Heinz Böwing Bomber, Bunker und Baracken Als der 2. Weltkrieg in

Heinz Böwing
Bomber, Bunker und Baracken
Als der 2. Weltkrieg in die Baumberge kam
Der Versuch einer Rekonstruktion
Titelfoto:
Der "Churchill"-Panzer "Bandit" des britischen Panzerbataillons "Coldstream Guards"
mit aufgesessenen amerikanischen Fallschirmjägern des 1. Bataillons des 513. Fallschirmjäger-Regimentes am Nachmittag des 31. März 1945 auf der Münsterstraße in
Appelhülsen.
© 2015 Heinz Böwing
Autor: Heinz Böwing
Umschlaggestaltung, Illustration: Heinz Böwing
Verlag: Westfälische Reihe, Münster
ISBN: 978-3-95627-397-1 (Paperback)
978-3-95627-398-8 (Hardcover)
Printed in Germany
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Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG ..................................................................................................................... 9
1. TEIL: EIN BOMBER FÄLLT VOM HIMMEL .....................................................14
Das Flugzeug ................................................................................................................................ 14
Die Besatzung der "M'lle Zig Zig" ............................................................................................... 15
Der Morgen des 10. Oktober 1943 ............................................................................................... 19
Der Anflug .................................................................................................................................... 21
Der Absturz ................................................................................................................................... 26
Das Schicksal der Besatzung ........................................................................................................ 39
Der "Unbekannte Amerikaner" .................................................................................................... 50
2. TEIL: BUNKER UND BARACKEN .......................................................................53
Das "Lager Herbstwald" .................................................................................................................. 53
Planung 1941-1943 ........................................................................................................................ 53
Der Bau der Anlage (Januar - Oktober 1944) .............................................................................. 56
Das Kriegsjahr 1944 und die Luftangriffe im Amtsbezirk Nottuln ........................................... 86
Das "Lager Herbstwald" und die V2 ............................................................................................ 121
LETZTE BEFEHLE: DIE KARWOCHE UND OSTERN 1945 ........................... 126
Sonntag, 25. März - Palmsonntag .............................................................................................. 126
Montag, 26. März ........................................................................................................................ 127
Dienstag, 27. März ...................................................................................................................... 136
Mittwoch, 28. März ..................................................................................................................... 139
Gründonnerstag, 29. März ......................................................................................................... 145
Karfreitag, 30. März 1945 ........................................................................................................... 155
Karsamstag, 31. März ................................................................................................................. 187
Der Karsamstag in Appelhülsen................................................................................................ 197
Die Beschießung der Baumberge und der "Kampf um Schapdetten" ..................................... 203
Stevern: Der Amerikaner kommt! ............................................................................................. 210
Weiter nach Münster .................................................................................................................. 215
Ostersonntag, 01. April............................................................................................................... 218
Ostermontag, 02. April ............................................................................................................... 228
Dienstag, 03. April ...................................................................................................................... 238
3. TEIL: VOM "LAGER HERBSTWALD" ZUM "RUSSENLAGER" .............. 241
Freitag, 13. April 1945 – Eröffnung des Lagers ......................................................................... 248
Samstag, 14. April - Julia Palzat, Schicksal einer „Ostarbeiterin“ im Stevertal ...................... 251
Mittwoch, 18. April: Der Überfall auf Stevern .......................................................................... 256
Sonntag, 19. August – Auflösung des Lagers ........................................................................... 278
NACHLESE:................................................................................................................... 280
Feuerwehrschule, Schulbaracke und Sprengstofflager.............................................................. 280
Trümmer und Trichter (1948-1955) ............................................................................................... 289
Bunker für den Kalten Krieg? (1956-1962) ................................................................................... 293
Die Öffnung der "Bunker" durch das THW 1967 ........................................................................ 299
Verfüllung der Hohlräume 1970 ................................................................................................... 308
Letzte Sicherungen (1983-1991) ..................................................................................................... 309
SCHLUSSWORT .......................................................................................................... 311
ABBILDUNGSNACHWEIS: ..................................................................................... 312
ENDNOTENVERZEICHNIS: ................................................................................... 317
Vorwort
Wer wie ich (Jahrgang 1956) in den 1960er Jahren aufgewachsen ist, der hat mit
großer Wahrscheinlichkeit die Kriegserinnerungen seiner Eltern und seiner Familie
mitbekommen.
Egal von welchen Fronten auch immer erzählt wurde, für mich als Kind waren
es unendlich weit entfernte Schauplätze, unwirklich und spannend, unglaublich
und faszinierend zugleich.
Nur selten streuten die Daheimgebliebenen, zumeist unsere Mütter und Großmütter sowie die nicht als Soldat "eingezogenen" Männer, ihre Erinnerungen mit
ein. Erinnerungen an ängstliche Blicke zum Himmel, an Bomberströme, Tiefflieger,
Sirenengeheul und fernen Kanonendonner. Denn während die Soldaten "an der
Front" waren, fiel ihre Heimat Stadt für Stadt in Schutt und Asche.
Und als dann einer dieser feindlicher Bomber, ein "Terrorflieger", wie die deutsche Propaganda sie nannte, auf einem Acker im Stevertal aufschlug, da war das
nicht nur eine Attraktion, sondern auch eine kleine Genugtuung für die Einwohner.
Aber es gab auch noch andere Erinnerungen, verdrängte Erinnerungen. Geschichten, die nur sehr selten, und dann auch nur für Auserwählte und mit vorgehaltener Hand erzählt wurden. Dann war die Rede von "den Russen", die im Baumberg hausten, die die Höfe überfielen, vor denen vor allem die Frauen Angst hatten.
Es war die Rede von gemeinem Mord und von Rache, Folter und Vergewaltigung.
Wer waren diese Menschen, wie und warum lebten sie dort? Was ist aus den
amerikanischen Piloten geworden? Was haben die verschütteten Bunkereingänge
und Barackenfundamente oberhalb der ehemaligen Nottulner Jugendherberge damit zu tun?
Ich habe versucht, mit dem vorliegenden Buch ein klein wenig Licht in diese vergangene und zum Teil auch verdrängte Zeit zu bringen.
Es wird unvollständig und lückenhaft sein, denn viele Fragen werden unbeantwortet bleiben. Viele Zeitzeugen sind bereits für immer von uns gegangen, Ortsarchive wurden "bereinigt" und andere deutsche Quellen sind im Chaos der letzten
Kriegswochen verschollen.
Unmittelbare Zugriffe auf amerikanische und britische Archive sind zwar grundsätzlich auch online möglich, jedoch sind nur wenige Informationen digital verfügbar.
Und so nutze ich als Informationsquelle die Schilderungen von Zeitzeugen und
das stetig wachsende Internet, in dem die Folgegenerationen die Erinnerungen,
Karten und Fotos ihrer Großmütter und Großväter aufbereiten und veröffentlichen.
Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle vor allem bei Karl Kaske, der mir als
Zeitzeuge mit seinen Erinnerungen und seinem Privatarchiv eine unschätzbare
Hilfe war.
Ebenso dem Leiter des Nottulner Gemeindearchivs, Christian Wermert, gilt mein
Dank für seine vielfältige Beratung und Unterstützung.
Aber auch den anderen Zeitzeugen Josef Schürmann, Heinz Schölling, Heinz
Bussmann (Nottuln), Hermann Dunkel, Bernhard Laubrock, Paul Thier, Werner
Reidegeld, Walter Kortüm, Irmgard Holtkamp, Aenne Poppe, Heinz Bussmann
(Stevern), Friedhelm Bodem, Fritz und Josefa Kramer, geb. Rohling, sowie Maria
Schlöter, geb. Kramer, gilt mein Dank für ihre Zeit und Geduld.
Meiner Frau Marlies und meiner Familie danke ich nicht nur für die Zeit und
Geduld, sondern vor allem für ihr Verständnis, wenn ich nicht immer im Hier und
Jetzt war.
Nottuln, im Herbst 2015
Heinz Böwing
Einleitung
Wer heute seinen Spaziergang durch die Baumberge am Parkplatz oberhalb des
Hotel-Restaurants "Steverburg", der ehemaligen "Annette-von-Droste-Hülshoff-Jugendherberge", beginnt und dem Wirtschaftsweg bergab folgt, dem fallen schon
nach wenigen Schritten auf der linken, der Bergseite, alte Fundamente und drei verschüttete Stolleneingänge auf. Und auch auf der gegenüberliegenden Wegeseite
weisen Betonreste auf eine gänzlich andere Nutzung des Waldgeländes hin.
Gesprengt, zugemauert und eingefallen verraten sie nichts über ihre Zweckbestimmung, auch ihr Alter und ihre Erbauer bleiben dem Spaziergänger und Erholungssuchenden rätselhaft und verschlossen.
Warum diese Bunker in den Baumbergen? Wann und warum sind sie entstanden? Wer hat sie genutzt? Was ist daraus geworden?
Abb. 1: Die Jugendherberge in den Baumbergen.
Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir uns in die Zeit des 2. Weltkrieges
zurück versetzen.
In den 1940er Jahren besteht der Spazierweg unter unseren Füßen aus dem Material der Baumberge, aus Sandstein. Große und kleine "Bruchsteine" aus den in der
Nähe liegenden Steinbrüchen, fein säuberlich verlegt, kennzeichnen diesen damals
bedeutenden Weg vom Stevertal in die Baumberge.
Viele der Buchen rechts und links sind noch jung und klein, die meisten erst Ende
des Ersten Weltkrieges gepflanzt. Der Krieg ist noch weit weg, obwohl bereits die
ersten jungen Männer aus Nottuln und den umliegenden Bauerschaften
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gefallen sind oder vermisst werden. Aber der zunehmende Luftkrieg verängstigt
die Bevölkerung der Baumberge-Gemeinden immer mehr.
Bereits 1942 haben britische Bomber einzelne Gehöfte in der näheren Umgebung
durch willkürlich, zumeist im sog. "Notwurf" abgeworfene Bomben ganz oder teilweise zerstört. Nacht für Nacht fliegen die englischen Bomber nach Osten, um ihre
todbringende Fracht über den deutschen Städten abzuladen. Genauso wie es die
deutschen Bomber über den englischen Städten vorgemacht haben.
Schon früh werden sie dabei von einem "Freya"-Funkmessgerät erfasst, das auf
dem Longinusturm unter dem Tarnnamen "Münchhausenstellung" installiert ist
und von einer Luftnachrichtenstaffel des Luftnachrichten-Regiments 2 (Kaserne
Loddenheide bei Münster-Gremmendorf) bedient wird.1
Dessen Messdaten über Anflugrichtung, Flughöhe und Kurs sind die Grundlage
für die Luftabwehr und die Alarmierung der Nachtjagdstaffeln u. a. aus Rheine und
Handorf. Und aus den Lautsprechern der häuslichen Radioempfänger hören die
Bewohner der Baumberge-Gemeinden die Warnmeldungen des deutschen Luftlagesenders „PRIMADONNA“: "Achtung – Achtung! PRIMADONNA meldet: Dicke
Autos in Ida Paula 3": (Schwere Bomber im Planquadrat Nottuln!) 2
Abb. 2: Handskizze der Planquadrateinteilung des Münsterlandes.
Planquadrat „IP“ befindet sich in der linken Mitte, der Ausschnitt „IP 3“ (Nottuln) darin rechts oben.
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Vom Boden aus suchen die Lichtfinger der deutschen Flakscheinwerfer fieberhaft den Himmel ab, um eines der Flugzeuge für die Flakkanoniere der Mecklenbecker und der Nienberger Großbatterien zu markieren.
Und wer Richtung Südwesten schaut, sieht die Scheinwerfer und das Mündungsfeuer der Dernekämper Flak in Dülmen, die das dortige Tanklager schützen
soll. Auch die vier riesigen Lichtsäulen der Nottulner Scheinwerferbatterie in ihrer
Stellung auf dem Nottulner Berg leuchten auf.
Zwischen dem Uphovener Weg und der Kreithegge, von Flakhelferinnen aus
dem Stuttgarter Raum bedient, suchen sie bei Alarm den Himmel ab. Unterstützt
werden sie von weiteren Scheinwerfern, die u.a. vor Schapdetten, oberhalb der sog.
"Hexenkuhle", und am Bahnübergang zwischen Natrup und Masbeck liegen. Alle
Stellungen sind per Kabel und Funk miteinander und mit den jeweiligen Flakbatterien verbunden.
Wenn die Rundfunkmeldungen und die Sirenen den Fliegeralarm ankündigen,
suchen viele Steveraner Schutz in ihren Kellern oder in selbst gebauten Erdbunkern,
um wenigstens vor Bombensplittern geschützt zu sein. Einer dieser Unterstände ist
am Hof Hesselmann-Hartz, unmittelbar neben dem Ehrenmal des Schützenvereines in Stevern, erhalten geblieben.
Zeitzeuge Heinz Bussmann, geb. Bünker (Nottuln-Stevern):
„Für uns Steveraner gab es zwei Arten von "Fliegeralarm". Es gab den inoffiziellen
"Kleinen Alarm" und den offiziellen "Fliegeralarm".
Der "Kleine Alarm" wurde vom Bauern Berthold Schulze Westerath ausgelöst. Er hatte
ein Signalhorn, ähnlich wie man es zur Warnung vor Sprengungen benutzt, und warnte
nachts die Einwohner weithin hörbar vor der herannahenden Gefahr.
Vermutlich hörte er den deutschen Luftlagesender "PRIMADONNA" ab und
konnte die dort angegebenen verschlüsselten Kartenangaben anhand einer Karte
zuordnen. "Dicke Autos in JP3", siehe Abbildung 1.
Er fuhr sogar mit seinem Fahrrad bis hier oben Richtung Uphoven und ließ seinen Warnton auch dort hören.
Dieser "Stille Alarm" bedeutete für uns, in den Keller zu gehen. Dort blieben wir etwa
eine oder zwei Stunden, bis sich die Lage wieder beruhigt hatte.
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Abb. 3: Das Signalhorn für den Fliegeralarm.
Heinz Bussmann erzählt weiter:
"Beim offiziellen Fliegeralarm, der durch die großen Sirenen weithin hörbar war, suchten
wir Schutz in unserem Erdbunker, den wir gemeinsam mit der Nachbarfamilie Schlichtmann gebaut hatten und auch gemeinsam benutzten.
Das war ein Erdloch von etwa 4 x 5 m Größe und etwa 2 m Tiefe, wobei etwa ein halber
Meter oberirdisch sichtbar war. Mit Brettern ausgekleidet, mit Baumstämmen und Erde
überdeckt, sollte er uns zumindest einen Splitterschutz geben, einen Volltreffer hätten wir
natürlich nicht überlebt. An den Innenseiten waren Bänke eingebaut, auf denen wir dann
ziemlich eng beieinander saßen, und ich habe heute noch den Geruch der Angst meiner Mutter in Erinnerung, die ihre beiden jüngsten Kinder eng an sich drückte.
August Rönnebäumer hatte sich auch einen Erdbunker gebaut, der lag zwischen dem
Wohnhaus und der ehemaligen Schmiede, etwas abseits in der Obstwiese.“ 3
Von 1940 bis Ende 1942 sind es diese nächtlichen Alarme und Bombenangriffe,
die den Krieg ins Münsterland hineintragen.
Ab Ende Januar 1943 beginnt dann zusätzlich die 8. US Luftflotte mit ihren "Fliegenden Festungen" von England aus ihre Tagesangriffe auf die deutschen Städte.
Damit sind nun Tag und Nacht die Bomberpulks über den Baumbergen zu hören
und zu sehen. Zwar in großer Höhe, aber niemand weiß genau, wann und wo sie
ihre todbringende Last abwerfen.
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Als dann am Sonntag, dem 10. Oktober 1943, kurz nach 15 Uhr nachmittags ein
amerikanisches Flugzeug vom Typ B-17 ("Fliegende Festung") auf dem Gemeindegebiet Nottuln im Stevertal, ca. 400 m südlich der Gastwirtschaft Elfers am sogenannten "Middelsten Weg", abstürzt, ist das, wie sich später zeigen wird, für Stevern ein entscheidendes Ereignis.
Der viermotorige Bomber ist gemeinsam mit 273 anderen Maschinen auf dem
Weg zu einem Bombenangriff auf Münster und wird noch auf dem Hinflug von der
Flugabwehr (Flak) und von angreifenden deutschen Jagdflugzeugen beschossen
und getroffen, schert schwer beschädigt aus dem Verband aus und stürzt schließlich ab. Zehn der elf Besatzungsmitglieder können sich mit dem Fallschirm retten,
einer der Flieger aber wird bereits 15 Minuten vor dem Absturz über dem Rhein bei
Wesel von den Splittern einer in der Nähe des Flugzeugs explodierenden Flakgranate tödlich getroffen. Seine Leiche befindet sich noch im Flugzeug, als es auf dem
Boden aufschlägt.
Sei es als amerikanischer Bombenschütze oder als verängstigter Einwohner und
Beobachter "am Boden", dieser 10. Oktober 1943 hat das Schicksal vieler Menschen
nachhaltig verändert. In Münster und im Stevertal genauso wie in
Tulsa/Oklahoma, dem Heimatort des getöteten Fliegersoldaten, und in den anderen Orten in den USA, wo die Familien auf Nachricht ihrer zunächst vermissten
Angehörigen warten.
Durch den Absturz des Flugzeugs hält der 2. Weltkrieg nun unmittelbar seinen
Einzug ins Stevertal.
Denn nach diesem verheerenden Tagesangriff auf Münster wird den dortigen
Befehlshabern der militärischen Verwaltungsbehörden des Wehrkreises VI endgültig klar, dass sie den Bombenangriffen schutzlos ausgeliefert sind. Also bekommt
das Generalkommando des VI. Armeekorps unter dem Tarnnamen "Lager Herbstwald" sein bombensicheres Ausweichquartier in den Baumbergen!
Kaum sind also die Trümmer des abgestürzten Bombers beseitigt, beginnen
deutsche Pioniere mit dem Bau der Luftschutzstollen und Baracken oberhalb der
Jugendherberge.
Und letztendlich sind es diese Bunker und Baracken, die nach dem Ende der
Kampfhandlungen im Münsterland Vergewaltigung, Folter und Mord ins Stevertal
bringen und mehrere Menschen das Leben kosten!
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1. Teil: Ein Bomber fällt vom Himmel
Das Flugzeug
Bei dem in Stevern abgestürzten Flugzeug handelt es sich um eine Boeing B-17 F
der 8. US Luftflotte (8. USAAF). Der Bomber fliegt in der 418. Bombardment Squadron (418. BS / Bomberstaffel) in der 100. Bombardment Group (100. BG), die wiederum zur 13. Bombardment Wing (13. BW / Geschwader) in der 3. Bombardment
Division (3. BD) gehört. 4 Die Maschine mit der Seriennummer 42-30830 wird im
Boeing-Werk in Cheyenne, USA gebaut und dort am 4. August 1943 fertiggestellt.
Nach der Flugerprobung kann der Bomber am 28. August auf dem Luftweg zum
englischen Einsatzflugplatz Thorpe Abbots, die sog. "Station 139", in Norfolk, nordöstlich von London überführt und dort an die 100. BG ausgeliefert werden. Hier
erhält das Flugzeug mit der Kennung 418 LD-U auch seinen etwas anzüglichen Namen: "M'lle (Mademoiselle) Zig Zig", was frei übersetzt etwa "Leichtes Mädchen"
bedeutet. Auf dem riesigen Leitwerk werden die Erkennungszeichen der Maschine
mit weißer Farbe weit sichtbar aufgemalt: Das große "D" gehört der 100. BG, darunter die Seriennummer "230830" und darunter die Flugzeugkennung "U". 5
Die B-17 ("Flying Fortress" / "Fliegende Festung") ist mit einer Länge von knapp
23 m und einer Flügelspannweite von fast 32 m eines der größten Flugzeuge ihrer
Zeit. Angetrieben von 4 Motoren mit zusammen 4860 PS erreicht der beladene Bomber eine Marschgeschwindigkeit von 260 km/h und eine Angriffsflughöhe von fast
8.000 Metern. Außer den (normalerweise) 10 Besatzungsmitgliedern, den 12 Browning MGs vom Kaliber .50 (12,7 x 99 mm) und 7500 Schuss Munition, trägt es standardmäßig 12 Sprengbomben a` 250 kg (die sog. "Fünf- Zentner-Bomben") zum Ziel
und wiegt dann knapp 30 Tonnen!
Der Flug am 10. Oktober ist der siebte und letzte Einsatz des gerade einmal zwei
Monate alten Flugzeugs, und für die Besatzung ist nach der Gefangennahme der
Krieg beendet.
Abb. 4: B-17 F der 3. Bomber Division.
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Abb. 5: Die "M'lle Zig Zig" ( 2. von oben) am 17.8.1943 auf dem Weg nach Regensburg.
Die Besatzung der "M'lle Zig Zig"
Bei der Besatzung der "Mademoiselle Zig Zig" handelt es sich um die sog. "Crew
Nr. 32" des 1st Lieutenant (Oberleutnant) John D. Brady, die sogenannte "BradyCrew". Sie ist seit dem 26. Juni 1943 zusammen und fliegt an diesem Tag ihren 18.
Einsatz. 6 In den Wochen zuvor haben sie Hamburg, Kiel, Hannover, Kassel, aber
auch Trondheim, Paris, Lille, Bordeaux und zuletzt Emden und Hanau am 27. September und am 4. Oktober bombardiert. Dieser 18. und dann noch sieben Einsätze,
dann haben sie die magischen 25 Einsätze hinter sich und der Heimaturlaub kommt
in greifbare Nähe!
Kurz vor dem Einsatz sind der Navigator und der Funker ausgefallen, deren
Plätze werden daher von zwei Ersatzmitgliedern eingenommen.
Einer mehr als sonst!
An diesem 10. Oktober 1943 ist die "M'lle Zig Zig" nicht wie üblich mit 10, sondern mit 11 Besatzungsmitgliedern unterwegs. Zusätzlich zu den regulären Besatzungsmitgliedern hat sich der Staffelkapitän der 418. Bomberstaffel, Major John C.
"Bucky" Egan, überraschenderweise selbst für den Flug eingeteilt.
Major Egan ist am Freitagabend (8. Oktober) zu einem Wochenendurlaub nach
London aufgebrochen und erfährt am Samstagmorgen beim Frühstück in seinem
Hotel, dass sein bester Freund Major Gale W. "Buck" Cleven von einem Einsatz über
Bremen nicht zurückgekehrt ist.
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Nach den Aussagen der überlebenden Besatzungen über den Absturz der Maschine muss er vom Tod seines Freundes ausgehen. Dass Major Cleven den Abschuss überlebt hat, kann Egan nicht ahnen - er ist voller Rachegefühle und will
unmittelbare Vergeltung für seinen Freund!
Sofort bricht er seinen Wochenendurlaub ab und fährt zurück zum Stützpunkt
Thorpe Abbots, wo er den Kommandeur der 100. BG, Colonel "Chick" Harding, um
die Erlaubnis bittet, den nächsten Einsatz der "Blutigen 100", wie man die 100. BG
wegen ihrer hohen Verluste nennt, mitfliegen zu dürfen. Anschließend weckt er
Captain Brady und sagt ihm: "Ich fliege mit euch - wir kriegen die Bastarde, die
Buck erwischt haben!"
Und so nimmt Major Egan am nächsten Morgen als Führungsoffizier der 100. BG
in der "M'lle Zig Zig" auf dem Sitz des Co-Piloten Platz, während sich Co-Pilot Hoerr mit dem Notsitz ("jump seat") unterhalb des Cockpits zufrieden geben muss.
Und dem Piloten Captain Brady kommt somit völlig unerwartet die Aufgabe zu, in
der Führungsposition zu fliegen. Für ihn ist es das erste Mal, und er fühlt sich gar
nicht wohl in seiner Haut. 7
Abb. 6: Bild der "Brady-Crew" vom 30. Juli 1943 nach ihrem 9. Einsatz gegen Kassel.
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Im Einzelnen fliegen in der "M'lle Zig Zig": (siehe Abb. 6)
1) Major John C. Egan, Staffelkapitän und Kommandant (nicht im Bild)
2) 1st Lieutenant John L. Hoerr, Co-Pilot
(Vordere Reihe, 1. von links)
3) Captain John D. "Bucky" Brady, Pilot
(Vordere Reihe, 2. von links)
4) 1st Lieutenant Howard B. "Hambone" Hamilton, Bombenschütze
(Vordere Reihe, 3. von links)
5) 1st Lieutenant David Solomon, Navigator, als Ersatz für Harry Crosby
(nicht im Bild)
6) Technical Sergeant (T/Sgt.) Joseph Earl Hafer, Funker
als Ersatz für Saul Levitt (nicht im Bild)
7) Staff Sergeant (S/Sgt.) James A. McCusker, Heckschütze
(Hintere Reihe, 2. von links)
8) S/Sgt. Adolph Blum, Flugtechniker u. Schütze im oberen Turm
(Hintere Reihe, 3. von links)
9) S/Sgt. George J. Petrohelos, rechter Rumpfschütze
(Hintere Reihe, 4. von links)
10) S/Sgt. Roland D. "Roly" Gangwer, Schütze in der Bodenwanne
(Hintere Reihe, 5. von links)
11) S/Sgt. Harold E. "Gene" Clanton, Techniker und linker Rumpfschütze
(Hintere Reihe, 6. von links)
17
Die Positionen der Besatzung im Flugzeug
Abb. 7:
Vorgeschriebene Absprung-Wege für den Notfall
Abb. 8:
18
Der Morgen des 10. Oktober 1943
Über diesen ersten Tagesangriff auf Münster gibt es eine Vielzahl deutscher und
amerikanischer Veröffentlichungen, die Absicht, Verlauf und Auswirkungen dieses
Angriffes aus zumeist militärischer Sicht und aus -natürlich- unterschiedlichen
Blickwinkeln schildern und die auch hier ihren Niederschlag finden. Darüber hinaus sind es aber auch die Erlebnisse der Menschen, die diesen denkwürdigen Nachmittag durchlebt und miterlebt haben, die es zu schildern gilt. Sei es als amerikanischer Pilot, als deutscher Jagdflieger oder als verängstigter Einwohner und Beobachter "am Boden".
Als am Morgen des 10. Oktober 1943 im Osten Englands die Sonne aufgeht, liegt
noch dichter Nebel über dem Flugplatz von Thorpe Abbots, aber die Wettervorhersage spricht von der Auflösung des Nebels noch am Vormittag und es soll ein sonniger und warmer Sonntag werden. Für die Besatzungen der 100. BG wird es kein
freier Sonntag sein, denn für 07:30 Uhr ist eine Einsatzbesprechung angesetzt. Wecken um 03:30 Uhr, Frühstück ab 05:00 Uhr. Nach dem Frühstück werden sie informiert:
"Das heutige Ziel heißt Münster, ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt zwischen den Häfen an der Nord- und Ostseeküste und dem Ruhrgebiet.“ beginnt der Aufklärungsoffizier
Major Miner Shaw das "Briefing" für die Besatzungen. „Jeden Tag und jede Nacht rollen hier Hunderte von Tonnen wichtiges Kriegsmaterial aus den Fabriken im Ruhrgebiet zu
allen Fronten im Westen, Norden, und Osten.
Aber Ihr heutiger Angriff wird anders sein, ganz anders!
Im Unterschied zu allen militärischen und industriellen Zielen, die Sie bisher angegriffen
haben, werden Sie heute das Zentrum der Stadt angreifen und bombardieren, die Häuser
und Wohnungen der Bahnarbeiter!
Sie werden damit das Leben dieser Menschen so vollständig und nachhaltig verändern,
dass ihre Moral und ihr Wille, weiter zu kämpfen, für immer gebrochen werden!“ 8
Anschließend gibt er die Formationen, Flughöhen, Kurswerte, Funkkanäle, Angriffs- und Zielzeiten bekannt. Navigatoren beginnen zu rechnen und Piloten machen sich mit den Karten vertraut. Es soll ein kurzer und einfacher Angriff werden:
Abflug gegen 11 Uhr, Bombenabwurf um 15 Uhr, Rückkehr um 17 Uhr und für
Begleitschutz ist ebenfalls gesorgt.
Für die Besatzungen ist es das erste Mal, dass sie bewusst bewohntes Gebiet bombardieren sollen, noch dazu an einem Sonntag. Viele fühlen sich nicht wohl in ihrer
Haut, für andere ist es ein Einsatz wie jeder andere auch.9
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Der Bombenschütze der "M'lle Zig Zig", Leutnant Hamilton, der keine acht Stunden später an seinem Fallschirm in einem Baum oberhalb der "Stever" hängen wird,
erinnert sich an die Einsatzbesprechung:
"Zu jener Zeit war ich ein sehr junger Mann und glaubte, dass es meine Aufgabe sei, den
Krieg wenn möglich gewinnen zu helfen. Ich war während eines Urlaubs in London selbst
ausgebombt worden und hatte die Folgen der rücksichtslosen deutschen Bombenangriffe am
eigenen Leib verspürt. (…) Das grundlegende Problem bei dem Versuch, ein Eisenbahnsystem [Münster] mit Bomben lahmzulegen, besteht darin, dass, wenn genügend Arbeitskräfte
verfügbar sind, Eisenbahnschienen kurzfristig repariert werden können. Man sagte uns,
dass das Bombardieren der Wohnungen der Eisenbahnarbeiter den Zweck verfolge, den
Deutschen die Leute wegzunehmen, die die Reparaturen ausführen." 10
Gegen 10:30 Uhr besteigen die Besatzungen der 100. BG ihre Maschinen. Es sind
drei Staffeln mit je sechs B 17-Bombern, insgesamt also 18 Flugzeuge. Alle machen
sich für den Flug bereit. Motoren laufen warm, die Flugzeuge reihen sich an der
Startbahn auf und warten auf die Startfreigabe. Um 11:10 Uhr schiebt der Pilot Captain Brady die Gashebel nach vorne. Die "M'lle Zig Zig" als Führungsflugzeug der
100. Bombergruppe rollt als erste zum Start und hinter ihr kommen die anderen 17
Bomber, um im 30-Sekunden-Takt abzuheben. Es dauert mehr als zwei Stunden, bis
alle 274 Bomber für diesen Angriff versammelt sind und sich in der vorgegebenen
Höhe und Reihenfolge formiert haben. Richtung Südosten geht der Flug auf die
englische Küste zu, die die "M'lle Zig Zig" als führende Maschine der 100. BG um
13:50 Uhr bei Felixstowe passiert.
Zu diesem Zeitpunkt hat die deutsche Radarüberwachung in Stade den verschiedenen Jagdgruppen an der Küste bereits eine Angriffs-Vorwarnung übermittelt, die
von den Kontrollposten an der holländischen Nordseeküste um 13:23 Uhr eingeht.
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Das erste der insgesamt sechs Geschwader der 1. Welle besteht aus der 95. BG,
der 390. BG und der 100. BG, die um 15:03, 15:04 und 15:05 Uhr ihre Bomben über
Münster abwerfen sollen. Sie fliegen gestaffelt in verschiedenen Höhen, wobei die
100. BG in 7100 m die niedrigste Flughöhe hat. Gemeinsam mit den Flugzeugen der
zweiten Welle formiert sich so ein Bomberstrom von 120 km Länge. 12 Bereits über
dem Ärmelkanal brechen fünf der 18 Bomber der 100. BG den Anflug wegen technischer Probleme ab, was für den verbleibenden Rest eine erhebliche Schwächung
der eigenen Abwehrkraft bedeutet. 13 Dass von diesen 13 Flugzeugen nur eines zurückkehren wird, kann zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen. Es soll die bis
dahin erbittertste und verlustreichste Luftschlacht des Krieges werden.
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