MONTAG, 16. NOVEMBER 2015 Leichte Muse Das Salonorchester brilliert mit Polka, Tango und Walzer Stadt Schaffhausen 17 Ein göttlicher Perspektivenwechsel Ungewöhnlich mutete das Programm an, das zahlreiche Landes- und Freikirchen Schaffhausens für die erste «Nacht der offenen Kirchen» auf die Beine stellte. Ein Wagnis zwischen teuflischen Pointen und meditativen Erlebnissen. VON SABINE BIERICH Das Salonorchester Schaffhausen entführte für einmal mehr im Saal der Kirche St. Konrad in die Welt der gehobenen «leichten Muse». Bereits 1938 wurde es, wenn auch erst einmal unter anderem Namen, in Schaffhausen gegründet. Seit drei Jahren liegt die musikalische Leitung in den Händen des Geigers und Dirigenten Erich Meili. Atem für den grossen Bogen Erich Meili verstand es, aus dem grösstenteils mit Amateuren besetzten 15-köpfigen Orchester Erstaunliches hervorzulocken. Das Orchester meisterte unter seinem Dirigat die grossen Bögen, die in den ausgefeilten Walzern des 19. Jahrhunderts trotz aller Abschweifungen zu finden sind. Verschiebungen der Tempi, die orchestrale Steigerung zum Triumphalen sowie träumerisch-tänzerische Passagen wurden detailliert und dynamisch herausgearbeitet. Dabei hatte sich das Orchester gleich zu Anfang die anspruchsvolle Ouvertüre «Miramare» von Julius Fuĉík und den sinfonischen Walzer «Seid umschlungenen, Millionen» von Johann Strauss (Sohn) vorgenommen. Strahlkräftig und intonationssicher traten vor allem die Bläser in Erscheinung. Die Geigen waren nicht immer ganz astrein zu vernehmen. Dafür nahmen sich Cello und Kontrabass umso schöner aus. Spielerisch rhythmischen Halt legte das Schlagzeug dazu, und das Klavier setzte immer wieder perlende Akzente. Schmissig und tanzbar Fröhlich umspielte das Orchester die von den Solisten Jacqueline Kuhn und Rolf Vetter gut artikulierten Klarinetten in der Polka «Gut gelaunt» von Hans Fuchs. Schwebend leicht nahm Meili «Les Fleurs», einem Walzer von Emile Waldteufel. Hier und da schaute sich in den Reihen verschmitzt das ein oder andere Paar an. Bestimmt überlegte man, ob es nicht schön wäre, auch das Tanzbein schwingen zu können. Im «Tango Anjuschka» von Walter Jäger kamen die verschiedenen Stimmen akzentuiert zum Tragen. Mit der «Traumserenade» von Heinz Crucius hob das Orchester mit temperamentvollen Rhythmen ab. Das Publikum spendete begeistert Applaus. Als Zugabe erklangen «Bahn frei» von Eduard Strauss und Max Oscheits «Im Zigeunerlager», in denen das Orchester noch einmal seinen Farbenreichtum entfalten konnte. VON ANNA ROSENWASSER Im ersten Moment ist der Anblick witzig. Da gehen die mächtigen Türen des majestätischen Münsters auf, schwer und langsam, leicht düster in dieser Samstagnacht – und drin stehen Liegestühle statt Bänke. Fast 150 sind es an der Zahl, in Reih und Glied warten sie auf Gäste, als befänden wir uns an einem Strand. Die hohen, massigen Wände des Münsters sind beleuchtet in intensiven Farben, und kurz fühlt man sich erinnert an eine Disco. In Amsterdam befindet sich einer der berüchtigsten Nachtclubs in einer Kirche. Droht das jetzt dem Schaffhauser Münster?! Alle sieben Jahre Nein, der Gedanke ist ein anderer. Die erste «Nacht der offenen Kirchen» fand vergangenen Samstag statt. Das St. Johann, die St.-Anna-Kapelle, das Münster, der Pfarreisaal des St. Maria, die Friedenskirche EMK und das Heilsarmeezentrum Tannerberg standen für alle Interessierten offen. Allerdings nicht etwa mit einer Predigt, sondern mit ungewöhnlichem Programm: «Kirche trifft Kultur», lautete der Titel des Kirchenfests, das die Abeitsgemeinschaft christlicher Kirchen und Gemeinden im Kanton Schaffhausen (AKSH), also von Landeskirchen bis hin zu Freikirchen, alle sieben Jahre veranstaltet. Die vergangenen zwei Male verlegte man ökumenische Gottesdienste auf leicht ungewöhnliche Zeiten – dieses Mal liess man die Gottesdienste weg. Stattdessen gab es Tanz, Lachyoga, eine Krimilesung, Klezmermusik, Poetry-Slams und, eben, Liegestühle. In diesen konnte man einem gregorianischen Chor lauschen. Was denn auch ausgesprochen viele Schaffhauser und Schaffhauserinnen taten, die das Münster bis zum Bersten füllten, zumeist liegend. Künstlerische Freiheit «Eine Horizonterweiterung der Kirchentreuen wie auch der Kirchenfernen», erhofft sich Pfarrer Matthias Eichrodt, Kirchenrat und Mitorganisator des Fests. Klar, als vor zwei Jahren die Ideensuche begann, habe es Argwohn gegeben: Ist ein Yogaanlass christlich genug? Ist es in Ordnung, als Grundsatzentscheid keinen Gottesdienst durchzuführen? Das OK entschied: Ja, der Perspektivenwechsel ist spannend. Wenn 400 Menschen einen ökumenischen Gottesdienst in der Rhy- Eine Tanzperformance mit Flügeln stand im St. Johann auf dem Programm. Zur Musik der Pianistin Stefanie Senn, die am Flügel spielte, drückte Filomena Müller mit Bewegungen und Farben Gefühle und Stimmungen aus. Bild Selwyn Hoffmann E Doch doch, Poetry-Slams kennt Sonja Weg- E Eigens für den Poetry-Slam ist Claudia E «Was würde wohl der liebe Herrgott zu den badi besuchten – so geschehen an der letzten Schaffusia –, können sie auch in einer Kirche eine Tanzperformance geniessen. Die Organisierenden überliessen den Auftretenden ihre künstlerische Freiheit: «Welche Kriminalgeschichten Raphael Burri erzählt, ist ihm überlassen», so Eichrodt entspannt, «und die Slammer sollen sich einfach bewusst sein, dass sie in einer Kirche sind. Ich habe ja nichts gegen Kritik.» Sie liessen es sich dann nicht nehmen, die Poetry-Slammer samt Moderator, feine christliche Anspielungen bis hin zu tief unchristlichen Pointen zu platzieren (was prompt mit herausragend schlechten Publikumsbewertungen quittiert wurde). liegend den Männerstimmen zugehört zu haben; der Begriff «meditativ» fällt einige Male unter den Gästen. «Ja, auch das kann ein spirituelles Erlebnis sein!», ist sich Eichrodt sicher. Die (Sub-)Kulturen in den sechs Stadtkirchen waren ein Wagnis, das eifrig und neugierig besucht wurde. Beim Glühwein in der kühlen Samstagnacht wurde das Erlebte dann kritisch besprochen. Wie Poetry-Slam-Moderator Philip Vlahos es ausdrückte: «Im Unterschied zum Christentum müsst ihr hier nicht alles gut finden, was vorne abläuft.» müller vom Radio. Was die jungen Slammer in der Kapelle angestellt haben, gefiel der Sprachliebhaberin sehr gut – ausser dem einen Text, der es übertrieben habe. Bilder Anna Rosenwasser Kühne in die St.-Anna-Kapelle gekommen. Normalerweise ist sie aber öfters in der Kirche als an einem Slam anzutreffen. Der Text «Wenn Gott eine Frau wäre» gefiel ihr am besten. Spirituelles Erlebnis Kaum ein erbostes Gesicht war aber zu sehen an dieser Nacht der offenen Kirchen: Das Publikum, tatsächlich in Alter und Kirchennähe recht durchmischt, erfreute sich der Klezmermusik, des Tanzes, der Krimis. Grinste breit nach dem Lachyoga, zitierte höhnisch die Slammer. Nicht wenige schwärmten davon, im Münster Liegestühlen sagen?», fragte sich Joseph Frey erst. Dann lag er im Münster in einen solchen Liegestuhl, lauschte dem Chor, guckte in die Sternenbeleuchtung – und schlief glücklich ein. Genossen Domenico Salvatore ist von Stetten ins Mühlental gezogen, Valentin Schiess keltert am Rheinknie Rotweine aus der Bündner Herrschaft Eleganter Italiener im Ex-Cabaret, Jeninser Gamaret aus Basel E Im oberen Mühlental, gegen- über der Garage Ergün, dort, wo früher leicht geschürzte Girls über die Cabaretbühne des Nightclubs Flamingo huschten, hat sich ein eleganter Italiener aus dem Mezzogiorno etabliert: Domenico Salvatore sagte seinem Ristorante Del Sole in Stetten addio und zelebriert nun seine Cucina casalinga in dem urban anmutenden Saal des einstigen Restaurants Pilgerbrunnen, das jetzt Villa Domenico heisst. Die Tische sind weiss eingedeckt, mit Stoffservietten, für ungefähr 50 Gäste, die auch mit dem Auto kommen können, denn Parkplätze gibt es hier reichlich rund ums Haus. Schon in den ersten Tagen nach der Eröffnung ist das Lokal über Mittag gut besucht: In einer Ecke machen sich fünf Jungs vom Bau mit gesundem Appetit über ihren Calzone her, der aussieht Die Villa Domenico ist ein elegantes italienisches Lokal. wie aus dem Bilderbuch, an einem andern Tisch laben sich Herren, die eher die Art kantonaler Beamten haben … Zu Domenicos Stammgästen gehören übrigens seit jeher auch Promis wie der Fernsehjournalist Rainer Maria Salzgeber und der Fussballtrainer Roberto Di Matteo. (us) Bilder Zeno Geisseler E Natürlich dominieren auch bei diesem Italiener Pasta und über 30 Pizze die Speisekarte, aber hier gibt es sie für Allergiker auch glutenfrei. Jeden Tag stehen zehn verschiedene Mittagsmenüs zwischen 15 und 25 Franken mit Salat zur Wahl, für die Linienbewussten sind auch zwei Fitnessteller darunter. Dass die Pappardelle hausgemacht sind, sieht man mit einem Blick in die Küche, wo die Teigbahnen gerade frisch ausgewalzt werden. Fatte in casa – elastisch, mit Biss, veramente al dente: einfach, aber einfach gut, ob nun an Domenicos Safransauce oder mit Cherrytomaten und Wildschwein-Salsicce als Mittagsmenü. (us) E Der freundliche Cameriere Giuseppe, der sich sein Wissen und seine Umgangsformen als Kellner im erstklassigen Park hotel Laurin in Bozen erwarb, hat zusammen mit Domenico den Weg von Stetten hinunter ins Mühlental gefunden. Die Weinkarte ist, wie es sich für einen Italiener gehört, fest in italienischer Hand: Weissweine gibt es von 35 bis knapp 50 Franken die Flasche, vom Südtiroler Gewürztraminer bis zum Arneis Roero; Rotweine kosten 49 bis 95 Franken, von Sassoalloro von Biondi-Santi aus der Toskana bis zu den sizilianischen Mille e una notte von Donnafugata. (us) E Gamaret ist eine Schweizer Rebenzüchtung, eine Kreuzung von Gamay und Reichensteiner. In Basel keltert Valentin Schiess seinen Ripasso 2014 aus Jeninser Blauburgundertrauben und fügt dem Jungwein Gamaret-Trester hinzu. Wir notierten: Granatrot mit Purpurrand; in der Nase Nelken, Zimt, Grappa, Kirsche und Orangenschale; am Gau- men saftig und stoffig, jugendlich raue Tannine. Der Wein erinnert an einen jungen Barbera. Schiess’ Jeninser 2012 wurde vom britischen Weinmagazin Decanter mit einem Silberdiplom 2015 ausgezeichnet. Er wird, ganz im Amarone-Stil, aus angetrockneten Gamaret- und Blauburgundertrauben gekeltert. Tiefes Granatrot; in der Nase Eichenholz, Möbelwachs, Tannenschösslinge, balsamisch; am Gaumen dunkle Beeren, kräftige Tannine, genügend Säure, nicht allzu füllig und ein wenig kantig im Abgang. www.vinigma.ch. (us)
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