M O L E K U L A R E Z E L L B I O L O G I E Ein Nanoskalpell operiert am Zellskelett Das Actin-Zellskelett gibt der Zelle die individuelle Form und die Beweglichkeit. Es liegt größtenteils unterhalb der Plasmamembran, kommt aber auch in Verbindung mit manchen Zellorganellen vor. Zellgifte, die das Actinskelett stören, beeinträchtigen viele Zellfunktionen. Ob dies auf direktem oder indirektem Weg geschieht ist meist unklar. Maßgeschneiderte Proteine, die zielgerichtet innerhalb der Zelle nur in einem kleinen Bereich arbeiten, ermöglichen das Verständnis der einzelnen Funktionen des Zellskeletts. Anja Drengk Markus Maniak Actin ist ein kleines kugelförmiges Proteinmolekül, das sich so zusammenlagern kann, dass lange Fasern entstehen. Aus diesen Fasern kann die Zelle mit Hilfe anderer Proteine kompliziertere Strukturen, wie Bündel oder Netzwerke aufbauen, die für die Formgebung der Zelle wichtig sind. Formveränderungen benötigen mechanische Arbeit, die auf zwei Weisen geleistet werden kann. Einerseits gibt es molekulare Motoren, Myosine, die sich auf Actinfasern schrittweise entlang bewegen können. Diese Art der Kraftentfaltung liegt der Muskelkontraktion zugrunde. Andererseits kann durch Polymerisation von einzelnen Actinmolekülen zur Actinfaser eine Schubkraft erzeugt werden, die ihrerseits Membranen verformen kann. Um den Bewegungsvorgang umzukehren oder zu wiederholen ist es erforderlich, dass die Actinfaser auch wieder abgebaut werden kann. Der Abbau wird von einem Protein namens Cofilin bewirkt, das Actinfasern zerschneidet, worauf sie in ihre Bausteine zerfallen und zur erneuten Verwendung zur Verfügung stehen. Solche biochemischen Vorgänge laufen streng kontrolliert in Teilbereichen der Zelle ab, die deutlich weniger als ein Mikrometer groß sein können. Diese örtliche Beschränkung bewirkt, dass sich eine Zelle zielgerichtet bewegen kann, d.h. ein Vorderende und ein Hinterende ausbildet, oder sich bei der Teilung in der Mitte 2 ZELLBIOLOGIE 1/2004 durchschnürt, so dass zwei ähnlich große Tochterzellen entstehen. Eine weitere lokale Aktivität ist erforderlich, wenn die Zelle feste oder flüssige Nahrung aus der Umgebung aufnimmt. Eine Amöbe als Modellsystem Die Nahrungsaufnahme lässt sich modellhaft besonders gut in der Bodenamöbe Dictyostelium untersuchen. Für diesen Organismus steht ein reichhaltiges Repertoire an molekulargenetischen Manipulationsmöglichkeiten zur Verfügung. Außerdem ist der Weg, den die Nahrung durch die Amöbenzelle nimmt, mikroskopisch gut zu verfolgen. Es ist leicht möglich, einzelne Verdauungsstadien anhand ihres Alters, pH-Wertes und mit Hilfe von Markerproteinen qualitativ zu identifizieren. Die Effizienz der einzelnen Schritte des Nahrungsdurchlaufs durch die Zelle lassen sich außerdem quantitativ exakt erfassen. Wenn die Zelle auf ein Nahrungspartikel trifft, setzt an der Kontaktstelle die Polymerisation von Actin ein. Die Plasmamembran wird dadurch vorgeschoben bis sie das Partikel vollständig umschließt und sich das nahrungsgefüllte Vesikel nach innen abschnürt. Dann wird die Actinhülle von der Außenseite des Vesikels entfernt, so dass der Inhalt angesäuert werden kann und lysosomale Enzyme mit der Verdauung der Nahrung beginnen. Nach etwa 30 Minuten wird der Inhalt des Vesikels neutralisiert, damit andere Verdauungsenzyme wirksam werden können. In dieser Phase polymerisiert Actin wieder auf der Außenseite der Vesikelmembran. Die Actinhülle umgibt das Vesikel, bis es etwa eine Stunde nach seiner Entstehung wieder mit der Plasmamembran verschmilzt und die unverdaulichen Reste nach außen abgibt (Schematische Darstellung in Abb. 1A). Gleiches trifft auch für die Aufnahme von Flüssigkeit zu. Manipulation des Zellskeletts Da etliche der obigen Schritte auf der Aktivität des Actinskeletts beruhen, können hier die Einzelfunktionen prinzipiell separat analysiert werden. Dem steht allerdings entgegen, dass konventionelle Methoden (z. B. die Behandlung mit Zellgiften wie Cytochalasinen aus Pilzen oder Latrunculinen aus Schwämmen) das komplette Actinsystem der Zelle an allen Orten gleichmäßig lahm legen. Damit man tatsächlich den Beitrag des Actinskeletts zu einzelnen Schritten des Nahrungsweges analysieren kann, müssen Actinfasern an einem spezifischen Ort selektiv abgebaut werden, und an anderen Orten in derselben Zelle völlig unbeeinträchtigt bleiben. Um ein solches System erstmalig zu etablieren, haben wir uns zum Ziel gesetzt, die Actinhülle der neutralen Nahrungsvakuole zu zerstören und das unter der Plasmamembran liegende Actinskelett als Referenzfunktion für die Qualität des Eingriffs zu benutzen. M O L E K U L A R E Z E L L B I O L O G I E Abb. 1: Ortsspezifischer Abbau des Actinskeletts. (A-F) Darstellung jeweils einer optischen Ebene durch zwei Amöbenzellen mit dem konfocalen Laserscanning-Mikroskop. Antikörpernachweis von Vacuolin (A) oder eines Vacuolin-myc-Cofilin Hybridproteins (B) in rot. (C, D) Färbung der Actinfasern durch fluoreszenzmarkiertes Phalloidin in grün. (E, F) Überlagerung der beiden Kanäle zum Vergleich. Pfeilköpfe in A und C identifizieren Nahrungsvakuolen, die mit Vacuolin und Actin umgeben sind. Ein Pfeil in B weist auf die Position der verklumpten Vakuolen hin, die das Hybridprotein tragen. An der vergleichbaren Stelle in D fehlt die Actinfärbung. Pfeilköpfe in D zeigen auf Organellen in derselben Zelle, die eine Actinhülle besitzen, jedoch in B kein Hybridprotein aufweisen. (G-H) Schematische Darstellung der mikroskopischen Ergebnisse. Die Zelle nimmt auf der linken Seite ein blaues Partikel auf. Dieses wird in den folgenden Schritten zunächst in sauren, dann in neutralen Vakuolen (große schwarze Kreise) verdaut. Die Bruchstücke werden auf der rechten Seite der Zelle in die Umgebung freigesetzt. Farbgebung wie in A-F: Actin (grün), und Vacuolin (rot in G) oder das Hybridprotein (rot in H) verteilen sich in der Zelle unterhalb der Plasmamembran (schwarzer Rahmen) bzw. auf Vakuolen. Nicht angefärbte Proteine erscheinen in schwarz. Dabei wird Cofilin als Kugel mit Einschnitt dargestellt um seine Schneideaktivität anzudeuten. Zu diesem Zweck wurde ein Hybridprotein entwickelt, das aus drei funktionellen Einheiten besteht: Der erste Teil bestimmt die Lokalisation in der Zelle, ein zweiter dient dem Nachweis des Proteins und ein dritter soll die Actinfasern zerschneiden. Wir benutzen das Protein Vacuolin, das ausschließlich an neutrale Verdauungsvakuolen bindet, um es molekulargenetisch mit Cofilin, dem Actin-depolymerisierenden Protein zu verknüpfen. Zwischen diese beiden Komponenten wurde das myc-Epitop eingefügt, eine kurze Aminosäuresequenz die von einem fluoreszenzmarkierten Antikörper erkannt wird. So kann man die Verteilung des Hybridproteins in der Zelle mikroskopisch abbilden. In Abbildung 1A sieht man die Verteilung des Vakuolin-Proteins auf der Oberfläche von Verdauungsvakuolen. Dieselben Vakuolen tragen eine Hülle aus Actin (Abb. 1C). Das unterhalb der Plasmamembran liegende Actinskelett ist ebenfalls stark angefärbt und lässt so die Form der Zelle deutlich werden. Abbildung 1B zeigt die Verteilung des Hybridproteins. Diese Vakuolen haben ihre Actinhülle durch die lokale Aktivität von Cofilin verloren (Abb. 1D). Eine offensichtliche Konsequenz dieses Verlustes ist die starke Verklumpung der sonst getrennt liegenden Vakuolen in eine weinrebenartige Struktur. Das Zellskelett in der Peripherie der Zelle weist keine sichtbaren Veränderungen auf. Detaillierte Untersuchungen solcher Zellen zeigen, dass diese Zellen normale Bewegungsfähigkeit besitzen. Zellteilung und Nahrungsaufnahme sind ebenfalls unverändert. Daraus wird klar, dass die Funktionsfähigkeit des unter der Plasmamembran liegenden Actinskeletts nicht beeinträchtigt ist. Mit diesem Hybridprotein, das ortsspezifisch wie ein nanometergroßes Skalpell schneidet, ist nun prinzipiell die Möglichkeit gegeben auch an anderen Orten der Zelle nebenwirkungsfreie Manipulationen des Zellskeletts durchzuführen. Originalveröffentlichung Drengk A. et al.: M.: Curr. Biol. 13, 1814–1819 (2003) Dr. Anja Drengk Prof. Dr. Markus Maniak Leiter der Abteilung Zellbiologie an der Universität Kassel Abt. Zellbiologie Universität Kassel Heinrich-Plett-Str. 40 34132 Kassel [email protected] ZELLBIOLOGIE 1/2004 3
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