Lehrabschluss 9 Freitag, 10. Juli 2015 An Herz und Nieren der «Brummis» Manuela Bischof ist die erste Frau im Kanton St. Gallen, die sich für eine Lehre als Automobil-Mechatronikerin für Nutzfahrzeuge entschieden hat. Die Abwechslung im beruflichen Alltag, aber auch über längere Zeit an einem Lastwagen zu schrauben, das gefällt ihr an ihrer Arbeit am besten. CORNEL AMERRAYE Den ganzen Tag vor dem Computer zu sitzen ist nichts für Manuela Bischof. Darum schnupperte die 21-Jährige in ihrer Schulzeit ausschliesslich in handwerklichen Berufen. Fünfmal absolvierte sie eine Schnupperlehre als Mechatronikerin für Personenwagen (PKW), einmal war sie sogar in einem Maurerbetrieb tätig. Als sie die letzte Schnupperwoche absolvieren musste, stöberte sie in einer Infobroschüre mit Automobil-Berufen. Dabei entschied sie sich nochmals für eine Schnupperlehre als Mechatronikerin – diesmal aber für Nutzfahrzeuge (LKW). «Ich habe drei Betriebe angefragt und zweimal eine Absage bekommen.» Man wollte keine Frauen als Lernende einstellen. Und auch ihre Lehrerin legte ihr ans Herz, doch etwas anderes auszuprobieren. Beim dritten Telefonat hatte sie jedoch Erfolg und konnte in der Larag Wil eine Woche lang an LKWs herumschrauben. Das gefiel ihr so gut, dass sie im Anschluss den Eignungstest machte und bestand. Nach schriftlicher Bewerbung bekam sie auch prompt eine Zusage und konnte nach den Sommerferien ihre Lehre starten. Sie hat den Dreh raus In der Werkstatt – etwa so gross wie ein Fussballfeld – packt Manuela Bischof genau so an wie ihre männlichen Berufskollegen. «Anfangs machte mir das Lösen von gewissen Schrauben noch Mühe. Nach einigen Wochen hatte ich aber die nötige Technik und den Dreh raus.» Inzwischen analysiert die Gähwilerin routiniert Fehlerspeicher auf dem Diagnosegerät, setzt Schmieranlagen wieder in Gang oder wechselt das Öl an einer der tonnenschweren Zugmaschinen. «Am meisten Freude habe ich, wenn ich mich länger in eine Arbeit vertiefen kann.» Aber auch Routinearbeiten wie ein Service und Abgaswartungen sagen ihr zu. «Man weiss nie, ob man dabei nicht noch andere Mängel entdeckt und diese dann beheben muss.» Dieses Unerwartete mache den Berufsalltag erst recht spannend. Zudem könne man am LKW im Gegensatz zum PKW noch vieles reparieren und ersetze bei Defekten nicht einfach ein fehlerhaftes Bauteil. An die dreckigen Hände musste sie sich zuerst gewöhnen. Heute ist es für sie normal. Trotzdem ist sie froh, wenn sie ihre Nägel in den Ferien wieder mal lackieren kann. 100 Meter lange Lastwagen Zwischen ihrem siebten und zwölften Lebensjahr lebte Manu- Bilder: Mareycke Frehner Manuela Bischof an ihrem Arbeitsplatz: Reparaturarbeiten an Nutzfahrzeugen erfordern ein hohes technisches Verständnis. ela Bischof insgesamt dreieinhalb Jahre mit ihrer Familie in Australien. Dort hat sie auch schon so manchen Roadtrain gesehen und war beeindruckt von den Lastwagen, die bis zu 100 Meter lang sind. Dass sie aber einmal die kleineren Pendants reparieren würde, konnte sie sich damals noch nicht vorstellen. Auch sonst war sie in ihrer Kindheit und Jugend nicht sonderlich an Motorfahrzeugen interessiert. «Ich hatte mal ein Mofa. An diesem habe ich aber einzig das Rücklicht ersetzt», sagt sie fast verlegen. Eigentlich wollte sie Polizistin werden. Heute besitzt die zierliche Frau den Lastwagen-Führerschein. Die Fahrprüfung hat sie erst vor kurzem bestanden und hatte wegen der Abschlussprüfungen noch gar keine Zeit, Fahrpraxis zu sammeln. Vom Auftrag bis zur Reinigung Und auch sonst arbeitet sie, wie auch alle anderen Mechatroniker in der Firma, immer in Zweierteams und nie alleine an einem Lastwagen. Dies sei sicherer und man könne zudem immer vom Partner etwas dazulernen. Morgens beginnt die Arbeit mit der Arbeitszuteilung durch den Werkstattchef. Jedes Team bekommt Mit einem Hebeleisen wird ein Radial-Wellendichtring entfernt. einen Auftrag. Heute darf Manuela Bischof die Bremsen an einem Mercedes Actros ersetzten. Gekonnt fährt sie zuerst auf den Prüfstand und ermittelt die Kraft der vier Bremsen. Anschliessend lenkt sie den Actros auf die Rüttelplatte, um die Aufhängung zu testen. Nach dieser Erstkontrolle geht es in die Werkstatt, für eine Sichtprüfung. Mit ihren geschulten Augen entgeht der jungen Frau nichts. Nach dem Wechsel der Bremsscheiben und der Klötze geht es mit dem ausgelernten Teamkollegen auf Probefahrt und danach direkt nochmals auf den Prüfstand. Alles in Ordnung – noch ein letzter Schritt: das Reinigen, sprich Abdampfen des Fahrzeugs. «Auch das gehört in diesem Beruf dazu.» Zum Abschluss füllt Manuela Bischof noch den Arbeitsrapport am PC aus – eines der wenigen Dinge, auf die sie verzichten könnte. «Da hätte ich ja gleich das KV machen Automobil-Mechatroniker/in EFZ Tätigkeiten: Automobil-Mechatroniker/innen führen bei Personenwagen oder Nutzfahrzeugen Systemprüfungen und einfache Diagnosearbeiten durch. Sie übernehmen Wartungs- und Reparaturarbeiten an Motor, Antrieb, Fahrwerk und Elektronik. Dauer: 4 Jahre. Fachrichtungen: Personenwagen oder Nutzfahrzeuge. Bildung in beruflicher Praxis: Automobil-Mechatroniker und -Mechatronikerinnen arbeiten in einer Werkstatt für Personenwagen oder Nutzfahrzeuge. Schulische Bildung: Die Lernenden gehen in die Berufsschule. In den ersten drei Lehrjahren jeweils eineinhalb Tage, im vierten Lehrjahr sind sie nur noch ein Tag pro Woche in der Schule. Berufsbezogene Fächer: Rechnen/Physik, Elektrotechnik, Stoffkunde/Fertigungstechnik, Kommunikation/Kundendienst mit technischem Englisch, technische Informationen, Vorschriften, Informatik, Elektrik/Elektronik, Motor, Antrieb, Fahrwerk. Bei sehr guten schulischen Leistungen kann während der Grundbildung die Berufsmaturitätsschule besucht werden. Anforderungen: Abgeschlossene Volksschule und ein AGVS-Eignungstest, hohes technisches Verständnis, gute Auffassungsgabe, logisches Denken, handwerkliches Geschick, exakte und sorgfältige Arbeitsweise, Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Selbstständigkeit und gute Umgangsformen. Nach dem Bremsscheibenwechsel werden neue Schrauben angesetzt. Weiterbildung: Kurse (Angebote des Auto Gewerbe Verbandes Schweiz (AGVS) und von Berufsfachschulen), Verkürzte Grundbildung (Prüfung der jeweils anderen Fachrichtung nach einem Jahr entsprechender Berufspraxis), Berufsprüfungen (Automobildiagnostiker/-in, Automobil-Verkaufsberater/-in, Kundendienstberater/-in im Automobilgewerbe, Reifenfachmann/-frau), höhere Fachprüfungen (dipl. Betriebswirt/-in im Automobilgewerbe), höhere Fachschule (zum Beispiel dipl. Techniker/-in HF Maschinenbau, dipl. Techniker/-in HF Elektrotechnik), Fachhochschule (Bachelor of Science in Automobiltechnik). www.berufsberatung.ch können,» sagt sie mit einem Schmunzeln» Die Schule bringt Abwechslung Einmal pro Woche besucht Manuela Bischof das Berufs- und Weiterbildungszentrum in Uzwil. Sie geht gerne in die Schule und mag den Fachkundeunterricht. Dabei kann sie sich auch ein wenig von dem strengen Arbeitsalltag erholen. Dass sie die einzige Frau in der Klasse ist, stört sie nicht. «Vor meiner Lehrzeit war ich nur mit Mädchen unterwegs. Seit ich in der Lehre bin, eigentlich nur noch mit Jungs.» Kindergarten oder Mine Trotz aller Begeisterung für ihre Arbeit wird Manuela Bischof voraussichtlich nicht auf dem Beruf bleiben. Sie bereue aber nichts und würde nochmals die genau gleiche Lehre machen. «Ich vermisse Australien und möchte nach meiner Lehrzeit auswandern.» Über ihre berufliche Zukunft ist sie sich schon jetzt im Klaren. «Ich möchte Kindergärtnerin werden.» Sie wäre aber auch nicht abgeneigt, in einer der vielen australischen Minen zu arbeiten. Immerhin hat sie bewiesen, dass es möglich ist, sein aussergewöhnliches Ziel zu erreichen. Manuela Bischof beim Anschrauben der Bremszange, mit Belägen.
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