Interview mit Prof. Dr. Markus Beckmann, Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg Nachhaltigkeit benötigt immer auch Risikobereitschaft Prof. Dr. Markus Beckmann führt den Lehrstuhl für Corporate Sustain ability Management an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Er sieht nachhaltiges Unternehmertum mit vielen Chancen verknüpft, wenn die ganzheitliche Integration des Themas in den Firmen gelingt. Dazu gehört aus seiner Sicht auch ein Stück Risikobereitschaft. 44 Detecon Management Report dmr • 1 / 2016 DMR: Was verstehen Sie persönlich unter Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility und wie trennt man diese Begriffe inhaltlich? Prof. Beckmann: In der Praxis würde ich hier gar nicht differenzieren. In einer begrifflichen Debatte sehe ich Corporate Responsibility getrieben in dem Sinne, dass das Unternehmen eine Verantwortung hat und darauf antworten muss. Dies betrifft Themen wie Kinderarbeit in der Supply Chain, fehlende Arbeitnehmerrechte innerhalb des Unternehmens oder auch Umweltverschmutzung und Korruption. Das ist die Ebene von „Do no harm“, auf der Unternehmen auch von außen getrieben werden, selbst wenn intern kein Treiber da ist. Eine weitere Perspektive ist „How can the company benefit from doing good“, also die Frage, wo das Unternehmen etwas beiträgt, das wichtig ist für die Nachhaltigkeit einer Gesellschaft und dadurch auch wieder für die Nachhaltigkeit eines Unternehmens. Das würde ich als die breitere Debatte sehen. Wenn man zukunftsorientiert auf die eigene Nachhaltigkeit schaut, kommt auch die Opportunity-Frage, zusätzliche Kostenersparnisse zu realisieren, viel eher in das Blickfeld. Unternehmen können dann darüber nachdenken, wie sie für die Gesellschaft einen wertvollen Beitrag leisten und gleichzeitig ihre Geschäftsfelder potenzieren oder auch die Arbeitnehmermotivation erhöhen. Dann kann sich ein Unternehmen nachhaltig entwickeln und gleichzeitig Chancen wahrnehmen. DMR: Vor zehn Jahren war Nachhaltigkeit eher ein Randthema. Durch gewisse Kapitalmarktthemen und die Anforderung, Reports abzuliefern, ist die Bedeutung gestiegen. Gibt es weitere Gründe, warum sich Unternehmen jetzt stärker damit beschäftigen? Prof. Beckmann: Themen wie Klimawandel, Ressourcenknappheit oder Energiewende gewinnen an Relevanz, denn sie sind gesellschaftlich wichtiger geworden. Damit ist auch ihre Schnittstelle zum Unternehmen wichtiger geworden. Was die Erwartungen angeht, sind diese durch Kapitalmärkte und Investoren anders formuliert worden, beispielsweise im Carbon Disclosure Project (CDP). Zusätzlich zu den gesetzgeberischen Vorschriften haben Unternehmen jetzt gewisse Berichtspflichten. Hier geht man wieder stärker in den Bereich Compliance und weg von den Opportunities. Dies finde ich nicht nur positiv. Für einige Unternehmen mag das gut sein, weil sie gezwungen werden, etwas zu tun. Für die anderen Unternehmen hat dies aber einen ambivalenten Effekt, weil sie aus einer Freiwilligkeit heraus in eine Compliance-Denke rutschen. Ich glaube, man sieht, dass viele Unternehmen sehr erfolgreich damit sind, sich nachhaltig beispielsweise im Bereich Bio und Fair Trade zu positionieren, dass hier neue Märkte und Effizienzrevolu tionen entstehen. Ein durchaus wichtiger Punkt ist auch die zunehmende Institutionalisierung. Universitäten bieten diverse S tudiengänge zum Thema Nachhaltigkeit an, auch Beratungen befassen sich intensiv mit diesem Thema, so dass gute Beispiele für Business Cases, ein besseres Verständnis für das Risiko und bessere Managementtools zur Verfügung stehen. Das macht es Unternehmen leichter, Zugang zum Thema zu finden. DMR: Wenn man das Thema Nachhaltigkeit in Relation zu eher kurzfristigen Managementzyklen sieht, zum Beispiel der Verweildauer von Managern in einem Unternehmen – würden Sie s agen, dass das kontraproduktiv ist und in von Gründern geführten Unternehmen eine bessere Auseinandersetzung mit dem Thema stattfindet? Prof. Beckmann: Gründer- oder familiengeführte Unternehmen haben grundsätzlich andere Möglichkeiten, ihre eigenen Ziele durch- und umzusetzen. Das gilt nicht nur für das Thema Nachhaltigkeit. Es ist vor allem eine Frage der Corporate Governance, eine langfristige Strategie zu etablieren, die sich in der Zukunft umsetzen lässt. Ich glaube auch, dass Manager von Unternehmen im Streubesitz über Anreize gesteuert werden, die sich häufig an kurzfristigen Zielen orientieren, weil ihnen der Kapitalmarkt sehr stark im Nacken sitzt. Sie müssen schnell Lösungen finden, die dann nicht unbedingt in Relation zum Thema Nachhaltigkeit stehen. Bei Nachhaltigkeit sind viele Prozesse von Langfristigkeit geprägt und daher auch schwer messbar. Teilweise fehlen hier die KPIs, wodurch die Übersetzung in kurzfristige Anreizsysteme schwieriger wird. Sie ist aber nicht unmöglich. Und es gibt durchaus Unternehmen wie Unilever, die Kapitalmarkt orientiert sind und sich auch für die Nachhaltigkeit ganz ambitionierte Ziele setzen. Natürlich ist es in einem Familienunternehmen einfacher, solche Themen ohne viel Diskussion einzubringen. Wir sehen viele Beispiele bei KMUs, in denen das entsprechende Verständnis bei den Eigentümern vorhanden ist und die vorangehen. Diese Unternehmen lösen allerdings auch einen Wettbewerbsdruck auf andere Firmen aus. DMR: Existieren Ansätze, wie man von Unternehmen mit langfristiger Nachhaltigkeitsorientierung lernen kann? Prof. Beckmann: Im Sinne von Unternehmensnetzwerken gibt es Beispiele, die zeigen, wie sich Unternehmen wechsel seitig positiv beeinflussen können, ohne um ihre Wettbewerbsvorteile fürchten zu müssen. Das Format Sustainability Leadership Forum der Universität Lüneburg ist ein Vorreiter für den Austausch zum Thema Nachhaltigkeit. Zwei Mal im Jahr treffen und diskutieren Unternehmensvertreter, wie man im Bereich Nachhaltigkeit besser werden kann. Die Veranstaltungen stehen immer unter einem Leitthema, beispielsweise die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das funktioniert sehr gut und läuft unter der Prämisse, dass von jeder B ranche 45 Detecon Management Report dmr • 1 / 2016 oder jedem Sektor nur ein Unternehmen dabei ist. Somit tauscht man sich nicht mit direkten Konkurrenten aus. Oder man muss Lösungen eines Problems lokalisieren, von dem die ganze Branche betroffen ist und Initiativen entstehen, in denen sich auch Konkurrenten austauschen wollen und gemeinsame Interessen darlegen. Man muss dies aus der Wettbewerbslogik heraus betrachten, um Schlüsse für eine fruchtbare Lösung ziehen zu können. Aus einer rein organisationstheoretischen Perspektive heraus sind das Lernen von anderen sowie der Best-Practice-Austausch extrem herausfordernd, da viele Lösungen nicht 1:1 von einem Unternehmen auf andere übertragbar sind. So ist es auch bei den Themen Unternehmensvision, Kultur, Leadership. Es ist nicht einfach, den Business Transfer hinzubekommen. Aber in diesem Transfer liegen viele Potenziale. Prof. Dr. Markus Beckmann ist seit November 2012 Inhaber des Lehrstuhls für Corporate Sustainability Management am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. In Forschung und Lehre befasst er sich mit der Theorie und Praxis des unternehmerischen Nachhaltigkeitsmanagements, mit Corporate Social Responsibility (Unternehmensverantwortung) sowie mit Wirtschafts- und Unternehmensethik. Auch Phänomene wie Social Entrepreneurship (Sozialunternehmertum) und Social Business sind Themen seiner Forschung. Zuvor war er Juniorprofessor für Social Entrepreneurship am Centre for Sustainability Management an der Leuphana Universität Lüneburg und Leiter des Social Change Hubs „SCHub“. Er ist Gründungsmitglied der ökumenischen Rogate-Initiative e.V. in Berlin. Außerdem engagierte er sich bereits in früheren Jahren in verschiedenen kirchlichen Projekten, unter anderem als Referent, Lektor und Projekthelfer. Prof. Beckmann ist Träger des Max-Weber-Preises für Wirtschaftsethik 2010. 46 Detecon Management Report dmr • 1 / 2016 DMR: Können Sie zwei Beispiele nennen, in denen das Thema Nachhaltigkeit strategisch im Unternehmen verankert und förderlich im Business Value Creation Prozess ist? Was zeichnet diese Unternehmen aus und was kann man von ihnen lernen? Prof. Beckmann: Unilever zum Beispiel hat eine Nachhaltigkeitsstrategie formuliert, die nicht nur sehr elaboriert und ambitioniert ist, sondern auch klare und messbare Ziele definiert. Unilever versucht, diese Ziele quantitativ herunter zu brechen, kommuniziert das entsprechend und zeigt damit auf, in wieweit das Thema für das Unternehmen wichtig ist. Es wird ein gemeinsames Verständnis, eine gemeinsame Vision entwickelt. Wenn man hieraus lernen möchte, sollte man verstehen, dass man als Unternehmen ein gemeinsames Zielverständnis benötigt, wie es auch bei Gründerunternehmen der Fall ist. Große Unternehmen brauchen eine Struktur und eine klare Definition der Ziele. Wenn ein Unternehmen sagt „Wir wollen unseren Umsatz verdoppeln und dabei unseren Ressourcenverbrauch halbieren“, dann sind das klar formulierte und verständliche Punkte. Andere Vorreiter-Unternehmen kommen aus dem KMU-Bereich. Sie haben eine ganz klare Vision und man sieht, warum Nachhaltigkeit für sie als Unternehmen gut ist. Das wird durch die Geschäftsleitung initiiert und über eine gelebte Unternehmenskultur für alle Bereiche transparent. Auf ein Großunternehmen ist das aber nicht 1:1 zu übertragen. Man kann auch nicht davon ausgehen, dass ein neuer Vorstandsvorsitzender all das in ein Unternehmen einbringt, was ein Gründerunternehmen in 40 Jahre aufgebaut hat. Da müssen funktionale Äquivalente geschaffen und intern die gleichen Orientierungs- und Anreizpunkte gesetzt werden, die in anderen Unternehmen bereits stark durch die Unternehmenskultur aufgebaut sind. DMR: Kann man Corporate Responsibility überhaupt sinnvoll messen? Prof. Beckmann: Wenn man etwas nicht messen kann, kann man Entscheidungen gegenüber anderen nur ganz schwer transportieren, insbesondere, wenn dafür kein Verständnis vorliegt. Die Frage ist deshalb vor allem, was mit den Messungen gemacht wird. Das Thema Nachhaltigkeit entwickelt sich dynamisch, weshalb es notwendig ist, mit einer gewissen Flexibilität anstelle von knallharten quantifizierbaren KPIs auf wichtige Themen eingehen zu können. Meine Wahrnehmung ist, dass man für Messung und Wirkung noch mehr Verständnis braucht. Ich gehe nicht davon aus, dass wir schnell an den Punkt kommen, an dem wir „die“ Nachhaltigkeitsindikatoren haben und nun nur noch zu optimieren brauchen. DMR: Wir haben eine junge Gesellschaft, für die das Thema Nachhaltigkeit an Bedeutung zunimmt. Ergo ist es als Arbeitgeber gut, sich in dieser Richtung zu positionieren. Die Wahrnehmung ist jedoch, dass sich Unternehmen damit schwer tun. Warum ist das so? Prof. Beckmann: Der These stimme ich zu: Bei jungen Studierenden und auf Absatzmärkten beobachten wir, dass Nachhaltigkeit zunehmend wichtiger wird. Das gibt uns aber erst einmal keine Antwort darauf, was zu tun ist, um als nachhaltiges Unternehmen auf einem Markt besser da zu stehen. Soll ich eher irgendwelche Corporate-Citizen-Projekte durchführen oder kümmere ich mich besser um meine Energieeffizienz? Man kann mit Marktforschung und Employer Branding analysieren, auf welche Punkte die Leute achten. Wichtig sind aber auch die Kosten und der Nutzen, die Payoffs von diesen Engagements. Die Schätzungen beim Return on Invest sind im Allgemeinen sehr hoch, eine genaue Bezifferung ist jedoch schwierig. In Entscheidungsprozessen hat das weniger Schlagkraft. Dann kommt es auf die Argumentation an, zum Beispiel, dass ein CEO das Thema als Teil seiner Vision sieht und die Wirkungsketten versteht. DMR: Hat der Umgang mit den Themen Nachhaltigkeit oder auch Innovation etwas mit der deutschen Kultur zu tun? Prof. Beckmann: Generell haben wir eine hohe Unsicherheitsvermeidung und eine Präferenz zur Sicherheit. Dann kommt es darauf an, welche Freiheitsgrade ich als Vorstand habe. Wenn ich mir wenig Freiheitsgrade zutraue, dann werde ich wenig innovative Entscheidungen treffen und eher am Status Quo orientiert entscheiden. Wenn ich mir bei einer Nachhaltigkeitsentscheidung die Folgen nicht vorstellen kann und aufgrund möglicher Folgereaktionen von Stakeholdern, des Marktes oder der Zulieferanten unsicher bin, lege ich tendenziell eher ein risikoaverses Verhalten an den Tag. Insofern würde ich schon sagen, dass man für Nachhaltigkeit eine gewisse Risikobereitschaft benötigt, weil es immer einen Bruch mit bestehenden Geschäftsmodellen und Prozessen bedeutet, wenn ich etwas mache, das anders ist. DMR: Wo spiegelt sich Nachhaltigkeit in Geschäftsmodellen wider? Prof. Beckmann: Deutschland ist im Bereich Energiewende innovativ unterwegs. Hier gibt es viele Gründer und junge Unternehmen. Im Ausland gibt es Unternehmen wie Patagonia, die Nachhaltigkeit gezielt in ihre Strategie, ihr Produktportfolio und ihre Lieferkette integrieren. Hier bindet Patagonia beispielsweise die Kunden mit der „Common Threads“-Initiative aktiv in ein nachhaltiges Konsum- und Geschäftsmodul mit ein. DMR: Welche Trends sehen Sie im Bereich Nachhaltigkeit? Mit welchen Themen werden wir uns in Zukunft noch stärker beschäftigen, auch aus einer wissenschaftlichen Sicht heraus? Prof. Beckmann: Es wird natürlich immer ein paar Klassiker geben, zum Beispiel das Thema Ressourcenknappheit. Dies wird auch getrieben durch die Zunahme der Nachfrage in Schwellenländern: Flächenverbrauch, Landknappheit, Biodiversität. Die zentrale Frage wird immer sein: Wo haben Unternehmen einen Beitrag zur Lösung von Problemen, die der Gesellschaft wichtig sind? Wie können zum Beispiel 1,2 Milliarden Inder mit den Themen Gesundheit, Mobilität, Transport, Sicherheit und Kommunikation versorgt werden? Wie können Unternehmen mit der Exklusion von Menschengruppen umgehen und zum Beispiel die Flüchtlingsthematik mit den Themen verknüpfen, die sie beherrschen? Das grundsätzliche Problem ist die Ganzheitlichkeit, mit der Strategie, Strukturen, Instrumente und Prozesse im Unternehmen zu koordinieren sind - die Integration dieser verschiedenen Teillösungen. Das wird uns noch sehr lange beschäftigen. Aber ich sehe hier auch die Nähe zur Beratung, die die Antworten hierauf finden kann, die Ideen von anderen Unternehmen einzubringen und das Lernen zu fördern. Das Interview führten Marc Wagner (Partner) und Hanane Bouzidi (Consultant). 47 Detecon Management Report dmr • 1 / 2016
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