Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschafts- und Technikrecht Prof. Dr. Michael Grünberger, LL.M. (NYU) Universität Bayreuth • 95440 Bayreuth Examensklausurenkurs am 19.6.2015 ZIVILRECHT X Sachverhalt (Arbeitszeit 5 Stunden) Emil Ernst ist Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks in München, das er mit unbefristetem Mietvertrag vom 1. September 2011 an Manfred Müller vermietet hat. Müller, der den Mietvertrag allein unterschrieben hat, lebt dort zusammen mit seiner Ehefrau und seinen drei Kindern; die Wohnfläche beträgt rund 150 Quadratmeter. Im Jahr 2014 beschließt Ernst, das Grundstück seinem 25-jährigen Neffen Norbert Naumann zu schenken. Die Schenkung wird ordnungsgemäß vollzogen, Naumann wird am 10. Mai 2014 als neuer Eigentümer in das Grundbuch eingetragen. Naumann, der gerade in Augsburg das Studium der Betriebswirtschaftslehre erfolgreich abgeschlossen hat und zum 1. September 2014 eine Arbeitsstelle in München antreten kann, möchte gerne in das Haus, das sich in einem Wohngebiet in zentrumsnaher Lage befindet, einziehen. Er sendet daher am 2. Juni 2014 eine E-Mail an Manfred Müller, in der er das Mietverhältnis "fristgerecht zum 31. August 2014" kündigt und Manfred Müller auffordert, das Haus bis dahin zu räumen und die Schlüssel herauszugeben. Zur Begründung führt Naumann aus, er benötige das ihm von seinem Onkel geschenkte Haus für sich, da er ab 1. September 2014 einen Arbeitsplatz in München habe und daher dort eine Wohnung brauche. Außerdem sei ihm seine bisherige Zwei-ZimmerMietwohnung in Augsburg mit einer Wohnfläche von weniger als 40 Quadratmetern viel zu klein. Anstatt eine Wohnung in München anzumieten, wolle er dort lieber im eigenen Haus mit eigenem Garten leben. An den Text fügt Naumann seine eingescannte Unterschrift an. Zur Sicherheit druckt er die E-Mail zusätzlich aus, unterschreibt den Ausdruck und gibt ihn als an Manfred Müller adressierten Brief am 3. Juni 2014 zur Post. Die – nicht mit einer elektronischen Signatur versehene – E-Mail erreicht Manfred Müller zwar am 2. Juni 2014, wird von diesem aber nicht gelesen, sondern als vermeintliche "Spam-Mail" (unverlangt zugesandte Werbe-E-Mail) sofort ungeöffnet gelöscht. Der gleichlautende Brief wird vom Briefträger am 7. Juni 2014 in den Briefkasten der Familie Müller eingeworfen. Frau Müller öffnet den Brief, zeigt ihn aber zunächst nicht ihrem Ehemann, da sie diesen nicht unnötig aufregen will. Erst am 15. Juli 2014 überlegt sie es sich anders und informiert ihren Mann. Manfred Müller ist der Auffassung, die Kündigung sei nicht nur in formeller Hinsicht, sondern auch aus inhaltlichen Gründen unzulässig. Er bestreite zwar nicht, dass Naumann tatsächlich in das Haus einziehen wolle, es könne aber doch nicht angehen, dass ein alleinstehender Berufsanfänger, der ... Examensklausurenkurs 19.6.2015 Seite 2 noch nicht einmal der ursprüngliche Vermieter sei, mit völlig überzogenen Wohnansprüchen eine fünfköpfige Familie aus ihrem Heim vertreiben könne. Naumann hält dem entgegen, als neuer Eigentümer habe er einen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, sein Eigentum selbst nutzen zu können. Da Naumann weiterhin auf einer Räumung des Hauses zum 31. August 2014 besteht, möchte Müller die Sache gerichtlich geklärt wissen. Er erhebt daher am 20. Juli 2014 Klage gegen Naumann zum Amtsgericht München mit dem Antrag, festzustellen, dass die durch Naumann erfolgte Kündigung des Mietvertrages unwirksam ist. Bei einer, im Einverständnis mit Müller erfolgten, zwischenzeitlichen Besichtigung des Grundstücks stellt Naumann fest, dass im Garten zahlreiche Bienen umherschwirren. Diese stammen von dem unmittelbar angrenzenden Grundstück des Gregor Grau, der als Hobby-Imker dort insgesamt 14 Bienenstöcke aufgestellt hat. Naumann wird von einer dieser Bienen im Gesicht gestochen, was zu einer schmerzhaften Schwellung führt. Naumann fordert daraufhin Grau auf, die Bienenhaltung, durch die die Nutzbarkeit seines Grundstücks erheblich eingeschränkt werde, sofort einzustellen. Ferner verlangt er Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes. Grau weist beide Forderungen empört zurück. Bienen seien nützliche Tiere, an deren Haltung ein allgemeines ökologisches Interesse bestehe, zumal er – was zutrifft – der einzige Imker in der Nachbarschaft sei. Dass Naumann gestochen worden sei, sei zwar bedauerlich, es handele sich hierbei aber um ein Naturereignis, an dem Grau keinerlei Verschulden treffe. Vermerk für die Bearbeiter: In einem Gutachten, das auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen eingeht, sind folgende Fragen zu beantworten: 1. Hat die Klage von Manfred Müller Aussicht auf Erfolg? 2. Kann Norbert Naumann von Gregor Grau die Einstellung der Bienenhaltung sowie Schmerzensgeld wegen des Bienenstichs verlangen? Hinweis: Bei der Bearbeitung ist davon auszugehen, dass die Klageschrift von Manfred Müller den Anforderungen des § 253 ZPO entspricht und Norbert Naumann ordnungsgemäß zugestellt worden ist. Ferner ist zu unterstellen, dass die tatsächlichen Angaben in der E-Mail des Norbert Naumann vom 2. Juni 2014 zutreffen. Viel Erfolg! Hinweise vom Lehrstuhl: Abgabe: Die Klausuren werden nach der Bearbeitungszeit eingesammelt oder können am Lehrstuhl Zivilrecht X bis Montag, 22.6.2015, 12 Uhr, abgegeben werden. Bitte auf den Klausuren vermerken, ob die Bearbeitung am Freitag von 14 bis 19 Uhr (unter Examensbedingungen) oder am Wochenende vorgenommen wurde. Die Information dient der anonymen statistischen Auswertung der Ergebnisse. Rückgabe und Besprechung: Donnerstag, 9.7.2015, um 14:00 Uhr (S 62).
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