Unter vollen Segeln über die Ostsee

Unter vollen Segeln
über die Ostsee
Den diesjährigen Segeltörn
der Kinderherzstiftung haben wir zum Anlass genommen, sowohl aus der
Sicht einer Teilnehmerin
die Zeit an Bord des Traditionsseglers SIGANDOR zu
beschreiben, als auch ihre
Mutter zu Wort kommen zu
lassen. Lesen Sie das Interview mit Larissa, 18 Jahre
und Schülerin aus Ettlingen bei Karlsruhe, und
Sandra Feininger, Leiterin
der Selbsthilfegruppe Karlsruhe-Nordbaden.
Larissa, Du warst in diesem Jahr Teilnehmerin des
Segeltörns der Kinderherzstiftung. War dies das erste
Mal, dass Du segeln warst?
Larissa: Nein, ich war letztes Jahr schon einmal
mit dabei. Weil es mir so gut gefallen hat, bin
ich wieder mitgefahren.
Hattest Du bereits Erfahrungen im Segeln oder
war dies für dich absolutes Neuland?
Larissa: Ich war in der 8. Klasse mit meiner
Schule im Landschulheim. Da habe ich das Jollensegeln kennengelernt.
Wie bist Du auf das Angebot der Kinderherzstiftung aufmerksam geworden?
Larissa: Der Markus aus unserer Selbsthilfegruppe ist schon ein paar Mal mitgesegelt. Er
meinte, es sei total toll und ich sollte doch auch
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einmal mitkommen. Nach
kurzer Überlegung habe ich
mich dann entschieden mitzufahren.
Jetzt können sich unsere
Leser wahrscheinlich nicht
vorstellen, wie so ein Segeltörn abläuft und was so
an Bord des Schiffes alles
passiert. Magst Du mal erzählen?
Larissa: Aus unserer Gegend gab es in diesem Jahr
insgesamt vier Teilnehmer.
Wir haben frühzeitig Kontakt aufgenommen und sind
dann gemeinsam mit dem
Zug angereist. Unser Starthafen hieß Eckernförde,
nördlich von Kiel. Bevor wir
starten konnten, bekamen
wir erst einmal eine riesige Lebensmittellieferung, die wir verstauen mussten. Dann konnte
es endlich losgehen.
Musstet Ihr an Bord alles selbst machen oder
gab es eine Mannschaft, die das Schiff steuerte?
Larissa: Wir haben fast alles selbst gemacht. Dafür sind wir von den Bootsleuten Hartmut und
Chris und von unserem Skipper Rieke eingewiesen worden. Zu Beginn sind wir in Segelgruppen für die Vorsegel, das Großsegel und
das Besansegel eingeteilt worden. Dann gab es
eine ausführliche Unterweisung, damit jeder
genau wusste, welche Taue für welches Segel
waren und wie man diese Taue belegt, also fest-
macht. Die Segel
haben wir dann
selbst gesetzt, bei
den Manövern
bedient
oder
geborgen. Aber
natürlich war immer jemand von
der Schiffsbesatzung in der Nähe, der uns bei Bedarf geholfen
hat. Und mit der Zeit wird man auch sicherer
und weiß, was zu tun ist.
War es schwierig die Segel zu setzen? Dafür
benötigt man doch sicherlich viel Kraft, oder?
Larissa: Eigentlich nicht! Wir haben uns gegenseitig unterstützt. So war immer jemand da, der
helfen konnte, wenn die Kraft gerade mal ausging.
Jeder ist also nur im Rahmen seiner individuellen Möglichkeiten eingesetzt worden.
Hattet Ihr denn eine festgelegte Reiseroute?
Larissa: Nein! Unser Ziel am Ende des Törns
hieß Rostock. Zwischendurch sind wir dahin
gesegelt, wo uns der Wind hingebracht hat.
Das heißt, der Ablauf ist relativ frei?
Larissa: Genau! Es
konnte
passieren,
dass wir uns morgens
ein Ziel vorgenommen haben und sich
aber im Laufe des Tages das Wetter oder
der Wind änderte.
Dann mussten wir neu planen.
Wie sah Eure Reiseroute dann am Ende aus?
Larissa: Von Eckernförde ging es zunächst nach
Damp. Das war nur eine kurze Strecke, damit
sich die Neulinge an Bord eingewöhnen konnten. Am nächsten Tag gab es dann schon das
erste Abenteuer. Da sind wir die Nacht durchgesegelt, an Fehmarn vorbei, und haben am
nächsten Tag Kühlungsborn erreicht. Da saßen
wir dann direkt einen Tag fest, da Sturmböen
angekündigt waren.
Das heißt, bei Sturm bleibt Ihr zur Sicherheit
im Hafen? Ist es da nicht eher langweilig?
Larissa: Nein. Dort gab es einen Strand und die
Stadt ist auch ganz nett. Einige unserer Gruppe
waren noch abends im Open-Air-Kino direkt
am Meer.
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Wie ging es weiter?
Larissa: Wir sind dann
nach Nystedt in Dänemark
gefahren. Bei ordentlich
Wind und Wellen sind einige seekrank geworden.
Ich hatte damit zum Glück
kein Problem. Unsere
nächsten Häfen hießen
Neustadt und Travemünde.
Ihr seid also nachts immer
im Hafen gewesen?
Larissa: In der Regel schon.
Einmal lagen wir aber auch
vor Anker. Da haben wir dann für die Nacht
Gruppen eingeteilt, die für jeweils zwei Stunden Wache halten mussten. Das war schon ein
wenig aufregend, denn für diese Zeit waren wir
für das Schiff und die Schlafenden verantwortlich. Am nächsten Morgen mussten wir den
Anker hochkurbeln, alles per Hand. Das war
schon anstrengend, aber wir haben uns abgewechselt. Dann ging es nach einem längeren
Segeltag und schönem Wetter in den Yachthafen Hohe Düne. Der liegt bei Warnemünde. Am
letzten Tag sind wir nur noch mit Motor in den
Rostocker Stadthafen gefahren. Da lagen schon
viele Schiffe für die bevorstehende Hanse Sail.
Wie ward Ihr auf dem Schiff untergebracht?
Der Traditionssegler Sigandor ist ja 100 Jahre alt. Ist das nicht sehr eng? Und hat man da
auch mal die Möglichkeit allein zu sein?
sich auch mal zurückziehen. Das geht schon.
Habt Ihr selbst gekocht?
Larissa: Wir hatten eine
supergute Köchin, die
Charlotte, dabei. Die hat
immer lecker gekocht.
Aber jeder musste mal
Backschaft machen, also
Küchendienst. Da haben
wir Charlotte geholfen,
den Tisch gedeckt, abgewaschen und so.
Gibt es etwas, was Dir in
dieser Zeit auf dem Schiff
besonders gut gefallen hat?
Larissa: Ja, dass man andere Jugendliche kennenlernt, die auch einen Herzfehler haben.
Wie ist das so auf engstem Raum? Kommt man
da automatisch auf seinen Herzfehler zu sprechen? Oder ist das eher kein Thema?
Larissa: Also in diesem Jahr war das eher nebensächlich. Aber im letzten Jahr haben wir
uns schon mehr darüber unterhalten, was denn
jetzt jeder genau für einen Herzfehler hat und
wie es ihm damit geht.
Du glaubst also, dass der Törn schon eine gute
Möglichkeit bietet, sich mit anderen Jugendlichen auszutauschen, auch über seine Erfahrungen mit der eigenen Krankheit?
Larissa: In jedem Fall!
Larissa: Na ja, viel Platz ist da nicht. Es gibt zwei
Kajüten mit jeweils sechs schmalen Kojen,
weitere sechs Kojen in einer Durchgangskammer und noch einmal vier Schlafplätze in der
Schiffsmesse. Aber wir waren eh die meiste Zeit
an Deck. Wenn das Wetter es zulässt, kann man
auch an Deck schlafen.Trotz der Enge kann man
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Bestehen die Kontakte, die an Bord geknüpft
werden, auch über die Freizeit hinaus?
Larissa: Ja, z. B. über das Internet, per E-Mail
oder wir chatten. Gelegentlich trifft man sich
auch.
Mal etwas ganz anderes. Hättest Du
auch auf einem
„ganz normalen Segeltörn“ mitfahren
dürfen?
Larissa: Da bin ich
mir nicht sicher. Der
Vorteil an dem Törn
mit herzkranken Jugendlichen ist, dass
viel mehr Rücksicht
genommen
wird, man sich nicht
so
überanstrengt
und immer jemand da ist, falls mal etwas sein
sollte.
Da kommen wir schon zur nächsten Frage.
Ein Arzt ist immer mit an Bord?
geln. Hatten Sie
keine Bedenken
Ihre Tochter mitzuschicken?
Mutter:
Nein,
überhaupt nicht.
Durch die Zusammenarbeit mit der
K i n d e r h e rz s t i f tung – ich betreue
eine Selbsthilfegruppe – hatte
ich Vertrauen. Ich
wusste, wenn die
so etwas planen und durchführen, dann hat das
Hand und Fuß. Ich wusste, es ist ein Betreuer
dabei, der auf alles achtet. Ich wusste, es ist für
Notfälle ein Kinderkardiologe dabei. Insofern
war es für mich kein Problem meine Tochter
mitzuschicken. Das war das erste Mal, dass ich
sie mit ruhigem Gewissen gehen lassen konnte.
Larissa: Ja, aber der musste in diesem Jahr herzmäßig nicht eingreifen. Natürlich gibt es mal
die eine oder andere Schramme, aber nichts
Ernstes.
Aber mit den Gedanken ist man schon bei der
Tochter oder?
Fährst Du im nächsten Jahr wieder mit?
Mutter: Natürlich. Schließlich ist sie weit weg.
Aber ich habe mir gesagt: Sie ist gut versorgt, da
kann nichts passieren.
Larissa: Wenn es geht, auf jeden Fall!
Frau Feininger, Ihre Tochter war jetzt schon
das zweite Mal mit der Kinderherzstiftung se-
Durfte Ihre Tochter denn einfach so mitfahren?
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Mutter: Nein, es gibt ja bestimmte Herzfehler,
die von vorneherein ausgeschlossen sind. Wir
mussten einen aktuellen Arztbericht und ein
Belastungs-EKG einreichen. Diese Unterlagen
schaut sich der begleitende Kinderkardiologe
vorher genau an und entscheidet dann über
die Teilnahme. Schließlich übernimmt er für
diese Zeit medizinisch die Verantwortung für
die Jugendlichen. Letztes Jahr habe ich im Vorfeld auch ein längeres Gespräch mit dem Kinderkardiologen geführt, da er sich noch nicht
sicher war und einige Fragen hatte. Nach dem
Gespräch hat er dann entschieden Larissa mitzunehmen. Ich denke, dass dieses Vorgehen
eine große Sicherheit bietet.
Dass heißt, dass die Gespräche zwischen dem
Kinderkardiologen und Ihnen im Vorfeld sowie die medizinische Betreuung während des
Törns entschieden dazu beigetragen haben,
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dass auch Sie diese Auszeit von Ihrer Tochter
genießen konnten. Es gibt immer wieder mal
Eltern, die ihre Kinder auf eine Freizeit mitschicken möchten, aber dann doch Bedenken
haben. Was würden Sie diesen Eltern raten?
Mutter: Also ich denke, dass es hilfreich ist,
wenn sich diese Eltern mit anderen Eltern austauschen, deren Kinder schon einmal an einer
dieser Freizeiten teilgenommen haben. Bei der
Kontaktaufnahme ist die Kinderherzstiftung sicherlich behilflich. Schon ein kurzes Gespräch
kann eine vorliegende Unsicherheit ausschließen und offene Fragen beantworten. Und für
die Jugendlichen in diesem Alter ist es sehr
wichtig, Kontakt zu gleichaltrigen Betroffenen
zu knüpfen. Sie fühlen sich dann nicht allein,
sondern können in der Gruppe auch mal Probleme ansprechen. In diesen Gruppen können
die anderen diese Probleme eher nachvollzie-
hen und vielleicht auch Lösungen anbieten. Es
ist auch immer jemand da, der bei Bedarf helfen kann oder wenn man ein Gespräch sucht.
Das klingt alles sehr positiv. Haben Sie direkt
nach dem Törn oder auch langfristig ganz
konkrete Veränderungen Ihrer Tochter wahrgenommen, die möglicherweise auf die Teilnahme an der Segelfreizeit zurückzuführen
sind?
Mutter: Also die Veränderung im letzten Jahr
war enorm. Dadurch, dass bei Larissa noch eine
Operation anstand, gab es schon große psychische Probleme. Es kam nur noch: „Ich kann
nicht, ich darf nicht, ich will nicht“. Das hat sich
ganz stark aufgestaut bis zum Segeltörn. Dann
war sie 10 Tage auf dem Schiff und im Anschluss
waren diese Probleme wirklich komplett weg.
Wir haben schon gemeinsam überlegt, eine
Psychotherapie zu beginnen, um die Probleme
durchzusprechen und mit fachlicher Hilfe in
den Griff zu bekommen. Das hatte sich nach
dem Segeltörn komplett erledigt. Meine Tochter kam nach dem Segeln nach Hause und war
ein anderer Mensch. Sie war gelöst und konnte
über alles reden. Sie hat nur noch vom Segeln
erzählt. Dieser psychische Knoten, der vorher
vorhanden war, diese Blockade, war einfach
geplatzt, nicht mehr da. Es war einfach genial!
Das heißt, es kann auch sein, dass die Gespräche untereinander dazu geführt haben,
dass Du Dich vielleicht intensiver mit Dir und
Deiner Krankheit auseinandergesetzt hast?
Larissa: Ich denke schon. Es hat geholfen, zu
sehen, dass man nicht allein dasteht. Die anderen haben dieselben Probleme, kommen damit
klar und können vielleicht auch Tipps geben.
Aber in erster Linie hat der Törn einfach Spaß
gemacht.
Ihr würdet also anderen Kindern und Jugendlichen die Teilnahme an den Freizeitangeboten der Kinderherzstiftung empfehlen?
Larissa: Auf jeden Fall!
Mutter: Ich denke, dass diese Angebote eine
gute Möglichkeit bieten, dass die Kinder und
Jugendlichen auch mal allein ohne das behütete Elternhaus unterwegs sein und eigene Erfahrungen machen können. Trotzdem haben die
Eltern die notwendige Sicherheit.
Vielen Dank für das Gespräch!
Der Segeltörn der Kinderherzstiftung war
auch in diesem Jahr wieder nur durch die
Unterstützung engagierter Helfer möglich.
Für die ärztliche Betreuung möchten wir uns
ganz herzlich bei Carsten Müller aus dem
Kinderherzzentrum Sankt Augustin bedanken, sowie bei seiner Klinikleitung und seinen
Kolleginnen und Kollegen, die die Freistellung
erst ermöglicht haben. Für das leibliche Wohl
an Bord sorgte in diesem Jahr wieder Charlotte Gaensslen, die man für ihren unermüdlichen Einsatz nicht genug loben kann. Und
natürlich dürfen die Spender und Sponsoren
an dieser Stelle nicht vergessen werden, ohne
die die Durchführung des diesjährigen Segeltörns nicht möglich gewesen wäre. So wurde unter anderem der Erlös aus dem diesjährigen Kicker-Turnier, welches von dem Institut
für klinisch-kardiovaskuläre Forschung (IKKF
GmbH) anlässlich der Frühjahrstagung der
Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in
Mannheim stattfand, für diese Aktion verwendet.
Sie haben Lust bekommen, selbst einmal an
einem Segeltörn der Kinderherzstiftung teilzunehmen, oder Ihr Kind möchte mitsegeln?
Der Termin für das nächste Jahr steht schon
fest. Am 25. Juli werden wir wieder in Eckernförde starten und am 4. August in Rostock von
Bord gehen.
Bei Interesse können Sie sich schon jetzt bei
der Kinderherzstiftung vormerken lassen.
Interview: Kai Rüenbrink
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