Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! ________________________________________________________________________ „Als eine Kunst werde das Lernen gelehrt, und auch das Behandeln der Dinge und Menschen lehret als Kunst, und Kunst auszuüben ist lustvoll." (Bertold Brecht) „Das Theater ist der Gegenstand – der Grund warum man zusammenkommt und somit auch den Gesetzmäßigkeiten dieser Kunstgattung unterworfen. Die Pädagogik ist das Geschick, das dafür Sorge trägt, dass man zusammenbleibt und den Weg gemeinsamen Schaffens ebnet.“ (Christel Hoffman) „Wie schwer ist es jedoch, seine Erfahrungen in einem so komplizierten Prozess mitzuteilen, wie es das Schaffen des Schauspielers ist. Im persönlichen Kontakt mit dem Schüler kann man zeigen, vorführen, gestalten, was sich schwer in Worte fassen lässt. Die Gestaltung ist die Sphäre des Schauspielers. Greift man aber zu Feder, dann hat man die Worte, die man zur Bestimmung von Empfindungen benötigt nicht parat, oder sie entschwinden einem.“ (Stanislawski) „Bleistift und Papier, Acryl und Leinwand sind für den malenden Amateur wie für den akademisch ausgebildeten professionellen Künstler gleich; die spielenden Subjekte eines Theaterpädagogen (die Mitglieder eines Amateurtheaters) sind andere als die professionellen Schauspieler, mit denen ein Regisseur des professionellen Theaters seine Inszenierungen erarbeitet. Grob und einfach formuliert: jeder Zeichner arbeitet mit dem gleichen Material; beim Theaterregisseur ist das Material anders. Meine erste Frage (vor allem an die bildende Kunst gerichtet): Stimmt das so? - Meine zweite Frage: Was bedeutet das für die Spielpädagogik?“ (Nickel) „Und jenseits der theoretischen Erörterungen des Subjekts wird es auch in der theaterpädagogischen Praxis auf die Teilhabe an einem Prozess ankommen, durch den das Subjekt überhaupt erst ins Spiel kommt und sich auf jenen kurzen Umweg macht, den man Leben nennt.“ (Hanke) ________________________________________________________________________ Vaßen, Florian (1997): Verkehrte Welt? Der Stellenwert von Ästhetik in der Theaterwissenschaft und Theaterpädagogik. In Belgrad, J. (1997): Theaterspiel. Ästhetik des Schul- und Amateurtheaters. Hohengehren (S.57-65) Es geht ebenso wenig um Pädagogik mit Hilfe von Theater wie um dessen Pädagogisierung, sondern um Theater in pädagogischen Zusammenhängen, bei dem sich die pädagogischen Ziele aus anderen, insbesondere ästhetischen Orientierungen ergeben und entwickeln. ________________________________________________________________________ Rellstab, Felix (2000): Handbuch Theaterspielen. Theaterpädagogik (Band 4). Wädenswill Theaterpädagogik versteht sich als Theaterarbeit im sozialen Feld, vor allem in Schule und Freizeit. Im Vordergrund steht das Spielen mit und für einzelne soziale Gruppen, vor allem für Randgruppen: Kinder, Schüler und Lehrlinge, alte Menschen, Gastarbeiter, Arbeitslose und Behinderte, Gefangene. Ziel des gemeinsamen Spielens ist die zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 1 Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! Aufhebung der Behinderung und Schranken, die sie als einzelne und als Gruppe erfahren und das Hinführen zur Gemeinschaft aller. Das Spielen soll im Lebensumfeld einen gesellschaftlichen Integrationsprozess in Gang setzen. Theater, wie es der Theaterpädagoge versteht, will einen doppelten Sinn erfüllen: einen sozialen und einen künstlerischen. Es will Theater sein für jene, die spielen und jene, die zuschauen und so ins Spiel einbezogen werden. Der Prozess des sich gegenseitigen Öffnens ist zunächst wichtiger als das Ergebnis. Ausgangspunkt ist die eigene, persönliche Erfahrung der Spieler, die Erfahrung im gesellschaftlichen Umfeld, den Lebensorten. Dieses Spielen, genährt vom eigenen Erleben, von eigenen Nöten und Interessen, soll Authentizität und Echtheit erreichen und dadurch künstlerische Qualität. Das Freisetzen ursprünglicher Spiel- und Verwandlungsformen zeichnet solches Theaterspiel aus. (S. 31) (...) dass Theaterpädagogik immer einen Doppelaspekt hat, einen künstlerischen und einen pädagogischen. (...) Der Theaterpädagoge steht auf zwei Beinen, dem einen des Bühnenkünstlers und dem anderen Bein des Pädagogen. (S. 43) Ein Theaterpädagoge (...): - spielt mit sich, - mit anderen, - spielt für andere, - regt andere zum Spielen an. (S. 44) Bühnenkünstler sind sie - dank ihrer lebenslänglichen Spiellust, - dank ihrer vertieften und stilistisch differenzierten Spielkenntnisse, - durch ihr handwerkliches Spielen-Können, - durch die Beherrschung der körperlichen, stimmlichen, sprecherischen Mittel, - weil sie mit spielerischen Mitteln andere zum Spielen animieren, - dank ihrer Kenntnis und Beherrschung der verschiedensten Spielformen und Spieltechniken, - dank ihres Könnens, Wirklichkeitserfahrungen in szenisches Spiel zu verwandeln, - als kundige Spielleiter. (S.44-45) Als Pädagogen sind sie geeignet, - weil sie lebhafte Kinder, schwierige Aussenseiter, Spiele, Lärm, Termindruck, Stress und Chaos lieber haben als eintöniges Alltagseinerlei, - das sie eher an Entwicklung interessiert sind als an Leistung, - da sie fähig sind, die Themen und Anforderungen ans Spielen in die jeweilige pädagogische Situation transferieren zu können, - weil sie ein unerschöpfliches Repertoire an Übungen, animatorischen Spielen und Spielformen verfügen, - weil sie sich von fundierten didaktisch-methodischen Konzepten leiten lassen, - weil sie kommunikativ sind, mitteilsam, gern reden und erklären, - weil sie gut zuhören können, - weil sie sich intuitiv auf ihr Gefühl für menschliche Situationen verlassen können, - weil sie als Spieler keine stelzenden Pfaue sind, nicht nur sich selber zeigen wollen, sondern eher zurückstehen und sich in den Dienst der Aufführung stellen oder anderen den Vortritt lassen, zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 2 Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! - weil sie als Spielleiter weder Generäle noch Dompteure sind, sondern Heger und Pfleger - Gärtner! - weil sie echte Animatoren sind: Seeleneinhaucher! (S. 45) Theaterpädagogik will auf spielerische Weise Wertvolles zum Blühen und Missstände zum Verschwinden bringen und will Veränderung, Entwicklung. (S. 45) (...) die Theaterpädagogik besteht aus zwei unterschiedlichen Teilen, dem Theaterspiel und der Pädagogik. Die Pädagogik der Theaterpädagogik wurzelt im Theaterspiel und dieses im Leben. Die Pädagogik baut folglich auf den Grundtatsachen des Lebens auf. Theaterpädagogik versteht und praktiziert das Spiel als Leben- und Theaterprinzip. (...) Im Zentrum der Theaterpädagogik steht der einzelne Mensch - im Zusammenleben mit anderen. Dieser einzelne Mensch ist ein spielender Mensch. Die Theaterpädagogik erkennt alle Menschen als Spieler. Jede und jeder kann Theater spielen. Theaterspielende spielen mit sich - mit anderen - für andere. Diese dreifache Ausrichtung stellt der Theaterpädagogik eine dreifache Entwicklungsaufgabe: 1. der individuellen Gaben und Lebensäußerungen 2. der Interaktion - des Zusammenspiels von Einzelnen und gesellschaftlichen Gruppen zwecks Integration ins gesellschaftliche Ganze und zur Erhöhung der sozialen Kompetenz, 3. der Ausdruckskraft von Körper, Stimme und Sprache und des zielgerichteten Handelns aufgrund von fiktiven Annahmen zur ausdrucksstarken Darstellung vor anderen. (S. 193-194) ________________________________________________________________________ Weintz, Jürgen (2003): Theaterpädagogik und Schauspielkunst. Ästhetische und psychosoziale Erfahrung durch Rollenarbeit. Butzbach-Griedel (S. 279-308) Kapitel 8.1 Die frühe Theaterpädagogik (Anmerk. Exkurs zu den Wurzeln) Für die junge Theaterpädagogik der 70er Jahre jedoch stand (...) vor allem die Förderung der sozialen und kommunikativen Kompetenz im Vordergrund. (...) Die Spiel- und Theaterpädagogik verstand sich als Interaktionspädagogik. (S. 279) Allerdings gab es auch bereits Anfang der 70er Jahre Stimmen, die den überzogenen Anspruch, durch Theaterspiel direkte Verhaltens- oder Systemänderungen zu bewirken, in Zweifel zogen. Sie stellten den Eigenwert und die Fazination des Mediums Theater in den Vordergrund und wollten der Freude am Spiel gegen die Realität (statt für eine bessere Welt) mehr Geltung verschaffen. (S. 281) Eine weitere Neuorientierung lässt sich seit Anfang/Mitte der 80er Jahre feststellen. Diese Umdeutung erfolgte zugunsten eines stärkeren Adressaten- und Subjektsbezugs und wurde mit Zielen wie Selbstvergewisserung und Identitätsfindung verbunden. Statt der interaktionistischen bzw. politischen Zielrichtung steht nun vor allem die quasitherapeutische, subjektive Auseinandersetzung des einzelnen Spielers mit der eigenen Biographie und dem näheren Umfeld im Vordergrund. (S. 282) (...) durch die spätere Umorientierung vom sozialen Makrokosmos auf den Intim- oder Innenraum des agierenden Subjekts (...) wurde der Eigensinn der Kunstform Theater noch nicht ins Bewußtsein gehoben. Daher ist die in letzter Zeit vehement postulierte Besinnung zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 3 Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! der Theaterpädagogik auf das Ästethetisch-Theatralische und seine besondere Wirkung nicht nur nachvollziehbar, sondern auch dringend erforderlich. (S. 283) Das neue Paradigma ließe sich auf folgenden Nenner bringen: Ablehnung (übertriebener) pädagogischer Instrumentalisierung des Theaters und (Wieder-) Entdeckung seiner ästhetischen Qualitäten. (S. 284) Kapitel 8.3 Zum Verhältnis von Spiel- und Theaterpädagogik In bezug auf das Selbstverständnis der Theaterpädagogik (...): Die verstärkte Berücksichtigung theatraler Gestaltungsweisen müßte mit der pädagogischen Begleitung des künstlerischen Prozesses, die die individuellen wie gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgen des Spiels mitdenkt, in ein Verhältnis gesetzt werden. (S. 293) Während aber im Spiel das für- und miteinander Handeln dominiere, gehe es beim Theater um Handeln vor anderen, um Wirkung auf und Bestätigung durch ein Publikum. Nach H.M.Ritter ist der Begriff Theaterspielen vor diesem Hintergrund irreführend, da das theatralische Handeln ein ästhetischer Vorgang sei, bei dem es darum gehe, mit der eigenen Person lebende Bilder herzustellen, die auf andere wirken sollen und das Theatermachen vor diesem Hintergrund eher eine Arbeits- als eine Spielform sein. (S. 293) Kapitel 8.4 Theaterpädagogik zwischen Kunst, Pädagogik und Therapie 8.4.1 Theater und Pädagogik (...) Theaterpädagogik in einem Spagat zwischen darstellender Kunst, Pädagogik und Therapie (...). Die Problematik ist der Kunstform Theater geschuldet mit ihrer spezifischen Symbolsprache, ihrer Nähe zum Spiel und zu dessen quasi-therapeutischen Wirkungen und auch der Verwandtschaft der theatralischen Interaktion mit Alltagsinteraktionen, also der (begrenzten) Nähe des Theaterspiels zur `Theatralität´ des Alltags. (S. 294) Theaterpädagogische Arbeit findet in einem Kräftefeld statt, das einerseits definiert wird durch Bildungsintentionen, die von Zweckrationalität und Praxis-/ Handlungsorientierung bestimmt sind, und andererseits durch Theater als einer künstlerischen Ausdrucksform, die den Rahmen einer Als-Ob-Realität benötigt, auf subjektiver Affektbezogenheit, Körperlichkeit und Einbildungskraft beruht, spontane kaum wiederholbare Abläufe erzeugt und in den Wirkungen nur schwer kalkulierbar ist. (S. 294) (...) daß sich mit Theater und Pädagogik disparate traditionelle, systematische, erfahrungs- und erlebnisbezogene Konnotationen verbinden. Theater stehe aufgrund seines offenen Horizonts in einem konfliktträchtigen Verhältnis zur strikten Zielgerichtetheit der Pädagogik. (...) da auch Theaterpädagogik im Hinblick auf Bildungsabsichten, Botschaften an ein Publikum und Entwicklung eines Inzenierungskonzepts ebenso zielgerichtet sei (...). (S.294-295) Theaterpädagogik muß daher neben der Berücksichtigung der sozialen Vorprägungen von Zielen, Bedürfnissen, Themen, Formen Arbeitsweisen und Gruppenbeziehungen (Kontinuität) auch immer momenthafte Ereignishaftigkeit und Eigenwertigkeit von Theater (Punktualität) anerkennen. (S. 296) zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 4 Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! Daher muß auch eine künstlerisch ambitionierte theaterpädagogische Praxis das Faktum berücksichtigen, daß - theatralische Eigenarbeit durch äußere, soziale Einflüsse geprägt ist bzw. auf diese auch modellhaft zurückwirken kann, - die Adressaten selbst neben künstlerischen Interessen auch psychosoziale Bedürfnisse mitbringen (...), - Theaterspielen vor allem auch psychosoziale Erfahrungen im Hinblick auf Spieler und Gruppe nach sich zieht. Zudem sollten Theaterpädagogen immer auch die besonderen Erlebens- und Gestaltungsmöglichkeiten, die das Medium Theater bietet, im Blick behalten (...) und den Mitwirkenden dadurch einen eigenen Zugang zur Kunst des Theaters ermöglichen. (S. 296-297) Kapitel 8.4.2 Theaterpädagogik und Therapie Der entscheidende Unterschied zwischen Theaterpädagogik und Theatertherapie im Sinne von Psychodrama liegt also in der dem Theater immanenten Anforderung nach ästhetischer Gestaltung begründet. (...) Zwar nähert sich eine stärker ästhetisierte Theaterpädagogik dem Pol des ästhetischen Dramas (...) an. Andererseits bleiben aber ihre Berührungspuntke mit dem Gegenpol `Ritual´ oder Therapie erhalten, da eine ihrer Aufgaben auch darin besteht, die psychosozialen Wirkungen auf die Ausführenden zwar nicht gezielt herbeizuführen, aber doch zu beachten, zu ermöglichen und gemeinsam mit den Spielern einzuordnen und zu bewerten. (S. 302) ________________________________________________________________________ Martens, Gitta (2008): Theaterpädagogik und ihr Verständnis von Pädagogik heute. Gesellschaftliche Entwicklungen und professionelle Perspektiven. (Vortrag zur FJT 2008 in Remscheid) Zwar können Theaterpädagogen heute mit den verschiedensten Zielgruppen ad hoc auf die jeweiligen Problemlagen mit einer Vielfalt ausgewiesener Methoden reagieren, das dabei zugrunde liegende Verständnis von Pädagogik ist mir jedoch zumeist nicht ausreichend ausgewiesen. Vielen erscheint eine rein künstlerische, offene Arbeit ausreichend, andere wiederum bieten spezielle thematische Angebote unter Verzicht auf ästhetische Dimensionen. Gerade bei jungen Theaterpädagogen scheint trotzdem – so konnte ich vielfach bei Supervisanden feststellen – Theaterpädagogik nicht mehr in Theater und Pädagogik zu zerfallen; ihr theatrales und pädagogisches Vorgehen ist aber dennoch häufig unverbunden und unreflektiert. Die Frage, warum mache ich was mit welchen Menschen, wird zudem zeitgemäß auf Kompetenzvermittlung reduziert, selten differenziert aufgeschlüsselt. (S. 1) Theaterpädagogen können weder die Welt retten, noch einzelne Jugendliche, wenn keine Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt oder in der Gesellschaft als ganze in Sicht sind. Um den Druck zu nehmen, muss den Theaterpädagogen die Möglichkeit gegeben werden, ein breites künstlerisches, pädagogisches und auch therapeutisches Rüstzeug zu erwerben, damit sie selbstbewusst den Erwartungen der Öffentlichkeit und den Problemlagen ihrer Zielgruppen Stand halten können, ohne selber der Erwartung als Feuerlöscher oder Retter der Welt zu verfallen. (S.4) zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 5 Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! Sie müssen durch eigenes Tun erfahren, welche Potentiale in künstlerischer und pädagogischer Hinsicht etwa im Theaterspiel von Gruppen stecken, um einen Raum zu eröffnen, in dem Erfahrung auf den verschiedensten Ebenen möglich wird. Da sie selber flexibel agieren können sollten, müssen sie auch methodisch und pädagogisch ein breites Spektrum abdecken, können weder ein Steckenpferd reiten noch vage Angebote machen. Kurz, sie müssen wissen, was sie anbieten können, um entsprechend den Bedürfnissen ihrer Zielgruppen, Angemessenes zu ermöglichen. (S.5) Meine Erfahrung zeigt, dass eine unreflektierte Haltung Vereinseitigungen verfestigt: z.B. verpflichtet der professionelle Kunstbetrieb mit der ökonomisch notwendigen ‚eigenen Handschriftʼ seine Regisseure und Schauspieler dazu, überall ‚wiedererkennbarʼ zu sein. Das führt, unreflektiert in die pädagogische Praxis übertragen, dazu, Kinder und Jugendliche ‚anzupassenʼ in Stilistik und Arbeitsweise, also zu Ausführenden zu degradieren. Schulische Pädagogik etwa verpflichtet, Theaterspiel im Kontext von Selektion und Chancenzuweisung als Leistung zu benoten; Theater wird folglich auf die Erkenntnis seiner ‚Machbarkeitʼ reduziert; die Erfahrung künstlerischer Arbeit mit dem Mut zum Wagnis, zum Scheitern, der Selbstbegegnung muss ‚kontrolliertʼ stattfinden. Außerschulische Theaterpädagogen passen sich nun gern dem ‚Imageʼ des Künstlers an oder geraten an ihrem Arbeitsplatz Ganztagsschule in den Sog schulischen Lernverständnisses - beides vereinseitigt ihre Angebote und macht sie zudem angreifbar. (S. 8-9) Dagegen möchte ich ein offeneres Verständnis von Theaterpädagogik setzen: Theaterarbeit mit Laien sollte - an den verschiedensten Orten - ein sozialer Kunstprozess aller Beteiligten auf der Basis von Begegnung sein, in dem im freien Experimentieren immer wieder neu Themen, Wege, Ausdrucksformen und Stile von allen gemeinsam gesucht werden müssen. Damit ist es in erster Linie Beziehungsarbeit, in zweiter künstlerische Tätigkeit, die der Zielgruppe entsprechend methodisch differenziert sein muss, und in dritter Linie grundlegende pädagogische Arbeit, die dank des Theaterspiels als einer künstlerischen Ensembleleistung Selbsttätigkeit und Selbstbestimmung sowie Kooperation und Solidarität gleichzeitig ermöglicht. Künstler, Lehrer, Sozialarbeiter, Therapeuten als Theaterpädagogen: sie alle können im Rahmen ihrer spezifischen beruflichen Prägungen, Arbeitsbedingungen, individuellen Sichtweisen, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie Fertigkeiten eine Theaterarbeit anbieten, die für Laien immer dann bereichernd ist, wenn sie sich davon nehmen können, was sie brauchen.Die jeweilige Arbeit kann allerdings je spezifisch begrenzt bleiben, wenn sie zu eng angelegt ist, weil das Leitungsverhalten nicht ausreichend reflektiert ist und der Durchführende nicht um seine Quellen und Begrenzungen weiß. (S.9) ________________________________________________________________________ Streisand, M./ Giese, N./ Kraus, T./ Ruping, B. (2008): Talkin´bout my Generation. Archäologie der Theaterpädagogik. Weinheim (S. 246-267) -----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Kraus, Tom: Nouveau cirque - Nouveau Théâtre. Theaterpädagogik zwischen Schauspiel und Schaustellung. zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 6 Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! Theaterkunst als Vermittlungskunst und Kunstform (...) (S.246) Kunst zwischen den Künsten (...) transdisziplinären Kunst der Theaterpädagogik (...) (S.249) Traditionelle Theaterpädagogik orientiert sich nicht selten am professionellen Stadttheater bzw. an dessen sprechtheatraler Arbeit an literarischen Vorlagen. Eine in diesem Sinne verstandene Theaterpädagogik unternimmt den durchaus ernst gemeinten Versuch der Assimilation der eigenen Disziplin an professionelles Sprechtheater. So verständlich dieser Wunsch von Theaterpädagogen als Apologeten des literarischen Sprechtheaters im Einzelfall auch sein mag, so vergeblich und widersinnig stellt er sich in Produktion und Rezeption dar. Eine derartige Praxis überfordert nicht nur selten den Macher und Zuschauer, sondern verwischt darüber hinaus die für ihren eigenen Fortbestand dringend notwendige Trennschärfe zwischen Theaterpädagogik und professionellem Sprechtheater. Weiterführende Legitimation und Profilierung von Theaterpädagogik hängen in erheblichem Maß vielmehr von deren Öffnung für ganz eigene Inhalte und Formsprachen ab. Diese sind jedoch so vielfältig wie die theaterpädagogisch Anleitenden und Ausführenden selbst. (S. 248-249) Ergebnis könnte eine transdiziplinäre Kunst theaterpädagogischen Schaffens sein aus Theater, Artistik, Performance Art, Sport, Tanz, Musik, Gesang, scenographischer und multimedialer Praxis, die in Unterhaltungswert, Wirksamkeit, und Nachhaltigkeit für Lehrende, Akteure und Publikum ähnlich generations-, kunst-, und kulturübergreifend und wirtschaftlich zu agieren in der Lage wäre wie zahlreiche Formen des nouveau cirque. (S. 249) Theaterpädagogik sollte sich selbst permanent aktualisieren, um kulturelle und künstlerische Wirklichkeiten sichtbar zu machen, aus denen heraus sie entsteht. (S.250) ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 7 Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! Pinkert, Ute: Theater machen! Ja, aber welches? Paradigmenwechsel in der Theaterpädagogik. (...) das Modell von den drei konstituierenden Faktoren spiel- und theaterpädagogischer Praxis, das Hans Wolfgang Nickel in den 70er Jahren entworfen hat und bis heute vertritt. So beschreibt er 2002 den Gegenstand der Theaterpädagogik als „ein spezifisches, durch Spiel und Theater strukturiertes (getragenes) Geschehen zwischen Spieler (Spielgruppe) und Spielleiter“, welches konstituiert wird durch „das Aufeinanderwirken der drei Faktoren Spielregel, Spielleiterin, Spielgruppe“ (Nickel 2002: D.5). (S.253) Die These ist: Die Theaterpädagogik, so wie sie sich in den letzten rund einhundert Jahren herausgebildet hat, bildet die künstlerisch-pädagogische Haltung des oder der Spielleitenden den entscheidenden Impuls für die Art und Weise, wie sich diese Prozesse und ihre Produkte gestalten. (S.254) Das heißt nicht die individuell und biografisch geprägten Vorlieben einer Spielleiterin für bestimmte Spielregeln und Theaterformen kommen hier in den Blick, sondern deren Übereinstimmung mit bestimmten gesellschaftlich geteilten Auffassungen zu Kunst und Theater; nicht die unmittelbare Beziehung zwischen Spielleiterin und konkreten S p i e l e n d e n , s o n d e r n d i e g e s e l l s c h a f t l i c h g e p r ä g t e n Vo r a n n a h m e n u n d Interpretationsmuster, unter denen eine Spielleiterin die Spielenden als Vertreter einer Zielgruppe wahrnimmt; und schließlich: nicht die persönlichen Motive, die die theaterpädagogische Arbeit eine Spielleiterin konkret antreiben, sondern die Korrespondenzen zwischen ihren Vorannahmen und bestimmten kulturpädagogischen Fragestellungen, Theorien bzw. Paradigmen. (S.255) In der Theaterpädagogik zeigt sich das Lebensweltparadigma in einer Hinwendung zu den jweils spezifischen Bedingungen der Gruppe und in einem großen Formenreichtum der entstehenden Produkte. Unter der Zielsetzung „das Eigene zu entfalten“, orientiert man sich weniger am klassischen Literaturtheater als an anderen - „freieren“ - künstlerischen Gattungen, wie der Aktionskunst, dem freien Tanz oder der Performance Art. Es wird ein weiter Theaterbegriff vertreten, und die bevorzugte Form ist die Eigenproduktion, das „wild Ästhetische“ oder das „Theater der Themen“. (S.259) Die Durchsetzung des ästhetischen Paradigmas in der Theaterpädagogik hat dazu beigetragen, dass unsere Disziplin als „Kunst“ begriffen und in der Kunst des Theaters verankert wurde. Dafür steht nicht zuletzt die Durchsetzung des Begriffs „Theaterpädagogik“, der die auf das „Spiel“ Begriffsbildungen mehr und mehr zurückdrängt. (S. 261) siehe Anhang ________________________________________________________________________ zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 8 Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! Hentschel, Ulrike/ Ritter, Hans Martin (2009): Entwicklungen und Perspektiven der Spiel- und Theaterpädagogik. Festschrift für Hans-Wolf Nickel. Milow Der Begriff und damit das heutige Gesicht der Spiel- und Theaterpädagogik sind kaum 35 Jahre alt - ein junges also ein noch junges, wenn auch nicht mehr ganz faltenloses Gesicht. (S.9) Es kann also im Theater niemals nur um ein Spiel mit Formen gehen, ebenso wenig wie um die Ausstellung von Versatzstücken irgendeiner Wirklichkeit, es muss vielmehr ein Spiel mit Wirklichkeiten in einem Spiel mit Formen ereignen. Das ist auf jeder Ebene von Professionalität möglich. Es zu realisieren, ist künstlerische-, es zu ermöglichen spiel- und theaterpädagogische Praxis. (S.28) Die Spiel- und Theaterpädagogik ist nicht der Ort, wo Paradigmenwechsel stattfinden, oder besser: vorbereitet und ausgerufen werden. Sie ist (auch ihrem Selbstverständnis nach) in erster Linie eine Handlungswissenschaft. In der Theoriebildung orientiert sie sich an Groß- und Metatheorien aus den Bereichen der Philosophie, Kultur- und Sozialwissenschaften (...). (S.66) (...) könnte die Theaterpädagogik - vereinfacht gesagt - dazu beitragen, kompetent innerhalb der performativ geprägten Kultur agieren zu können, steht doch der Vollzug von Handlungen, das Erfinden und Gestalten performativer Akte mit dem eigenen Körper im Mittelpunkt ihrer Arbeit. So wie das Theater die performative Kunst per se ist, könnte die Theaterpädagogik als die performative Pädagogik per se, die pädagogische Antwort auf den `performativen turn´ erscheinen und zum Modell für alle pädagogischen Bemühungen werden. Sie kann entsprechen alle pädagogischen Felder bereichern und auch im fächerverbindenden Unterricht zum Tragen kommen. (...) Das Ziel performativer Prozesse ist es, den Körper alle Sinne, die Bewegung, die Gestik, die Mimik am Erkenntnishandeln zu Beteiligen (...) Performative Prozesse sind nicht die Vorstufe für Abstraktionsleistungen, sondern ein Kern des Lernens überhaupt. (S.67-68) Hat der Idealtypus des Spiel- und Theaterpädagogen, seit dem Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts als emanzipatorischer Streiter für neue pädagogische Orientierungen angetreten, seine Schuldigkeit getan? Kann er gehen? Sollte er abtreten, um anderen pädagogischen Orientierungen, Konzepten, Theorien und Handlungsweisen Platz zu machen, kurz: einem anderen Idealtypus emanzipatorischer Bildungsarbeit? Sollte an seine Stelle zum Beispiel der „Schlüsselkompetenz“-Dienstleister treten? Oder der „Playing-Art-Mentor“? Oder handelt es sich bei den Genannten nur um Variationen, um „Typen“ des Spiel- und Theaterpädagogen? Oder gehört dieser selbst gar nicht auf die Ebene des „Idealtypus“, sondern des Typus einer Spielfigur, der sich je nach Art ihrer Partizipation an den Regeln des Spiels in einer Rolle verkörpert, die der Konfiguration des Spiels eine Orientierung, dem Spiel selbst einen „gewissen Zug“ verleiht? Dann ginge es nicht darum die Rolle auszutauschen oder zu wechseln, sondern in unterschiedlichen Konfigurationen zum Zuge kommen zu lassen. Wobei allerdings jeder Zug zu einem Alleinvertretungsanspruch (oder dessen exklusive Institutionalisierung) im Hinblick auf die Konfigurationskompetenz der jeweiligen Orientierung einen ziemlich schlechten Zug verleihen würde. (S. 80) zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 9 Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! (...) ein Berufsethos von Spiel- und Theaterpädagogen, das „vom Bedürfnis der Spielgruppen (der Jugendlichen, Kinder und anderen) ausgeht“ (S. 81) (...) „Spielleiter erbringen Dienstleistungen; der Dienst wird dem Spieler geleistet; dieser ist der entscheidende Faktor (Richtpunkt, Bezugspunkt, Bestandteil) und zugleich der, dessen Verhalten und dessen Entwicklung im Mittelpunkt stehen“; (...) (S.82) An der Schnittstelle zwischen dem Spiel und der Schauspielkunst findet die Theaterpädagogik ihren Ort, auf den sie ihr theoretisches Fundament bauen kann. Hier findet sie auch ihren praktischen und methodischen Ansatz, nicht nur im Theater mit Kindern, sondern vor allem auch mit denen, die glauben, mit ihrem Kindsein auch das Spielen ablegen zu müssen. (S.110) Auszug aus: „Für eine Soziotopie der Bedürfnisse. Ein Manifest zum Selbstverständnis der Theaterpädagogik“ 8. Unsere Kunst entsteht also dort, wo die Formensprache des Theaters sich durch die Begegnung von Menschen bestätigt erweitert und verändert. Und damit ist das Kriterium für theaterpädagogische Qualität nicht nur künstlerische Kompetenz, Handwerk, Wissen, sondern auch das Maß an gesellschaftlicher Teilhabe, das drüber vermittelt wird. 9. Der Theaterpädagoge ist für uns mehr als ein Theaterlehrer. Sein Handwerk ist das des Theaters, seine Haltung aber ist Parteilichkeit für das Ausgegrenzte und die Ausgegrenzten. Er schlägt den ästhetischen Funken aus dem Risiko des Zusammentreffens der in der Geschichte und Gegenwart errungenen Spielräume und Ausdrucksformen der Kunst mit dem Menschen in der Gesellschaft, deren Spielräume enger, deren Ausdrucksformen begrenzter und in der Begrenzung destruktiv werden. 10. Die Formensprache, die sich in diesem Zusammentreffen bildet, ist nicht schon geschliffen und als Qualität messbar. Sie ist eine Herausforderung für alle, die sich dieser Begegnung stellen. In ihr aber ist aufgehoben die Ästhetik und die Ethik unserer Arbeit als Theaterpädagogen. Denn die Verwirklichung theatraler oder künstlerischer Qualitäten im allgemeinen beginnt, wo unsere eigenen Konzeptionen von Rhythmus und Reim, von Schönheit und Stimmigkeit in die Krise der Begegnung mit dem Menschen gerät - wer immer sie sein mögen und was immer sie erwarten. 11. Diese Krise markiert die Schnittstelle von ästhetischem und ethischem Wert. Sie entsteht aus der Freiheit, die die Beteiligten zu erreichen in der Lage sind: Freiheit vor den Bedürfnissen und Notwendigkeiten des Alltags, Freiheit vor den individuellen Verhaltensmustern und kollektiven Ritualen, Freiheit vor den Materialien, Methoden und Routinen der Arbeitsprozesse, Freiheit nicht zuletzt vor den etablierten Normen der Kunst. 12. Diese Freiheit erfordert die Bereitschaft der Mentoren, loszulassen von ihren Plänen und Zielvorstellungen, seinen diese pädagogisch oder ästhetisch motiviert loszulassen im Respekt vor dem Eigensinn der Mitwirkenden und den Selbstläufen zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 10 Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! des Gestaltungsvorgangs, loszulassen aber auch im Respekt vor sich selbst als einem gestaltbaren Teil des kreativen Prozesses. (S.105) ________________________________________________________________________ Degenhardt, Lisa: Sichtweisen auf eine künstlerisch verstandene Theaterpädagogik. In: Hilliger, Dorothea (Hg.) (2009): Freiräume der Enge. Künstlerische Findungsprozesse der Theaterpädagogik. Berlin (S. 71-85) (...) die Theaterpädagogik eben ein >>weites Feld<< ist, die Fragen, die sich hier auftun, paradox, disparitär und divers sind, und die Antworten nicht normativ und allgemeingültig sein können und auch nicht sein sollen. Denn es geht nicht um bindende, unumstößliche Antworten, sondern um das Finden und Begründen von Orientierungspunkten. (S. 87) Kapitel: TheaterSPIELEN - Spielen und Denken als Lernformen innerhalb der Theaterpädagogik Da im Spiel alle menschlichen Lebensäußerungen, alle Arten von Tätigkeiten, von wahrnehmbaren oder vorstellbaren Erscheinungen und Vorgängen der belebten oder unbelebten Welt in jeder nur denkbaren Auswahl und Form auftreten können, können hier Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse und Handlungsdispositionen eingeübt, ausgebildet und angeeignet werden. Diese Fertigkeiten können in allen Lebensbereichen stattfinden, im motorischen, im psychologischen, im ästhetischen, im sozialen und im politischen. Sie können zufällig oder zielgerichtet erlernt werden. (S.77) Wichtig für die >unverkürzte< Theaterpädagogik ist dabei, das eben nicht nur das gespielt werden darf, was übertragbar ist, sondern alles was gespielt werden will. (S.79) Richtungsweisend für ästhetische Erfahrungen in der Theaterpädagogik sind das Denken und Reflektieren vor, während und nach dem Spiel. Denken meint im herkömmlichen Sinn zunächst vor allem Bedeutungen und Sinnzusammenhänge zu erfassen. (S.79) Ein pädagogischer Findungsprozess liegt der Theaterkunst immanenten Lernformen von Spielen und Denken, besser der Interdependenz von Handelns und Reflektieren, zu Grunde: einen eigenverantwortlich handelnden, experimentierenden Menschen zu fördern. Um diese Qualität ausschöpfen zu können, muss die Stärkung des Individuums nicht Zweck, sondern Bestandteil der Theaterpädagogik sein. >Spiel< also als ein wesentlicher Aspekt theaterpädagogischer Arbeit. Dies gilt nicht nur den Spieler, sondern auch für den Theaterlehrer, der sein eigenes Verhältnis zu Welt und Kunst ebenfalls aktiv gestalten muss und selbst in diesem >Spiel< immer auch Lernender bleibt- gerade in seiner Position als Anleiter. (S.79) Kapitel: THEATERspielen - Ästhetische Bildung als pädagogischer Findungsprozess Wird Theaterpädagogik als ästhetische Bildung begriffen, stehen weniger zu erreichende soziale und pädagogische Ziele im Vordergrund, sondern mehr die im gemeinsamen Gestaltungsprozess aufgehobenen, bildenden Erfahrungen der Theateramateure. Theaterpädagogik als ästhetische Bildung versucht also, sich einer >pädagogischen< Verzweckung zu entziehen. (S.81) zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 11 Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! Die Theaterarbeit nimmt eine besondere Stellung und Vermittlungsfunktion innerhalb der ästhetischen Bildung ein, weil sie die Beziehung von Theater und Nicht-Theater, von Theater und Alltag thematisiert und die Durchlässigkeit zwischen den beiden Ebenen verdeutlicht. (S.81) Ästhetischen Erkenntnisprozessen liegt nämlich ein divergentes Denken zu Grunde. Eine Vielzahl von entgegengesetzten Interpretationen und Lösungen sind möglich und vereinbar. Pädagogische Einflussnahme sein in derartigen Prozessen nicht denkbar. Im Gegenteil: Pädagogische Absichten würden das >Sicheinlassen auf (...) die Konstitution theatraler Wirklichkeiten< und die daraus entstehenden, >dezidiert subjektiven Prozesse (verhindern).< Durch diese Abgrenzung von funktionalisierter, zweckgebundener ästhetischer Bildung und die Vermeidung von vorformulierten Lernzielen wird hier das scheinbar Gegensätzliche, welches der ästhetischen Bildung innegewohnt, zusammengedacht: Die alte Frage nach der Trennbarkeit von Kunst und Pädagogik stellt sich nicht mehr. Das hier zur Grunde gelegte Verständnis von Kunst begreift diese als eine Auseinandersetzung mit sich und Welt, als ein Oszillieren zwischen Subjekt und Objekt. Pädagogik ist der Kunst demnach per se immanent, pädagogische Prozesse werden aus der Vielfalt der künstlerischen gewonnen. Versteht man die Wechselwirkung und das zwangsläufige Zusammenwirken von Kunst und den in ihr agierenden Menschen als als programmatisch für die ästhetische Bildung und das Aufbrechen eingeschliffener Wahrnehmungsmuster sowie das Infragestellen von Gewohntem durch Irritation und Differenzerfahrungen als die ureigenste Aufgabe von Kunst, löst sich die vermeintliche Aporie ästhetischer Bildung, (...), auf. Für den Theaterpädagogen bedeutet das, dass auch er sich auf die Interdependenzen, auf Irritation und Differenz einlassen und den Arbeitsprozess innerhalb dieses Rahmens immer neu ausdifferenzieren muss - um der Theatergruppe, des Theaterprozesses, des Theaterformates und auch seiner selbst willen. (S.81) Dabei ist der Theaterlehrer zwar unbedingt Teil des gemeinsamen Findungsprozesses innerhalb des ästhetischen Raumes, seine Aufgabe als Anleiter ist aber auch, permanent die Verbindung zum Außen zu halten und es als Komponente von theaterpädagogischer Arbeit in den Prozess einzubringen. Demnach ist ästhetische Bildung insoweit pädagogisch, als das sie die Kunst als Gegenstand der Auseinandersetzung nimmt, um zur differenzierten, reflektierenden Auseinandersetzung mit sich und der Welt beizutragen, denn genau das ist schließlich Gegenstand der Kunst. (...) Unter dieser Prämisse muss über das Pädagogische im künstlerischen Gestalten immer wieder sehr genau nachgedacht werden. (S.85) ________________________________________________________________________ Vaßen, Florian (Hg.) (2010): KORRESPONDENZEN – THEATER – ÄSTHETIK – PÄDAGOGIK. Uckerland Auf der Grundlage eines weitgefassten Theaterbegriffs, der performance art und Tanz ebenso einbezieht wie Amateure und professionelle Akteure, Theater-Spieler wie TheaterZuschauer, Fiktion und Realität, definiert sich auch das Verhältnis von Theaterkunst und Theaterpädagogik neu; immer seltener ist es Gegeneinander, immer häufiger Miteinander. zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 12 Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! Dabei geht es nicht um eine „Entästhetisierung“ des Theaters bzw. um eine „Entpädagogisierung“ der Theaterpädagogik, sondern um ein neues Verständnis von Kunst und Pädagogik als ästhetisches Handeln und Reflektieren. (S.7) ________________________________________________________________________ Josef Broich (2011): THEATERPÄDAGOGIK KONKRET – Ansichten, Projekte, Ausblicke. Köln Theaterpädagogik ist ein Kunstbegriff. Inzwischen stellt Theaterpädagogik die Kunstform Theater auf die Beine. Dabei hat sich Theaterpädagogik in einigen Berufsfeldern ein eigenes künstlerisches Profil erstellt. (S.7) Theaterpädagogik hat inzwischen ein sehr weites Berufsfeld. Dieses Berufsfeld lässt sich nicht auf einen bestimmten sichtbaren Ort und auch nicht auf eine bestimmte Tageszeit festlegen. Dieses Berufsfeld expandiert in die Breite und in die Tiefe. Diese beruflichen Mischfelder können bei der Außenwahrnehmung zu einem Theaterpädagogen das derzeitige Berufsfeld schärfen und gleichzeitig verwässern. In welche Richtung dabei das jeweilige Hauptpendel ausschlägt, kann derzeit keiner vorhersehen. (S.9) Theaterpädagogik ist normal geworden. So normal geworden, dass sie in allen Schulformen und Fortbildungsträgern zum Inventar gehört. Theaterpädagogik hat keinen exotischen Klang und auch keine überhöhten künstlerischen Weihen mehr. Somit ist Theaterpädagogik da, wo sie auch hingehört: im Alltag angekommen. (S.11) (...) Theaterpädagogik umfasst als Sammelbegriff angeleitetes Spiel in der Spielpädagogik oder das Schulspiel ebenso, wie das Feilen an Figuren beim Amateurtheater und beim Darstellenden Spiel im Literaturkurs. (S.11) In der Theaterpädagogik tendiert derzeit zeitgeistorientiert die Balance zwischen den Kräftefeldern Theater und Pädagogik auf eine Zentrierung zu einer ästhetisierten Kunstform aus dem Ruder zu geraten. Damit riskiert die Theaterpädagogik, pädagogisch ausgerichtete Arbeitsformen mit damit verbundenen Feuerwehr-Qualifikationen zu entfremden – diese selbstverliebte Theorieausrichtung spiegelt die gegenwärtige Eigendynamik ihrer in Personalunion Schreibenden und Lehrenden auf einer sich genügenden Metaebene (S.12) zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 13 Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! ________________________________________________________________________ ANHANG ________________________________________________________________________ zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 14 Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! Leitbild BuT e.V. Fachverband für Theaterpädagogik Selbstverständnis „Theaterpädagogik“ 1. Die Theaterpädagogik bewegt sich im Spannungsfeld von Theaterkunst und dem Vermittlungsprozess künstlerisch-gestalterischer Fähigkeiten. Unter Theaterkunst verstehen wir die künstlerische Erforschung von Möglichkeiten, eine Vision bewusst zu gestalten und auszudrücken. Für den Vermittlungsprozess sind künstlerische und pädagogische Kenntnisse des Theaterspiels als gleichberechtigte und dialektisch einander bedingende Elemente Vorraussetzung. 2. Der Mensch als soziales und gestaltendes Wesen steht im Mittelpunkt der Theaterpädagogik. 3. Die Theaterpädagogik ist integrierender Bestandteil der ästhetischen Bildung in allen Bereichen gesellschaftlichen Zusammenlebens. Theaterpädagogik findet als ästhetische Bildung an so unterschiedlichen Orten wie Theatern, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Schulen, TPZ´en, soziokulturellen und Einrichtungen des Freizeitbereichs sowie in Institutionen der Aus-, Fort- und Weiterbildung statt. Daraus ergeben sich Arbeitsfelder in einer Bandbreite von künstlerischer bis soziokultureller Praxis. Die Methoden der Theaterpädagogik finden darüber hinaus Anwendung in der beruflichen Bildung, der Unternehmensberatung, in Bereichen der Gesundheitspflege und der Theatertherapie. 4. Die Theaterpädagogik entwickelt Räume und Arbeitsmethoden, um eine Auseinandersetzung und Begegnung des Menschen mit dem Theater zu ermöglichen. 5. Der BuT vertritt dieses Selbstverständnis von Theaterpädagogik. Quelle: www.butinfo.de zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 15 Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! Auszug aus: Korrespondenzen (Heft 57) Spinger, Nina (2010): Die Ausbildung zum Theaterpädagogen BuT. (S.75-76) Streisand, M./ zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 16 Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! Pinkert, Ute: Theater machen! Ja, aber welches? Paradigmenwechsel in der Theaterpädagogik. (S. 264-265) zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 17 Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 18 Handout für die Arbeitsgruppe „Das Selbstverständnis der theaterpädagogischen Arbeit im Spannungsfeld von Kunst und Pädagogik“ ! zusammengestellt von Cornelia Wolf und Jessica Höhn 19
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