Hightech am laufenden Band

TITELSTORY
Produktion von Handyschalen bei Balda
Hightech am
laufenden Band
Mit entscheidend für den Erfolg eines
Kunststoffverarbeiters in der Mobilfunkindustrie sind ein eigener, leistungsfähiger
Werkzeugbau um schnell reagieren zu können, zuverlässige Maschinentechnik sowie
viel Know-how in der Oberflächenveredelung,
sei es beim Galvanisieren, Lackieren oder
Bedrucken. Sehr wichtig sind zudem präzise und
zuverlässige Spritzgießmaschinen. Hier setzt die
Balda AG unter anderem auf Allrounder von
Arburg.
Das Denken in Systemen ist für Produktionsvorstand Ralf Ackermann
(re.) wesentlich. Dem kann Volkhard
Selig (li.), Leiter Qualitätsplanung
nur zustimmen
Trendy sind sie bei Jugendlichen, mehr
ein Modeartikel denn ein rein funktionelles Teil zum Telefonieren. Teils haben
sie sogar Kultstatus erreicht. Kein
Wunder, dass im vergangenen Jahr die
14– bis 25-jährigen 80 % der mobilen
Telefone gekauft haben. In Zahlen:
Etwa 320 Mio. der im Jahr 2000 weltweit abgesetzten 400 Mio. Geräte ging
an diese Altersgruppe. Zugleich nimmt
die Nutzungsdauer immer weiter ab.
Liegt sie derzeit noch bei 13 bis 15
Monaten je nach Modell, sinkt sie wie
das Alter der Nutzer. Sollen in zwei/drei
Jahren doch die Hälfte aller Handys von
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10– bis 15-jährigen erworben werden.
Dabei – so jedenfalls die Prognosen –
wird das weltweite Absatzvolumen
von Mobiltelefonen 2004 dann die
Milliardengrenze deutlich überschritten
haben – der derzeitigen Abschwächung des enormen Wachstums zum
Trotz.
Viel Arbeit für Produzenten und Zulieferer von Komponenten wie die Balda AG
in Bad Oeynhausen. Der Systempartner
für Nokia, Siemens, Motorola, Alcatel
und Ericsson fertigt unter anderem
Handyschalen und PMMA-Fenster aller
Couleur. „Wesentlich für den Erfolg auf
dem Markt der mobilen Kommunikation ist ein eigener, leistungsfähiger
Werkzeugbau“, wie Balda-Produktionsvorstand Ralf Ackermann betont.
„Nur er ermöglicht schnell zu reagieren
und in kürzester Zeit die erforderliche
Zahl an Kavitäten zur Verfügung zu haben.“ Und die liegt je nach Modell bei
150 bis 200, das entspricht gut und
gern 30 bis 50 Werkzeugen. Für deren
Konstruktion und Bau haben die Mitarbeiter bei Balda dann gerade mal
zwölf Wochen Zeit, mit abnehmender
Tendenz. Immerhin 150 Mitarbeiter beschäftigt Ackermann deswegen im eigenen Werkzeug- und Formenbau.
Doch dies, so scheint´s, zahlt sich aus:
„Nur weil wir auf eigene Werkzeugbaukapazitäten zurückgreifen konnten,
war es uns möglich, die Kunden schneller zu bedienen als unsere Mitbewerber.
Und das bescherte uns einige große
Aufträge.“
PLASTVERARBEITER 52. Jahrg. (2001) Nr. 7
Erst hohe Präzision
beim Spritzguss
ermöglicht die bei
Handys geforderten
Oberflächenqualitäten
Entwicklungszeiten
sinken deutlich
Schnelligkeit ist, wie so oft, auch in der
Mobilfunkbranche Trumpf. Zum einen
sinken die Entwicklungszeiten neuer
Mobiltelefone deutlich. Ackermann:
„Betrug sie beispielsweise vor 3 Jahren
noch 24 Monate, haben die Entwickler
bei den neuesten Modellen gerade mal
15 Monate vom Design bis zur Serienreife.“ Zum anderen nehmen die Losgrößen zu. Dipl.-Chem. Volkhard Selig,
Leiter Qualitätsplanung bei Balda. „Das
erlaubt nur eine hoch automatisierte
Produktion mit entsprechenden Maschinen und Peripherie und gut ausgebildeten sowie motivierten Mitarbeitern.
Nicht zu vergessen ist bei diesen enormen Stückzahlen und kurzen Entwick-
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lungszyklen, dass es sich bei den Kunststoffkomponenten um Präzisionsteile
erster Güte handelt. Volkhard Selig:
„Das ist genau der Punkt. Wir fertigen
Präzisionsteile in hohen Stückzahlen
zum Teil an der Grenze des Machbaren.
Man muss sich vorstellen, wir haben
beispielsweise 150 Kavitäten Front-Cover, 150 Kavitäten Back-Cover und die
müssen zusammenpassen und zwar
ganz exakt.“ Das Fügen der Teile sei also einer der wesentlichsten Qualitätsfaktoren in der Handycover-Fertigung.
Um das zu erreichen, muss im untersten
Toleranzbereich gearbeitet werden, verbunden mit einer sehr hohen Oberflächengüte der Teile. „Dementsprechend
hoch sind die Anforderungen an den
Werkzeugbau wie an die Spritzgießmaschinen“, so Selig. Zum Maschinenpark gehören bei Balda neben den
Allroundern der Arburg GmbH + Co,
Loßburg auch Spritzgießmaschinen von
Krauss-Maffei, Netstal, Ferromatic
Milacron und Engel.
Über insgesamt rund 200 Maschinen
mit Schließkräften von 500 bis 2000 kN
verfügt das Unternehmen derzeit in
den pico bello sauberen und klimatisierten Produktionshallen. Verarbeitet werden technische Kunststoffe wie PA oder
PC und deren Blends sowie in einem
eigenen Kompetenzzentrum PMMA.
IMD sorgt für dekorative
Oberflächen
Alle Maschinen lassen sich gezielt auf
die Anforderungen der Produktion
zuschneiden. An Verfahren finden sich
bei Balda neben der Einkomponentenauch
Mehrkomponentenfertigung,
In-Mould-Labeling und Folienhinterspritzen.
In der Extrusion, aber auch in einem
speziellen Verfahren im Spritzguss können Kunststoffteile durch hauchdünne
Lackfilme dekoriert werden. Der Lackfilm wird auf Prägefolien aufgebracht,
die wiederum durch Druck und Temperatur auf die Oberfläche der Kunststoffartikel übertragen werden. Grundlage für die Prägefolie bildet ein Polyesterfilm, meist eine PET-Folie. Auf diese
Folie wird nach einer dünnen Ablöseschicht ein Schutzlack aufgetragen, der
später am fertigen Teil die oberste Lackschicht bildet.
Beim IMD-Verfahren (Inmould-Decoration = Dekoration in der Form) wird die
Folie in das Spritzguss-Werkzeug eingelegt und das Dekor unter Nutzung der
in der Form vorliegenden hohen Temperaturen und Drücke auf das Spritzteil
übertragen. Unter Einsatz aufwändiger
Positioniergeräte lassen sich heute Skalen, Bilder, Beschriftungen etc. mit hoher Wiederholgenauigkeit auf Spritzgussteile aufbringen. Diese Technik
wird bei der Balda AG für die Produktion von Handy-Displayscheiben – sogenannten Windows – unter Serienbedingungen eingesetzt.
Beim Folienhinterspritzen werden
transparente Folien (meist aus PC) auf
der Rückseite bedruckt, danach entsprechend der Außenkontur des späteren Formteils vorgeformt und sauber
ausgestanzt (zum Beispiel Außenkontur
und Tastendurchbrüche). Die so dreidimensional vorgeformte dekorgebende
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Folie wird ins Werkzeug
eingelegt. Beim anschließenden Spritzgießprozess
wird die Kunststoffmasse
(PC oder PC/ABS) von hinten in die Folienschale eingespritzt. Die nach diesem
Verfahren
gefertigte
Handyschale besitzt ein
äußerst widerstandsfähiges
Dekor, da der Druck durch die
transparente Folie geschützt ist.
Der Erfolg des Verfahrens steht
und fällt mit der Qualität der vorgeformten Außenhaut – mit Albea hat
die Balda AG Spezialisten auf diesem
Gebiet im eigenen Konzern.
Die Anforderungen, die Ralf Ackermann und seine Mitarbeiter nicht zuletzt auf Grund des Einsatzes solcher
Herstellungsverfahren an die Technik
stellen, sind hoch: präzise muss sie sein,
eine Fertigung in sehr engen Toleranzen
ermöglichen, natürlich prozesssicher
sowie leicht zu bedienen. Alles Attribute, welche die Arburg-Maschinen wie
die gesamte übrige Produktionstechnik
laut den Balda-Verantwortlichen umfassend erfüllen. Zuverlässig muss sie
natürlich auch sein, zumal die Produktion bei Balda an sieben Tagen die Woche
rund um die Uhr läuft, sprich an rund
360 Tagen im Jahr.
Zur Oberflächenveredelung gehören
bei Balda aber auch das Galvanisieren,
Lackieren und Bedrucken. Die Leistungsfähigkeit der Lackieranlage zeigt
allein eine Zahl: Über 100 000 Teile lassen sich in einer einzigen Schicht lackieren. Eingesetzt werden wenn möglich
wasserbasierende Lacke. Wie auf Schienen werden die Einzelteile in einem eigens entwickelten Verfahren an den
Lackpistolen vorbeigeführt. Die schwebenden Lackpartikel, die beim derzeitigen Stand der Technik verloren gehen,
werden auf diese Weise praktisch wieder eingefangen.
Dadurch entsteht weniger Lackschlamm, also auch weniger Sondermüll. Jährlich fallen allein in Deutschland 200 000 Tonnen Lackschlamm als
Abfall an, der je nach Lackart verbrannt
oder als Sondermüll entsorgt wird.
Balda AG
Die Balda AG, Bad Oeynhausen, entwickelt und produziert Komponenten aus Hochleistungskunststoffen für die Mobilfunk- und Telematikindustrie. Die Produktpalette reicht
von der Handyschale, über Klarsicht-Displays bis hin zu Einzelkomponenten für die Satellitentechnik. Als Systemlieferant arbeitet Balda eng mit Kunden wie Siemens, Nokia,
Alcatel oder Motorola in der Entwicklungsphase zusammen. Die im Nemax50 notierte
AG konnte im Geschäftsjahr 2000 ihre Umsatzerlöse auf 160,3 Mio. Euro (nach 60 Mio.
Euro in 1999) steigern. Im laufenden Jahr rechnet Balda mit einem Umsatzwachstum
von 38 Prozent auf rund 220 Mio. Euro. Zu der AG gehören weitere Unternehmen wie
Albea Kunststofftechnik, Balda Werkzeug- und Vorrichtungsbau, Balda-Heinze Kunststofftechnik, Beckmann Werkzeug- und Vorrichtungsbau sowie SMK Oberflächenveredelung. Insgesamt beschäftigte die Gruppe im Jahresdurchschnitt 1217 Mitarbeiter
(1999: 552). Im Bereich Spritzguss arbeitet Balda je nach den spezifischen Produktionsanforderungen mit unterschiedlichen Maschinenherstellern zusammen. Bereits seit Jahren erfolgreich gestaltet sich die Kooperation mit dem Maschinen- und Peripheriehersteller Arburg GmbH + Co, Loßburg.
www.balda.de
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Durchgängig modular aufgebaut sind die
Spritzgießmaschinen der Baureihe Allrounder S. Module aus den Bereichen Steuerung,
Hydraulik, Schließ- sowie Spritzeinheit und
Peripherie ermöglichen individuell konfigurierte und damit an die betrieblichen Vorgaben angepasste Maschinen
„Vor dem Hintergrund der Einsparung
von Rohstoffen und Energie, angesichts
der Minimierung von Lackabfällen sowie der gleichzeitigen Verringerung von
Lösemittelemissionen messen wir der
Reduzierung des Oversprayanteils große Bedeutung bei“, betont Reiner Frilling, Vorstand für Entwicklung und
Marketing der Balda AG.
Wichtig für eine störungsfreie Produktion ist neben der Spritzgießmaschine
zudem ein präzises Handling. Mit ein
Grund, warum bei Balda die Produktionslinien selbst konzipiert werden, um
sie dann zusammen mit Partnern wie
Arburg zu realisieren. Ackermann: „Nur
so lassen sich die kurzen Produktzyklen
bei Einhaltung höchster Qualitätsmaßstäbe realisieren.“ Bei einfachen
Teilen kauft man bei Balda das Handling
jedoch komplett zu. „Um ein flaches
Fenster aus der Maschine zu entnehmen, brauchen wir kein besonderes
Handling, keine eigene Entwicklung“,
so Volkhard Selig. Ganz anders sehe es
jedoch beispielsweise beim Hinterspritzen von Folien aus. Da stecke sehr viel
Know-how drinnen, zumal die Handyschalen von der Geometrie ja nicht
gerade einfach aufgebaut sind.
Komplettproduktion
aus einer Hand
Die gesamte geschilderte Technik zur
Produktion und Veredelung von Handycovers steht bei Balda unter einem
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Dach zur Verfügung. Cersten Hellmich,
Leiter Investor Relations, beschreibt es
so: „Wir sind die einzigen im Markt der
mobilen Kommunikation, die all das in
eigener Hand haben.“ Und das biete
Vorteile wenn es heißt, kundennah,
schnell und flexibel zu reagieren. Zumal
gerade bei einem Modeartikel wie den
Handys die Anforderungen an die Oberflächengüte enorm sind. Zukünftig planen die Hersteller, bei Einsteigermodellen zusätzlich 3 Wechselcover pro Mobiltelefon zu verkaufen. Ackermann:
„Um im Markt der mobilen Kommunikation mitzuhalten sind eigenes Kunststofflabor, Werkstoffentwicklung, Formenbau, eine Projektabteilung für die
Produktionsanlagen, eine moderne automatisierte Fertigung und Oberflächenveredelung schlicht Voraussetzung.“ Nur dann habe man eine Chance. Kompetenz und Leistungen zuzukaufen sei keine Lösung, zumal bei den
knappen Zeiten und Ressourcen. „Das
ist eine der großen Eintrittsbarrieren.“
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Eigentlich
dürfte
Ackermann nur eines
betrüben – neben
dem derzeit Kapriolen
schlagenden
Neuen Markt. Sinkt
der wertmäßige Anteil der Kunststoffkomponenten an einem Handy durch
Fortschritte in der
Produktion doch stetig. So liegt er heute
bei 2 bis 3 %, vor
zwei Jahren waren es
noch um die 5 %.
Das aber kompensieren steigende Stückzahlen, neue Märkte wie China, neue
Kunden wie Sanyo oder Alcatel sowie
neue Produkte wie innenliegende
galvanisierte Antennen, Head Sets,
Tastaturmatten und Batterieeinheiten
mehr als deutlich.
Bei Balda steht die gesamte erforderliche
Technik nicht nur zur Produktion sondern
auch zum Veredeln von Handycovers unter
einem Dach zur Verfügung. Oberste Sauberkeit ist nicht nur beim lackieren höchstes Gebot (Bilder: Balda, Arburg, Plastverarbeiter)
Werner Götz
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