7 Ermüdung 1 Teil 2 O. Kraft, P. Gruber Ermüdung und Kriechen Inhaltsangabe 7 Ermüdung, Ermüdungsmechanismen 7.1Einführung 7.2 Statistische Aspekte 7.3 Lebensdauer 7.4 Stadien der Ermüdung 7.5 Materialwahl 7.6 Thermomechanische Belastung 7.7 Kerben und Kerbformoptimierung 7.8 Fallbeispiel: ICE-Unglück 8 Kriechen 8.1 Einführung 8.2 Hochtemperaturplastizität 8.3 Phänomenologische Beschreibung 8.4 Kriechmechanismen 8.5 Legierungseinflüsse 8.6 Überlagerung Kriechen – Ermüdung Literaturhinweise Ermüdung und Kriechen Mechanical Behavior of Materials, Thomas H. Courtney (2nd Edition, McGraw Hill, Singapur); Klassiker zu den mechanischen Eigenschaften der Werkstoffe, umfangreich, gut Bruchvorgänge in metallischen Werkstoffen, D. Aurich (Werkstofftechnische Verlagsgesellschaft Karlsruhe), relativ einfach aber dennoch umfassender Überblick für metallische Werkstoffe Fatigue of Materials, Subra Suresh (2nd Edition, Cambridge University Press); Standardwerk über Ermüdung, alle Materialklassen, umfangreich, für Einsteiger und Fortgeschrittene The Physics of Creep, F.N. Nabarro and H.L. de Villiers (Taylor & Francis Ltd 1995); die ersten drei Kapitel geben Überblick über die wesentlichen Aspekte des Kriechens, der Rest ist für Fortgeschrittene 7 Ermüdung 2 7.1 Einführung λ= Ausfälle int akte Einheiten Garantie Frühausfälle ¾ Konstruktionsfehler ¾ Materialfehler ¾ Fertigungsfehler Zufälliges Versagen ¾ Überlastung ¾ Umgebung Lebensdauer ¾ ¾ ¾ ¾ Spätausfälle Ermüdung Kriechen Korrosion Verschleiß Abb. 7.1.1: Badewannen-Kurve Oben ist schematisch die typische Badewannenform der Ausfallratenkurve gezeigt und erläutert. Sowohl sehr früh in der Lebensdauer als auch sehr spät häufen sich die Ausfälle. Die Frühausfälle werden durch Fehler in der Konstruktion, im Material oder in der Fertigung verursacht. Wie bei einer natürlichen Auslese werden sie frühzeitig eliminiert. Hersteller übernehmen die Verantwortung für diese Frühausfälle in der Regel durch Gewährung von Garantie. Dies kann kostengünstiger oder Ressourcen schonender sein, als den Aufwand für ihre Vermeidung zu erhöhen – soweit letzteres überhaupt möglich ist. Die Spätausfälle treten nach Ablauf der geplanten Lebensdauer auf und sind häufig unvermeidlich. Prozesse wie Korrosion, Verschleiß oder Ermüdung lassen sich meist nicht vermeiden, sondern lediglich verzögern. Oft ist es weder von Seiten der Hersteller noch der Nutzer erwünscht, dass die Lebensdauer allzu groß ist. Würde jedes Auto 30 oder mehr Jahre gefahren, würden zu wenig neue Autos verkauft aber auch viele Autos nicht dem technischen Stand entsprechen. Zwischen den Früh- und Spätausfällen, also während der geplanten Lebensdauer, kommt es zum zufälligen Versagen. Ursache dafür kann z. B. das Auftreten einer Belastung sein, für die das Bauteil oder die Konstruktion gar nicht ausgelegt war. Um die Lebensdauer sinnvoll planen zu können und das zufällige Versagen unter den gegebenen Randbedingungen (z. B. Kosten) zu minimieren, ist die Beschäftigung mit den Mechanismen der Versagensprozesse und ihrer Beschreibung und Vorhersage auch unter probabilistischen Auslegungsmethoden notwendig. 7 Ermüdung 3 7.2 Statistische Aspekte Abb. 7.2.1: Verschiedene Darstellungen der Lebensdauer von Frauen und Männern Das Diagramm oben links zeigt die Verteilung (relative Häufigkeit) des Lebensalters von Männern und Frauen. Hier lässt sich ablesen, welcher Anteil der Männer und Frauen in welchem Alter stirbt (bzw. „ausfällt“, wenn man das menschliche Leben einmal unter dem technischen Aspekt der Zuverlässigkeit betrachten wollte). Welches davon kann nun als „das“ Lebensalter des Menschen bezeichnet werden? Eine nahe liegende Möglichkeit wäre es, den Mittelwert zu bilden. Da die Verteilungskurve jedoch sehr linksschief ist, ist dies nicht die beste Möglichkeit. Durch das niedrige Sterbealter von Säuglingen und Kindern wird der Durchschnittswert übermäßig herabgesetzt. Bei einer schiefen Verteilung bietet es sich daher an, den wahrscheinlichsten Wert, sprich das Maximum der Kurve, zu nehmen. Entspricht eine Verteilung genau der Gauß-Kurve, ist sie völlig symmetrisch und beide Werte, der Mittelwert und der wahrscheinlichste Wert, sind identisch. Ein anderer möglicher Wert, der zur Charakterisierung herangezogen werden kann, ist der Median. Dies ist der Wert, den 50% unter- und 50% überschreiten. Eine andere übliche Darstellung ist die aufsummierte Kurve der Häufigkeiten (siehe unten links). Hier lässt sich ablesen, wie hoch der Anteil der Männer und Frauen eines Jahrganges ist, der gestorben ist (bzw. wie viele % nach welcher Lebensdauer „ausfallen“). Bildet man mit dieser aufsummierten Kurve die Differenz zu 100%, erhält man den komplementären Plot (oben rechts), aus dem sich ablesen lässt, welcher Anteil von Männern und Frauen eines Jahrganges noch lebt (Überlebenswahrscheinlichkeit, wie viele % nach welcher Lebensdauer noch „funktionstüchtig“ sind). Eine weitere gebräuchliche Größe ist die Ausfallrate. Sie gibt an, wie viele Einheiten im Verhältnis zu den noch funktionierenden ausgefallen sind. Gehen von ursprünglich 10 Maschinenteilen z. B. 2 kaputt, so entspricht dies einer Ausfallrate von 25% (2/(10- 7 Ermüdung 4 2)=1/4=25%). Das Diagramm rechts unten zeigt die entsprechende Kurve für das menschliche Leben. Sie hat eine für Ausfallwahrscheinlichkeiten typische Form, aufgrund derer sie als „Badewannenkurve“ bezeichnet wird. Spannungsamplitude Abb. 7.2.2 : oben links: relative Häufigkeit als Funktion der Zufallsvariablen x (Dichtefunktion) unten links: die Summenhäufigkeit (Ausfallanteil) oben rechts: Überlebenswahrscheinlichkeit unten rechts: Ausfallrate dauerfest Zahl der Lastwechsel Abb. 7.2.3: Wöhler-Diagramm Das Wöhler-Diagramm gibt an, wie viele Lastwechsel ein Bauteil bis zu seinem Versagen erträgt. Geht die Kurve für eine bestimmte Spannungsamplitude in eine waagerechte Gerade über, so wird das Bauteil als „dauerfest“ bezeichnet. Dieser Begriff könnte die falsche Vorstellung wecken, dass das Bauteil 100% sicher ist. Das ist aus zwei Gründen nicht richtig. Zum einen ist es unmöglich, ein Bauteil mit einer unendlich großen Anzahl von Lastwechseln zu testen. Zum anderen repräsentiert die Wöhler-Kurve charakteristische Werte, die aus 7 Ermüdung 5 statistisch verteilten Versuchsergebnissen gewonnen wurde. Die rechte Abbildung zeigt, wie die Verteilung einzelner Messergebnisse, die einer Wöhler-Kurve zugrunde liegen, aussehen kann. Abb. 7.2.4: Schematische Darstellung der Statistik des Versagens Komplexer wird die probabilistische Auslegung dadurch, dass beides, die Widerstandsfähigkeit und die Beanspruchung, statistisch verteilt ist. Das obige Diagramm zeigt die Häufigkeitsverteilung für die Beanspruchung (linke Kurve) und für die Widerstandsfähigkeit (rechte Kurve). In den meisten Fällen ist die Widerstandsfähigkeit größer als die Beanspruchung; es gibt jedoch auch einen kleinen Bereich, in dem sich beide Kurven überlappen. Dies ist der Schädigungsbereich. Durch eine Faltung beider Integrale gelangt man zur Verteilung der Schädigungshäufigkeit. Um die Sicherheit zu erhöhen, gibt es zwei grundsätzliche Möglichkeiten. Entweder wird der Überlappungsbereich verkleinert, oder es wird versucht, die Bauteil-BelastungsKombinationen, die im Überlappungsbereich liegen, aus dem Verkehr zu ziehen. Letzteres könnte z. B. erreicht werden, indem fehlerhafte Teile durch einen Qualitätstest aussortiert werden oder indem ein Überlastungsschutz eingebaut wird. Der Überlappungsbereich kann verkleinert werden, indem die rechte Kurve nach rechts verschoben wird (z. B. durch einen Werkstoffwechsel), die linke Kurve nach links verschoben wird (z. B. durch eine Veränderung der Konstruktion, so dass das Bauteil weniger Belastung erfährt) oder indem die Streuung verkleinert wird (z. B. durch Verbesserung des Fertigungsprozesses). Beispiel: Ermüdungsexperiment mit 12 Proben Ein typisches Beispiel aus dem Alltag eines Ingenieurs könnte folgendermaßen aussehen: Ein Bauteil soll für eine zyklische Belastung (wenige Zyklen bei hoher Last) ausgelegt werden. Die angestrebte Lebensdauer beträgt 200 Lastwechsel bei einer Ausfallwahrscheinlichkeit von 10-4. Das bedeutet, dass von 10.000 Bauteilen, die 200 Lastwechseln ausgesetzt werden, nur 7 Ermüdung 6 eines versagt. So viele Prüfungen können jedoch unmöglich durchgeführt werden. Hier soll angenommen werden, dass aus Kosten- oder Zeitgründen nicht mehr als 12 Bauteile geprüft werden können. Wie ist nun die Vorgehensweise? Die Prüfung des Bauteils unter einer Wechselbelastung mit 200 Zyklen ist das Experiment. Der Ausgang des Experiments, das Ereignis, ist zufallsverteilt, d. h. es unterliegt einer Streuung. Es sind zwei Ereignisse möglich: das Bauteil bricht (A) oder das Bauteil bricht nicht (Komplementärereignis Ā). Wie wir festgestellt haben, reichen 12 Experimente hier nicht aus, um zu verifizieren, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit 10-4 beträgt. Daher wird die Vorgehensweise etwas modifiziert: für alle 12 Bauteile wird die Anzahl der Lastwechsel festgehalten, die zum Herbeiführen des Bruchs nötig ist, und daraus wird geschlussfolgert, wie hoch die Ausfallwahrscheinlichkeit für 200 Lastwechsel ist. Wie das geht, soll im Folgenden Schritt für Schritt gezeigt werden. Definitionen absolute Häufigkeit k n = ∑ ni (7.2.1) k n ∑ i =1 i =1 n (7.2.2) i =1 relative Häufigkeit n ∑ xi Mittelwert der Messungen x = i =1 n (7.2.3) wahrer Mittelwert μ X = lim x (7.2.4) n →∞ 1 Standardabweichung ⎛ n ⎞ 2 ⎜ ∑ ( xi − x )2 ⎟ ⎟ ⎜ s = ⎜ i =1 n −1 ⎟ ⎟⎟ ⎜⎜ ⎝ ⎠ σ X = lim s (7.2.5) (7.2.6) n →∞ Die Stichprobe hat den Umfang n=12. Die betrachtete Zufallsgröße X ist die Zahl der Lastwechsel bis zum Bruch. Der Ausgang der 12 Experimente ist in Abb. 6 oben links aufgetragen. Um die Verteilung der Häufigkeiten, mit der die Zufallsgröße X auftritt, anschaulicher darzustellen, wird X in Klassen eingeteilt. Dazu ist zunächst die Anzahl der 7 Ermüdung 7 Klassen (k) festzulegen. Als Anhaltspunkt lassen sich der Literatur folgende Formeln ansetzen: k = n + 0.5 (7.2.7) k = 1 + 3.3 ⋅ lg n (7.2.8) Mittelwert x = 311 .9 285 362 321 261 349 288 383 277 278 329 303 307 Standardabweichung s = 37 .7 400 400 Abb. 7.2.5: Ergebnis eines Ermüdungsexperiments mit 12 Proben Für unseren Stichprobenumfang ergibt mit (7) k=4, und mit (8) k=4,6. Wir entscheiden uns für k=5. Die Formeln sind nur Anhaltspunkte; die Festlegung der Klassenanzahl erfolgt immer ein Stück weit nach Gefühl. Ohnehin ergeben beide Formeln nur für kleine Stichproben (bis etwa 20) ähnliche Werte. Für größere Stichproben gehen die Ergebnisse schon deutlich auseinander (Bsp. n=100: k=11 bzw. k=8; n=1000: k=32 bzw. k=11). Die Darstellung der Häufigkeiten in Klassenbreiten dient vor allem der Anschauung. Die Auswertung, d. h. das Anfitten von Kurven, wird heutzutage in der Regel nicht mehr optisch, sondern mathematisch durchgeführt und ist von der Wahl der Klassenanzahl unabhängig. Nun sind noch die Klassengrenzen festzulegen. Wenn wir die Spanne zwischen dem größten und kleinsten Wert durch die Anzahl der Klassen teilen, ergibt sich hier: ΔX=(XmaxXmin)/k=(388-261)/5=24,4. Wir entscheiden uns für eine Klassenbreite von ΔX=30 (ausgehend von 245). Die Auswertung erfolgt heute normalerweise mit Hilfe von Computerprogrammen, aber es ist wichtig und sinnvoll, die Plausibilität der Ergebnisse mit Hilfe einer Überschlagsrechnung von Hand zu überprüfen. Die linke Abbildung zeigt die Ergebnisse von 12 Ermüdungsversuchen. Welche Anzahl maximal erlaubter Lastwechsel sollte man nun als Hersteller einem Kunden nennen, wenn nicht die Möglichkeit besteht, weitere Versuche durchzuführen? Wird das ungünstigste Ergebnis ausgewählt, ist zwar die Versagenswahrscheinlichkeit gering, auf der anderen Seite ist dies keine wirtschaftliche Lösung. Berechnet man den Mittelwert und zieht davon die Standardabweichung ab, ist möglicherweise die Versagenswahrscheinlichkeit inakzeptabel hoch. 7 Ermüdung 8 Klasse i 1 2 3 4 5 Absolute Häufigkeit ni 1 5 3 2 1 Relative Häufigkeit ni/n 0,08 0,42 0,25 0,17 0,08 Absolute Summenhäufigkeit Bi 1 6 9 11 12 Relative Summenhäufigkeit Fi 0,08 0,5 0,75 0,92 1 Überlebenswahrscheinlichkeit Rj 0,92 0,5 0,25 0,08 0 Ausfallrate λ 1/11 5/6 3/3 = 1 2/1 = 2 1/0 → ∞ Tabelle 7.2.1 Tabelle 7.2.1 zeigt die Auswertung. Dabei gilt, dass die Summe der absoluten Häufigkeiten dem Stichprobenumfang entspricht (1). Daraus lassen sich die relativen Häufigkeiten berechnen, dabei gilt, dass die Summe 1 ergibt (2) Der Mittelwert berechnet sich durch Summieren aller Zufallsgrößen und Dividieren durch den Stichprobenumfang (3). Der hier berechnete Mittelwert (der Stichprobe) ist lediglich ein Schätzwert für den wahren Mittelwert (der Grundgesamtheit, d. h. aller zum Einsatz kommenden Bauteile (4)). Angenommen, die 12 Experimente sollen zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt werden, so wird der Mittelwert mit hoher Wahrscheinlichkeit ein anderer sein. Dann muss beurteilt werden, ob es sich bei der Abweichung der beiden geschätzten Mittelwerte lediglich um eine statistische oder um eine systematische Änderung handelt. Ist letzteres der Fall, muss überprüft werden, ob die Qualität des Werkstoffes, des Fertigungsprozesses usw. noch gewährleistet ist. Weitere charakteristische Werte einer Verteilung sind die Standardabweichung (6). Mit diesen Werten lässt sich eine Verteilung schon mal ganz gut beschreiben. In unserem Beispiel beträgt der Schätzwert für den Mittelwert X=311,3 und der für die Standardabweichung S=37,2. Hier liegen 75% der Stichprobe innerhalb der Grenzen der Standardabweichung, d. h. zwischen 274 und 348 Lastwechseln. (Zum Vergleich: bei der Gaußschen Normalverteilung liegen 67% der Stichprobe in diesem Intervall.) Definitionen Dichtefunktion f X (x) Häufigkeit im Histogramm n*i = ni n ⋅ Δx (7.2.9) (7.2.10) Wahrscheinlichkeit, dass ein Wert im Bereich x,x+dx liegt f X ( x )dx ∞ ∫ f X ( x )dx = 1 −∞ (7.2.11) 7 Ermüdung 9 Wahrscheinlichkeit, dass ein Wert im Bereich x1 x2 liegt x2 P( x1 < X ≤ x2 ) = ∫ f X ( x )dx (7.2.12) x1 Summenhäufigkeit x FX ( x ) = ∫ f X ( x )dx = P( X ≤ x ) (7.2.13) f (x) λ( x ) = X RX (x ) (7.2.14) −∞ Ausfallsrate Die Summenhäufigkeiten ergeben sich durch Aufsummieren der entsprechenden Häufigkeiten. Komplementär zur relativen Summenhäufigkeit berechnet sich die Überlebenswahrscheinlichkeit. In (14) ist die Ausfallrate angegeben. Sie geht gegen unendlich. Summenhäufigkeit j B j = ∑ ni absolut 1 1 j F j = ∑ ni relativ n1 40 40 40 Abb. 7.2.6: Weitere Darstellungen des Ergebnisses des Ermüdungsexperiments. 7 Ermüdung 10 n→∞ Abb. 7.2.7: Die Dichtefunktion (oben links) wird auch als „Verteilungsdichte“ oder „Wahrscheinlichkeitsdichte“ bezeichnet. Man erhält sie durch Anfitten einer Verteilung an die experimentellen Ergebnisse. Mit Hilfe der Dichtefunktion lässt sich nun auch die Ausfallwahrscheinlichkeit für 200 Lastwechsel angeben. Sie entspricht der Fläche unter der Dichtefunktion zwischen den Grenzen -∞ und 200. Zusammenhang zwischen Verteilungsdichte und Mittelwert bzw. Standardabweichung: Erwartungswert, Mittelwert ∞ E ( X ) = μ X ( x ) = ∫ x ⋅ f X ( x )dx (7.2.15) −∞ Varianz ∞ ∞ −∞ −∞ σ 2X = ∫ ( x − μ X )2 f X ( x )dx = ∫ x 2 f X ( x )dx − μ 2 (7.2.16) Median FX ( x ) = 0.5 Modalwert = Maximum in f X ( x )dx (7.2.17) 7 Ermüdung 11 X [a ] f X ( x )[1 / a ] Dimensionen μ X [a ] σ X [a ] FX ( x )[−] Spezielle Verteilungsfunktionen Normal-Verteilung ⎡ 1 ⎛ x − μ ⎞2 ⎤ 1 fX ( x ) = exp ⎢− ⎜ ⎟ ⎥ 2 σ σ 2π ⎝ ⎠ ⎦⎥ ⎣⎢ Dichtefunktion: x ⎡ 1 ⎛ x − μ ⎞2 ⎤ 1 FX ( x ) = ⎟ ⎥dx ∫ exp ⎢ − ⎜ σ 2π − ∞ ⎢⎣ 2 ⎝ σ ⎠ ⎥⎦ Kumulative Häufigkeit: 99.99 99.9 1 Häufigkeit kumulative Häufigkeit μ=0, σ=1 μ=0, σ=2 μ=0, σ=0.5 0.8 0.6 0.4 0.2 99 95 90 80 70 50 30 20 10 5 -2 -1 0 1 2 3 x (7.2.19) μ=0, σ=1 μ=0, σ=2 μ=0, σ=0.5 1 .1 .01 0 -3 (7.2.18) -2 -1 0 x 1 2 Abb. 7.2.8 Logarithmische Normalverteilung Dichtefunktion: Kumulative Häufigkeit: ⎛ 1 ⎛ ln x − ln μ ⎞ 2 ⎞ fX ( x ) = exp⎜ − ⎜ ⎟ ⎟ ⎜ 2⎝ σx 2π σ ⎠ ⎟⎠ ⎝ 1 (7.2.20) ⎛ 1 ⎛ ln x − ln μ ⎞ 2 ⎞ (7.2.21) FX ( x ) = ∫ exp⎜ − ⎜ ⎟ ⎟dx ⎜ 2⎝ σ ⎠ ⎟⎠ 0 σx 2π ⎝ x 1 7 Ermüdung 100 kumulative Häufigkeit [%] 100 Häufigkeit 80 60 40 20 0 0 1 2 3 4 Durchmesser [µm] 5 80 60 40 20 0 6 0 1 2 3 4 Durchmesser [µm] 5 6 99.9 kumulative Häufigkeit [%] 99.9 kumulative Häufigkeit [%] 12 99 95 80 50 20 5 1 .1 99 95 80 50 20 5 1 .1 0 1 2 3 4 5 6 Durchmesser [µm] 7 8 Abb. 7.2.9: Korngrößenverteilung in einem Werkstoff 0.1 1 Durchmesser [µm] 10 7 Ermüdung 13 Weibull-Verteilung m m m m Abb. 7.2.10 Dichtefunktion m⎛ x⎞ fX ( x ) = ⎜ ⎟ b ⎝b⎠ m −1 ⎛ ⎛ x ⎞m ⎞ exp⎜ − ⎜ ⎟ ⎟ ⎜ ⎝b⎠ ⎟ ⎝ ⎠ (7.2.22) Kumulative Häufigkeit (Ausfallwahrscheinlichkeit) Ausfallsrate ⎛ ⎛ x ⎞m ⎞ FX ( x ) = 1 − exp⎜ − ⎜ ⎟ ⎟ ⎜ ⎝b⎠ ⎟ ⎝ ⎠ m ⎛ x ⎞ m −1 λ( x ) = ⎜ ⎟ b ⎝b⎠ (7.2.23) (7.2.24) 7 Ermüdung Festigkeit von spröden Materialien lnln(1/(1-F)) 2 1 0 -1 F 99.7 Kontaktfestigkeit -2 -3 -4 Biegefestigkeit -5 200 300 σc 400 500 (MPa) Abb. 7.2.11: Festigkeit von Keramiken lassen sich mit Weibull-Verteilungen beschreiben. Abb. 7.2.12: Badewannen-Kurve 14 7 Ermüdung 15 Vorgehensweise zur Bestimmung von Parametern der Verteilungsfunktionen Grafische Auswertung 1. Ordnen der Messwerte nach Größe 2. Berechnung der Summenhäufigkeit i P( X ≤ xi ) = Fi ( xi ) = n besser: i Fi ( xi ) = n +1 i − 0.3 Fi ( xi ) = n + 0.4 i − 0.5 Fi ( xi ) = n (7.2.25) (7.2.26) 3. Auftragen von Fi(xi) als Funktion von xi kumulative Häufigkeit [%] 99.9 99 95 80 50 20 5 1 .1 0.1 1 Durchmesser [µm] 10 Abb. 7.2.13 Normalverteilung Lognormalverteilung 99.99 y = 311.92 + 37.278norm(x) R= 0.97689 99.9 99 kumulative Häufigkeit kumulative Häufigkeit 99.9 99.99 95 90 80 70 50 30 20 10 5 95 90 80 70 50 30 20 10 5 1 1 .1 .01 .01 250 300 Lastwechsel Abb. 7.2.14 R= 0.98585 99 .1 200 y = 309.89 * e^(0.11796norm(x)) 350 400 200 300 Lastwechsel 400 7 Ermüdung 16 Methode der Momente 1. Bestimme Mittelwert aus den Messwerten x= 1 n ∑ xi n i =1 (7.2.27) 2. Bestimme Standardabweichung aus den Messwerten 1/ 2 ⎡ 1 n ⎤ S=⎢ ∑ ( x − xi )2 ⎥ ⎣ n − 1 i =1 ⎦ (7.2.28) Berechne Verteilungsdichte mit Parametern θ1 und θ2: +∞ μ X = ∫ xf X ( x, θ1, θ2 ) dx = g1 (θ1, θ2 ) (7.2.29) −∞ +∞ σ 2X + μ 2X = ∫ x 2 f X ( x, θ1, θ2 )dx = g 2 (θ1, θ2 ) (7.2.30) −∞ Für Normalverteilung ergibt sich trivialerweise: x = μ und S = σ (7.2.31) Für logarithmische Normalverteilung: μ= und (7.2.32) x 1/ 2 ⎛ S2 ⎞ ⎜1 + ⎟ ⎜ x2 ⎟ ⎝ ⎠ 1/ 2 ⎡ ⎛ S2 ⎞ ⎤ σ = ⎢ln ⎜ + 1⎟ ⎥ 2 ⎜ ⎟⎥ ⎢⎣ ⎝ x ⎠⎦ (7.2.33) Maximum-Likelihood-Methode p Parametern θ1, θ2, ..... θp Wahrscheinlichkeit, einen beliebigen Wert xi zu erhalten p ~ f X ( xi , θi ....θ p ) (7.2.34) Wahrscheinlichkeit, die gemessenen Stichprobenwerte x1, x2, ..., xn zu erhalten (LikelihoodFunktion) n L = n! ∏ f X ( xi , θi ...θ p ) i =1 (7.2.35) 7 Ermüdung Maximalwert für i = 1 ...p 17 ∂ ln L ∂L = 0 bzw. =0 ∂θi ∂θi (7.2.36) Für die Weibull-Verteilung fX ( x ) = m⎛ x⎞ ⎜ ⎟ b ⎝b⎠ m −1 ⎛ ⎛ x ⎞m ⎞ exp⎜ − ⎜ ⎟ ⎟ ⎜ ⎝b⎠ ⎟ ⎝ ⎠ (7.2.37) ergibt sich als Parameterschätzung mit der Maximum-Likelihood-Methode: m aus Lösung von: ˆ n n ∑in=1 xim ln xi + ∑ ln xi − n =0 mˆ mˆ i =1 ∑n xi (7.2.38) i =1 b aus: 1 n ⎛1 ⎞ mˆ bˆ = ⎜⎜ ∑ ximˆ ⎟⎟ ⎝ n i =1 ⎠ (7.2.39) 3 b=328.9 2 0.99 1 0.93 0 0.63 Pf=1.21% -1 0.31 Sample data -2 0.13 Weibull line -3 0.05 90% conf. bounds -4 5.5 5.6 5.7 5.8 ln(Nf) Abb. 7.2.15 5.9 6 Probability F Nf=200 ln(ln(1/(1-F))) m=8.9 7 Ermüdung 18 7.3 Lebensdauer In vielen technischen Anwendungen werden Komponenten zyklisch belastet, typische Belastungsverläufe können dabei folgendes Aussehen haben: • unregelmäßig, z.B. durch Vibrationen bei Flug- und Fahrzeugen, in der Regel hohe Frequenzen • regelmäßig entsprechend Betriebszuständen, z.B. Ein- und Ausschalten, Turbinen mit unterschiedlicher Drehzahl, in der Regel niedrige oder sehr niedrige Frequenzen • periodisch, z.B. rotierende Teile mit Unwucht oder Kontaktbelastung, hohe oder sehr hohe Frequenzen Abb. 7.3.1: Zyklische Belastungsverläufe Nach DIN 50 100 werden folgende Begriffe zur Beschreibung der (periodischen) zyklischen Belastung verwendet: • • σu Unterspannung σo Oberspannung 7 Ermüdung • • • • 19 σa = (σo - σu)/2 Spannungsamplitude Δσ = 2 σa Spannungsschwingbreite σm = (σo + σu)/2 Mittelspannung s = σu/ σo Spannungsverhältnis (in der Literatur häufig als R bezeichnet) Durch die zyklische Belastung kommt es zu elastischer und plastischer Verformung des Werkstoffs. Dieses kann in einem zyklischen Spannungs-Dehnungs-Diagramm dargestellt werden. Abb. 7.3.2: Zyklische Spannungs-Dehnungs-Diagramm Definitionen: • • • • • • • εa Dehnungsamplitude εpl plastische Dehnungsamplitude εanel anelastische Dehnungsamplitude εel elastische Dehnungsamplitude Δε = 2 εa Gesamt-Dehnschwingbreite Δεpl = 2 εpl plastische Dehnschwingbreite Verformungsarbeit pro Zyklus = eingeschlossene Fläche der Hysterese Die Ermüdung wird durch plastische Wechselverformung hervorgerufen. Bei niedrigen Amplituden treten makroskopisch nur elastische Dehnungen auf, trotzdem kommt es aber an einigen Stellen im Werkstoff, z.B. an Einschlüssen oder Tripelpunkten, zu plastischer Verformung. Bei großen Amplituden kommt es zu einer homogenen plastischen Verformung im Werkstoff und damit zu einer Hysterese im zyklischen Spannungs-Dehnungs-Diagramm (Abb. 7.3.2). Ermüdungsexperimente können grundsätzlich unterschieden werden, ob sie mit konstanter Spannungsamplitude, Dehnungsamplitude oder wenn möglich konstanter plastischer Dehnungsamplitude durchgeführt werden. Je nach Werkstoff kann es dabei zu 7 Ermüdung 20 verfestigenden oder entfestigenden Vorgängen im Material kommen, was zu einer Änderung der Hysterese als Funktion der Zyklenzahl führt. In der Regel stellt sich nach einer gewissen Zahl von Zyklen eine Sättigungshysterese ein, die sich im weiteren Verlauf kaum noch ändert. Abb. 7.3.3: Zyklische Spannungs-Dehnungs-Diagramme für einen Werkstoff der zyklische Verfestigung zeigt bei konstanter Spannungsamplitude (links) und konstanter plastischer Dehnschwingbreite (rechts). Abb. 7.3.4: Zyklische Spannungs-Dehnungs-Diagramme für einen Werkstoff der zyklische Entfestigung zeigt bei konstanter Spannungsamplitude (links) und konstanter plastischer Dehnschwingbreite (rechts). 7 Ermüdung 21 Abb. 7.3.5: Lebensdauer-Diagramm bei dem die Gesamtdehnungsamplitude gegen die Zahl der Lastwechsel bis zum Versagen aufgetragen ist. Abb. 7.3.5 zeigt ein Lebensdauer-Diagramm bei dem die Zahl der Lastwechsel, Nf, gegen die Gesamtdehnungsamplitude aufgetragen ist. Es können in diesem Diagramm zwei Bereiche unterschieden werden: bei weniger als etwa 1000 Lastwechsel spricht man von Kurzzeitermüdung (LCF, low cycle fatigue) und darüber von Langzeitermüdung (HCF, high cycle fatigue). Der Übergang ist nicht scharf definiert und hängt auch vom Werkstoffverhalten ab. Der LCF-Bereich ist für Bauteile relevant, die nur relativ wenigen Lastwechseln ausgesetzt sind, wie zum Beispiel beim An- und Abfahren einer Turbine oder Druckaufbau und -abbau bei einem Druckbehälter. Der HCF-Bereich ist relevant für große Zyklenzahlen die z.B. durch Vibrationen, Schwingungen und Rotationen hervorgerufen werden. Charakteristisch für die Kurzzeitermüdung ist die makroskopisch messbare plastische Verformung, die wesentlich größer als die elastische Dehnung ist. Der Zusammenhang zur Lebensdauer wird in diesem Bereich durch das Coffin-Manson-Gesetz beschrieben: Δε pl 2 = ε ' f ⋅ N B−c (7.3.1) 7 Ermüdung 22 Hier ist NB = 2Nf die Zahl der Zyklen bis zum Bruch (ein Zyklus entspricht zwei Lastwechseln), ε’f und c sind materialabhängige Parameter, wobei c für die meisten Metalle etwa 0.6 ist, ε’f kann als Ermüdungsduktilität bezeichnet werden. Das Coffin-Manson-Gesetz gilt in der Regel nur für Zyklenzahlen größer als 10. Im Gebiet hoher Zyklenzahlen tritt makroskopische eine rein elastische Dehnung auf, und für die Zyklenzahl bis zum Bruch gilt die Basquin-Beziehung: σ a = σ ' f N B−b (7.3.2) Δε el σ ' f = ⋅ N B−b 2 E (7.3.3) bzw. Hier sind σ’f und c materialabhängige Parameter, wobei b für die meisten Metalle in der Größenordnung von 0.1 liegt, σ’f kann als Ermüdungsfestigkeit bezeichnet werden, die mit der Zugfestigkeit des Werkstoffs skaliert. Die beiden Beziehungen (7.3.1) und (7.3.3) können als Grenzbeziehungen für niedrige und hohe Bruchlastwechselzahlen angesehen werden. Um allgemein das Verhalten bei konstanter Gesamtdehnungsamplitude zu beschreiben, lassen sich die beiden Gleichungen addieren: Δε σ ' f = ⋅ N B−b + ε ' f ⋅N B−c 2 E (7.3.4) Zu beachten ist dabei, dass die Beziehungen nur für reine Wechselbelastung (σmittel = 0) gelten. Abb. 7.3.6 zeigt noch mal den Langzeitermüdungsbereich, wobei hier die Spannungsamplitude gegen die Lebensdauer aufgetragen ist. Dieses Diagramm wird nach dem Pionier der Ermüdungsforschung, August Wöhler, als Wöhler-Diagramm bezeichnet. Für krz Metalle und insbesondere ferritisch-martensitische Stähle wird eine für Zyklenzahlen von etwa 106 kein weiterer Abfall in der Wöhler-Kurve beobachtet, d.h. hier existiert eine Spannungsamplitude unterhalb derer es zu keinem Ermüdungsversagen kommt. Dieser Amplitude wird als Dauerfestigkeit bezeichnet. Für kfz Metalle existiert eine solche Dauerfestigkeit nicht, weshalb häufig die Spannungsamplitude für z.B. 107 Zyklen als Richtwert angegeben wird. Bemerkungen 1. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass es auch bei Stählen, je nach Herstellung, nicht zu einer „echten“ Dauerfestigkeit kommt, da bei sehr großen Zyklenzahlen (>108) ein Versagen auftreten kann. 2. Die angegebenen Beziehungen suggerieren, dass die Lebensdauer eine deterministische Größe ist. Das ist aber nicht der Fall, da die gemessenen 7 Ermüdung 23 Lebensdauern an nominell gleichen Proben oder Bauteilen immer einer Streuung unterliegen und die entsprechende Lebensdauerverteilung probabilistisch beschrieben werden muss (s. Abschnitt 7.2 und Abb. 7.3.7). Da die Streuung aber in der Regel nicht vom Belastungsniveau (Spannungsamplitude) abhängt, können die Formeln auf den Medianwert aber auch z.B. auf die Kurve für die 1%-Ausfallswahrscheinlichkeit angewandt werden. Abb. 7.3.6: Wöhler-Diagramm bei dem die Spannungsamplitude gegen die Zahl der Zyklen bis zum Versagen aufgetragen ist. I: krz Metalle, insbesondere Stähle, II: kfz Metalle wie z.B. Cu- oder Al-Legierungen. Abb. 7.3.7: Wöhler-Diagramm, das die Streuung der Lebensdauer zeigt. Bei Spannungsamplituden im Bereich I versagen alle Proben, im Bereich II nur ein Teil und im Bereich III keine bis 107 Zyklen. 7 Ermüdung 24 σy (MPa) σ‘y (MPa) ε‘y b c 1100 gegl. 97 193 1.80 0.106 0.69 7075 T6 469 1317 0.19 0.126 0.52 1015 228 827 0.95 0.110 0.64 4340, angel 1172 1655 0.73 0.076 0.62 700 2255 1.16 0.117 0.75 Material Al-Leg. Stahl Ni-Basis Inconel Tabelle 7.3.1: Werkstoffkennwerte für einige ausgewählte Legierungen. Beachte, dass die Ermüdungsfestigkeit mit der Streckgrenze skaliert, aber für festere Werkstoffe, die Ermüdungsduktilität abnimmt. Bislang wurde davon ausgegangen, dass reine Wechselbelastung (σmittel = 0) auftritt. Bei einer positiven Mittellast, also einer Zugspannung, verkürzt sich aber die Lebensdauer, was durch eine modifizierte Basquin-Beziehung beschrieben werden kann: σ a = (σ ' f −σ mittel )N B−b (7.3.5) Auch die Dauerfestigkeit wird durch eine positive Mittelspannungen reduziert. Hierfür sind in der Literatur verschiedene Ansätze zu finden: σ a σ mittel + =1 σm σD σ a σ mittel + =1 σD σy σa σD (7.3.6) 2 ⎛σ ⎞ + ⎜⎜ mittel ⎟⎟ = 1 ⎝ σm ⎠ In (7.3.6) ist σm die Zugfestigkeit, σy die Streckgrenze und σD die Dauerfestigkeit des Werkstoffs. Die drei Beziehungen sind in Abb. 7.3.8 grafisch dargestellt. 7 Ermüdung 25 Abb. 7.3.8: Grafische Darstellung der Abhängigkeit der Dauerfestigkeit von der Mittelspannung. Mit zunehmender Mittelspannung nimmt die ertragbare Spannungsamplitude ab. Treten bei einer zyklischen Belastung veränderliche Spannungsamplituden auf, kann die Lebensdauer nicht ohne weiteres aus dem Wöhler-Diagramm ermittelt werden. Würde man allen Zyklen die maximale auftretende Spannungsamplitude zuordnen, wäre das zwar eine konservative Abschätzung, bei der allerdings eine Reserve in der Lebensdauer „verschenkt“ wird. Abb. 7.3.9: Klassifizierung nach verschiedenen Beanspruchungen. Bei Ermüdung kann eine zyklische Beanspruchung mit veränderlichen Amplituden auftreten. Um diesem Problem zu begegnen, wird versucht jedem Lastwechsel einen Schädigungsbetrag zuzuweisen. Die einfachste Annahme über die Schädigung wurde von Palmgren und Miner gemacht (lineare Schadensakkumulation). Jedem Lastwechsel mit der Amplitude σi wird ein Schädigungsanteil Di zugeordnet: Di = 1 N B (σ i ) (7.3.7) 7 Ermüdung 26 wobei NB(σi) die Lebensdauer für die Amplitude σi ist. Der Zeitpunkt des Auftretens des Lastwechsels spielt dabei keine Rolle. Teilt man nun die auftretenden Amplituden in k Klassen, σ1… σi … σk mit den zugehörigen Lastwechselzahlen n1…ni…nk dann ist die Schädigung: (7.3.8) ni =D ∑ i N B (σ i ) log σ a σ2 σ3 σ1 n2 n3 n1 log N B Abb. 7.3.10: Schematische Darstellung der Vorgehensweise bei der Schädigungsregel von Palmgren-Miner. Nach der Regel von Palmgren und Miner tritt Versagen bei D = 1 auf. Dieses ist häufig gerechtfertigt, vernachlässigt aber einige wichtige Aspekte: 1. Reihenfolgeeinflüsse: Die Schädigung eines Lastwechsels kann von der Höhe der vorhergehenden Wechsel abhängen. 2. Schädigung von Amplituden unterhalb der Dauerfestigkeit: Diese würden nach Gl. (7.3.8) zu gar keiner Schädigung führen, da hier die Lebensdauer unendlich lang wäre. Da aber durch die Beanspruchung bei hoher Amplitude Schädigung eintritt, kann diese unter Umständen auch bei Amplituden im dauerfesten Bereich vergrößert werden. Um dem zweiten Problem zu begegnen, kann die Wöhler-Kurve „verlängert“ werden, entweder mit der gleichen Steigung (konservativ) oder mit halber Steigung im logσi- logNB – Diagramm. In der Praxis wird außerdem häufig ein geringer Wert für D als Versagenskriterium angesetzt. 7 Ermüdung 27 7.4 Stadien der Ermüdung Die Schädigungsentwicklung im Werkstoff, die letztlich zum Versagen unter zyklischer Belastung führt, kann in verschiedene Stadien eingeteilt werden: • Mikrostrukturelle Veränderungen, die zu permanenter Schädigung führen • Bildung von mikroskopischen (kurzen) Rissen • Bildung eines dominanten Risses durch Weiter- oder Zusammenwachsen von kurzen Rissen. Übergang von Rissbildung und Risswachstum • Stabile Rissausbreitung • Strukturelle Instabilität bzw. Versagen Mikrostrukturelle Veränderungen Die Ausbildung von Versetzungsstrukturen als Resultat einer zyklischen Belastung wurde an Cu Einkristallen als Modellwerkstoff ausgiebig untersucht. Die hier gewonnenen Erkenntnisse über die auftretenden Mechanismen lassen sich auch auf andere Werkstoffe übertragen. Abb. 7.4.1: Zyklisches Spannungs-Dehnungs-Diagramm für ein Cu-Einkristall (Scherspannung gegen plastische Schrdehnung). Mit zunehmender plastischer Dehnungsamplitude nimmt die Schädigung im Kristall durch die Bildung persistenter Gleitbänder zu. 7 Ermüdung 28 Abb. 7.4.2: Venenstruktur, Schema (links) und Transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme (rechts): Versetzungstruktur bei kleinen Dehnungsamplituden. Stufenversetzungen bilden die Venen, dazwischen können Schraubenversetzungen relativ leicht gleiten. Abb. 7.4.3: Persistente Gleitbänder (PSB), Probenoberfläche (links) und Transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme (rechts): An der Oberfläche bilden PSBs Riefen, an denen Risse entstehen können. 7 Ermüdung 29 Abb. 7.4.4: Transmissionselektronenmikroskopische Aufnahmen einer Labyrinth- (links) und einer Zellstruktur (rechts), die bei sehr großen zyklischen Scherdehnungen auftreten. Abb. 7.4.5: Zyklisches Spannungs-Dehnungs-Diagramm mit Verfestigung (links, vgl. Abschnitt 7.3), die durch die Ausbildung der diskutierten Versetzungsstrukturen bedingt ist. Die Endpunkte der Hysteresen lassen sich zu einer Kurve zusammensetzen, die als zyklische Verfestigungskurve bezeichnet wird. Das zyklische Verfestigungsverhalten hängt sehr stark von der Vorbehandlung ab (rechts). 7 Ermüdung 30 Bildung von mikroskopischen (kurzen) Rissen Abb. 7.4.6: An der Oberfläche entstehen bei plastischer Verformung Gleitstufen, wo Versetzungen an der Oberfläche austreten: (a) bei einsinniger Belastung regelmäßig und (b) unregelmäßig bei zyklischer Belastung. (c) Dort wo PSBs die Oberfläche schneiden, treten sehr hohe Stufen und tiefe Furchen auf. Abb. 7.4.7: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen von PSBs an der Oberfläche. Durch die Kerbwirkung kommt es zur Rissbildung. 7 Ermüdung 31 Abb. 7.4.7: Lichtmikroskopische Aufnahmen von Oberflächen polykristalliner Proben: Die kristallografische Ausrichtung der Gleitlinien wird durch die unterschiedliche Orientierung in den verschiedenen Körnern deutlich, an Tripelpunkten kann es zu iunkompatibler Verformung kommen und da mit zu Rissbildung (links). Auch innerhalb einzelner Körner bilden sich PSBs aus, insbesondere dort wo diese auf Korngrenzen stoßen, kommt es zur Poren- und Rissbildung (rechts). 25 µm Abb. 7.4.8: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen eines kurzen Risses, der sich in einer zweiphasigen Legierung an einem Einschlussteilchen gebildet hat. Durch das harte Teilchen entstehen lokale hohe Spannungen bzw. große plastische Dehnungen, weshalb es dort zur Rissbildung kommt. 7 Ermüdung 32 Abb. 7.4.9: Einfache Modellvorstellung zur kristallografischen Rissentstehung an der Oberfläche. σa Druckeigenspannung Zugeigenspannung NB Abb. 7.4.10: Wöhler-Diagramm mit dem Einfluss des Eigenspannungszustands. Zugeigenspannungen verringern ähnlich wie Zugmittelspannungen die Lebensdauer bzw. die Dauerfestigkeit. Der Einfluss ist im HCF-Bereich deutlich größer, da im LCF-Bereich durch die plastische Verformung die Eigenspannungen schnell abgebaut werden. Dauerfestigkeit (MPa) 7 Ermüdung Zugfestigkeit (MPa) Abb. 7.4.11: Einfluss des Oberflächenzustands auf die Dauerfestigkeit bei gleichem Grundmaterial. Es wird deutlich, dass die Dauerfestigkeit mit der Zugfestigkeit für alle Oberflächenzustände skaliert. Je schlechter diese aber sind desto geringer ist die Dauerfestigkeit (Schmieden < Walzen < Polieren), wobei durch Sandstrahlen für alle Zustände Druckeigenspannungen an der Oberfläche zu einer Verbesserung führen. Die Oberflächeneigenschaften spielen eine wesentliche Rolle für die Rissentstehung, wobei folgende Einflussgrößen von Bedeutung sind: • umgebendes Medium (Luft, Salzwasser, usw.) • Oberflächenqualität (s. Abb. 7.4.11). • Mikrostruktur an der Oberfläche • Mittelspannung • Eigenspannungszustand (s. Abb. 7.4.10) 33 7 Ermüdung 34 Übergang von Rissbildung und Risswachstum Abb. 7.4.12: Schematische Darstellung des Übergangs von einem kurzen Riss, der kristallografisch an der Oberfläche entstanden ist, zu einem langen Riss der als Mode I-Riss sich senkrecht zur Belastungsrichtung ausbreitet. Man Spricht bei diesem Übergang auch von Stadium I und II. Abb. 7.4.13: Mikroskopische Aufnahme (links) und schematische Darstellung (rechts) einer Ermüdungsruchfläche, die den Übergang von Stadium I nach II zeigen. 7 Ermüdung 35 Stabile Rissausbreitung und Versagen Abb. 7.4.14: Mikroskopische Aufnahme von Ermüdungsruchflächen, die die typischen Rastlinien zeigen. Diese Linien verlaufen senkrecht zur Rissausbreitungsrichtung und sind in duktilen Werkstoffen (links) wesentlich deutlicher ausgeprägt als in spröden (rechts). Abb. 7.4.15: Einfache Modellvorstellung zur Entstehung von Ermüdungsriefen (nach Laird 1967). 7 Ermüdung 36 Abb. 7.4.16: Kristallografisches Modell (Neumann 1969) zur Entstehung von Ermüdungsriefen. Abb. 7.4.17: Rissausbreitungsgeschwindigkeit als Funktion der Schwingbreite der Spannungsintensität. Die zyklische stabile Rissausbreitung kann mit einem bruchmechanischen Ansatz beschrieben werden, wobei der Rissfortschritt pro Zyklus, da/dN, als Funktion der Schwingbreite des Spannungsintensität, ΔK, betrachtet wird: ΔK = Δσ ⋅ Y ⋅ πa (7.4.1) Es können drei Bereiche unterschieden werden: I. Übergang kurzer Risse zur stabilen Rissausbreitung ab einem Grenzwert ΔKth oder ΔKo 7 Ermüdung 37 II. Im diesem Bereich kann die Rissfortschrittsrate mit dem so genannten Paris-Gesetz beschrieben werden: da = C ⋅ (ΔK )m dN (7.4.2) C und m sind materialabhängige Parameter, wobei m typische Werte zwischen 2 und 6 annimmt. III. Wenn bei der zyklischen Belastung der obere Werte für K, Kmax, die Größenordnung der kritischen Spannungsintensität KIc erreicht beschleunigt der Riss und es kommt zum katastrophalen Versagen durch Gewaltbruch. Die verbleibende Lebensdauer eines Bauteils kann mit der Rissfortschrittsrate abgeschätzt werden. (schadenstolerantes Design): a2 da NB = ∫ = da dN a1 a2 da ∫ C ⋅ (ΔK )m (7.4.3) a1 Abb. 7.4.18: Rissausbreitungsgeschwindigkeit als Funktion der Schwingbreite der Spannungsintensität für verschiedene Werte von R. 7 Ermüdung 38 Abb. 7.4.19: Rissausbreitungsgeschwindigkeit als Funktion der Schwingbreite der Spannungsintensität für verschiedene Werte von R (links). Das Konzept ist auch für negative Werte von R gültig (rechts), wobei unter Druckbelastung der Rissfortschritt verlangsamt ist. 7 Ermüdung 39 Einfluss des umgebenden Mediums auf die Rissausbreitung Abb. 7.4.20: Einfluss des umgebenden Mediums auf die Dauerfestigkeit. Luft Wasser Salzwasser 250 140 55 15% Cr- 385 Stahl 250 140 18/8 aust. 385 Stahl 355 250 C-Stahl Tabelle 7.4.1: Spannungsamplitude für 5 107 Zyklen für verschiedene Stähle in verschiedenen Medien. Bei Korrosion tritt keine echte Dauerfestigkeit mehr auf und es kommt bei geringeren Spannungsamplituden zum Versagen (Abb. 7.4.20 und Tabelle 7.4.1). Da Risse generell von der Oberfläche ausgehen, ist ein korrosiver Angriff möglich und eine kritische Risslänge wird auch bei geringer Belastung erreicht. In einem korrosiven Medium wird ebenfalls der Schwellwert, ΔKth (vgl. Abb. 7.4.17), für die Rissausbreitung herabgesetzt (s. Abb. 7.4.21) sowie die Rissausbreitungsgeschwindigkeit erhöht (Abb. 7.4.22). Letzteres weist insbesondere eine starke Frequenzabhängigkeit auf, da die Korrosion mit Diffusionsvorgängen verbunden ist, die natürlich stark zeitabhängig sind. Dieses wird auch anhand einer qualitativen Modellvorstellung (Abb. 7.4.23) deutlich. Ohne Korrosion würde sich der Riss bei jedem Zyklus nur gering ausbreiten, da er durch die plastische Verformung vor der Rissspitze abgerundet wird. Durch die Korrosion aber wird eine Zone vor dem Riss versprödet und der Riss breitet sich weiter aus. Die Schrittlänge hängt dabei in starkem Maße von der Größe des korrodierten Bereichs ab. Mit anderen Worten, je mehr Zeit für die Korrosion war bzw. je stärker der Korrosionsangriff desto größer der korrodierte Bereich und damit die Rissgeschwindigkeit. 7 Ermüdung 40 Abb. 7.4.21: Einfluss des umgebenden Mediums auf den Schwellwert für Rissausbreitung. Abb. 7.4.22: Einfluss des umgebenden Mediums auf die Rissausbreitungsgeschwindigkeit: für eine AlCuMg-Legierung bei verschiedenen Luftdrücken (links) und bei zwei verschiedenen Frequenzen als Funktion der Wasserpartialdrucks (rechts). 7 Ermüdung Abb. 7.4.23: Qualitatives Modell zum Verständnis der Unterstützung der Rissausbreitung unter zyklischer Belastung durch ein korrosives Medium. 41 7 Ermüdung 42 Einfluss der Belastungsgeschichte auf die Rissausbreitung Abb. 7.4.24: Einfluss von eingestreuten Spitzenlasten (oben) bzw. Änderungen der Belastungsamplitude auf die Rissausbreitungsgeschwindigkeit. Durch hohe Belastungen wird eine größere plastische Zone (und damit mehr verfestigtes Material) vor der Rissspitze erzeugt, was im Anschluss bei geringeren Belastungen zu einer deutlich verlangsamten Rissausbreitung führt. Bei einer plötzlichen Erhöhung der Belastung ist ein umgekehrter Effekt zu beobachten, der aber weniger stark ausgeprägt ist. Diese Effekte beeinträchtigen die Lebensdauervorhersage, da eine lineare Schadensakkumulation nicht mehr gegeben ist. 7 Ermüdung 43 Strukturelle Instabilität bzw. Versagen – Bruchbilder Der Ermüdungsbruch führt zu typischen Bruchflächen deren detaillierte Betrachtung einen Rückschluss auf die aufgetretene Belastung und die Schädigungsentwicklung erlaubt. Solche Untersuchungen sind eine wichtige Grundlage für die Schadenskunde, um entweder Schadensfälle zu vermeiden, aber auch um z.B. Haftungsfragen zu klären. Abb. 7.4.25: Typische Bruchflächen nach Ermüdungsbruch. Der Bereich der Ermüdungsrissausbreitung ist eher glatt und weist die typischen Haltelinien auf (jeweils links in der Bruchfläche) während der Restbruch (Gewaltbruch) eine zerklüftete Oberfläche besitzt (jeweils rechts). Der unterschiedliche Verlauf der Haltelinien deutet auf eine unterschiedliche Belastung hin, im rechten Bild Zugbelastung und im linken Bild überlagerte Biegung. Abb. 7.4.26: Typische Bruchflächen nach Ermüdungsbruch: bei schwellender Zugbelastung (links) und Druckbelastung (rechts). 7 Ermüdung Abb. 7.4.27: Schematische Darstellung von Bruchflächen nach Ermüdungsbruch für verschiedene Belastungsfälle. 44
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