«Seid authentisch, seid ehrlich!»

thema.
kommentar
Die Zukunft ist
in der Höhe
Von Raphael Suter
Der Bau des
Messeturms zu
Beginn des Jahrtausends löste in
Basel noch heftige Diskussionen
aus. Anwohner
ängstigten sich,
der Schattenwurf würde ihre
Lebensqualität beeinträchtigen. Und
die Ästheten ärgerten sich, dass
fortan nicht mehr das Münster,
sondern der damals höchste Turm
der Schweiz das Stadtbild prägt. Für
die einen wurde der über 105 Meter
hohe Turm zum neuen Wahrzeichen
einer fortschrittlichen Stadt, für die
anderen war und blieb er ein Klotz
in der Landschaft.
Im Architekturwettbewerb für den
Messeturm belegte der in Deutschland arbeitende Schweizer Architekt
Max Dudler den zweiten Platz. Seine
Idee war, nicht einen, sondern
gleich drei Türme auf den Messeplatz zu stellen und so eine neue
Skyline zu schaffen. Mit seiner
Vision kam Dudler damals nicht
durch. Die Zeit war erst reif für ein
Hochhaus.
Jetzt steht Basel vor einem Hochhaus-Boom. Max Dudlers Idee wird
von der Wirklichkeit eingeholt.
Gleich mehrere Projekte sollen
realisiert werden. Auf dem Messeplatz bekommt der Messeturm jetzt
doch ein Gegenüber. Den grössten
Turm – nicht nur in Basel, sondern
in der Schweiz – baut Roche. Auf
Das kleinflächige Basel
hat keine andere
Möglichkeit, als in die
Höhe zu bauen.
ihrem eingeengten Firmengelände
ist die «vertikale Verdichtung» die
einzige Lösung, um 1900 Arbeitsplätze unterzubringen. Will die
Stadt internationale Grossunter­
nehmen und notabene beste Steuerzahler halten, müssen solche Hochbauten in Kauf genommen werden.
Turmbauten sind immer auch Symbole der Macht. Die italienischen
Geschlechtertürme wurden durch
Bürobauten multinationaler Konzerne abgelöst. Ihre Architektur ist
ebenfalls Ausdruck der wirtschaftlichen Stärke. Das macht diese Hochhäuser mitunter protzig und unsympathisch. Doch das kleinflächige
Basel hat überhaupt keine andere
Möglichkeit, als seine Zukunft in der
Höhe zu suchen. Nicht nur ökonomische, sondern auch ökologische
Überlegungen sprechen dafür. Wird
in die Höhe gebaut, kann der Grund
wieder begrünt werden.
Trotz guter Argumente für den
Turmbau wünscht sich wohl niemand ein Hochhausgewirr wie in
Manhattan oder Shanghai. So weit
wird es im beschaulichen Basel auch
nicht kommen. Und doch: Die
neuen Hochhäuser verändern das
Stadtbild und markieren gleichzeitig
die sich ebenfalls verändernden
Quartiere rund um die Messe, den
Bahnhof und auf dem Dreispitz.
Basel wird in einigen Jahren ganz
anders aussehen als heute, wo der
gut erhaltene mittelalterliche Kern
immer noch erkennbar ist.
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«Seid authentisch, seid ehrlich!»
Journalist und Medienberater Patrick Rohr macht Unternehmer fit für den Medienauftritt
Von Andrea Fopp, Zürich
Patrick Rohr weiss, wie es ist, in der Öffentlichkeit zu stehen: 15 Jahre lang
war der Journalist und heutige Medienberater für das Schweizer Fernsehen
­tätig, unter anderem moderierte er
«Schweiz aktuell», die «Arena» oder
«Quer». Einmal pro Monat leitet der
43-Jährige noch die «Basler-ZeitungStandpunkte» auf SF 1. In erster Linie
arbeitet Rohr heute aber hinter den Kulissen, indem er seine journalistischen
Erfahrungen weitergibt. Mit seiner
Agentur «Patrick Rohr Kommunikation» in Zürich berät der Coach seit 2007
Unternehmer, Politiker und Vereine im
Umgang mit Journalisten und Medien.
Rohrs Credo: nur wer die Wahrheit sagt,
kann in der ­Öffentlichkeit bestehen.
BaZ: Herr Rohr, Wirtschaftsführer, Unternehmer und Politiker kommen zu Ihnen
ins Medientraining. Haben Sie Angst vor
Journalisten?
Patrick Rohr: Viele Klienten kommen
mit Vorurteilen. Der Grundtenor ist:
«Die Journalisten wollen sowieso nur
einen Skandal, die berichten nur über
Schlechtes.» Ich entgegne meinen
Kunden: Die Journalisten berichten
über das, was von der Norm abweicht.
Denn das ist es, was uns Menschen
­interessiert. Würden die Medien nur
über die Norm berichten, würde niemand die Medienprodukte kaufen.
Aber es gibt unterschiedliche Art und
Weisen, zu berichten. Journalisten wird
vorgeworfen, dass sie Informationen
emotional aufladen, statt sachlich zu
bleiben.
Im Journalismus herrschen zwei Tendenzen: die Personalisierung und die
Skandalisierung. Eine Grossbank wie
die Credit Suisse wird nicht als abstraktes Unter­nehmen dargestellt, sondern über Verwaltungsratspräsident
Urs Rohner oder CEO Brady Dougan.
Die Wirtschaftsführer werden mit
dem Unternehmen identifiziert und
umgekehrt. Das ist Personalisieren.
Und das Skandalisieren?
Seit den 90er-Jahren, seit Beginn der
für viele Menschen nicht fassbaren
Globalisierung, wird gerade das Handeln der Wirtschaft an moralischen
Massstäben gemessen. Es gibt eine
regel­rechte Empörungswelle, vor
­allem in der Schweiz und in Deutschland. Es geht nicht mehr darum, ob
ein Wirtschaftsführer vor dem Gesetz
korrekt handelt, sondern darum, ob
er sich moralisch korrekt verhält.
Wenn etwa die UBS Staatshilfe erhält
und gleichzeitig Boni auszahlt, denken die Menschen «pfui, das ist
­unmoralisch», auch wenn sich die
UBS damit nur an die bestehenden
Ver­träge hält.
«Wenn Leute Vasella
kritisieren, meinen sie
eigentlich den
abstrakten Markt.»
Woher dieses Sündenbock-Phänomen?
Das hat mit den grenzenlosen Exzessen zu tun, die wir in der Wirtschaft
erleben. Wir haben Leute, die mit virtuellen Geschäften, mit Aktien, Wertpapieren, Patentrechten Milliarden
verdienen. Das finden Menschen, die
täglich anständig ihrer Arbeit nach­
gehen, ihren Betrieb haben, jeden
Monat ihre Steuern zahlen und nie
Milliarden verdienen können, unverständlich und unanständig.
gelt auf eine Person ein, also zum
­Beispiel auf Vasella. Die Medien
­katalysieren damit die Gefühle der
Bevölkerung.
Und Sie als Medienberater helfen Unternehmen oder Wirtschaftsleuten, das
Spiel der Personalisierung und der Skandalisierung besser zu spielen? Sind Sie
auch Teil des abstrakten Systems?
eine ungesunde Tendenz fest. Immer,
wenn jemand einen Fehler macht, rufen sofort alle nach dem Rücktritt.
Zum Beispiel beim Bundesrat. Johann
Schneider-Ammann ist erst seit einem
Jahr im Amt – wie viele Male wurde
er schon zum Rücktritt aufgefordert?
Ebenso Eveline Widmer-­Schlumpf,
Ich habe eine tiefe Überzeugung: Nur
wenn man die Wahrheit sagt, kann
man in der Öffentlichkeit bestehen.
Wirtschaftsführern oder Politikern,
die ich coache, vermittle ich eine
Grundbotschaft: Seid authentisch,
seid ehrlich.
Auch in einer Krise?
Ja, gerade in der Krise! Da muss ein
Wirtschaftsführer alles daran setzen,
das Vertrauen der Öffentlichkeit wieder herzustellen. Ich schätze Persönlichkeiten, die hinstehen und sagen:
Ich habe einen Fehler gemacht – auch
wenn ein rauer Wind weht. Nur so
kann man als Wirtschaftsführer
­bestehen. Das Wichtigste in einer
­Krise ist, dass der Firmenchef
hinsteht und zu erfassen versucht: Was lief falsch, was
sind die Konsequenzen, wie
wollen wir
­ eitergehen? Und
w
dass der Chef seine
Verantwortung
übernimmt und ein
allfälliges Verschulden laut und deutlich
bedauert. Das braucht
Empathiefähigkeit.
War es richtig, dass Oswald Grübel
zurückgetreten ist, nachdem herauskam, dass ein Londoner Banker zwei
Milliarden Dollar verzockt hat?
Dass er die Verantwortung übernommen hat, zum Fehler steht,
ist sehr gut. Aber Grübel hat
harte Konsequenzen gezogen.
Er sagt: Ich habe versagt, also
muss ich gehen. Das entspricht wohl seinem Charakter. Ich persönlich finde, er
hätte nicht zwingend sofort
zurücktreten müssen. Er
hätte zum Beispiel das
Invest­mentbanking reduzieren oder gar in ein
Tochterunternehmen
der UBS auslagern können. Das hätte bereits
gezeigt: Ich habe aus
der Betrugsgeschichte
­gelernt und handle
entsprechend.
Vielleicht war die Bank
zu einem solchen
Kahlschlag
nicht
bereit.
Wir können nicht
wissen, was die
UBS-Führung im
Hotel in Singapur
besprochen hat.
Ich stelle in der
Schweiz allerdings
Fühlen sich Unternehmer und Politiker
deswegen gezwungen, in der Öffentlichkeit zu lügen?
Ja, könnte sein. Uns fehlt eine gesunde Fehlerkultur. Wir verhalten uns
nicht grosszügig gegenüber öffentli-
«Uns fehlt eine gesunde
Fehlerkultur, immer
fordern wir den Rücktritt
der Verantwortlichen.»
chen Persönlichkeiten, welche die
Verantwortung für ihre Fehler übernehmen. Doch jeder gute Betrieb predigt: Hey, ihr dürft Fehler machen,
aber gebt sie zu und lernt daraus.
Denn gerade dort, wo
grosser Leistungs- und
Entscheidungsdruck
herrscht, werden auch
Fehlentscheide gefällt.
Bundesräte, zum Beispiel,
übernehmen
grosse
Verantwortung.
Skandalisieren, personalisieren – eine
öffentliche Person
muss viel aushalten
können
vonseiten
der Medien. Sind
Bundesräte
und
Wirtschaftsführer
Freiwild?
Nur, was ihr öffentlich relevantes Handeln angeht. Auch öffentliche Personen haben
ein Recht auf Intimsphäre,
zum Beispiel wenn es um ihre
Gesundheit oder auch ihre Sexualität geht. Aber nicht, wenn private Tätigkeiten Auswirkungen
auf die Arbeit und Glaubwürdigkeit als öffentliche Person
haben. Ein Beispiel: Die «Weltwoche» schreibt, dass Jürgen
Gehrig, BDP-Nationalratskandidat aus St. Gallen, die sexuelle ­Integrität seiner Sekretärin verletzt haben soll. Wenn
die Anschuldigungen stimmen, ist das von öffentlichem
Interesse. Ein Nationalratskandidat muss integer sein, deshalb
­haben die Medien nicht nur das
Recht, sondern die Pflicht, den
Vorwürfen nachzugehen.
Beraten Sie jeden Menschen, der Sie
um Hilfe anfragt?
Nein. Ich musste glücklicherweise
noch nie eine Person oder ein Unternehmen ablehnen, aber ich habe
Grenzen – ich könnte niemandem
helfen, ein Gedankengut zu vertreten,
hinter dem ich nicht stehen kann.
­Politisch ausgedrückt habe ich mit
Personen von links bis ziemlich weit
rechts der Mitte kein Problem.
Soeben erschienen
Patrick Rohr trainiert mit Unternehmern
und Behörden den Umgang mit
der Presse und Social Media. Seine
­Erfahrungen als Journalist und
­Medienberater hat er in seinem
­aktuellen Buch aufgearbeitet. Rohr gibt
konkrete Tipps, etwa, wie man eine
Medien­mitteilung schreibt oder ein
Facebook-Konto pflegt. Dabei
bezieht der Autor aber auch ethische
­Überlegungen mit ein. afo
Skandalisieren ist also auch der Ausdruck eines Unrechtsempfindens?
Ja, und auch der Machtlosigkeit.
Wenn Menschen Kritik an Einzel­
personen üben, meinen sie damit oft
ein abstraktes System. Nehmen wir
die häufig gehörte Kritik am Lohn von
Daniel Vasella. Der Novartis-Chef
hat nicht für sich allein erfunden,
dass er einen Haufen Geld verdient. Es gibt einen Markt und Milliardensaläre für Spitzenleute. Die
Bevölkerung findet das unfair, fühlt
sich aber machtlos gegenüber diesem
abstrakten Markt. Was macht man,
wenn man ohnmächtig ist? Man prü-
ebenso Simonetta Sommaruga. Viel
schlauer wäre es, wenn Personen die
Möglichkeit ­hätten, Fehlentscheide
selber wieder auszubügeln. Damit
müssten sie ­Verantwortung übernehmen. Ausser ­natürlich, es handelt sich
um Betrüger.
Vermittler. Patrick Rohr baut Berührungsängste
gegenüber Journalisten ab. Foto Bert Bulder
­ atrick Rohr:
P
«Erfolgreich präsent in
den Medien. Clever
kommunizieren als
Unternehmen, Verein,
Behörde». Beobachter
Buchverlag, 224 Seiten,
ca. 45 Franken.