Argumentationsgang Politeia erstes Buch bis 354a Kephalos „Gerechtigkeit ist immer die Wahrheit sagen und das Schuldige zurück geben“, d.h. seine Schuld gegen Götter und Menschen begleichen. Die Befolgung dieser Regel gilt für Kephalos universell, uneingeschränkt. Sie hat Gesetzescharakter und der Inhalt des Gesetzes zielt auf Ausgleich und Ehrlichkeit. Sokrates versucht durch seine Einwände zu klären, ob die Verhaltensregeln des Kephalos wirklich so uneingeschränkt gelten, wie dieser annimmt. Am Fall des Wahnsinnigen, der seine Waffe zurückfordert, wird beiden klar, dass es Situationen gibt, wo man „Schuldiges“ nicht zurückgeben darf. Kephalos, der Sokrates bewundert, registriert den Widerspruch durchaus, will den Widerspruch jedoch nicht im Dialog mit Sokrates weiter diskutieren und übergibt an seinen Sohn Polemarchos. Polemarchos Dieser versucht die These seines Vaters zu retten, indem er sie präzisiert: Freunden muss man Schuldiges zurückgeben, seinen Feinden jedoch das Schuldige verweigern. Im weiteren Verlauf des Gespräches spitzt er sie zu der These zu, dass „Gerecht sein sei, wenn man seinen Freunden Gutes, seinen Feinden jedoch Übles antut.“ „Gerechtigkeit sei eine Verschlagenheit zum Nutzen der Freunde“ Sokrates lenkt das Gespräch auf den Punkt, inwiefern Gerechtigkeit überhaupt ein Übel hervorrufen könne, auch wenn es „nur“ bei den Feinden sei. Sokrates und Polemarchos kommen zu der Übereinkunft, dass die Gerechtigkeit ein Gut sei und aus Guten niemals ein Übel kommen könne, damit es mit Recht gut genannt werden darf. Auch den Feinden muss man als Gerechter Gutes tun, um sie besser zu machen, damit sie nicht mehr so sehr schaden. Folglich kann die Bestimmung der Gerechtigkeit als Freund-FeindSchema durch Polemarchos kaum richtig sein. Keine der bisher untersuchten Thesen über die Gerechtigkeit konnte der Überprüfung standhalten und so macht sich Ratlosigkeit breit. Thrasymachos An diesem Punkt steigt Thrasymachos in das Gespräch ein und nach einigem Hin- und her über die Art der Gesprächsführung trägt er seine neue These über die Gerechtigkeit vor: „Gerechtigkeit ist dass dem Stärkeren zuträgliche“ Sokrates versucht zu klären, ob er diese neue These richtig versteht und wie Thrasymachos sie meint. Was versteht Thrasymachos unter „stärker“? Er versteht darunter nicht, dass alle das Gleiche erhalten sollen wie der Stärkste (338d), sondern bezieht es auf den Bereich der Politik. Jede „Staatsform“ ordnet das an, was ihr selber nützt, als das den regierenden Zuträgliche (338e) Der Vorteil der Regierenden, also deren eigener Vorteil wird in allen Staaten den Regierten angeordnet. Wieder lenkt Sokrates das Gespräch auf einen Fall, der die universelle Gültigkeit der Behauptung des Thrasymachos mit einem widersprechen Beispiel konfrontiert: Auch Herrscher können irren, gesteht Thrasymachos zu. So muss der Fall angenommen werden, dass die Herrschenden ihren Untertanen Anordnungen erteilen, die falsch sind und damit den Herrschenden schaden. Da aber Gerechtigkeit kein Übel hervorbringen kann, scheint die These des Thrasymachos widerlegt. Thrasymachos gibt sich jedoch nicht geschlagen und präzisiert seine These dergestalt, dass die Herrschen niemals fehlen können, insofern sie wahrhaftig Herrschende sind und nach der Herrscherkunst richtig angeordnet haben. Wenn jemand zwar das Amt des Herrschers ausübt, aber bei der Anordnung fehlt, ist er in diesem Augenblick, bei dieser Entscheidung kein Kunstfertiger, keine Fachmann der Herrschaft. Was einem als das Richtige erscheint, muss nicht das tatsächlich Richtige sein. Thrasymachos hält also seine These weiterhin für unwiderlegt, dass „die Gerechtigkeit der Nutzen des Herrschenden sei.“ Sokrates geht das Problem nun von einer anderen Seite an. Warum geht man überhaupt in die Politik? Zum eigenen Vorteil? Am Beispiel wichtiger Wissenschaften = Künste (Heilkunst, Kochkunst, Nautik etc.) belegt er, dass keine Kunst auf den eigenen Vorteil gehe, sondern stets den Nutzen des kunstfertig Behandelten im Auge habe: des Patienten, des Essenden, des Passagiers usw. Also müsse auch in der Politik der Herrschende den Nutzen und das Gedeihen der Bürger im Auge haben. Das Ergebnis der Untersuchung steht für Thrasymachos in völligem Gegensatz zu den politischen Realitäten. Er erläutert am Beispiel des Hirten, der seine Herde hütet (ein uraltes Bild für Politik; z.B. Altes und neues Testament), dass der Hüter der Herde diese letztlich nur zum eigenen Vorteil umsorge, denn er wird die Schafe töten und verkaufen. Gerechtigkeit sei nur etwas für die Einfältigen. Wer jedoch im großen Stil zu betrügen in der Lage sei, wird erkennen, dass die Macht der Ungerechtigkeit viel größer sei, als die der Gerechtigkeit. Der Aufstieg von skrupellosen Gewaltherrschern von ganz unten in der Gesellschaft bis an die Spitze sei der beste Beweis. „die Ungerechtigkeit ist kräftiger und edler und vornehmer als die Gerechtigkeit, wenn man sie im großen betreibt.“ Diese Position scheint empirisch richtig zu sein, auch heute noch, wo viele Gewaltherrscher mit brutalsten Methoden zu Macht gelangen, sich dort behaupten und friedlich sterben ( Stalin, Mao, Franco, etc.) Sokrates versucht seine Position, dass die Gerechtigkeit die stärkere Kraft sei und die wahrhaft Regierenden das Wohl ihrer Untertanen im Auge haben, zu retten. Er trennt zwischen der jeweiligen Fachwissenschaft, die sich rein nach fachlichen Kriterien bei der Erfüllung ihrer Aufgabe zu richten hat und der Erwerbskunst, der Sorge um den eigenen Unterhalt, die man zusätzlich bei der Ausübung eines Berufs praktiziere. Aber der eigene ökonomische Vorteil dürfe keinen Einfluss auf die fachliche Entscheidung haben! Dadurch glaubt er seine These über die Aufgabe der Politik erfolgreich verteidigt zu haben. Man gehe als Gerechtigkeitsliebender nicht gern in die Politik, nicht um des eigenen ökonomischen Vorteils willen, sondern in erster Linie, um zu verhindern, dass man nicht von noch schlechteren als es selbst ist, regiert werde. Denn „die größte Strafe aber ist, von Schlechten regiert zu werden.“ Herrschaft sei nichts für Reichtumsjäger und Karrieristen. Der größte Lohn beim mühseligen Geschäft der Politik sei eben, nicht von noch Schlechteren regiert zu werden. Das auf dem Wege rationalen Überlegens gefundene Argument des Sokrates steht in auffälligen Gegensatz zum Augenschein, wo Tyrannen und Despoten erfolgreich die Herrschaft in den Städten und Reichen an sich gerissen haben. Die Position des Thrasymachos ist folglich durch Sokrates mitnichten widerlegt und Glaukon (Bruder Platons) lenkt das Gespräch auf diesen Umstand, indem er darauf verweist, dass das Leben des Ungerechten sei nach Thrasymachos besser als das nach den Maximen des Sokrates. Dies sei schließlich die entscheidende Frage, welches Leben besser sei. Die Weigerung des Thrasymachos, die Position des Sokrates zu übernehmen, ist aus seiner Perspektive einleuchtend und nicht sogleich als plumpe Verweigerung der Einsicht in das bessere Argument zu brandmarken. Da die Diskussion in eine Sackgasse zu gehen droht, schlägt Sokrates vor, sich zunächst über das weitere Vorgehen zu verständigem. Welche Art der Beweisführung soll gelten: Wechselseitiges Anhäufen von Beispielen und Argumenten jeweils für die eigene Position, wobei dann ein Dritter als Richter entscheidet, wer Recht hat oder Konsens der Diskutierenden am Ende eines Argumentationsgangs? Sie einigen sich auf letzteres Verfahren. Thrasymachos legt nun seine Neuordnung der Werte offen: Ungerechtigkeit im Großen betrieben ist Klugheit und Tugend Gerechtigkeit ist gutartige Einfalt und schädlich Der Erfolg der Ungerechten, die als Tyrannen zahlreich die Herrschaft an sich rissen, ist ihm nach wie vor einleuchtender und ausreichender Beweis. Wie versucht Sokrates darauf zu antworten, denn er teilt die Position des Thrasymachos nicht? Er lenkt das Gespräch auf den Umstand, dass die Ungerechten allen etwas voraus haben wollen, den Gerechten, wie auch den anderen Ungerechten. Sie wollen überall die ersten sein. (349c) Im Unterschied dazu will der Gerechte zwar dem Ungerechten etwas voraus haben (=gegenüber ihm im Vorteil sein), nicht jedoch gegenüber anderen Gerechten. Im nächsten Schritt wird untersucht, wie sich die Sache bei anderen Künsten (Fertigkeiten) verhält. Dort will der Fachkundige gegenüber anderen Fachkundigen nichts voraus haben, wohl aber gegenüber den Unkundigen. Der Unkundige würde dagegen gerne gegenüber anderen Unkundigen wie auch dem Fachmann überlegen sein. Folglich gleiche der Gerechte dem Kundigen, der Ungerechte aber dem Unkundigen. Ist diese Art der Beweisführung stichhaltig? Ist damit die Stärke der Gerechtigkeit und die Schwäche der Ungerechtigkeit bewiesen? Sokrates will nun die Behauptung des Thrasymachos überprüfen, inwiefern die Ungerechtigkeit eine eigene Kraft besitzt, d.h. von sich aus wirksam sein kann. „Denn gesagt ist, die Ungerechtigkeit sei sowohl mächtiger als auch stärker als die Gerechtigkeit.“ Sokrates geht auf das Beispiel ein, das eine Stadt gewaltsam die Herrschaft über andere Städte an sich gerissen habe. Wie kann sie ihre Macht erhalten? Durch weiteres praktizieren der Ungerechtigkeit? Und vor allem: Werden die Machthaber weiterhin Erfolg haben und die Früchte ihrer Ungerechtigkeit genießen können, wenn sie auch untereinander ungerecht sind? (351c/d) Denn das Produkt der Ungerechtigkeit sind Hass und Feindschaft. Diese werden auch untereinander entstehen, wenn man sich gegenüber den eigenen Leuten ungerecht verhält. So wird die Ungerechtigkeit jenen, der sie praktiziert, „zuerst unfähig macht, etwas auszurichten mit sich selbst, wegen der Zwietracht und Streitigkeiten, dann aber auch mit sich selbst verfeindet und allem Entgegengesetzten und dem Gerechten.“ Wenn dem so ist und Thrasymachos stimmt Sokrates zu, hat dies wichtige Konsequenzen für die Bestimmung derer, die Thrasymachos als die Ungerechten bezeichnet hatte. Wenn die nur ungerecht und schlecht wären, wären sie nicht in der Lage irgend etwas sinnvolles auszurichten, „sondern noch etwas Gerechtigkeit in ihnen sein musste, welche sie bewog, nicht auch einander, wie denen, gegen welche sie gingen, unrecht zu tun, und durch welche sie eben verrichteteten, was sie verrichteteten, nur dass sie auf ein ungerechtes Ziel los gingen aus Ungerechtigkeit als Halbschlechte, weil ja die ganz Bösen und vollkommen Ungerechten auch vollkommen unvermögend sind, etwas auszurichten.“ Thrasymachos stimmt der Argumentation zwar mit Worten zu, aber so wie er sich ausdrückt, ist man sich nie sicher, ob er dies ernst meint oder nur dem Sokrates zum Gefallen. Doch Sokrates will auf die zentrale Frage zu sprechen kommen, welcher von beiden, der Gerechte oder der Ungerechte, besser lebt. Jeder „Gegenstand“ hat seine spezifische, ihm eigene Aufgabe oder Tugend, die er am besten ausüben kann. Wird diese Tugend ihm geraubt, kann er seine Aufgabe nur noch schlecht oder nicht mehr verrichten, wird wertlos. Die spezifische Tugend oder Fähigkeit, das Geschäft der menschliche Psyche ist es, dem Körper Leben zu geben. Folglich wird die ungerechte und folglich schlechte Psyche ihr Geschäft schlecht verrichten, die gute dagegen gut. Also lebt der gute und gerechte Mensch auch glücklich, der ungerechte dagegen unglücklich und schlecht. Der Beweis der Überlegenheit der Gerechtigkeit scheint erbracht, doch Sokrates hält inne, denn ihn plagen Zweifel an der Argumentation. Sie hätten aus dem Auge verloren, was die Eingangsfrage gewesen sei, zu bestimmen, „was das Gerechte sei“ im Sinne einer logischen Definition. Stattdessen habe man über ihre Vor- Nachteile, gesprochen, ihr Verhältnis zu Ungerechtigkeit usw. Folglich sei mitnichten entschieden, ob der gerechte glücklich lebe oder nicht. Suchen sie die Textstellen zu den zitierten Stellen. Welchen Stellenwert hat die Problematik des glücklichen Lebens für die Untersuchung? Suchen Sie die Textstellen zu dieser Problematik. Welche Argumente erscheinen Ihnen einleuchtend, welche problematisch?
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