Zum Geleit Dieses Arbeitsbuch Begleiten heisst zuhören ist entstanden aus meiner Klavierlehrerpraxis heraus, vor allem aus der Arbeit mit Erwachsenen. Ihre Fragen nach freierem Spiel, nach harmonischen Zusammenhängen und nach Begleitmöglichkeiten gaben den Ansporn, meine Erfahrungen schriftlich festzuhalten. Das Buch richtet sich an interessierte Laien, die einen neuen, entspannten Zugang zur Musik suchen. • • • • Du möchtest deine Kenntnisse in der Musiklehre auffrischen? Du möchtest diese theoretischen Aspekte praktisch anwenden können? Du möchtest dich in der Fähigkeit der Klavierbegleitung schulen? Du möchtest auch Musik machen, ohne immer an Noten gebunden zu sein? Begleiten heisst zuhören ist so aufgebaut, dass du Schritt für Schritt in immer praktischere Zusammenhänge geführt wirst. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Harmonielehre und ihren Anwendungen im Bereich der Klavierbegleitung. Das Arbeitsbuch gliedert sich in zwei Teile: „Verstehen und üben“ und „Zuhören und begleiten“. In lockerer Mischung wechseln Erklärungen von Fachbegriffen mit entsprechenden Übungen und Hintergrund-Informationen ab. Das Buch kann nicht den persönlichen Instrumentalunterricht ersetzen; es wird daher eine gewisse Vertrautheit im Umgang mit dem Klavier und unserem Notensystem vorausgesetzt. Allerdings ist ein Durcharbeiten parallel zum Klavierunterricht gut denkbar. Im hinteren Buchumschlag findest du den Quintenzirkel zum Ausklappen. So ist er stets griffbereit. Ich wünsche dir nun viel Freude und Erfolg mit diesem sehr persönlich gestalteten Arbeitsbuch! Baptiste Kunz Zur Textdarstellung: • Umrandete Texte beinhalten theoretische und weiterführende Themen, Tipps oder Merkpunkte. • • Grau markierte Abschnitte sind Übungsvorschläge. Kursiv gedruckte Begriffe tauchen zum ersten Mal auf oder sind aus anderen Gründen hervorgehoben. 2 Inhaltsverzeichnis Zum Geleit 3 Teil 1: Verstehen und Üben 4 1. Die Tonleiter 4 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5. 1.6. 1.7. 1.8. 1.9. 1.10. 1.11. 1.12. 1.13. 1.14. 1.15. Die Intervalle Ergänzungsintervalle Vorzeichen und Versetzungszeichen Intervallbestimmung Die chromatische Tonleiter Diatonik Dur und Moll Die Molltonleitern Reines Moll (auch: natürliches Moll) Paralleltonarten Der Aufbau der reinen Molltonleiter Harmonisches Moll Melodisches Moll Die Kirchentonarten (Modi) Pentatonik 2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5. 2.6. 2.7. 2.8. 2.9. 2.10. 2.11. 2.12. 2.13. 2.14. Der Dreiklang Die Wirkung der Dreiklangstöne Die Melodie beginnt auf der Quinte Die Melodie beginnt auf der Terz Die Melodie beginnt auf der Prim Die Melodie beginnt auf der Oktave Die Melodie beginnt auf einem andern Ton Melodien mit Auftakt Lagen und Umkehrungen Lagen Umkehrungen Den Grundton finden Enge Lage – weite Lage Stufendreiklänge Verminderte und übermäßige Dreiklänge 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5. Der Quintenzirkel Pythagoras Die Tonarten Der Tonarten-Kreis Die Kadenz Der ‚authentische’ Schluss 7 10 12 3 3.6. 3.7. 3.8. 3.9. Die Kadenz im klassischen Konzert Der ‚plagale’ Schluss (Kirchenschluss) Das Ausblenden (‚fade out’) Die Jazz-Kadenz 4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5. Der Septakkord Der Dominant-Septakkord Die Struktur des Dominant-Septakkordes Der Dominantseptakkord ist keine Tonart Die Auflösung des Dominantseptakkordes Leittöne 5. 5.1. 5.2. 5.3. Belebte Strukturen Tonika – Dominante – Subdominante Der Vorhalt Der Vorschlag 6. 6.1. Musik und Sprache Der Auftakt 7. 7.1. 7.2. 7.3. 7.4. 7.5. 7.6. 7.7. 7.8. 7.9. 7.10. Metrum – Takt – Rhythmus Metrum Takt Spezielle Taktarten Rhythmus Punktierungen – Synkopen – Triolen – Duolen Punktierungen Synkopen Triolen Anwendung der Triolen Duolen Teil 2: Zuhören und Begleiten 9. 9.1. 9.2. 9.3. 9.4. 9.5. 9.6. 9.7. 9.8. Begleiten heisst zuhören Das Musikgehör Das absolute und das relative Musikgehör Das absolute Musikgehör Das relative Musikgehör Der Kammerton a’ Auch absolut ist relativ Die Benennung der Oktaven Gehörbildung 10. 10.1. Das Harmonisieren von Melodien Das Erkennen der Tonart 4 10.2. 10.3. 10.4. 10.5. 10.6. 10.7. Systematisches Vorgehen Erweiterung der Akkordauswahl Die enharmonische Verwechslung Vermindert und übermäßig Andere Akkorde Sinnvoll anwenden 11. 11.1. 11.2. 11.3. Schulung des analytischen Blicks Tasten Noten Tipps & Tricks 12. 12.1. 12.2. 12.3. 12.4. 12.5. 12.6. 12.7. 12.8. 12.9. 12.10. 12.11. Harmonische Strukturen Die Kadenz Die IIm7 – V7 – I – Kadenz Die (V7) – V7 – I – Kadenz Die I – IIm – V7 – I – Kadenz Erweiterte Kadenzformen Mollkadenzen Die Sequenz Die Transposition Ersatztonarten (Terzparallelen) Andere Terzparallelen Die Modulation 13. 13.1. 13.2. Begleitungen Wen oder was begleiten wir? Die Tücken des Begleitens 14. 14.1. 14.2. 14.3. 14.4. 14.5. 14.6. 14.7. 14.8. 14.9. 14.10. 14.11. 14.12. 14.13. 14.14. 14.15. 14.16. 14.17. 14.18. 14.19. Die Begleitung mit beiden Händen Der 4-stimmige Satz Die linke Hand Die rechte Hand Distanz zur linken Hand Verhältnis zur Melodie Welche Lage am Anfang? Grifflogik Der 4-stimmige Choralsatz Der Kontrapunkt Das Stegreif-Spielen nach Stufen Das Begleiten nach Harmoniesymbolen Der Generalbass Verschiedene Systeme von Akkordsymbolen Das hier verwendete ‚deutsche’ System Das französische System / Solmisation Das englische System / ’Standard’ Das Stufenmodell (Römisch) Die funktionale Notation Modales Spiel 5 15. 15.1. 15.2. 15.3. 15.4. 15.5. 15.6. 15.7. Die Begleitung mit der linken Hand Liegende Akkorde Akkordwiederholungen Gebrochene Akkorde Wechselbass Gemischte Formen Boogie-Woogie Andere Bassfiguren 16. 16.1. 16.2. 16.3. 16.4. 16.5. 16.6. 16.7. 16.8. 16.9. 16.10. 16.11. 16.12. 16.13. 16.14. 16.15. 16.16. 16.17. 16.18. 16.19. 16.20. 16.21. 16.22. 16.23. 16.24. 16.25. 16.26. 16.27. 16.28. 16.29. 16.30. 16.31. 16.32. 16.33. 16.34. 16.35. 16.36. 16.37. Musikstile Klassisch Östlich-Orientalisch Anwendung Die 2. Stimme Balkan-Rhythmen Balkan begleiten ‚Gerade Rhythmen’ Spanisch Flamenco Jazz Rhythmus und Harmonik Cabaret/Variété Jazz-Harmonik und Klassik Das Blues-Schema Die Bluestonleiter Blues begleiten Latin Latin begleiten Claves & Co. Son, Mambo, Salsa Rumba und Cha-Cha-Cha Samba, Bossa-Nova Tango Tango Argentino Tango Milonga und Vals Pop Pop begleiten Volksmusik Europa Süditalien: Tarantella Kroatien: Kreistanz Alpenländische Musik Slowenien Schweiz, Deutschland, Österreich Frankreich: Musette Bretagne Britische Inseln Lissabon – Der Fado 6 17. 17.1. 17.2. 17.3. Liedformen AAB AABA ABAB Inhalt Quintenzirkel (zum Aufklappen) Hinterer Umschlag 7 Teil 1: Verstehen und üben 1. Die Tonleiter Was eine Tonleiter ist, weißt du ja bestimmt. Lass uns die Sache trotzdem nochmals genau ansehen. Das Interessante daran ist ja, dass es unendlich viele Tonleitern gibt. Es gibt also nicht die Tonleiter. Schon in unserem ‚westlichen‘ Musiksystem werden je nach Definition bis über 10 verschiedene Tonleitern verwendet! Allen diesen ist gemeinsam, dass sie bei einem Ton beginnen und eine Oktave höher enden. Dazwischen sind meist zwischen 5 und 7 Tonschritte; Halbtonschritte oder Ganztonschritte. Es gibt keine halben und ganzen Töne! Wenn man sagt, ‚ein Halbton höher’, dann ist damit gemeint, ein Halbtonschritt oder eine kleine Sekunde höher. Das ist der Abstand oder Weg zwischen zwei direkt aneinander liegenden Tasten. Der nächst größere Schritt heißt Ganztonschritt oder große Sekunde. Er besteht aus zwei Halbtonschritten. Selbstverständlich benutzen wir aber in diesem Sinne auch die gebräuchlichen Begriffe Ganzton und Halbton weiter! - Die Zeiten, als die schwarzen Tasten als Halbtöne bezeichnet wurden, sind jedoch definitiv vorbei! Hinweis: Auf unserer Welt gibt es zwar auch ganz andere Musiksysteme mit Vierteltönen, Siebtel- und Achteltönen, usw. In diesem Arbeitsbuch wird aber nur am Rande darauf eingegangen. Denn wir befassen uns hier vor allem mit der Musik, die auf dem Klavier gespielt und mit dem herkömmlichen Notensystem aufgeschrieben werden kann. Die bekannteste und einfachste Tonleiter ist C-Dur*: * In diesem Arbeitsbuch werden ausschließlich die deutschen Bezeichnungen für Töne und Tonarten verwendet. Also B und H, B-Dur und H-Dur. Den anderen Bezeichnungen ist im Teil 2 ein extra Kapitel gewidmet (13.14. Verschiedene Systeme von Akkordsymbolen). 8 Schauen wir uns das am Klavier an: Richte nun dein Augenmerk auf die Stellen zwischen E und F, sowie zwischen H und C. Bestimmt ist dir das Phänomen bekannt: Zwischen diesen Tasten finden wir keine anderen Töne (schwarze Tasten), denn da macht die Tonleiter einen Halbtonschritt. An allen andern Stellen sind es aber Ganztonschritte. Es baut sich diese C-Dur-Tonleiter also in 7 Schritten auf: C - 1 - D - 1 - E - ½ - F - 1 - G - 1 - A - 1 - H - ½ - C 1 = Ganztonschritt ½ = Halbtonschritt Das Prinzip 1 - 1 - ½ - 1 - 1 - 1 - ½ ist die ‚Formel’ der Dur-Tonleiter! Wenn du bei irgendeinem Ton beginnst und nach dieser Formel vorgehst, kommt immer eine Dur-Tonleiter heraus. Du darfst einfach nicht vergessen, zwischen dem 3. und 4. Ton und zwischen dem 7. und 8. Ton eine kleine Sekunde zu spielen. Probiere es gleich aus, dein Gehör wird dich sofort korrigieren! Du wirst bemerkt haben, dass es mit den Begriffen Halb- und Ganztonschritt und mit den weißen und schwarzen Tasten verwirrend sein kann. Das Problem ist das Tastenrelief des Klaviers. Dass die schwarzen Tasten kürzer und höher sind, ist technisch bedingt und hat musikalisch keine Bedeutung. Stell dir einfach vor, die schwarzen Tasten wären gleich lang oder auch gleich hoch wie die weißen, dann siehst du sofort den Sinn der Klavier-Tastatur: Sie ist für unsere Hand geschaffen. Siehe dazu folgendes Bild: Handstellung in entspannter Haltung. Daumen und kleiner Finger liegen auf den weißen Tasten, die mittleren drei auf den schwarzen: 9 Wirf bei Gelegenheit einen Blick ins Innere eines Klaviers. Du wirst dich überzeugen können, dass es weder weiße, schwarze, halbe noch ganze Töne gibt. Die Saiten sind alle gleichmäßig und gleichwertig nebeneinander aufgespannt. Mit einem Gesamt-Zug von mehreren Tonnen, ganz nebenbei bemerkt! Dass die Saiten übers Kreuz laufen, ist einerseits Platz sparender; andrerseits wird die Zugkraft am Stahlrahmen etwas ausgeglichen. Je mehr du dir Zeit nimmst, von irgendeiner Taste aus eine Dur- (später auch Moll-) Tonleiter zu spielen (auf- und abwärts), desto sicherer wirst du im optischen Erkennen der Tonarten. Das wird dir dann beim Liedbegleiten von unschätzbarem Wert sein! 1.1. Die Intervalle Bevor wir uns dem Unterschied von Dur und Moll widmen, schauen wir uns noch die Intervalle an. Intervall heißt sinngemäß: ‚Zwischenraum‘ oder: ‚zwischen den Tönen‘. Es ist der Abstand zwischen den Tönen gemeint. Zwei Töne geben zusammen ein Intervall. Wir sind also wieder bei den Tonschritten gelandet! Der Einfachheit halber konzentrieren wir uns erst einmal auf die Intervalle der C-Dur-Tonleiter. Spiel sie doch am Klavier gleich mit! Die beiden Töne jeweils nacheinander und dann auch miteinander. Hinweis: ‚Prim’ = zwei Mal derselbe Ton. C–C C–D C–E = Prim = Sekunde = Terz C–F C–G = Quarte = Quinte 10 C–A = Sexte C–H C–C = Septime = Oktave Damit wir uns richtig verstehen: Diese Übung hast du ausschließlich auf den weißen Tasten gespielt. Man nennt die weißen Tasten auch Stammtöne, die C-Dur-Tonleiter heißt entsprechend: Stammtonleiter oder Stammtonreihe. Es ist das ‚Stamm-Material’ unseres Notensystems, von dem alles andere abgeleitet ist: Zurück zu den Intervallen: Dir ist bestimmt aufgefallen, dass weiter oben von kleinen und großen Sekunden die Rede war. Gibt es auch andere kleine und große Intervalle? – Ja! Die Sekunde, die Terz, die Sexte und die Septime gibt es in kleiner und großer Ausführung: kl./gr. Sekunde kl./gr. Terz kl./gr. Sexte kl./gr. Septime Und die andern Intervalle? Die Prim, die Quarte, die Quinte und die Oktave sind rein. Es gibt von ihnen nur eine Version. Was größer oder kleiner ist, hat bereits einen andern Namen. Prim Quarte Quinte Oktave 11 Dazu folgender Versuch: Spiele mehrmals hintereinander die große Septime C – H (nacheinander) - kleine Pause - dann leiser: Die Oktave C - C. Man spürt förmlich die Spannung, die Ungeduld, das Drängen der großen Septime. Die Oktave strahlt Ruhe, Erhabenheit und Auflösung aus. Darum nochmals: Es gibt keine andere (kleine oder große) Oktave, sondern nur eine, nämlich die reine. Dasselbe gilt auch für die Prim, Quarte und Quinte. Nun noch zum letzten Intervall C – Fis, welches genau zwischen Quarte und Quinte liegt: Dieses Intervall heißt Tritonus, auf Deutsch etwa: ‘Drei-Töner‘. Spielst du nämlich 3 Ganztonschritte von C aufwärts und dasselbe vom oberen C abwärts, wirst du feststellen, dass du in beiden Fällen auf der gleichen Taste Fis (bzw. Ges) landest. Fis/Ges ist also genau die Mitte der Oktave C – C. Vergleichst du den Tritonus mit der reinen Quarte und der reinen Quinte, bemerkst du auch hier sofort den Unterschied: Der Tritonus ist voll unaufgelöster Spannung, ähnlich der großen Septime. Die Quinte und Quarte hingegen strahlen Ruhe und Harmonie aus. Das hat nichts damit zu tun, ob du den Tritonus schön findest oder nicht. Manche Menschen lieben mehr die wohlklingenden Konsonanzen, andere mehr die spannungsgeladenen Dissonanzen. Der Tritonus gehört zu den Dissonanzen, da er im musikalischen Sinne unter Spannung steht und aufgelöst werden will. Zum Beispiel: 12 In diesem Fall besteht der Tritonus aus den Stammtönen C und F, ist also eine ‚Quarte’. Diese Quarte ist aber alteriert (verändert): Aus dem F wurde ein Fis, welches weiter nach oben strebt, zu G. Diesen Tritonus nennt man daher übermäßige Quarte (und nicht grosse Quarte, da jegliche Quartwirkung fehlt!). Sie findet ihre Auflösung in der Sexte H – G. Bitte spielen! Ganz anders ist der Sachverhalt, wenn der gleiche Tritonus als C – Ges geschrieben ist: In diesem Falle verwendet der Tritonus die Stammtönen C und G, ist also eine ‚Quinte’. Diese Quinte ist ebenfalls alteriert (verändert): Aus G wurde Ges, welches abwärts strebt, zu F. Diesen Tritonus nennt man daher verminderte (und nicht kleine!) Quinte. Sie findet ihre Auflösung in der Terz Des – F. Bitte spielen! Der Tritonus hat also je nach Zusammenhang eine ganz unterschiedliche Bedeutung und Wirkung. Im einen Fall strebt er nach außen, im andern Fall nach innen. Du kannst nun irgendeinen Tritonus auf dem Klavier auswählen (3 Ganztöne) und von dieser Position aus die Auflösungen nach außen und nach innen spielen. Versuche das doch gleich, es ist eine sehr kurzweilige Übung, die Spaß macht. 1.2. Ergänzungsintervalle Die Intervalle innerhalb einer Oktave heißen der Reihe nach: - Prim - Kleine Sekunde - Grosse Sekunde - Kleine Terz - Grosse Terz - Quarte 13 - Tritonus - Quinte - Kleine Sexte - Grosse Sexte - Kleine Septime - Grosse Septime - Oktave - Kleine None - Grosse None - Kleine Dezime - Grosse Dezime Du kennst sicher die Methode, die Zahlen von 1 bis 10 so schnell wie möglich zusammenzuzählen: 0+10=10, 1+9=10, 2+8=10, 3+7=10, 4+6=10. Rest 5. Also: 5x10+5=55. Was haben wir gemacht? Wir addierten immer die Ergänzungszahlen, die zusammen 10 ergeben. Auf die Tonleiter übertragen, ‚rechnen‘ wir immer diejenigen Intervalle zusammen, die eine Oktave ergeben. Das sind die jeweiligen Ergänzungsintervalle. Prim + Oktave Kleine Sekunde + grosse Septime Grosse Sekunde + kleine Septime Kleine Terz + grosse Sexte Grosse Terz + Kleine Sexte Quarte + Quinte Tritonus + Tritonus 1.3. Vorzeichen und Versetzungszeichen Es gibt moderne Schulen und Lexiken, die ausschließlich den Begriff Vorzeichen verwenden. In der Musiklehre wird jedoch häufig unterschieden zwischen Vorzeichen und Versetzungszeichen. Vorzeichen stehen am Anfang jeder Notenzeile direkt nach dem Notenschlüssel. Sie stellen eine Art Code dar für die Tonart, die folgt. Es sind immer entweder ‚Kreuze’ (♯) oder ‚Bes’ (♭). 14 Die Versetzungszeichen hingegen stehen direkt vor der Note und gelten immer nur bis Ende Takt und nur für die absolute Tonhöhe, auf der sie notiert sind (also z.B. nicht auch eine Oktave höher). Soll die Alterierung (Höher- oder Tieferstellung) im gleichen Takt wieder aufgelöst werden, dann wird das Auflösungszeichen (♮) bei der nächsten Note verwendet, die dafür in Frage kommt. Noten, die mit Versetzungszeichen verändert werden, sind alterierte Noten. Akkorde (Drei- und Mehrklänge), in denen mindestens eine Note mit einem Versetzungszeichen vorkommt, heißen alterierte Akkorde. Im folgenden Notenbeispiel ist das Kreuz (♯) am Anfang der ‚Code’ für eine Tonart, in der Fis statt F gespielt wird (also G-Dur oder E-Moll). Dieses Fis ist im Takt 2 aufgelöst (♮). Es kommt aber in der ersten Hälfte des Taktes 3 vor, worauf es in der zweiten Hälfte wieder aufgelöst wird. Vorzeichen (Fis) und z.T. alterierte Töne, Intervalle und Akkorde Man könnte sagen: Vorzeichen sind global wirksam, Versetzungszeichen dagegen lokal. Oder anders: Vorzeichen = ‚Hardware’, Versetzungszeichen = ‚Software’. 1.4. Intervallbestimmung Wir schlagen nochmals den Bogen zu den Intervallen: Nehmen wir an, du möchtest irgendein Intervall in einer Melodie analysieren (bestimmen). Wie gehst du vor? Erst betrachtest du die beiden Intervalltöne, als ob sie keine Versetzungszeichen hätten. Genau so heißt das Intervall nämlich, doch ist das nur ein Teil seines Namens. Es fehlt der andere Teil, der an den Alterierungen abzulesen ist. Und da kommen nun die Begriffe vermindert und übermäßig dazu. Aber eins nach dem andern... Beginnen wir mit der Sekunde. Die beiden Noten werden in unserem Notensystem immer auf einer Linie und in einem angrenzenden Zwischenraum geschrieben. Daran erkennen wir, dass es eine Sekunde ist. An den vorangestellten 15 Versetzungszeichen lesen wir den andern Teil des Namens ab – also: welche Sekunde? Im folgenden Notenbeispiel erkennst du der Reihe nach: Prim - kleine Sekunde I - kleine Sekunde II - große Sekunde I - große Sekunde II große Sekunde III - übermäßige Sekunde I - übermäßige Sekunde II Übermäßig ist also ‚größer als groß’. Die übermäßige Sekunde G - Ais tönt am Klavier zwar wie die kleine Terz G - B. Doch da G - Ais aus den Stammtönen G und A gebildet ist, nennen wir das Intervall Sekunde. Und da das Intervall G – B aus den Stammtönen G und H gebildet ist, nennen wir dieses Intervall Terz. Vermindert ist das Gegenteil. Es ist sinngemäß ‚kleiner als klein’. Also verkleinerte kleine Intervalle. Nehmen wir zur Abwechslung die Töne E und F, eine kleine Sekunde also. Im 2-stimmigen Gesang kann es vorkommen, dass die eine Stimme das F durchsingt, die andere aber vom E aufs Eis wechselt, das aber gleich tönt wie das F. Geschrieben wird trotzdem Eis und F. Dies ist – musiktheoretisch gesprochen – eine verminderte kleine Sekunde. Weitere Einzelheiten dazu im nachfolgenden Kästchen. Erfahrungsgemäß tauchen hier einige interessante Fragen auf. Sie sollen gleich beantwortet werden. Die Lektüre ist freiwillig. 1. Gibt es eine übermäßige Prim? Antwort: Ja, zum Beispiel dann, wenn eine Stimme auf dem Ton G bleibt und die andere gleichzeitig von G über Gis nach A führt. Dann haben wir für einen Moment G - Gis als übermäßige Prim. Rein akustisch entspricht sie der kleinen Sekunde. Desgleichen gibt es auch die übermäßige Quarte, Quinte und Oktave. 2. Gibt es eine verminderte Prim? Antwort: Kleiner als eine Prim gibt es nicht. Wie soll das tönen? 2a) Einwand: Aber was ist mit dem Intervall G - Ges? Antwort: Dieses Intervall ist dasselbe wie G - Gis, nämlich eine übermäßige Prim, da es größer als eine Prim ist. Nein - kleiner als eine Prim gibt es definitiv nicht! Hingegen kennen wir sehr wohl die verminderte Quarte, Quinte und Oktave. 16 3. Gibt es eine übermäßige kleine Sekunde? Antwort: Nein, denn das wäre einfach die große Sekunde. Erst wenn die große Sekunde noch größer werden soll, wird sie zur übermäßigen. Aus demselben Grund gibt es auch keine übermäßigen kleinen Terzen, Sexten und Septimen. Nur das jeweils große Intervall kann übermäßig werden. Und nur die kleinen Sekunden, Terzen, Sexten und Septimen können vermindert werden. 4. Ist eine übermäßige Sekunde nicht dasselbe wie eine kleine Terz? Antwort: Richtig bemerkt, beide tönen (auf dem Klavier) gleich, wenn sie aus dem Zusammenhang genommen werden. Doch wir erinnern uns an die Regel: Wir betrachten die Intervalle, als ob sie keine Versetzungszeichen hätten. Die Intervalle G - A, Gis - A, G - As, Ges - A, Ges – As, Gis – Ais, G - Ais und Ges - Ais sind also allesamt Sekunden. Denn geschrieben stehen bloß die Töne G und A! Der Rest ist ‚Feineinstellung‘. 5. Was ist Ges - Ais für ein Intervall? Antwort: Eine doppelt übermäßige Sekunde, die tönt wie eine große Terz. Es können alle grossen Intervalle zu doppelt übermäßigen erweitert werden, indem sie nach unten und nach oben erweitert werden. Diese musiktheoretischen Ausführungen sollen dir nur die Vielfalt und Logik unseres Notensystems nahebringen. Ihre Bedeutung für das praktische Spiel hingegen ist nicht sehr groß. 1.5. Die chromatische Tonleiter Werden alle Töne der Oktave der Reihe nach gespielt, ertönt die chromatische Tonleiter (chromos = Farbe, vgl. ‚Klangfarbe‘). Werden in der Musik alterierte Noten verwendet, spricht man von chromatischer Musik. Die chromatische Tonleiter Eine chromatische Melodie: Du und Du (Johann Strauss Sohn) 17 1.6. Diatonik Wird jedoch nur die Dur- oder Moll-Tonleiter gespielt, reden wir von Diatonik. Diatonisch = durch die Töne, d.h. durch die Tonleiter. Werden also ausschließlich Töne der Tonleiter verwendet, ist die Melodie/Musik diatonisch: Interessant in diesem Zusammenhang sind die sogenannten Diatonischen Instrumente, wie zum Beispiel das Schwyzerörgeli. Es hat gegenüber einem chromatisch gestimmten Instrument nicht alle Töne und Tonarten zur Verfügung. Außerdem sind die Begleitakkorde beim Ziehen- und Zusammendrücken des Balgs nicht dieselben. 1.7. Dur und Moll Das obige Notenbeispiel kann uns auf verblüffend einfache Weise den Unterschied zwischen den beiden Tongeschlechtern Dur und Moll veranschaulichen. Spiele bitte die folgenden 2 Versionen hintereinander: Hänschen klein, Dur Hänschen klein, Moll Der Unterschied ist frappant, nicht? – Ich überlasse es dir selbst, entsprechende Begriffe zum Dur- und Moll-Erlebnis zu finden. Jeder Mensch empfindet das etwas anders. Die wörtliche Übersetzung aus dem Lateinischen ist: durus = hart, mollis = weich. 18 Nehmen wir zur weiteren Illustration die ersten 5 Töne der C-Dur-Tonleiter: Spielen wir nun nur die Töne C - E - G: Dies ist der C-Dur-Dreiklang, sozusagen das harmonische Gerüst von C-Dur. Du könntest nun mit der linken Hand diesen 3-Klang greifen und dazu rechts diese 5 Töne dazu spielen, aufwärts und abwärts: Das passt doch alles hervorragend! Nun wenden wir aber das Blatt: Spiele bitte statt E immer Es, und zwar links wie rechts. Die Stimmung schlägt sofort um. Was vorher fröhlich und unbeschwert klang, bekommt nun einen melancholischen Unterton. Wir befinden uns nun in Moll. Bitte spielen! Ein anderes prominentes Beispiel: Du kennst diese Melodie: Für Elise in A-Moll von Ludwig v. Beethoven. 19 Nun ändern wir das Tongeschlecht (Moll > Dur): Ich weiß nicht, wie es dir dabei ergeht, aber normalerweise ist diese Version immer sehr erheiternd! Die bekannte und geliebte Wirkung des Klassikers geht sofort verloren, wenn ich die Melodie in Dur statt in Moll spiele. Dieses Experiment kann man mit den meisten Melodien machen, die Wirkung ist immer verblüffend. Sie wird oft auch humoristisch eingesetzt, zur Veräppelung von Melodien. Oder um einen Stimmungswechsel zu markieren. Stellen wir uns doch vor, das Lied Hänschen klein werde politisch umgedichtet und an einer Karnevalsveranstaltung vorgetragen. Das gemeinte ‚Hänschen‘ ist dann plötzlich verlassen, die Melodie schwenkt nach Moll und verlangsamt sich: Die Elemente Musik, Text und Vortrag können sich so hervorragend ergänzen. 1.8. Die Molltonleitern Das ist kein Druckfehler, es sind wirklich mehrere Tonleitern, nicht nur eine. Ganz konkret ordnen wir jeder der 12 Dur-Tonarten drei leicht unterschiedliche Molltonleitern zu: Das reine Moll, das harmonische Moll und das melodische Moll. 1.9. Reines Moll (auch: natürliches Moll) Das reine Moll kann man aus der Durtonleiter heraus entstehen lassen. Es ist sehr einfach: Spiele bitte die C-Dur-Tonleiter aufwärts, dann wieder abwärts. Am Schluss halte aber nicht beim C an, sondern lass es einfach 2 Töne weiter laufen, bis zum Ton A. Nun beginnst du beim Ton A und spielst die Töne von vorhin wieder aufwärts, dieses Mal aber nur bis zum A. 20 Immer auf den weißen Tasten: In den letzten zwei Takten hast du eben eine reine Molltonleiter gespielt! Diese Methode hat mehrere Vorteile gegenüber theoretischen Erklärungen der Molltonleiter. Zum einen siehst du unmittelbar, daß C-Dur und (reines) A-Moll miteinander verwandt sind. Beide Tonarten verwenden die identisch gleichen Stammtöne. Beide Tonarten haben also keine Vorzeichen (♯/♭). Und du siehst auch sofort, warum C-Dur und A-Moll Paralleltonarten genannt werden. Sie laufen wirklich parallel, im Abstand einer Terz. Du könntest sie auch gleichzeitig spielen: Die nahe Verwandtschaft von C-Dur und der Paralleltonart A-Moll wird in vielen Musikstücken angewandt. Zur Illustration seien hier 2 Beispiele angeführt. Das erste ist der Anfang des Südamerikanischen Liedes El Condor Pasa, bekannt geworden in den 1970er-Jahren durch das Duo Simon and Garfunkel. Es beginnt in AMoll, hält sich dann in C-Dur auf, um am Schluss über E7 wieder ins A-Moll zu ‚versinken‘. Die Übergangs-Tonart E7 funktioniert wie eine ‚Weiche‘ auf dem Schienennetz und leiten das C-Dur nach A-Moll um. Ihr schenken wir im Moment noch keine große Beachtung. Verwende in der linken Hand statt der Akkorde am, C und E7 vorerst die Bassnoten A, C und E. Zu den Akkordsymbolen: siehe Abschnitt 14.13.
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