1 José Manuel González Arruga – Bürgermeister von San Mateo de

José Manuel González Arruga – Bürgermeister von San Mateo de Gállego (Aragón/
Spanien)
Spanien und die Europäische Union
Beitrag im Rahmen der internationalen Kontakt- und Begegnungswoche vom 23. bis
29.8.2015 in Sinzing (Lkrs. Regensburg)
Übersetzung: Annalena Schmidt
(gekürzter Text)
Der Weg Spaniens in die Europäische Union (EU) ist eng verbunden mit der Rückkehr
unseres Landes zur Demokratie. Im Jahre 1977 stellte Spanien den Beitrittsantrag,
welcher zum 01. Januar 1986 vollzogen wurde. Demokratie und Europa sind die
beiden Schlüsselkonzepte zum Verständnis der Entwicklung unseres Landes in den
vergangenen 30 Jahren.
Der Beitritt brachte angesichts der damit verbundenen Forderungen nach
weitreichenden wirtschaftlichen Anpassungen auch Schwierigkeiten mit sich. Dessen
ungeachtet folgte unser Land entschlossen dem europäischen Pfad und führte
bedeutende Reformen durch, welche unsere gesamte Gesellschaft gefestigt haben.
Im Juni 1989 schloss sich Spanien dem europäischen System einheitlicher
Wechselkurse an. Die Unterzeichnung des Schengen-Abkommens im Juni 1991
verlieh den spanischen Integrationsbemühungen weiteren Ausdruck.
Dem Vertrag von Maastricht 1992 verdankt die EU ihre heutige Bezeichnung und
Gestalt. Im selben Jahr schufen die Mitgliedstaaten den sogenannten Kohäsionsfonds
für Projekte in den Bereichen Umwelt, Infrastruktur und Energie, der für Länder
bestimmt war, deren Einkünfte unterhalb der 90-Prozent- Marke des Durchschnitts
der übrigen Mitgliedsländer lagen. Infolgedessen erhielt Spanien, neben Mitteln aus
anderen Strukturfonds, wertvolle Unterstützung zur wirtschaftlichen Revitalisierung
und regionalen Entwicklung.
Während des spanischen EU-Vorsitzes verständigte man sich im Dezember 1995 in
Madrid auf die Bezeichnung „Euro“ für die gemeinsame europäische Währung.
Spanien wurde so als Gründungsmitglied Teilhaber des neuen europäischen
Währungssystems, welches die wirtschaftliche Integration aller Mitgliedsstaaten zum
Ziel hatte.
In den Folgejahren lieferte Spanien wichtige Beiträge auch in anderen
Politikbereichen, z.B. zu den Themen Staatsbürgerschaft, kulturelle und sprachliche
Vielfalt, Zusammenarbeit der Justiz oder Kampf gegen den Terrorismus. Auf dem
außenpolitischen Sektor profilierte sich Spanien besonders mit Blick auf die
1
Beziehungen zu Lateinamerika und zu den südlichen Anrainerstaaten des
Mittelmeeres.
Die EU ist zum natürlichen Rahmen der weiteren politischen und wirtschaftlichen
Entwicklung unseres Landes geworden. Spanien wird auch zukünftig Verantwortung
übernehmen, um die EU noch effizienter, demokratischer und bürgernaher zu
gestalten. Nur so ist die EU für die Herausforderungen des neuen Jahrhunderts
gewappnet.
REFLEXIONEN ÜBER EUROPA
Vor 30 Jahren, kurz vor Unterzeichnung der Beitrittsverträge Spaniens und Portugals
in Madrid, befürworteten viele Zeitungen geradezu euphorisch den großen Sprung
nach vorne, den Spanien zu unternehmen im Begriff war.
Die Presse fand jedoch auch mahnende Worte. Eine ideologische Verklärung der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die doch letzten Endes auf harten
wirtschaftlichen Realitäten und erbitterten Interessenkämpfen basiert, könnte morgen
zur Frustration diejenigen führen, die heute überzogene Erwartungen nährten.
30 Jahre später lässt sich beurteilen, inwieweit sich diese Besorgnisse für die Spanier
tatsächlich bewahrheitet haben: Die Mängel der EU sind nicht dazu missbraucht
worden, das europäische Projekt an sich in Frage zu stellen, sondern wurden zum
Ansporn für Fortschritt und verstärkte Integrationsbemühungen. Nach 30 Jahren
bildet der Euroskeptizismus in Spanien eher ein Phänomen der politischen Forschung
als eine ernstzunehmende politische Kraft. Das ist bemerkenswert angesichts der
Entwicklung in den meisten EU-Gründungsstaaten, in denen der Euroskeptizismus
zunehmend an Boden gewinnt.
Die Gründe dieses tief verwurzelten Bekenntnisses zur EU sind vielfältig. Zum einen
profitierte Spanien in hohem Maße vom Gemeinsamen Markt der EU (Regionalpolitik,
Handelspolitik, Investitionsfonds). Auf manchen Sektoren entwickelte sich Spanien
zum Weltmarktführer, z.B. im Tourismus und bei den erneuerbaren Energien. Die
noch immer spürbare Wirtschafts- und Finanzkrise darf und soll den
außerordentlichen wirtschaftlichen Erfolg Spaniens, der dem EU-Beitritt zu verdanken
ist (Versechsfachung des Bruttoinlandsprodukts seit 1985), nicht in den Schatten
stellen. Ebenso jedoch sahen die Spanier ihre europäische Berufung im Übergang zur
Demokratie. Nicht weniger wichtig als der freie Waren– und Kapitalverkehr war ihnen
der freie Personenverkehr, die Pressefreiheit, der Kampf gegen Diskriminierung, die
Gleichheit und Solidarität.
Im Gegenzug konnte Spanien anderen Mitgliedstaaten als Vorbild dienen bei Themen
wie der Vereinbarkeit von Terrorismusbekämpfung und Wahrung der bürgerlichen
Freiheiten, dem europäischen Staatsbürgerrecht, der Integration von Migranten und
Minderheiten (z.B. der Roma-Bevölkerung) und der nachhaltigen und
2
zukunftsträchtigen Beziehungen zu den lateinamerikanischen und karibischen
Ländern.
Die positive Bewertung der 30-jährigen Beziehung zwischen Spanien und der EU soll
vorhandene Probleme nicht beschönigen. Ist etwa jeder zehnte Europäer arbeitslos,
so doch jeder fünfte Spanier. Insbesondere die Situation der Jugend ist sehr
besorgniserregend. Dabei geht es nicht nur um den Mangel an Arbeitsplätzen, der an
sich schon beunruhigend ist, sondern auch um die Qualität der neu geschaffenen
Arbeitsmöglichkeiten. Wir haben unser Wirtschafts- und Finanzwesen reformiert, aber
es muss noch viel mehr getan werden, um sicherzustellen, dass Europa tatsächlich für
jedwede unvorhersehbare Krise in der Zukunft gewappnet ist. Die aktuelle
Flüchtlingskrise stellt eine Herausforderung dar, bei der sich ökonomische und
Menschenrechtsgesichtspunkte auf schwierige Weise verknüpfen.
EUROPA UND SAN MATEO DE GÁLLEGO
30 Jahre sind seit unserem Beitritt zur EWG vergangen. Wie können wir dessen
Auswirkungen auf unser kleines aragonisches Dorf zusammenfassen? Die
Europäisierung hat sich in unserer Gemeinde in zweierlei Hinsicht vollzogen. Zunächst
in Form von Anschub und Ausbau unserer sozialen, bildungspolitischen und
wirtschaftlichen Strukturen, die uns hervorragende Zukunftsperspektiven für das 21.
Jahrhundert eröffneten. Mit den Zuwendungen aus den Kohäsionsfonds konnte San
Mateo in alle Stufen des öffentlichen Bildungssystems (Kindergärten, Primar- und
Sekundarstufe, Berufsbildung) investieren. Die Gründung unseres ersten
Gewerbegebiets „Río Gállego 1“ bedeutete einen großen Wandel für unsere
Gemeinde, deren Einkünfte traditionell auf Landwirtschaft, Viehzucht oder
Dienstleistungen fußten. Die Ansiedlung moderner Unternehmen mit europäischer
Reichweite aus den Sektoren Umweltschutz und Gebäudeklimatisierung wurde durch
Förderfonds wie FEDER unterstützt.
Europa ermöglichte uns auch den Schutz unseres Kulturerbes. Mit europäischen
Geldern konnten wir unsere Pfarrkirche, ein Juwel der aragonesischen Mudejar-Kunst,
restaurieren. Das Thema Umweltschutz folgte ebenso europäischen Anstößen. In der
Vergangenheit hatten wir unseren Namensgeber, den Fluss „Gállego“, sehr
vernachlässigt. Durch planmäßige Reinigung von Abfallstoffen konnte sich der Fluss
ökologisch erholen und die Bewohner San Mateos sich an seinen sauberen Ufern
erfreuen. Projekte wie „Life+ Green Deserts“ ließen wieder grüne Hoffnung in einem
der größten Wüstengebiete Südeuropas sprießen. All das war und ist Europa für San
Mateo: Zukunft, Fortschritt, Engagement, soziale Gerechtigkeit und
Chancengleichheit.
Zum anderen offenbart sich die Europäisierung im Zusammenleben der europäischen
Völker und deren Verständigung. Im Grunde ist es das, was wir hier heute bei dieser
Begegnung erleben: das wirkliche Herz Europas, das Beisammensein und sich Kennen
lernen seiner Bevölkerung.
3
Europa ist die Zukunft und zwar gerade dann, wenn uns die Wirtschaftskrise schwer
zusetzt und Sorgen bereitet. Unsere Antwort auf alle Unsicherheiten muss
überzeugend sein. Mehr Europa der Völker und mehr Solidarität, da wir bewiesen
haben, dass wir gemeinsam stärker sind. Letztlich eine europäische Heimat, die - wie
der Text der inoffiziellen Hymne Aragons - „Freiheit verheißt“.
4