXIII, 43], eben falls an die Prüfung der
Yorker Konstitution zu gehen, und nachdem er durch den Kenner der
englischen Geschichte, Lappenberg27, seine Zweifel an dem Vorhandensein
einer solchen Urkunde vollkommen bestätigt fand, kam er zu den Aussprüchen:
1. "Verfassung, Sitten und Geist jener Zeit widersprechen sowohl der
Veranlassung, wie dem Inhalt des Dokuments;
26
Noachiden, Söhne Noahs
Johann Martin Lappenberg (* 30. Juli 1794 in Hamburg; † 28. November 1865 ebda.) war ein deutscher
Historiker.
27
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2. würde in einer Zeit, wo alle Urkunden in öffentlichen Versammlungen
aufgenommen wurden, bei einer solchen Satzung gewiss keine Ausnahme
stattgefunden haben. Kein Geschichtschreiber erwähnt, seines Wissens,
der angeblichen Zusammenkunft, die doch grosses Aufsehen hätte
machen müssen;
3. die Verpflichtung in Artikel 3: Euch nicht daran kehren, wenn sie einer
andern Religion oder Meinung zugethan sind, können wohl nicht aus
einer Zeit herrühren, wo es in der Christenheit nur Rechtgläubige und
Ketzer gab und den Juden kaum Menschenrechte zugestanden wurden."
So wenig aber es lange nicht gelungen ist, die Voreingenommenheit einzelner
für die Echtheit des sogen. Freimaurerverhörs zu erschüttern, so wenig war dies
den Forschungen gegenüber der angeblichen Echtheit der sogen. Y. U.
gelungen, trotzdem Nachsuchungen an Ort und Stelle Findel zu folgenden
Aussprüchen veranlassten:
1. "Weder einer Generalversammlung der englischen Masonen, noch der
unter Edwin (oder Athelstan) entworfnen Konstitution wird in den von
der Surtees-Society veröffentlichten "Baurollen von York-Minster"
(Durham, 1859) gedacht. Eine in angelsächsischer Sprache verfasste
Pergamentrolle war demzufolge im 12.-14. Jahrh. zu York nicht
vorhanden.
2. Der gelehrte Altertumskenner und Geschichtschreiber Yorks, Drake, thut
in seiner 1726 gehaltnen Rede einer Originalkonstitution oder der
Krauseschen Urkunde keiner Erwähnung, sowie er auch einzelne
Besonderheiten, derselben nicht hervorhebt. Die alte Urkunde, auf die er
sich bezieht, kann die Handschrift vom J. 1693 sein oder das Original der
Abschrift vom J. 1704.
3. Im Protokoll vom J. 1761 über die Wiedereröffnung der Grossloge von
York findet sich keine Bezugnahme darauf.
4. In dem 1777 angefertigten, noch vorhandnen Inventur über das Archiv
der ehemaligen Grossloge steht diese ebenfalls nicht mit verzeichnet,
5. Vor etwa einem Jahrzehnt hat eine der Berliner Grosslogen in York über
die Krausesche Urkunde Erkundigungen eingezogen. Daraufhin hat der
gegenwärtige Schatzmeister und Pastmeister Cowling28 vergeblich
Nachforschungen angestellt sowohl beim Bibliothekar des Münsters, wie
bei den zwei berühmtesten Altertumskennern, die deren Vorhandensein
entschieden in Abrede stellten.
6. Der Bestätiger der angeblichen lateinischen Übersetzung, Stonehouse, ist
in York völlig unbekannt, und es konnten sich die ältesten Leute einer
Familie dieses Namens nicht entsinnen.
28
YORK LODGE No. 236, Past Master 1813: Samuel Cowling, http://www.yorklodge236.org.uk/page5.html
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7. Hat in der Zeit um 1806 eine architektonische Gesellschaft zu York nicht
bestanden. Soll aber das "Summa societas architectonica" in der
Bestätigung so viel als "Grossloge" heissen, so bestand damals auch diese
nicht mehr.
8. Es ist das mit der Krauseschen Übersetzung übereinstimmende Original
in England bis jetzt nirgends aufgefunden worden; die maurerischen
Schriftsteller Englands bezeichnen vielmehr die Halliwellsche Urkunde
(oder auch die andern Handschriften aus dem 16. Jahrh.) als die
Athelstan-Konstitution.
9. Die bis jetzt bekannt gewordnen alten Konstitutionen stimmen dem
Wesen nach miteinander überein und gewähren damit ein wenigstens
indirektes Zeugnis gegen die Krausesche. Darüber, dass eine masonische
Urkunde vom J. 926 nicht vorhanden sei, kann ein Zweifel wohl kaum
mehr aufkommen. Alle Folgerungen, die an das vermeintliche hohe Alter
der sogen. Y. U. geknüpft wurden oder werden, zerfallen in nichts. Dass
ein mit der Krauseschen Übersetzung gleichlautendes Original oder eine
andre Urkunde, die die mit der Krauseschen übereinstimmenden Züge bei
Anderson enthält, noch aufgefunden werden könne, ist nicht unmöglich,
wenn auch unwahrscheinlich; dass aber dann eine solche Handschrift
jüngern Datums, als die bis jetzt bekannten sei, lässt sich mit aller
Bestimmtheit behaupten. Keinesfalls kann sie auf den Namen einer Y. U.
fernerhin Anspruch machen."
Die Handschrift in altenglischer Sprache, die Böttger 1779 in London gesehen
hat, ist jedenfalls eine ganz andre gewesen, als die, die Schneider in lateinischer
Sprache übersetzt erhalten haben will. Es bleibt mithin kein Zweifel, dass
Schneider in Altenburg mit dieser verfälschten Urkunde betrogen worden ist.
Denkbar ist - und die Überlieferungen in York deuten darauf hin, - dass einst,
vielleicht veranlasst durch die von Alcuin dort gegründete Schule, die längere
Zeit bestanden hat, in York eine Versammlung von Bauverständigen stattfand
und die Erinnerung daran sich unter den Baugenossen erhielt; aber
Aufzeichnungen selbst viel ursprünglicherer Art sind aus so fernen Zeiten
undenkbar.
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