Entwicklung eines gasbasierten Tiefungsversuchs zur Bestimmung

Entwicklung eines gasbasierten Tiefungsversuchs zur
Bestimmung von Fließkurven für die
Warmblechumformung
(IGF-Vorhaben 17586 N / FOSTA P 947)
Energieeffizienz und Klimaschutz erfordern Leichtbau in der Verkehrstechnik. Dabei
kommt dem Einsatz von hoch- und höchstfesten Blechen eine wesentliche
Bedeutung zu. Hier bietet insbesondere das sogenannte Presshärten eine
ausgezeichnete Kombination aus guten Formgebungsmöglichkeiten und höchsten
Bauteilfestigkeiten.
Beim Presshärten werden Bleche aus Bor-Manganstahl zunächst auf Temperaturen
von bis zu 950 °C aufgeheizt. Anschließend werden die noch heißen Bleche durch
einen Tiefziehprozess umgeformt. Da die Umformung durch aktiv gekühlte
Werkzeuge erfolgt, werden die Bleche bereits während der Umformung rapide
abgekühlt. Diese rapide Abkühlung führt zu einer martensitischen Umwandlung des
Werkstoffes, deren Folge eine enorme Festigkeitssteigerung ist. Somit können durch
Presshärteprozesse Bauteile mit höchsten Festigkeiten und komplexen Geometrien
hergestellt werden. Das große Potential von pressgehärteten Bauteilen wird deutlich,
wenn die Anzahl der jährlich mit diesem Verfahren hergestellten Bauteile betrachtet
wird. So stieg diese von 3 Millionen im Jahre 1987 auf über 107 Millionen Bauteile im
Jahre 2007 [1]. Prognosen gehen davon aus, dass diese Zahl im Jahr 2015 auf über
350 Millionen Bauteile ansteigen wird [2].
Neben diesen Vorteilen ist jedoch die Auslegung und Optimierung von
Presshärteprozessen, im Vergleich zum konventionellen Tiefziehen, mitunter
langwierig und kostenintensiv. Eine Ursache hierfür ist, dass durch die Temperierung
der Bleche zusätzliche Freiheitsgrade entstehen, welche bei der Prozessauslegung
berücksichtigt werden müssen. Erschwerend kommt hinzu, dass Werkzeuge für das
Presshärten durch notwendige Kühlkanäle aufwändiger zu fertigen und somit in der
Herstellung teuer sind. Um die Entwicklungszeiten von neuen Presshärteprozessen
zu verkürzen und die Anzahl notwendiger Versuchspressungen und
Prototypenwerkzeuge zu reduzieren, kann eine virtuelle Erprobung neuer Prozesse
durch Umformsimulationen erfolgen. Für diese Simulationen wird neben weiteren
Daten eine Beschreibung des thermo-mechanischen Werkstoffverhaltens in Form
von Fließkurven benötigt. Die Bestimmung von Fließkurven für Presshärteprozesse
erfolgt zurzeit üblicherweise anhand von Warmzugversuchen, deren Vorteil der
relativ einfache Versuchsaufbau ist. Jedoch kann der Warmzugversuch ohne weitere
Annahmen nur bis zum Auftreten einer Einschnürung ausgewertet werden. Die Folge
sind Unsicherheiten wenn durch Umformsimulationen Presshärteprozesse untersucht
werden, bei denen höhere Dehnungen erreicht werden.
Um diese Unsicherheiten zu verringern und somit die Auslegung von
Presshärteprozessen zu beschleunigen, wurde in dem IGF-Vorhaben „Entwicklung
eines gasbasierten Tiefungsversuchs zur Bestimmung von Fließkurven für die
Warmblechumformung“ durch das Institut für Bildsame Formgebung und das Institut
für fluidtechnische Antriebe und Steuerungen (beide RWTH Aachen University) ein
neuer Prüfstand entwickelt. Bei diesem Prüfstand werden Bleche durch konduktive
Erwärmung auf über 900 °C erwärmt (siehe Abbildung 1) und anschließend durch
Gasdruck, analog zum hydraulischen Tiefungsversuch, umgeformt [3]. Das Ziel ist
die Ermittlung von Fließkurven bis zu hohen Dehnungen und die Bestimmung von
Grenzformänderungen für Bor-Manganstähle bei Temperaturen von bis zu 950 °C
und kontrollierten Umformgeschwindigkeiten von bis zu 1 s-1.
Abbildung 1: Aufgeheiztes Blech im Prüfstand unmittelbar vor der Umformung
Um dieses Ziel zu erreichen galt es, insbesondere Herausforderungen aus den
Gebieten der Regelungstechnik, Messtechnik und der Sicherheitstechnik zu
bewältigen. So führt die Kompressibilität des Druckmediums bei hohen Drücken von
bis zu 200 bar ohne geeignete Maßnahmen zu erheblicher Gefährdung durch
gespeicherte Energie. Darüber hinaus folgt aus der Kompressibilität ein instabiler
Prozessablauf, der einer schnellen Regelung bedarf. Letzteres wird zusätzlich
dadurch erschwert, dass kommerziell keine geeigneten Proportionalventile für Gase
bei Umformdrücken von bis zu 200 bar erhältlich sind. Daher wurde ein eigenes
Pneumatikkonzept entwickelt, welches den Druck innerhalb der Proben regelt (siehe
Abbildung 2). Dieses Konzept basiert auf mehreren parallel geschalteten und
hochdynamischen Schaltventilen, welche durch zusätzliche Drosseln modifiziert
wurden. Durch das Schalten verschiedener Ventilkombinationen kann auch bei
hohen Gasdrücken das Verhalten eines Proportionalventils abgebildet und so der
Druckverlauf während der Umformung genau geregelt werden [4]. Den Input für
diese Regelung liefert ein Laserliniensensor, welcher während des Versuchs die
Kontur der Proben mit einer Frequenz von bis zu 4000 Hz erfasst.
Abbildung 2: Entwickeltes Pneumatik System
Neben diesem Laserliniensensor kommen ein Thermografiesystem und ein optisches
Dehnungsmesssystem zum Einsatz. Dies ermöglicht eine Messung und Regelung
der Probentemperatur, sowie eine genaue Analyse der Formänderungsverteilung der
Proben während der Umformung (siehe Abbildung 3). Um die Interaktionen zwischen
diesen Messsystemen zu minimieren, wurden das optische Dehnungsmessystem
und dessen Beleuchtung mit Blaufiltern versehen. Auf diese Weise überstrahlt das
blaue Licht für die Dehnungsmessung die rote Laserlinie nicht, welche der
Laserliniensensor auf die Probe projiziert. Darüber hinaus wird durch die Blaufilter
auf den Kameras die rote Laserlinie nicht mehr von dem optischen
Dehnungsmesssystem detektiert, was eine störungsfreie Dehnungsmessung
ermöglicht. Um für das Thermografiesystem ein homogenes Abstrahlverhalten der
Oberfläche zu schaffen, wurden am Rand der Umformzone kleine Bereiche nicht mit
dem Raster für die optische Dehnungsmessung versehen. So wird, wenn auch örtlich
begrenzt, eine genaue Messung und Regelung der Probentemperatur ermöglicht.
Abbildung 3: links: Dehnungsfeld unmittelbar vor Probenversagen, rechts: Probe vor und nach der
Prüfung
Schließlich wurde noch ein Sicherheitskonzept entwickelt, um den Benutzer und die
Sensorik zu schützen. Dieses Sicherheitskonzept besteht aus einer Einhausung,
welche aus mehreren Lochblechen gefertigt ist, die gegeneinander verschoben sind.
Hierdurch wird das in den Proben gespeicherte Gas mehrmals umgelenkt, was
mögliche Splitter aufhält und die Lautstärke der Druckwelle beim Bersten der Proben
verringert. Um die Proben während des Versuchs für die optischen Messsysteme
zugänglich zu machen wurden in die Einhausung mehrere Fenster integriert, deren
Eigenschaften auf die jeweiligen Bedürfnisse der Messsysteme optimiert wurden. So
werden für die optische Dehnungsmessung und den Laserliniensensor Fenster mit
einer möglichst hohen Transparenz für Licht im sichtbaren Spektrum und einer
möglichst geringen Lichtbrechung eingesetzt. Für das Thermografiesystem kommt
ein Fenster zum Einsatz, welches im Gegensatz zu gewöhnlichem Glas im infraroten
Bereich transparent ist.
Durch die erfolgreiche Überwindung dieser Herausforderungen ist es gelungen einen
Prüfstand zu entwickeln, welcher die Bestimmung von Spannungs-Dehnungskurven
für das Presshärten ermöglicht. Die Versuchsergebnisse für den presshärtbaren
Stahl 22MnB5 weisen eine hohe Reproduzierbarkeit auf und sind in guter
Übereinstimmung mit Warmzugversuchen und Simulationsmodellen des Bulgetests
(siehe Abbildung 4). Dabei konnte bei den Versuchen lokal eine logarithmische
Vergleichsdehnung von bis zu 1,7 gemessen werden, was im Zugversuch einer
Verlängerung der Probe um ca. 450 % entsprechen würde. Neben der Ermittlung von
Spannungs-Dehnungskurven konnten ebenfalls Grenzformänderungen
bei
Temperaturen von bis zu 900 °C im Zug-Zug-Bereich ermittelt werden, welche
ebenfalls nur geringe Streuungen aufweisen.
Abbildung
4:
links:
Umformgeschwindigkeiten
ermittelte
Spannungs-Dehnungs
Kurven,
rechts:
realisierte
Die Entwicklung des Prüfstands, sowie eine ausführliche Darstellung der
Messergebnisse sind in dem Abschlussbericht des Projekts zu finden, welcher
demnächst über die Forschungsvereinigung Stahlanwendung e.V. (FOSTA) bezogen
werden kann.
Das IGF–Vorhaben 17586 N / FOSTA P 947 der Forschungsvereinigung
Stahlanwendung e.V. (FOSTA), Sohnstraße 65, 40237 Düsseldorf wurde über die
AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen
Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.
Literatur:
[1]
H. Karbasian, A. Tekkaya, A review on hot stamping, Journal of Materials
Processing Technology 210 (2010) 2103–2118.
[2]
R. Neugebauer, F. Schieck, S. Polster, A. Mosel, A. Rautenstrauch,
J. Schönherr, N. Pierschel, Press hardening — An innovative and challenging
technology, Archives of Civil and Mechanical Engineering 12 (2012) 113–118.
[3]
A. Braun, J. Storz, M. Bambach, G. Hirt, Development of a Pneumatic Bulge
Test for High Temperatures and Controlled Strain Rates, AMR 1018 (2014)
245–252.
[4]
J. Storz, A. Braun, H. Murrenhoff, Designing a Hot Gas Bulge Test, in:
H. Murrenhoff (Ed.), Modern Fluid Power: Challenges, Responsibilities, Markets
conference proceedings. Vol. 1, Symposium, Monday, March 24th, RWTH
University, IFAS, Aachen, 2014, pp. 129–139.