Hauptausgabe - Migros

18 | MM36, 31.8.2015 | MENSCHEN
Rückblende
Porträt
Reiten wie
Kaiserin Sissi
Berühmte Frauen im
Damensattel
Das Dirigieren eines Pferdes aus dem Damensattel erfordert spezielle
Kenntnisse. Für Barbara Tschuor war es Liebe auf dem ersten Ritt. Neben
der Technik liebt sie das Zusammenstellen der historischen Kostüme.
Sissi (1863), Kaiserin von
Text: Claudia Weiss
Österreich, gilt als Vorzeigefrau
für das Reiten im Damensattel.
K
Elizabeth II. mit 60 im Damensattel. Erst mit 80 hörte die
englische Königin auf zu reiten.
Schiesswütig, aber ladylike:
Angelina Jolie als Lara Croft im
Film «Tomb Raider» (2003).
Bilder: Keystone, PD
Immer mehr Engländerinnen
wollen lernen, wie Lady Mary
in der populären TV-Serie
«Downton Abbey» (2010) über
Wiesen zu galoppieren.
erzengerade sitzt
Barbara Tschuor (47)
auf ihrem Spanischen
Schimmel Llevant und
trabt durch den weichen Sand
der Reithalle in Gettnau LU. Die
barocke Langjacke mit den
goldenen Stickereien wippt im
Takt, auf dem Kopf thront ein
Dreispitz, und der schwarze
Rock überdeckt ladylike beide
Stiefel: Die Reiterin sitzt im
Damensattel, beide Beine links
vom Pferderücken, leicht an­
gewinkelt und in zwei spezielle
Lederhörner eingehängt. In der
rechten Hand hält sie locker
eine schmale Reitgerte. Die
braucht sie, um dem Pferd auch
auf dieser Seite sanfte Kom­
mandos zu erteilen.
Barbara Tschuor sieht aus wie
aus einer anderen Zeit in ihrem
Kostüm und mit dem gefüllten
Haarnetz, unter dem sie ihre
moderne Kurzhaarfrisur ver­
steckt. Sie würde hervorragend
in eine noble Jagdgesellschaft
passen. Llevant oder Levi, wie
sie den 22­jährigen Wallach
nennt, trabt unbekümmert vor
sich hin, ihn stört weder das
Kostüm noch der Sattel, der mit
einem zusätzlichen Balance­
riemen festgezurrt wird. «Das A
und O des Damensattels», er­
klärt Tschuor. «Ohne zusätzlichen Riemen würde der Sattel
beim schnellen Galopp ins
Rutschen geraten.»
Sie zeigt ihren aufknöpfbaren
Rock und den Steigbügel mit
dem Schloss, das sich bei einem
Sturz sofort löst: «Beides wurde
vor rund 100 Jahren erfunden
Bilder: Laurent Burst
und dient der Sicherheit», sagt
sie. Früher verfingen sich die
Frauen bei einem Sturz mit dem
Rock in den Hörnern oder
blieben mit dem linken Fuss im
Steigbügel hängen und wurden
hinter dem Pferd hergeschleift.
Rund 10 000 Franken kostet
ein Damensattel
Zum Gehen knöpft sich Barbara
Tschuor den Sicherheitsjupe
hinten wieder hoch. Solche
Details liebt sie: «Mit Fantasie
nostalgische Kostüme zusam­
menstellen. Das ist doch der
Mädchentraum, wie Aschen­
brödel im Film durch die Land­
schaft zu galoppieren.» Ein
Traum, der allerdings viel Kön­
nen voraussetzt. «Die Befehle
sind viel feiner als beim Reiten
im Herrensattel», sagt sie.
Und anstrengender: «Das rechte
Bein und die Bauchmuskeln
spüre ich jedesmal ordentlich.»
Als die gelernte Primar­
lehrerin vor fast zehn Jahren
erstmals an einem Schnuppertag
in einem Damensattel sass,
war sie vom ersten Moment an
fasziniert. Sofort machte sich
Barbara Tschuor auf die Suche
nach einem eigenen, handge­
nähten Stück. Ein Jahr dauerte
die Suche, bis sie einen qualita­
tiv guten Sattel gefunden hatte.
«Aus dem Osten werden viele
schlechte Billigsättel angebo­
ten», sagt sie. Ein Qualitäts­
damensattel hingegen kostet
rasch einmal gegen 10 000 Fran­
ken, ein gebrauchter immerhin
noch 3000 bis 4000 Franken.
Um Erfahrungen und wichtige
Barbara Tschuor zeigt, wie die Beine
im Damensattel fixiert sind (oben).
Mit der Gerte gibt sie dem Pferd auf
der beinfreien Seite Kommandos.
MENSCHEN | MM36, 31.8.2015 | 19
Barbara Tschuor auf
ihrem Reithof in Gettnau:
Die historischen Kostüme
machen das Reiten
im Damensattel zum
königlichen Vergnügen.
MENSCHEN | MM36, 31.8.2015 | 21
Tipps auszutauschen, gründete
Tschuor 2007 mit anderen begeisterten Frauen den Damensattel-Verein
Schweiz. Die rund 50 Mitglieder sind
alle mittleren Alters. Tschuor vermutet, dass das nicht zuletzt mit den
exorbitanten Kosten zusammenhängt: «Für junge Reiterinnen ist das
ganz einfach unerschwinglich.»
Zudem wirkt das Reiten im
Damensattel auf den ersten Blick
nicht modern: Lange genug kämpften
Frauen dafür, im Herrensitz reiten zu
dürfen. Selbstbewusst lehnt Barbara
Tschuor leicht nach vorne und galoppiert davon. Genau diese «neue weibliche Rolle», erklärt sie, gefalle ihr:
«Graziös und im eleganten Kostüm
auf dem Pferd sitzen und zugleich
völlig selbständig leben.» Sie füttert,
striegelt Levi und ihre fünf anderen
Pferde und Ponys und schneidet
ihnen sogar regelmässig selber die
unbeschlagenen Hufe. Sie schmun-
zelt. «Und zum Aufsteigen brauche
ich auch nicht mehr zwei Diener.»
Klar, ganz ohne die Hilfe ihres Mannes, der vor allem beim Entwerfen
der Anlage tatkräftig mit anpackte,
hätte sie es nicht geschafft. Wenn sie
nicht gerade ihre Vierbeiner versorgt
oder reitet, macht sie auf ihrem Hof
in Gettnau Reittherapie für Menschen mit geistiger oder psychischer
Behinderung.
Momentan übt Barbara Tschuor
die Schritte für den bevorstehenden
Damensattel-Reittag, an dem sie
mit ihrer Kollegin Conny Erni eine
selber zusammengestellte Kür
vorführen will: In weisser Bluse,
englischem Rock und Zylinder wird
sie mit Levi zu Johann Strauss’
«Annen-Polka» auftreten. Darauf
freut sie sich, Reittage des Vereins
oder historische Paraden seien
Höhepunkte. «Das ist Harmonie mit
dem Pferd.» MM
Kurze Geschichte des Damensattels
Queen Elizabeth II. als Wegbereiterin
Prinzessin Anna von
Böhmen ritt als erste Frau
auf einem Damensattel
quer durch Europa, um
König Richard II. zu heiraten:
Der Seitwärtssattel sollte
ihre Jungfräulichkeit bewahren. Ab sofort galten
Herrensättel für Damen
als unsittlich. Für die wilde
Reiterin Katharina de Medici
montierten findige Sattelbauer 1580 ein Horn, in das
sie das linke Bein einhängen
konnte und das einen sichereren Sitz ermöglichte.
Als eigentliche Revolution
wurde das zweite Horn in
den 1830er-Jahren eingeführt: Damit konnte man
auch galoppieren und sprin-
gen. In den 1920er-Jahren war
es akzeptiert, dass Frauen in
Hosenröcken im Herrensitz
ritten, zugleich war der
Damensattel bei den Suffragetten (Frauenrechtlerinnen)
als Symbol männlicher Dominanz verpönt. Er geriet in
Vergessenheit. Erst Queen
Elizabeth II. und Lady Mary
aus der TV-Serie «Downton
Abbey» machten ihn wieder
populär. 2007 wurde der
Damensattel-Verein gegründet. Er zählt rund 50 Mitglieder. Der Damensattel-Reittag
findet am Sonntag, 6.September, 10 Uhr, in Kleindöttingen AG statt.
Infos: Damensattel-schweiz.ch
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26 | MM36, 31.8.2015 | MENSCHEN
Vergisst ob dem «wunderbaren
Panorama» die ganzen Strapazen
des Jungfrau-Marathons:
Christina Wassmer in der Nähe
des Ziels bei der Kleinen Scheidegg BE.
MENSCHEN | MM36, 31.8.2015 | 27
Porträt
Schöner leiden
am Berg
Der Jungfrau-Marathon gilt als einer der strengsten, aber auch schönsten Langstreckenläufe
der Welt. Am 12. September quälen sich wieder Tausende von Läufern die 42,195 Kilometer von
Interlaken auf die Kleine Scheidegg hoch. Bereits zum 20. Mal am Start steht
Christina Wassmer. Ihr Antrieb: das Panorama und eine grosse Portion Glücksgefühle.
Text: Reto E. Wild
M
itte September ist
es wieder so weit:
Christina Wassmer
(49) startet zu ihrem
20. Jungfrau-Marathon. Er gilt
unter anderem dank der drei
imposanten Berge als weltweit
schönster Lauf über 42,195 Kilometer.
Sieht die Arztgehilfin aus
Dottikon AG die schneebedeckten Gipfel von Eiger, Mönch
und Jungfrau, bekommt sie
Gänsehaut. «Das wunderbare
Panorama, die abwechslungsreiche Strecke und die Volksfeststimmung mit den vielen Zuschauern, die mich mit ihrem
Applaus ins Ziel tragen, begeistern mich.» Am liebsten mag die
Hobbymarathonläuferin ausgerechnet den strengsten Streckenteil des Marathons: von
Lauterbrunnen im Zickzackkurs
nach Wengen hoch und weiter
zur Wengernalp.
Ein Jahr lang bereitet sie sich
jeweils auf ihren Saisonhöhepunkt vor, trainiert jeden
Montagabend in der Läuferriege
Wohlen AG, rennt über die
Hügel des Aargauer Freiamts,
umrundet ab und zu den Hallwilersee und kommt so auf
wöchentlich rund 50 Trainingskilometer. Zusätzlich ist die
sportliche Singlefrau auch auf
dem Rennvelo und dem Mountainbike unterwegs.
Sie befürchte jedes Mal,
sich im letzten Moment noch zu
In Zahlen
Zum
23.
Mal wird am 12. September
der Jungfrau-Marathon ausgetragen. Es werden
4000
Läuferinnen und Läufer aus
56
Nationen erwartet. Start ist
in Interlaken BE, das Ziel nach
42,195
Kilometern fast 1800 Meter
höher auf der Kleinen
Scheidegg.
1700
5500
Helfer stehen im Einsatz, die
Bananen und 14 000 Liter
Sportdrinks, Bouillon und
Cola verteilen. Den Streckenrekord hält der Neuseeländer
Jonathan Wyatt, der 2003 das
Ziel nach 2:49:02 erreichte.
Bilder: Daniel Winkler
erkälten oder zu verletzen. Die
Tage vor ihrem grossen Jahresziel laufen immer gleich ab:
Zwei Tage vor dem Start gönne
sie sich eine Massage. Am Wettkampftag selbst fährt sie mit
ihrem Schwager frühmorgens
Richtung Interlaken los. «Jeder
erzählt von seinen Ängsten
und was alles wehtut.» Doch sobald der Startschuss gefallen ist,
sei die ganze Nervosität weg.
Die Strecke von Interlaken
via Lauterbrunnen zur 1800Meter höher gelegenen Kleinen
Scheidegg möchte sie dieses
Jahr in weniger als 5 Stunden
schaffen. Ihre Bestzeit
von 4 Stunden und 34 Minuten
stammt aus dem Jahr 1999.
Sport sei für sie Ausgleich zur
Arbeit, gebe ihr viel Befriedigung, Erholung und Ruhe.
«Während des Wettkampfs»,
gibt Wassmer zu, «frage ich mich
schon manchmal, weshalb ich
mir das antue. Doch in solchen
Momenten lenke ich mich mit
der Aussicht ab oder erhalte
ein paar aufmunternde Worte
von anderen Läufern. Auch
im Wettkampf nehme ich meine
Umgebung stark wahr.»
Ein Mal begleitete sie ihr
Bruder Wolfgang Wassmer (57),
der sie überhaupt auf die Idee
gebracht hatte. Er ist selbst
ein ambitionierter Läufer und
gibt ihr Trainingstipps. Zwei Mal
verhinderte eine überreizte
Achillessehne den Start. Und ein
Mal musste sie aufgeben, weil
ein Wechsel der Arbeitsstelle zu
viel Energie gekostet hatte.
Erstmals überhaupt an einem
Lauf startete Wassmer im Oktober 1992 am Hallwilersee über
11 Kilometer. Ein knappes Jahr
später wagte sie den grossen
Schritt und stand vor ihrer Jungfrau-Marathon-Premiere. Wassmer hatte keine Ahnung, was
sie erwarten würde. Sie kämpfte
sich im Berner Oberland bei
Regen und Schnee ins Ziel. «Die
Entschädigung mit dem Glücksgefühl auf der Kleinen Scheidegg
war jedoch unbeschreiblich.»
Seither startete Wassmer
zusätzlich rund ein Dutzend Mal
über 50 Kilometer in Burgdorf
BE, zehn Mal am Frauenfelder
Waffenlauf, vier Mal am Zermatt-Marathon sowie an den
Stadtmarathons von Zürich, Barcelona und New York. In ihrer
Läuferkarriere haben sich rund
50 Marathons angesammelt – für
jedes Lebensjahr einer.
«Viel mehr als auch noch
Rennvelofahren und Biken
hat in meiner Freizeit nicht
mehr Platz», sagt sie. Was
allerdings nicht ganz stimmt:
Ab und zu hilft Christina Wassmer als Sopran in einem Chor
aus. Das Requiem von Johannes
Brahms, vor zwei Jahren in
der Stadtkirche von Lenzburg
AG aufgeführt, sei ihr unter
die Haut gegangen – fast wie ein
Marathon. MM