Nachhaltigkeit benötigt immer auch Risikobereitschaft

Interview mit Prof. Dr. Markus Beckmann,
Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg
Nachhaltigkeit benötigt
immer auch Risikobereitschaft
Prof. Dr. Markus Beckmann
führt den Lehrstuhl für Corporate
Sustain­
ability Management an
der ­
Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Er sieht
nachhaltiges Unternehmertum mit
vielen Chancen verknüpft, wenn
­
die g­anzheitliche Integration des
Themas in den Firmen gelingt.
Dazu gehört aus seiner Sicht auch
ein Stück Risikobereitschaft.
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DMR: Was verstehen Sie persönlich unter Nachhaltigkeit und
Corporate Social Responsibility und wie trennt man diese Begriffe
inhaltlich?
Prof. Beckmann: In der Praxis würde ich hier gar nicht differenzieren. In einer begrifflichen Debatte sehe ich Corporate
Responsibility getrieben in dem Sinne, dass das Unternehmen
eine Verantwortung hat und darauf antworten muss. Dies betrifft Themen wie Kinderarbeit in der Supply Chain, fehlende
Arbeitnehmerrechte innerhalb des Unternehmens oder auch
Umweltverschmutzung und Korruption. Das ist die ­Ebene von
„Do no harm“, auf der Unternehmen auch von außen getrieben werden, selbst wenn intern kein Treiber da ist. Eine weitere Perspektive ist „How can the company benefit from doing
good“, also die Frage, wo das Unternehmen etwas beiträgt, das
wichtig ist für die Nachhaltigkeit einer Gesellschaft und dadurch auch wieder für die Nachhaltigkeit eines Unternehmens.
Das würde ich als die breitere Debatte sehen. Wenn man zukunftsorientiert auf die eigene Nachhaltigkeit schaut, kommt
auch die Opportunity-Frage, zusätzliche Kostenersparnisse zu
realisieren, viel eher in das Blickfeld. Unternehmen können
dann darüber nachdenken, wie sie für die Gesellschaft einen
wertvollen Beitrag leisten und gleichzeitig ihre Geschäftsfelder
potenzieren oder auch die Arbeitnehmermotivation erhöhen.
Dann kann sich ein Unternehmen nachhaltig entwickeln und
gleichzeitig Chancen wahrnehmen.
DMR: Vor zehn Jahren war Nachhaltigkeit eher ein Randthema.
Durch gewisse Kapitalmarktthemen und die Anforderung, Reports
abzuliefern, ist die Bedeutung gestiegen. Gibt es weitere Gründe,
warum sich Unternehmen jetzt stärker damit beschäftigen?
Prof. Beckmann: Themen wie Klimawandel, Ressourcenknappheit oder Energiewende gewinnen an Relevanz, denn sie
sind gesellschaftlich wichtiger geworden. Damit ist auch ihre
Schnittstelle zum Unternehmen wichtiger geworden. Was die
Erwartungen angeht, sind diese durch Kapitalmärkte und Investoren anders formuliert worden, beispielsweise im Carbon
Disclosure Project (CDP). Zusätzlich zu den gesetzgeberischen
Vorschriften haben Unternehmen jetzt gewisse Berichtspflichten. Hier geht man wieder stärker in den Bereich Compliance
und weg von den Opportunities. Dies finde ich nicht nur positiv. Für einige Unternehmen mag das gut sein, weil sie gezwungen werden, etwas zu tun. Für die anderen Unternehmen hat
dies aber einen ambivalenten Effekt, weil sie aus einer Freiwilligkeit heraus in eine Compliance-Denke rutschen. Ich glaube,
man sieht, dass viele Unternehmen sehr erfolgreich damit sind,
sich nachhaltig beispielsweise im Bereich Bio und Fair Trade
zu positionieren, dass hier neue Märkte und Effizienzrevolu­
tionen entstehen. Ein durchaus wichtiger Punkt ist auch die
zunehmende Institutionalisierung. Universitäten bieten ­diverse
S­ tudiengänge zum Thema Nachhaltigkeit an, auch Beratungen
befassen sich intensiv mit diesem Thema, so dass gute Beispiele
für Business Cases, ein besseres Verständnis für das Risiko und
bessere Managementtools zur Verfügung stehen. Das macht es
Unternehmen leichter, Zugang zum Thema zu finden.
DMR: Wenn man das Thema Nachhaltigkeit in Relation zu eher
kurzfristigen Managementzyklen sieht, zum Beispiel der Verweildauer von Managern in einem Unternehmen – würden Sie s­ agen,
dass das kontraproduktiv ist und in von Gründern geführten
­Unternehmen eine bessere Auseinandersetzung mit dem Thema
stattfindet?
Prof. Beckmann: Gründer- oder familiengeführte Unternehmen haben grundsätzlich andere Möglichkeiten, ihre eigenen
Ziele durch- und umzusetzen. Das gilt nicht nur für das Thema Nachhaltigkeit. Es ist vor allem eine Frage der Corporate
Governance, eine langfristige Strategie zu etablieren, die sich
in der Zukunft umsetzen lässt. Ich glaube auch, dass Manager
von Unternehmen im Streubesitz über Anreize gesteuert werden, die sich häufig an kurzfristigen Zielen orientieren, weil
ihnen der Kapitalmarkt sehr stark im Nacken sitzt. Sie müssen
schnell Lösungen finden, die dann nicht unbedingt in Relation zum Thema Nachhaltigkeit stehen. Bei Nachhaltigkeit
sind viele Prozesse von Langfristigkeit geprägt und daher auch
schwer messbar. Teilweise fehlen hier die KPIs, wodurch die
Übersetzung in kurzfristige Anreizsysteme schwieriger wird. Sie
ist aber nicht unmöglich. Und es gibt durchaus Unternehmen
wie Unilever, die Kapitalmarkt orientiert sind und sich auch
für die Nachhaltigkeit ganz ambitionierte Ziele setzen. Natürlich ist es in einem Familienunternehmen einfacher, solche
Themen ohne viel Diskussion einzubringen. Wir sehen viele
Beispiele bei KMUs, in denen das entsprechende Verständnis
bei den Eigentümern vorhanden ist und die vorangehen. Diese
Unternehmen lösen allerdings auch einen Wettbewerbsdruck
auf andere Firmen aus.
DMR: Existieren Ansätze, wie man von Unternehmen mit langfristiger Nachhaltigkeitsorientierung lernen kann?
Prof. Beckmann: Im Sinne von Unternehmensnetzwerken
gibt es Beispiele, die zeigen, wie sich Unternehmen wechsel­
seitig positiv beeinflussen können, ohne um ihre Wettbewerbsvorteile fürchten zu müssen. Das Format Sustainability
Leadership Forum der Universität Lüneburg ist ein Vorreiter
für den Austausch zum Thema Nachhaltigkeit. Zwei Mal im
Jahr treffen und diskutieren Unternehmensvertreter, wie man
im Bereich Nachhaltigkeit besser werden kann. Die Veranstaltungen stehen immer unter einem Leitthema, beispielsweise
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das funktioniert
sehr gut und läuft unter der Prämisse, dass von jeder B
­ ranche
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oder jedem Sektor nur ein Unternehmen dabei ist. Somit
tauscht man sich nicht mit direkten Konkurrenten aus. Oder
man muss Lösungen eines Problems lokalisieren, von dem die
­ganze Branche betroffen ist und Initiativen entstehen, in denen
sich auch Konkurrenten austauschen wollen und gemeinsame
­Interessen darlegen. Man muss dies aus der Wettbewerbs­logik
heraus betrachten, um Schlüsse für eine fruchtbare Lösung
­ziehen zu können.
Aus einer rein organisationstheoretischen Perspektive heraus
sind das Lernen von anderen sowie der Best-Practice-Austausch
extrem herausfordernd, da viele Lösungen nicht 1:1 von einem
Unternehmen auf andere übertragbar sind. So ist es auch bei
den Themen Unternehmensvision, Kultur, Leadership. Es ist
nicht einfach, den Business Transfer hinzubekommen. Aber in
diesem Transfer liegen viele Potenziale.
Prof. Dr. Markus Beckmann ist seit November
2012 Inhaber des Lehrstuhls für Corporate Sustainability Management am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Friedrich-Alexander
Universität Erlangen-Nürnberg. In Forschung
und Lehre befasst er sich mit der Theorie
und Praxis des unternehmerischen Nachhaltigkeitsmanagements, mit Corporate Social
Responsibility (Unternehmensverantwortung)
sowie mit Wirtschafts- und Unternehmensethik.
Auch Phänomene wie Social Entrepreneurship
(Sozialunternehmertum) und Social Business
sind Themen seiner Forschung. Zuvor war er
Juniorprofessor für Social Entrepreneurship am
Centre for Sustainability Management an der
Leuphana Universität Lüneburg und Leiter des
Social Change Hubs „SCHub“. Er ist Gründungsmitglied der ökumenischen Rogate-Initiative e.V.
in Berlin. Außerdem engagierte er sich bereits
in früheren Jahren in verschiedenen kirchlichen
Projekten, unter anderem als Referent, Lektor
und Projekthelfer. Prof. Beckmann ist Träger des
Max-Weber-Preises für Wirtschaftsethik 2010.
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DMR: Können Sie zwei Beispiele nennen, in denen das Thema
Nachhaltigkeit strategisch im Unternehmen verankert und förderlich im Business Value Creation Prozess ist? Was zeichnet diese
Unternehmen aus und was kann man von ihnen lernen?
Prof. Beckmann: Unilever zum Beispiel hat eine Nachhaltigkeitsstrategie formuliert, die nicht nur sehr elaboriert und ambitioniert ist, sondern auch klare und messbare Ziele definiert.
Unilever versucht, diese Ziele quantitativ herunter zu brechen,
kommuniziert das entsprechend und zeigt damit auf, in wieweit das Thema für das Unternehmen wichtig ist. Es wird ein
gemeinsames Verständnis, eine gemeinsame Vision entwickelt.
Wenn man hieraus lernen möchte, sollte man verstehen, dass
man als Unternehmen ein gemeinsames Zielverständnis benötigt, wie es auch bei Gründerunternehmen der Fall ist. Große
Unternehmen brauchen eine Struktur und eine klare Definition der Ziele. Wenn ein Unternehmen sagt „Wir wollen
unseren Umsatz verdoppeln und dabei unseren Ressourcenverbrauch halbieren“, dann sind das klar formulierte und verständliche Punkte. Andere Vorreiter-Unternehmen kommen
aus dem KMU-Bereich. Sie haben eine ganz klare Vision und
man sieht, warum Nachhaltigkeit für sie als Unternehmen gut
ist. Das wird durch die Geschäftsleitung initiiert und über eine
gelebte Unternehmenskultur für alle Bereiche transparent. Auf
ein Großunternehmen ist das aber nicht 1:1 zu übertragen.
Man kann auch nicht davon ausgehen, dass ein neuer Vorstandsvorsitzender all das in ein Unternehmen einbringt, was
ein Gründerunternehmen in 40 Jahre aufgebaut hat. Da müssen funktionale Äquivalente geschaffen und intern die gleichen
Orientierungs- und Anreizpunkte gesetzt werden, die in anderen Unternehmen bereits stark durch die Unternehmenskultur
aufgebaut sind.
DMR: Kann man Corporate Responsibility überhaupt sinnvoll
messen?
Prof. Beckmann: Wenn man etwas nicht messen kann, kann
man Entscheidungen gegenüber anderen nur ganz schwer
transportieren, insbesondere, wenn dafür kein Verständnis
vorliegt. Die Frage ist deshalb vor allem, was mit den Messungen gemacht wird. Das Thema Nachhaltigkeit entwickelt
sich dynamisch, weshalb es notwendig ist, mit einer gewissen
Flexibilität anstelle von knallharten quantifizierbaren KPIs auf
wichtige Themen eingehen zu können. Meine Wahrnehmung
ist, dass man für Messung und Wirkung noch mehr Verständnis braucht. Ich gehe nicht davon aus, dass wir schnell an den
Punkt kommen, an dem wir „die“ Nachhaltigkeitsindikatoren
haben und nun nur noch zu optimieren brauchen.
DMR: Wir haben eine junge Gesellschaft, für die das Thema
Nachhaltigkeit an Bedeutung zunimmt. Ergo ist es als Arbeitgeber
gut, sich in dieser Richtung zu positionieren. Die Wahrnehmung
ist jedoch, dass sich Unternehmen damit schwer tun. Warum ist
das so?
Prof. Beckmann: Der These stimme ich zu: Bei jungen Studierenden und auf Absatzmärkten beobachten wir, dass Nachhaltigkeit zunehmend wichtiger wird. Das gibt uns aber erst
einmal keine Antwort darauf, was zu tun ist, um als nachhaltiges Unternehmen auf einem Markt besser da zu stehen. Soll
ich eher irgendwelche Corporate-Citizen-Projekte durchführen oder kümmere ich mich besser um meine Energieeffi­zienz?
Man kann mit Marktforschung und Employer Branding analysieren, auf welche Punkte die Leute achten. Wichtig sind
aber auch die Kosten und der Nutzen, die Payoffs von diesen
Engagements. Die Schätzungen beim Return on Invest sind
im Allgemeinen sehr hoch, eine genaue Bezifferung ist jedoch
schwierig. In Entscheidungsprozessen hat das weniger Schlagkraft. Dann kommt es auf die Argumentation an, zum Beispiel, dass ein CEO das Thema als Teil seiner Vision sieht und
die Wirkungsketten versteht.
DMR: Hat der Umgang mit den Themen Nachhaltigkeit oder
auch Innovation etwas mit der deutschen Kultur zu tun?
Prof. Beckmann: Generell haben wir eine hohe Unsicherheitsvermeidung und eine Präferenz zur Sicherheit. Dann
kommt es darauf an, welche Freiheitsgrade ich als Vorstand
habe. Wenn ich mir wenig Freiheitsgrade zutraue, dann werde ich wenig innovative Entscheidungen treffen und eher am
Status Quo orientiert entscheiden. Wenn ich mir bei einer
Nachhaltigkeitsentscheidung die Folgen nicht vorstellen kann
und aufgrund möglicher Folgereaktionen von Stakeholdern,
des Marktes oder der Zulieferanten unsicher bin, lege ich tendenziell eher ein risikoaverses Verhalten an den Tag. Insofern
würde ich schon sagen, dass man für Nachhaltigkeit eine gewisse Risikobereitschaft benötigt, weil es immer einen Bruch
mit bestehenden Geschäftsmodellen und Prozessen bedeutet,
wenn ich etwas mache, das anders ist.
DMR: Wo spiegelt sich Nachhaltigkeit in Geschäftsmodellen
­wider?
Prof. Beckmann: Deutschland ist im Bereich Energiewende
innovativ unterwegs. Hier gibt es viele Gründer und junge Unternehmen. Im Ausland gibt es Unternehmen wie Patagonia,
die Nachhaltigkeit gezielt in ihre Strategie, ihr Produktportfolio und ihre Lieferkette integrieren. Hier bindet Patagonia beispielsweise die Kunden mit der „Common Threads“-Initiative
aktiv in ein nachhaltiges Konsum- und Geschäftsmodul mit
ein.
DMR: Welche Trends sehen Sie im Bereich Nachhaltigkeit? Mit
welchen Themen werden wir uns in Zukunft noch stärker beschäftigen, auch aus einer wissenschaftlichen Sicht heraus?
Prof. Beckmann: Es wird natürlich immer ein paar Klassiker geben, zum Beispiel das Thema Ressourcenknappheit.
Dies wird auch getrieben durch die Zunahme der Nach­frage
in Schwellenländern: Flächenverbrauch, Landknappheit,
­Biodiversität. Die zentrale Frage wird immer sein: Wo haben
Unternehmen einen Beitrag zur Lösung von Problemen, die
der Gesellschaft wichtig sind? Wie können zum Beispiel 1,2
Milliarden Inder mit den Themen Gesundheit, Mobilität,
Transport, Sicherheit und Kommunikation versorgt werden?
Wie können Unternehmen mit der Exklusion von Menschengruppen umgehen und zum Beispiel die Flüchtlingsthematik
mit den Themen verknüpfen, die sie beherrschen? Das grundsätzliche Problem ist die Ganzheitlichkeit, mit der Strategie,
Strukturen, Instrumente und Prozesse im Unternehmen zu
koordinieren sind - die Integration dieser verschiedenen Teillösungen. Das wird uns noch sehr lange beschäftigen. Aber ich
sehe hier auch die Nähe zur Beratung, die die Antworten hierauf finden kann, die Ideen von anderen Unternehmen einzubringen und das Lernen zu fördern.
Das Interview führten Marc Wagner (Partner)
und Hanane Bouzidi (Consultant).
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