Zofinger Tagblatt, vom: Donnerstag, 7. Januar 2016

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ZOFINGER TAGBLATT
www.zofingertagblatt.ch
DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016
REGION
KOMMENTAR
Erste Anlaufstation Notfallpraxis
Profitieren – aber
nicht ausnutzen
Zofingen Bezirksärzte leisten an Wochenenden neu in der Notfallpraxis beim Spital Dienst
D
ie Unsitte hat um sich gegriffen. Viele Menschen gehen beim Spital Zofingen
lieber direkt zum Notfall
statt den Umweg über den Hausarzt
zu nehmen. Dabei ist das oft gar
nicht angezeigt. Rasche Hilfe scheint
oberste Priorität zu haben. Für den
Arzt gilt : Jeder Kunde ist gleich ernst
zu nehmen. Patienten taxieren sich
VON MICHAEL FLÜCKIGER
Wenn der Schnitt in den Daumen gar
tief geraten ist, die Verstauchung doch
eher nach einem Bruch aussieht oder
bei einer Wunde Verdacht auf eine
Blutvergiftung besteht, ist rasche medizinische Hilfe gefragt. Samstags, sonntags und an den Feiertagen ist ab jetzt
klar, wohin der Weg führt: Zum Spital
Zofingen. Das Regionalspital hat in Zusammenarbeit mit den Ärzten der Region neu eine Notfallpraxis eingerichtet. Sie hat ihre Tore ab kommendem
Samstag jedes Wochenende und an Feiertagen von 12 bis 20 Uhr geöffnet. Damit ist den Patienten in der Region gedient. Sie werden rasch behandelt. Er-
von Michael
Flückiger
gerne als Notfall. Erst die Diagnose
bringt Licht ins Dunkel. Auf der ausgebauten Notfallstation kann dies
sehr teuer werden. Bei Hochbetrieb
kommen hier rasch kostenintensive
Schemen nach dem Prinzip Risikoausschluss zur Anwendung.
«Wir brauchen am Wochenende eine bessere Triage.
Die Zahl jener, die direkt in
den Notfall kommen, hat
sehr stark zugenommen.»
Ob man die Mentalität gutheisst oder
nicht: Die Patienten wollen zum
Arzt, wenn sie Zeit haben. Daher ist
es richtig, dass das Spital Zofingen eine Notfallpraxis eröffnet. Es ist zielführend, dass die Hausärzte da hingehen, wo die Patienten sind. Indem
sie deren leichteren Erkrankungen
und Verletzungen kurieren, bevor
diese in den teuren Notfallkanal gelangen, tragen sie zur effizienteren
und besseren Behandlung bei und
helfen Kosten sparen.
Christian Reize CEO Spital Zofingen
weist sich die Diagnose als gravierender
als vermutet, ist die besser eingerichtete Notfallstation bloss ein paar Schritte
entfernt. Diese neue Lösung dient nicht
nur den Patienten, sie entlastet auch
die Bezirksärzte und die Notfallstation
des Spitals Zofingen.
Nummer ziehen wie auf der Post
Nahtloser Übergang: Auf der Seite mit dem blauen Strich steht die neue Notfallpraxis, der rote Strich steht für Notfallstation.
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«Wir verrechnen Patienten
und Kassen die Leistungen.
Die Ärzte stehen bei uns im
Stundenlohn im Sold.»
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rasch wieder verlassen. Das Konzept,
das Christian Reize einführt, ist erprobt. Das Regionalspital Baden hat der
Notfallstation schon seit Jahren eine
Notfallpraxis vorgelagert. Wie in Baden
stellen auch in Zofingen die Ärzte der
Region den Notfallarzt. Wie bisher teilen sich die Hausärzte und Spezialisten
selber für ihre Dienste ein. Inhaberin
Die neue Zofinger Notfallpraxis ist
zukunftsweisend. Umso mehr, als
der Mangel an Hausärzten zunimmt
und vielen gar nichts mehr anderes
bleibt, als auf diese Weise zum Arzt
zu gehen. Gleichzeitig ist diese Praxis
aber auch Ergebnis intensiver Verhandlungen zwischen dem Spital Zofingen und den Bezirksärzten. Letztere wollten in der Nacht entlastet werden, ersterer am Tag. Das Verhandlungsresultat dient den Patienten.
Nun werden auch die Apotheken ihre Strukturen anpassen müssen.
MIF
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Die Notfallpraxis ist logistisch effizient
organisiert. Zu Beginn geht es denn
auch zu wie auf einer Poststelle. Wer am
Wochenende und an Feiertagen die Notfallpraxis beansprucht, zieht rechts neben dem Empfang des Spitals Zofingen
eine Nummer und geht wenige Schritte
geradeaus. Direkt vor der Notfallstation
setzt er sich in die blaue Praxis-Zone,
wo er direkten Einblick in den Empfangsraum der Notfallpraxis hat. Leuchtet die richtige Nummer über dem Eingang auf, geht für ihn die Tür auf. Eine
Praxisassistentin nimmt die erste Triage
vor. Hier steht ein blauer Praxisstuhl für
die Blutentnahme, hinter einer Trennwand ist ein Analysegerät installiert. In
einem nächsten Schritt nimmt der
diensthabende Arzt in einem zweiten
Zimmer die Diagnose vor. Stellt er fest,
dass ein akuter Notfall vorliegt, kann er
den Patienten umgehend in die Notfallstation nebenan überweisen. Kann er
den Kunden selber ausreichend versorgen, verlässt dieser die Praxis nach der
Behandlung vorne in der Nähe des
Empfangs wieder – ohne den Warteraum noch einmal zu durchschreiten.
Dadurch entsteht kaum Zeitverlust. Ist
ein Fall offensichtlich gravierend, verweist der Empfang den Patienten direkt
an die Station. Die Patienten warten in
der roten Zone und werden so rasch
wie möglich abgeholt und behandelt.
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NOTFALLPATIENTEN
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Zofinger Lösung nach Badener Vorbild
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P
atienten steuern immer häufiger die Notaufnahmen an,
statt zuerst den Hausarzt aufzusuchen. Das bringt mit sich, dass
Bagatellfälle die Kanäle verstopfen
und die rasche Behandlung von
ernsten Notfällen erschweren. Die
neue Notfallpraxis im Regionalspital
Zofingen reagiert auf diese Entwick-
lung. In Zofingen hat zwischen 2014
und 2015 die Zahl der Kontakte auf der
Notfallstation von 12 700 auf 13 900 Fälle zugenommen. Mit der vorgelagerten
Notfallpraxis soll die Notfallstation am
Wochenende entlastet werden. Das
Kantonsspital Baden hat dieses Modell
seit Jahren erprobt und ist damit
schweizweit zum Modellfall geworden.
Auch wenn der Patient gewinnt: Gute
Angebote schaffen auch eine hohe
Nachfrage. Jeder einzelne ist gefordert, seiner Gesundheit Sorge zu tragen, Medizin nicht als Konsumgut zu
missverstehen und auch mal zu verzichten. Das erst spart nachhaltig.
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[email protected]
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Christian Reize CEO Spital Zofingen
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der Praxis ist allerdings das Spital. «Wir
verrechnen Patienten und Kassen die
Leistungen, die Ärzte stehen bei uns im
Stundenlohn im Sold», erläutert Christian Reize das Geschäftsmodell. «Das
hat sich so auch andernorts bewährt.»
Starke Patientenzunahme
Offen für Weiterentwicklungen
Christian Reize, CEO des Spitals Zofingen, hat klare Gründe für diese Neuerung. «Wir brauchen zu diesen Spitzenzeiten am Wochenende eine bessere Triage. Die Zahl jener, die direkt in
den Notfall kommen, statt zuerst zum
Dienstarzt zu gehen, hat sehr stark zugenommen.» Er belegt es anhand von
Zahlen. 2014 hat die Notfallstation Zofingen 12 700 Kontakte registriert. 2015
waren es bereits 13 900 Kontakte. Das
entspricht einer Zunahme von über
acht Prozent innerhalb eines Jahres.
Bei dieser Menge besteht schon mal die
Gefahr, dass bei der Triage Zeit zulasten schwerer Notfälle verloren geht.
Gerade mal 3300 Personen wurden im
Anschluss als stationäre Fälle eingestuft. Die übrigen konnten das Spital
Die neue Notfallpraxis nimmt ihren
Betrieb diesen Samstag auf. Bis im
Sommer will Christian Reize zusammen mit seinen Partnern Bilanz ziehen.
Im Moment ist die Praxis nur an Wochenenden und Feiertagen geöffnet. Einer Ausdehnung der Öffnungszeiten
steht Reize positiv gegenüber. Auch
sonst denkt er bereits weiter. Dass die
Patienten die Notfallpraxis mit einem
Rezept verlassen und im Anschluss zur
Notapotheke müssen, erachtet er als
eher ungünstig. «Aus Patientensicht
macht eine Erstversorgung mit Medikamenten in oder bei der Notfallpraxis
Sinn. Wir sind daher jederzeit offen für
neue Formen der Zusammenarbeit mit
Apotheken», betont der CEO des Regionalspitals Zofingen.
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«Wir verstärken die Notfallstation des Spitals Zofingen in kritischen Zeiten»
INTERVIEW: MICHAEL FLÜCKIGER
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Thomas Gutersohn, was versprechen Sie sich von dieser neuen
Notfallpraxis?
Ich hoffe, es wird eine Win-win-win-Situation. Die Patienten, das Spital und die
niedergelassenen Ärzte sollen profitieren. Wir verstärken die Notfallstation des
Spitals in kritischen Zeiten, was die Notfallstation entlastet, die Wartezeiten verkürzt und aus übertriebenen Abklärungen entstandene Kosten einspart. Im Gegenzug behandelt das Spital während
der Nacht die ambulanten Patienten.
Wie liefen die Verhandlungen, konnten Sie bei Konzept und Praxiseinrichtung mitbestimmen?
Es war eine enge Zusammenarbeit. Wir
konnten Wünsche einbringen, wie die
Praxis idealerweise organisiert und eingeteilt werden sollte. Der Hausarzt Se-
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Der Zofinger
Dermatologe ist
seit drei Jahren
Präsident der
Bezirksärzte der
Region.
verin Lüscher aus Schöftland hat sich
besonders engagiert und die Interessen
unserer Ärzteschaft vertreten.
Dieser wie auch andere Ärzte aus
dem Uerkner Tal, Suhrental und Ruedertal sind neu bei der Notfallorganisation der Region dabei. Allerdings
nur für die Notfallpraxis. Weshalb?
Als kleine Gruppe war diese Ärzteschaft
besonders gefordert, um ihren Notfalldienst sicherzustellen. Dank diesem Ver-
bund können sie und auch wir aus der
Zofinger und Oftringer Umgebung von
einem grösseren Ärztepool profitieren.
Was ändert sich für die diensthabenden Ärzte mit dieser neuen Notfallpraxis?
Sie waren bisher nicht nur in der Praxis
tätig. Sie haben auch Patienten besucht.
Mit der Notfallpraxis am Wochenende
muss neu immer ein Arzt immer vor Ort
im Spital sein. Dafür haben wir einen Ärztepool von 23 Ärzten. Ein zweiter Pool ist
auf Pikett, wenn Hausbesuche erforderlich sind. Dafür stehen 27 Personen zur
Verfügung.
Bleibt der Kindernotfall gleich?
Der Notfall für Kinder ist und bleibt im
Kantonsspital Aarau. Daran ändert die
Notfallpraxis nichts. Dasselbe gilt für
den Notfalldienst der Psychiater, Augenund Frauenärzte mit eigenem Dienst.