Verfahrenstechnik Prof. Dr.-Ing. Paul Uwe Thamsen; Raja Abou Ackl; Mareen Derda; Andreas Swienty Bier richtig einschenken! – Vorbild für Abwasserpumpschächte Das Zapfen von Bier könnte als Vorbild dienen – die richtige Zuströmtechnik ist auch bei Abwasserpumpschächten von großer Bedeutung. D eutschland ist bekannt als Land der 1.000 Biere und natürlich gehört das richtige Einschenken von Bier zu einem beliebten Kulturgut: Das frisch ausgespülte Glas werde zunächst in einem Winkel von etwa 45 Grad gehalten und der Auslass des Zapfhahns oder der Flasche werde tangential in das Glas geführt. Die „Blume“ bzw. die Schaumbildung wird anschließend über einen größeren Abstand bzw. direkten Strahleintrag gesteuert. In dem nachfolgenden Artikel wird gezeigt, dass diese Ansätze auch für eine günstige Zuströmung in Abwasserpumpschächte gelten (Bild 1). Die Zuströmung in Abwasserpumpschächte ist eine maßgebende Einflussgröße für die richtige Funktion der Abwasserförderung. Zum einen soll ein Lufteintrag in das Abwassersystem vermieden werden, da die eingetragene Luft die Funktion der Abwasserpumpe beeinträchtigt und vor allem auch zur Bildung explosionsfähiger Bild 1 Korrektes Einschenken von Bier wwt-online.de und gesundheitsschädlicher Gasgemische führen kann. Größere Luft- und Gasansammlungen in Abwassersystemen führen außerdem zu Störungen des Abwassertransports, weshalb regelmäßige Entlüftungen an den Hochpunkten des Druckrohrnetzes vorgenommen werden müssen. Zum anderen ist die Sedimentation von Feststoffen und die Ansammlung von Faserstoffen zu vermeiden, da diese Ansammlungen im weiteren Verlauf die Pumpe verstopfen können. Die Sedimentation tritt in Zonen auf, deren Geschwindigkeiten geringer als ca. 0,3 m/s sind. Zusätzlich sammeln sich die Feststoffe und auch Faserstoffe in Toträumen der Strömung an. Auch fangen sich langfaserige Bestandteile an den Haltevorrichtungen für die Pumpen und Steigleitungen sowie an vorhandene Leitern oder ähnliche Einbauten. Es gilt, diese negativen Einflüsse durch eine günstige Strömungszuführung zu minimieren. Ausführung von Abwasserpumpschächten Abwasserpumpschächte werden nach Vorgaben aus nationalen und internationalen Normen und Richtlinien dimensioniert – beispielsweise in Deutschland das DWA-Arbeitsblatt ATV-DVWK-A134. Der meist runde Pumpschacht ist mehrere Meter tief und hat einen Durchmesser, der mit dem Zulaufstrom aus dem jeweiligen Einzugsgebiet und der empfohlenen Schaltzahl der Pumpen harmoniert. Das Arbeitsblatt empfiehlt, den Saugraum so zu gestalten, dass der Lufteintrag in die Pumpen und Feststoffansammlungen vermieden werden. Zur Sicherheit gegen Ausfall sind zwei Tauchpumpen zu installieren. Vom Boden zur Wand sollten Bermen mit Winkeln über mindestens 45 Grad ausgeführt werden. Die Zuströmung wird oberhalb der Pumpen in Richtung der Pumpen zentral oder seitlich dazu empfohlen (Bild 2). Foto: TU Berlin 17 SPECIAL PUMPEN Verfahrenstechnik maßnahmen der Verbraucher zu geringeren Geschwindigkeiten im Transportsystem und damit zu vermehrter Sedimentation. Auch spielen Klima- und Wettererscheinungen eine Rolle. So können Starkregenereignisse nach längeren Trockenperioden zu Verstopfungen im Abwassersystem durch abschwimmende Ansammlungen von Fest- und Faserstoffen nach Einsatz des Regens führen, dem so genannten First-Flush-Effekt. Untersuchungen an der TU Berlin Bild 2 Abwasserpumpschächte nach ATV-DVWK A 134 Quelle: TU Berlin Diese Empfehlungen führen zu einem weitgehend sicheren Betrieb der Anlagen. Trotzdem kommt es relativ häufig zu Verstopfungsproblemen vorwiegend in den Tauchpumpen. Diese sind auch mit der Zunahme von Feststoffbelastungen des Abwassers infolge textilartiger Hygieneartikel zu begründen. Des Weiteren führen auch Wasserspar- Im Fachgebiet Fluidsystemdynamik der TU Berlin werden mehrere Untersuchungen zu Phänomenen an Abwasserpumpschächten durchgeführt. Dazu werden u. a. Analysen der Verstopfungsereignisse bei verschiedenen Wasserentsorgern vorgenommen, die zu Erkenntnissen über die wesentlichen in der Praxis auftretenden Phänomenen führen. Parallel dazu werden verschiedene Prüfstände im Labor betrieben, darunter ein Abwasserpumpschacht als gesamtes System, der eine detaillierte Untersuchung des Sedimentations- und Verstopfungsverhaltens aller Komponenten erlaubt. Für die Analyse der Auswirkung der Zuströmung in einem Abwasserpumpschacht wurde ebenfalls ein Modellprüfstand gefertigt, der eine gezielte Betrachtung des Lufteintrags und der Sedimentation erlaubt. Alle wesentlichen Elemente sind als Plexiglasteile ausgeführt, was eine gute Beobachtung der Strömung ermöglicht. Die Zu- und Abströmung sowie der Pegelstand werden über eine Kreiselpumpe, Rohrleitungen und Armaturen eingestellt. Hierüber lassen sich alle relevanten Betriebszustände realisieren (Bild 3). Am Modellprüfstand lassen sich die Zulaufrichtungen variieren: neben den empfohlenen Zuströmungen zentral und seitlich auf die Pumpen sind zusätzlich schräge und tangentiale Zuströmrichtungen auf die Pumpen ausgeführt. Dabei sind die tangentialen Zuströmrichtungen von besonderem Interesse, da diese nur selten angewendet werden. Der Anschluss einer tangentialen Rohrleitung an den Schacht ist natürlich handwerklich etwas aufwändiger und damit etwas teurer. Allerdings ist bekannt, dass ein kräftiger Wirbel vor der Pumpe die Verstopfungsneigung reduziert und ein solcher würde von einer tangentialen Zuströmrichtung angeregt werden. durchgeführt, der zu einer bestimmten Verteilung der roten Plastikteilchen bzw. der charakteristischen Sedimentation führt. Die Verteilung wird mit „Höhenkarten“ dokumentiert, die Lage und Höhe der Ablagerungen widerspiegeln. Diese Höhenkarten werden anschließend für alle Betriebspunkte übereinander gelegt und ergeben die Zonen am Boden des Schachtes, an denen sich Ablagerungen bilden. Daraus ergibt sich dann schließlich eine optimierte Bermenform, indem diese Zonen mit Material aufgefüllt werden. Die Bermen verhindern auf diese Weise eine Ablagerung bzw. Ansammlung von Fest- und Faserstoffen. Neben der Verhinderung von Ablagerungen führen die Bermen auch die Fest- und Faserstoffe gleichmäßig den Pumpen zu und gewährleisten so einen kontinuierlichen Transport dieser zusammen mit dem Abwasser. Dazu ist zu beachten, dass der Bermenwinkel zwischen Wand und Boden größer als 45 Grad ausgeführt wird, um das sichere Abrutschen von Feststoffen zu gewährleisten. Dieser Mindestwinkel wurde im Rahmen von Voruntersuchungen bestätigt und ist übrigens auch der beste Winkel für das Einschenken von Bier. Die einzelnen Schritte zur Entwicklung der Bermen sind in Bild 5 dargestellt. Lufteintrag Bild 3 Modellprüfstand für Abwasserpumpschächte Quelle: TU Berlin Der Eintrag von Luft in Abwassersystemen ist grundsätzlich zu vermeiden, da es sich meist um explosionsfähiges und gesundheitsschädliches Gas handelt. Außerdem kann ein zu großer Luftgehalt in der Kreiselpumpe zum Abbruch der Förderung führen. Der Lufteintrag lässt sich am Modellprüfstand bestimmen, indem das Volumen nach Tiefe und Länge visuell ausgemessen wird (vergl. Bild 3). Die Ergebnisse zeigen besonders geringe Eindringtiefen von Luft in den Fällen Z1 und Z5 der tangentialen Zuströmrichtung in den Schacht. Dieses Ergebnis ist nicht erstaunlich, wenn es mit dem richtigen Einschenken von Bier verglichen wird: auch hier wird zur Vermeidung von Lufteintrag und zu großer Schaumbildung eine tangentiale Zuströmrichtung genutzt (Bild 4). Der Lufteintrag lässt sich auch über eine CFD-Berechnung des eintretenden Freistrahls in die Wasseroberfläche bestimmen. Das einhüllende Volumen des Freistrahls stimmt mit den Ergebnissen aus experimentellen Untersuchungen überein. Diese Berechnungen sind heute mit geringem Aufwand im Rahmen der Auslegung der Abwasserpumpschächte durchzuführen. In der Praxis werden bei Bedarf Maßnahmen zur Reduzierung des Lufteintrags vorgenommen, beispielsweise Rohrführungen der Zuströmung bis unterhalb des Pegels, Leitbleche oder Prallplatten. Bild 5 Formgebung der Bermen in Abwasserschachtpumpwerken Modellprüfstand über die Zugabe von kleinen roten Plastikteilchen simuliert, die eine etwas höhere Dichte als Wasser haben. Bei geringen Geschwindigkeiten sinken diese auf den Schachtboden und sammeln sich vorwiegend in den Toträumen an. Die Posi- Quelle: TU Berlin tion dieser kritischen Zonen ist abhängig von den Betriebsbedingungen, wie Zu- und Abströmung, Pegelstand und jeweils geschalteter Pumpe. Für alle relevanten Betriebspunkte wird jeweils ein Versuch zu den Sedimentationen Schaumbildung Die Schaumbildung des Abwassers in Abwasserschachtpumpwerken führt im weiteren Prozess zu der Bildung von Schwimmdecken, die ebenfalls zu Verstopfungen der Pumpe führen können. Auch die Schaumbildung ist mit dem Modellprüfstand zu beobachten, indem einige Tropfen Spülmittel zugegeben werden (vergl. Bild 6). Sedimentation Bild 4 Lufteintrag in Abwasserschatpumpwerken 18 Quelle: TU Berlin Die Sedimentation des Abwassers wird im 7-8/2015 wwt-online.de SPECIAL PUMPEN 19 SPECIAL PUMPEN den Schacht den Eintrag von Luft, die Bildung von Ablagerungen und die Schaumbildung reduzieren. Diese Phänomene sind längst vom richtigen Einschenken des Biers bekannt. /1/ Arbeitsblatt ATV-DVWK-A 134, Planung und Bau von Abwasserpumpanlagen, ATV-DVWKRegelwerk, GFA-Gesellschaft zur Förderung der Abwassertechnik e.V., Hennef, 2000 /2/ American National Standards Institute ANSI/HI 9.8, American National Standard for Pump Intake Design, 2012 /3/ Bin, A. K.: Gas entrainment by plunging liquid jets, Chemical Engineering Science, Vol. 48, p. 3585-3630, 1993 Bild 6 Schaumbildung in Abwasserschachtpumpwerken Um eine Schaumbildung zu verhindern erwies sich erneut die tangentiale Zuströmrichtung als die geeignetste. Hier wird der Vergleich mit dem Einschenken von Bier beendet – denn was wäre ein schönes Bier ohne Blume! Fazit Die Zuströmung in Abwasserpumpschächten ist ein wichtiger Faktor für den sicheren Betrieb. In Untersuchungen am Fachgebiet Fluidsystemdynamik wurde aufgezeigt, dass eine tangentiale Zuströmrichtung in TU Berlin – FG Fluidsystemdynamik Prof. Dr.-Ing. Paul Uwe Thamsen M. Sc. Raja Abou Ackl, M. Ed. Mareen Derda M. Eng. Andreas Swienty Straße des 17. Juni 135 · 10623 Berlin Tel.: 030/31425262 E-Mail: [email protected] www.tu-berlin.de Bauhaus-Universität: Bild Sandgestrahl- Kurs zur Rehabilitation von Rohrleitungen tes, stark korrodiertes Altrohr Unter Leitung von Prof. Roscher fand zum 7. Mal im Rahmen des Masterstudiums Wasser und Umwelt an der Bauhaus-Universität Weimar der Kurs „Rehabilitation von Leitungen der Technischen Versorgung“ statt. Der Kurs ist Teil des Curriculums des weiterbildenden Fernstudienprogramms. Grundlage des diesjährigen Kurses mit 26 Teilnehmern war die Publikation Rehabilitation von Rohrleitungen – Sanierung und Erneuerung von Ver- und Entsorgungsleitungen (Roscher u.a., Bauhaus-Uni Weimar, ISBN 978-3-95773181-4). Zu Beginn des Kurses wird die Herstellung von Rohren aus Guss, Stahl Kunststoffe, Asbestzement, Stahl und Spannbeton behandelt. Es folgt die Beurteilung des Zustandes von metallischen Altrohrleitungen, wofür schadhafte Altrohre aus Gusseisen verwendet werden. Diese werden in Teilstücke getrennt (in der Regel 3 Teilstücke), davon 1 Rohrstück sandgestrahlt, so dass die Studenten selbst beurteilen können wie der Zustand des Altrohres ist. Prof. Dr.-Ing. habil. H. Roscher; Dr.-Ing. W. Berger; Dr.-Ing. D. Mälzer Kapitel 2: Begriffsbestimmungen der Rehabilitation – Sanierung und Erneuerung Kapitel 3: Rohrmaterialien und ihre Eigenschaften Kapitel 4: Sanierung und Erneuerung von Wasserversorgungsnetzen Kapitel 5: Sanierung und Erneuerung von Gasrohrnetzen Referent jeweils: Prof. Dr.-Ing. habil. H. Roscher Kapitel 6: Rehabilitationsstrategien Prof. Dr.-Ing. habil. H. Roscher; Dipl.-Ing. (FH) M. Beck; Dipl.-Ing. I. Kropp Kapitel 7: Sanierung von Abwasserkanälen und -leitungen Prof. Dr.-Ing. B. Bosseler; Dipl.-Ing. B. Diburg Kapitel 8: Rehabilitation von Fernwärmekanälen und -leitungen Prof. Dr.-Ing. habil. H. Roscher Referenten aus der Praxis Besonderes Kennzeichen des Kurses ist die Einbeziehung von Referenten aus Unternehmen, die in der Praxis auf diesem Gebiet arbeiten und sehr gern die Möglichkeit nutzen, ihre praktischen Erfahrungen an die Studenten weiterzugeben. So referiert z. B. seit einigen Jahren Prof. Bosseler vom IKT zu den Themen Verfahren der Renovierung von Abwasserleitungen, Schächten und Hausanschlüssen. Anmeldung für 2016 Der nächste Kurs „Rehabilitation von Rohrleitungen“ findet im kommenden Sommersemester von April bis September 2016 statt. Die Anmeldung ist ab sofort möglich – siehe Kontakt – und endet am 15. März 2016. Themen der 3. Auflage des Kurses Die 3. Auflage des Kurses enthält folgende Kapitel: Kapitel 1: Technische Versorgung und Nutzung des unterirdischen Bauraums 20 Foto: TU Berlin Bauhaus-Universität Weimar – weiterbildendes Studium Prof.-Dr. Harald Roscher; Dr. Christian Springer WW 91, Zertifikat- und Masterstudiengang Anmeldung über:www.wbbau.de 7-8/2015
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