Sophia Münnich Partnerorganisation: Philothea Klub in Târgu Mureș / România Freiwilligendienst 2015/2016 Rundbrief Nr. 1 : August-Oktober 2015 Liebe Freunde, liebe Familie, liebe Unterstützer, liebe Interessierte! Mir ist schon lange klar gewesen, dass ich nach dem Abitur einen Freiwilligendienst im Ausland machen möchte. Bei meiner Entsendeorganisation EIRENE habe ich dann ein Projekt in einem Land bekommen, von dem die meisten noch nicht sehr viel wissen und von dem ich selbst nicht viel gehört hatte. So ging es am 1. August für mich los: In ein Jahr mit neuen Erfahrungen und neuen Herausforderungen - nach Rumänien. Häufig reagierten die Menschen erstaunt, wenn ich ihnen erzählt habe, wo ich das nächste Jahr verbringen würde. Oft musste ich mir negative Vorstellungen über Rumänien anhören. Viele wussten nicht, dass Rumänien seit 2007 EU-Mitglied ist, dass Rumänisch keine slawische Sprache ist und ein paar wussten nicht einmal, wo es überhaupt genau liegt. Jetzt lebe ich schon seit über drei Monaten hier. Diese Zeit verging viel schneller, als ich erwartet hätte. Ich habe schon einiges erlebt, viele interessante Menschen kennengelernt und habe meine Entscheidung, nach Rumänien zu gehen, keine Minute bereut. Mein Freiwilligendienst mit EIRENE begann im Juli mit einem zweiwöchigen Ausreisekurs. In diesem wurden wir auf unseren Dienst vorbereitet und lernten die anderen Freiwilligen kennen. Wir sind insgesamt neun Freiwillige von EIRENE in Rumänien. Nach dem Ausreisekurs hatte ich eine Woche vor meiner Abreise Zeit, mich von meiner Familie und meinen Freunden zu verabschieden. Dann hieß es am 1. August, entgültig Abschied von Deutschland zu nehmen. Zusammen mit zwei Freiwilligen von SoFiA ev. fuhr ich mit dem Zug nach Rumänien. Eine Zugfahrt ohne Ausfälle oder Wir Rumänien-Freiwillige von EIRENE Verspätungen ist in Deutschland eigentlich ja schon unmöglich. Trotzdem ärgerten wir uns, als der Zug nach München ausfiel und wir unseren dortigen Anschluss nach Budapest nicht erreichten. Zum Glück bekamen wir in Wien noch den letzen Zug nach Budapest, in dem wir zuerst einmal die Freundlichkeit der Ungarn kennenlernten. Zwei Männer kamen mit Essen in unser Abteil und sprachen uns auf Ungarisch an. Da ihnen nach einiger Zeit klar wurde, dass wir wirklich kein einziges Wort Ungarisch verstehen, rief einer der beiden seine Tochter an. Diese erklärte mir auf Englisch, dass ihr Vater und sein Freund gerne mit uns ihr Essen teilen würden. So kamen wir nachts zwar mit drei Stunden Verspätung, aber gesättigt, in Budapest an. Nach nur vier Stunden Schlaf ging es am nächsten Morgen weiter. Unser Ziel: Miercurea Ciuc (rumänisch)/ Czíkszereda (ungarisch)/ Szeklerburg (deutsch). Dort erwartete uns ein vierwöchiger Sprachkurs. Aber kein Rumänischkurs, wie man normalerweise bei einem Freiwilligendienst in Rumänien erwarten würde. Ich lerne Ungarisch, und dafür kann man sich eigentlich keine geeignetere Stadt als Miercurea Ciuc vorstellen. Diese Stadt liegt im Osten Siebenbürgens, und es wird fast nur Ungarisch gesprochen. So konnten wir unsere neu gelernten Wörter und Sätze direkt anwenden. Ungarisch in Rumänien? Darüber wunderte ich mich zuerst auch, als ich davon in meiner Projektbeschreibung las. Aber dazu gleich mehr. Während unseres Aufenthaltes in Miercurea Ciuc machten wir einen Ausflug zum schönen Lacul Sfânta Ana (rum.)/ Szent Anna-tó (ung.)/ Sankt Anna See. Außerdem besuchte ich die anderen EIRENE- Freiwilligen ein Wochenende bei ihrem Rumänischkurs in Rusciori, einem kleinen Dorf bei Sibiu/Hermannstadt. Ende August ging es dann für Kathi (eine der beiden SoFiA-Freiwilligen) und mich endlich in „unsere“ Stadt Târgu Mureș (rum.)/ Marosvásárhely (ung.)/ Neumarkt am Mieresch. Meine Stadt Târgu Mureș liegt in Siebenbürgen (rum.: Ardeal oder Transilvania; ung.: Erdély) und hat ca. 140.000 Einwohner. Die Hälfte gehört der ungarischen Minderheit, der Szekler (ungarisch: Székely), an. Dadurch hört man neben Rumänisch auch viel Ungarisch auf den Straßen. Die Stadt ist eine der wichtigsten im Szeklerland (Székelsföld). Szeklerland wird der Osten von Siebenbürgen genannt. 1918 wurde Siebenbürgen, das zuvor viele Jahre zu Ungarn gehört hatte, Rumänien zugesprochen. Zu dieser Zeit wurde das Szeklerland von rund 90 % Ungarn bewohnt. Heute leben ca. 1,2 Millionen Ungarisch sprechende Menschen in Rumänien. Die Mehrheit davon lebt im Szeklerland. Zusammen mit Kathi wohne ich in einer schönen kleinen Wohnung in der Nähe des Zentrums von Târgu Mureș. Die Stadt gefällt mir sehr gut. Es gibt schöne kleine Läden, gemütliche Cafés und wenn man mal aus dem Stadtleben raus möchte, gibt es den Zooberg. Hier befindet sich neben dem Zoo, vielen Imbissbuden und Freizeitangeboten für Kinder, auch ein großer Wald. Jeden Sonntag gibt es einen riesigen Flohmarkt am Fluss. Hier kann man wirklich fast alles bekommen, und das Wichtigste ist: hier kann man Kürtőskalács kaufen. Das ist hier eines meiner Lieblingsessen geworden, und einigen von euch wird es unter dem Namen Baumstriezel bekannt sein. rumänisch-orthodoxe Kirche in Târgu Mureș Thaterplatz Meine Einsatzstelle Meine Arbeit besteht eigentlich aus drei verschiedenen Projekten. Meine Hauptarbeit ist im Philothea Klub. Der Philothea Klub ist eine christliche Einrichtung, die schon seit 1994 besteht. Er liegt im Zentrum der Stadt und dort werden verschiedene Programme, vor allem für Kinder und Jugendliche, angeboten. Unter anderem gibt es einen Kinderklub, einen für Jugendliche, einen Filmklub und einen Bibelklub. Zweimal die Woche gebe ich hier Deutschunterricht für Kinder. Zu Beginn haben wir mit Hilfe eines Einstufungstests geschaut, wie viel die Kinder schon können. Nun findet ein Anfänger- und ein Fortgeschrittenenkurs mit jeweils circa 10 Kindern statt. Philothea Klub Dabei bekomme ich Hilfe von einer anderen Freiwilligen aus Deutschland und einem Übersetzer bzw. einer Übersetzerin. Gemeinsam bringen wir den Kindern Grammatik und neue Vokabeln spielerisch bei, und nach einer Tee- und Obstpause basteln wir anschließend mit den Kindern. Das Unterrichten macht mir großen Spaß. Es ist interessant, aber auch schwierig, sich immer wieder neue Spiele und Methoden auszudenken, um den Kindern die Deutsche Sprache näher zu bringen. Neben dem Deutschunterricht gehören auch Putzen und kleine Büroarbeiten zu meinem Arbeitstag. Da bald Weihnachten ansteht und wir eine kleine Weihnachtsfeier haben werden, bin ich nun dabei, ein Krippenspiel, Gedichte und Lieder mit den Kindern vorzubereiten. Am ersten Septemberwochenende verbrachten alle Mitarbeiter, Freiwillige und andere Leute, die etwas mit dem Philothea Klub zu tun haben, ein gemeinsames Wochenende in Bucin (ca. 1 ½ Stunden entfernt von Târgu Mureș). Dort befindet sich ein Haus, was vor allem für Freizeiten genutzt wird. Es wurde viel gesungen, es gab Bibeltreffen und sonntags einen Gottesdienst. Für mich war es eine gute Möglichkeit, alle ein wenig kennenzulernen. Dienstags arbeite ich im Dorcas Haus. Es wurde 1996 gegründet, und heute leben in diesem Kinderheim 12 Jugendliche zwischen 13 und 21 Jahren. Nach einem gemeinsamen Mittagessen helfe ich den Jugendlichen bei ihren Hausaufgaben, lerne mit ihnen für bevorstehende Prüfungen oder wir unterhalten uns einfach, damit sie das Deutsch- und Englischsprechen üben können. Außerdem verkaufen sie selbstgemachte Karten, was eine wichtige Einnahmequelle für sie ist. Für mich ist es noch ein wenig schwierig, eine gute Beziehung zu den Jugendlichen aufzubauen. Ich denke, das liegt vor allem an der Sprachbarriere. Die älteren können zwar ein bisschen Englisch, aber die jüngeren können nur sehr wenig. Im Dorcas Haus sowie im Philothea wird Ungarisch gesprochen, weswegen ich weiter Ungarischunterricht nehme. Zusammen mit meiner Mitbewohnerin habe ich Montagabends Sprachunterricht. Trotzdem kann ich erst wenig auf Ungarisch reden. Es ist wirklich eine schwierige Sprache. Doch ich merke, wie ich jedes Mal mehr von dem verstehe, was die Kinder und Jugendlichen mir erzählen. Das dritte Projekt, in dem ich arbeite, ist das HANNAH- (Hope and nurture – nurture and hope) Projekt. Einmal die Woche gehe ich in das TBC Prevention Centre. Hier leben 24 Kinder zwischen 4 und 13 Jahren, von denen manche selbst Tuberkulose hatten oder deren Eltern sich nicht mehr um sie kümmern können. Nach sechs Monaten Behandlung im Krankenhaus kommen sie in das Prevention Centre, in dem sie das ganze Jahr über leben und auch unterrichtet werden. Die Kinder habe ich sehr schnell in mein Herz geschlossen. Ich werde mit Umarmungen und vielen rumänischen Sätzen empfangen. Auch wenn ich mal den einen oder anderen Satz verstehe, kann ich ihnen leider meistens nicht antworten. Trotzdem freuen sie sich sehr, wenn wir mit ihnen spielen und basteln und haben großen Spaß. Diejenigen, die sich gut benehmen oder besondere Dinge getan haben, bekommen kleine Papierblumen. Mit diesen können sie sich am Ende des Monats bei unserem Basar etwas „kaufen“. Sie können zum Beispiel Spielsachen oder Kleidung erhalten und haben dabei die Möglichkeit, den Umgang mit „Geld“ zu erfahren. TBC Prevention Centre Vor allem durch die Kinder im TBC habe ich gemerkt, dass ich gerne auch Rumänisch lernen würde. Wenn ich Zeit mit ihnen allein verbringe, ist es manchmal schwierig zu verstehen, was die Kinder möchten. Doch zum Glück hilft mir der älteste Junge gerne und erklärt mit Händen und Füßen, dass die jüngeren Kinder ein neues Mandala ausmalen wollen, sich die Hände waschen oder mir ihr gebautes Legohaus zeigen möchten. Ich hoffe aber, irgendwann die Kinder selbst sehr gut zu verstehen und ihnen antworten zu können. Deswegen habe ich dienstags noch Rumänischunterricht. Wie lange ich es zeitlich schaffen werde, zwei Sprachen zu lernen, wird sich noch herausstellen. In Târgu Mureș kommt man sehr gut nur mit Ungarisch weiter. Aber in anderen Städten ist es schwieriger, da meistens nur Rumänisch gesprochen wird. Doch normalerweise können viele wenigstens ein bisschen Englisch. Meine Freizeit In Târgu Mureș sind wir vier Freiwillige. Es ist sehr hilfreich, andere Freiwillige zu haben, mit denen man sich nach einem langen Arbeitstag treffen und reden kann. An den Wochenenden fahre ich oft in andere Städte, denn ich möchte natürlich so viel wie möglich von diesem schönen Land sehen. Wie viele von euch wissen, hatte ich Anfang September Geburtstag. Ich hatte schon ein wenig Bedenken, wie mein Geburtstag hier werden würde. Immerhin war es die zweite Woche in Târgu Mureș, und meine Mitbewohnerin Kathi und ich kannten noch niemanden wirklich. Trotzdem ist der Tag sehr schön gewesen, und am Wochenende danach besuchten mich viele Freiwillige und wir feierten gemeinsam. In der Schlucht Cheile Turzii Rathaus und katholische Stadtpfarrkirche in Sibiu Franziskanerkirche in Csíksomlyó Meine Entsendeorganisation EIRENE ist ein ökumenischer, internationaler Friedens- und Entwicklungsdienst, der seine internationale Geschäftsstelle in Neuwied am Rhein hat. EIRENE ist Träger des Entwicklungsdienstes, des „weltwärts“-Förderprogramms und des Internationalen Jugendfreiwilligendienstes (IJFD). Mehr über meine Entsendeorganisation: www.eirene.org All diese Erfahrungen, die ich hier sammeln darf, meine Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen, mein ganzes Leben hier in Rumänien wären mir ohne eure Hilfe und Unterstützung nicht möglich. Dafür möchte ich mich bei euch ganz herzlich bedanken. Vielen Dank! Mulțumesc frumos! Köszönöm szépen! Ich wünsche euch eine wunderschöne Vorweihnachtszeit, eure Sophia
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