Täuschung, die die Neugier auf Entdeckungen weckt

16 Stadt Schaffhausen
MONTAG, 22. FEBRUAR 2016
Britischer Exportschlager
Galerie Fronwagplatz
Ukulele Orchestra
würde den «Brexit»
locker überleben
Viel Schalk, der
zum Fantasieren
anregt
VON ULRICH SCHWEIZER
VON ARNOLD SIGG
Das Stadttheater war am Samstagabend praktisch ausgebucht. Auf der
Bühne sieben Musiker, sauber aufgereiht wie die Hühner auf dem Stängeli;
sechs halten eine Ukulele auf dem
Schoss: Dave Suich, Peter Brooke Turner, Richie Williams, George Hinch­
liffe, Leisa Rea (die einzige Frau auf der
Bühne), Will Grove-White, Jonty Bankes spielt eine Bassukulele. The Ukulele Orchestra of Great Britain bringt
Bearbeitungen, Coverversionen und
musikalische Persiflagen auf höchstem
Niveau, wobei die viersaitige «Kindergitarre» für diese Formation von ausgezeichneten Solo- und Chorstimmen so
etwas ist wie das «kleinste gemeinsame Vielfache». Man sehe sich zweimal, einmal auf dem Weg nach oben,
einmal auf dem Weg nach unten, bemerkt George Hinchliffe zur Begrüssung – sein Ensemble ist seit Jahren
auf einem weltweiten Höhenflug.
Mit «Musik für Stummfilme von Rodolfo Valentino bis Quentin Tarantino»
startet das Programm, rhythmisch beklatscht vom begeisterten Publikum.
Es folgen Amy Winehouse und «IkeaFunk» von Abba, «Limehouse Blues» in
präzisem, wieselflinkem Spiel, Ennio
Morricones Melodie aus «The Good,
the Bad and the Ugly» mit dem Bassisten als Pfeifer, der grossen Szenenapplaus erntet. Dann kramt Will ein Instrument hervor, das kleiner ist als seine
rechte Hand. «Le Freak, c’est Chic»,
singt Leisa mit grosser Stimme dazu.
Als Zugabe wird ein Stück von Händel angekündigt, «Fly me off the Handel». Aus «Fly me to the Moon», «Love
Story», «Wild World», «Killing me
softly», «Hotel California» und «I will
survive» wird ein prächtiges, simultan
gesungenes Medley. In der zweiten Zugabe, «Should I stay or should I go», mutiert ein Instrument zur Elektro-Ukulele.
Kunst entspricht der Zeit. Das kommt
besonders schön bei der momentanen
Exposition in der niedlichen Zimmergalerie Fronwagplatz zum Ausdruck.
Denn diese Galerie hat sich ganz
der Gegenwartskunst des regionalen
Kunstschaffens verschrieben. An der
ersten Ausstellung im neuen Jahr werden zwei Künstler einander gegenübergestellt. Nämlich der in Randegg (D)
geborene Albertrichard Pfrieger, dessen abstrakte Malereien schon verschiedentlich anderorts in Schaffhausen bewundert werden konnten, sowie
als erfreulicher Gegensatz dazu verschiedenartige kleinformatige Skulpturen des in Winterthur geborenen Ruedi
Mösch, der nach einer Berufslehre als
Holzbildhauer sich zum national prominenten Steinbildhauer mauserte.
Gegen dreissig Besucher konnte
Galerist Wendel Oberli an der gediegenen Vernissage am frühen Freitagabend begrüssen. In seiner Laudatio
liess er dabei auch Raum für Selbstäusserungen der zwei Künstler. So hat
nach ihm der Maler Albertrichard
Pfrieger «Schalk in seinen Augen». In
der Tat: Die spontanen und damit
eigentlich unfertigen abstrakten Werke regen die Fabulierlust der Betrachter an. Und die urwüchsigen Kleinskulpturen von Ruedi Mösch stellen –
zum Teil mit politischen Untertönen –
beeindruckend «den Menschen und
seine Ausdrucksweisen seines Körpers
ins Zentrum seines Schaffens» dar.
Personalien
Ernesto Ranft
feierte gestern im Altersheim am Kirchhofplatz seinen 96. Geburtstag. Er freut
sich jeden Tag, mit seiner Gesprächsrunde in der Cafeteria des Altersheims
zu plaudern und zu diskutieren. Er hat
eine Tochter und zwei Söhne und viele
Enkel. Wir gratulieren dem rüstigen
­Jubilar und wünschen ihm alles Gute.
Andrea Suter zeigt eine nach einem Orkan wieder aufgebaute Wohngegend in New York in bewegtem Bild.
Bild Selwyn Hoffmann
Täuschung, die die Neugier
auf Entdeckungen weckt
Das Forum Vebikus zeigt in
VON URSULA JUNKER
einer marmorierten Folie überzogen.
Sein Teppich besteht aus Asche und
Farbpigmenten, so zusammengesetzt,
dass zwar durchaus ein wohliger Eindruck entsteht, Betreten indes per se
tabu ist. Immer wieder habe die Kunst
die Täuschung als Augenwischerei eingesetzt. Täuschung sei aber auch insofern zeitgemäss, als sie uns neugierig
auf Entdeckungen machen könne, so
Bless’ Fazit. Berweger stammt aus
Rheinau und arbeitet in Basel.
Sehr gut besucht und rege die Gespräche, so lässt sich die Eröffnung der
Ausstellung im Forum Vebikus wohl
am besten zusammenfassen. Es war an
Leo Bettina Roost anstelle des erkrankten André Bless, dessen Einführung
ins eigens für die laufende Ausstellung
geschaffene «Ensemble» von David
Berweger vorzutragen. Bless attestierte Berweger handwerkliche Sorgfalt ebenso wie ungewöhnliche Beschaffenheit. Berweger setzt gekonnt
das Mittel der Täuschung ein. Seine
gross dimensionierten Kamine an den
Wänden sind aus Papier gefaltet, mit
Unauffälliges aus dem Alltag
Bei Andrea Suter – sie arbeitet in
Zürich – gehe es primär um Bewegung,
so Ute Goebbels, die in deren Werke
einführte. Suter zeigt im Vebikus sowohl Bilder wie auch Videoarbeiten. Zu
sehen schwankende Fernsehantennen
auf venezianischen Dächern, die mit­
einander zu kommunizieren scheinen,
wie auch eine irritierende, nach einem
Orkan wiederaufgebaute playmobil­
artige Wohngegend in New York. Auch
diese setzt sie in eine feine Bewegung,
lässt deren Zäune vor dem Auge vorbeiziehen. Humorvoll, heiter und den-
einer Parallelausstellung drei
Künstler mit sehr unterschiedlichen Ausrichtungen. Einig
gehen sie in der Auseinandersetzung von Raum und Zeit.
Protestumzug Aktion gegen die Durchsetzungs-Initiative
noch auch tragisch, wie Goebbels
sagte, die zugleich auch das Kartografische an Suters Bildern hervorhob.
Einerseits waren da in feinen Netzwerken festgehaltene Figuren, dann aber
auch fein strukturierte Vierecke als
«Abdrücke» aus einem Pariser Autotunnel. Sie stehen als Ausdruck dessen, was die Rednerin so bezeichnete:
«Dinge im Alltag aufnehmen, die primär nicht auffallen.»
Ganz anders geartet dann die Intervention von Markus Wetzel, die aus
ausgelegten grünen Pirelli-Noppenplatten bestand, einst Bestandteil der
Stuttgarter Staatsgalerie. Wetzel forderte die Besucher auf, sie zu betreten
und dabei möglichst viel gute Energie
in den Raum zu transportieren. Seine
Performance mit der laufenden Bohrmaschine, die neben gestapeltem Karton und Noppengummi um die eigene
Achse drehte, lehnte an eine frühere
Ausstellung im Vebikus an. Die Arbeiten des in Berlin lebenden Schaffhausers «diskutieren komplexe Zusammenhänge zwischen Architektur, Geschichte, Orten und Begebenheiten».
Zwei Chöre auf dem Weg
an die Weltspitze
Die beiden Chœurs inter-
canto­naux begeisterten und
berührten das Publikum
anlässlich einer kulturellen
Begegnung in der Rathauslaube.
VON VRENI WINZELER
Rund 250 Personen nahmen am Samstagnachmittag an einer bewegten Aktion gegen die Durchsetzungs-Initiative teil, in deren Rahmen sie von der Kantonalbank zum Fronwagplatz gingen. An der Spitze
dieses kurzen Protestumzuges fuhr ein grosses Kunstrad, eine Eisenplastik von Vincenzo Baviera. Unter
den Protestierenden waren unter anderem ein Karton-­
Damoklessschwert mit der Aufschrift «Landesverweis»
sowie Schildaufschriften wie «Wir, das Volk, sagen
Nein» zu finden. Die bewegte Aktion verlief still; statt
Parolen oder Demonstrationslärm war bloss ein einzelner blökender Aktivist zu hören, der als Schaf verkleidet Flugzettel austeilte. Erst auf dem Fronwagplatz
äusserten sich diverse Exponentinnen und Exponenten
in kurzen Statements via Megafon. Die Aktion war
vom überparteilichen Komitee «jetztlangeds» organisiert worden, das sich im Kanton für ein Nein zur
Durchsetzungs-Initiative einsetzt.Text aro / Bild Selwyn Hoffmann
Die abstrakten Bilder und Skulpturen
­regen die Fabulierlust an. Bild Arnold Sigg
Auf dem Programm der beiden 2011 gegründeten jungen Projektchöre standen
romantische Stücke aus Europa sowie
Werke von Schweizer Komponisten. In
dieser Saison wird das Männerensemble
– eine wahre All-Star-Band – von Sarah
Hänggi und Lisa Appenzeller, zwei jungen, masterdiplomierten Chorleiterinnen, geleitet. Der Mädelschor steht
unter der Leitung des Bündners Chas­
per Mani und des Baslers Tobias Stückelberger, ebenfalls junge Chorprofis.
Die vier Chorleitenden dirigierten ohne
Eitelkeit und wussten gestisch souverän
zu gestalten. Dem zahlreichen Publikum
präsentierten die beiden Chöre solo und
zusammen ihre wunderbaren Stimmen
(beeindruckend vor allem in den pp-Stellen) und eine beglückend unangestrengte Tongebung und Intonation.
Einige Highlights des im Gestus zu
lange gleichförmig und inhaltlich
­etwas beliebig wirkenden Programms
dürfen nicht unerwähnt bleiben. Etwa
das mittlerweile abgenutzt wirkende
«La Montanara», das der Männerchor
zum Niederknien schön gestaltete,
oder auch das nahe am Inhalt arrangierte «Lueget vo Bärge und Tal» des
Schaffhausers Simon Peter. Ebenso ist
das umwerfende Stück «Kappee» aus
Finnland zu erwähnen, welches den berühmten Funken vom Mädelschor zum
Publikum (etwas spät) springen liess.
Abgerundet wurde das Konzert mit
einem munteren «Ne pleure pas Jeannette» aus der Feder von Mitsänger
Grégoire May sowie dem Jodellied
­«Kamerade». Wenn es den Verantwortlichen gelingt, mit einer stringenteren
und inhaltlich kohärenteren Programmgestaltung einerseits – ein Programmheft mit Übersetzungen oder
kurze Moderationen wären für das
­Publikum übrigens hilfreich – und mit
einem noch etwas höheren inhaltlichen
Engagement der Mädels andrerseits
noch einen Gang zuzulegen, sind die
Chœurs intercantonaux zweilfellos auf
dem Weg zur Weltspitze.