EURO VI Motoren- und Abgasnachbehandlungsentwicklung

EURO VI Motoren- und Abgasnachbehandlungsentwicklung mittels
modellbasierter Kalibrierung
Benjamin Tilch, Dr. Reza Rezaei, Dr. Christoph Bertram, Peter van Horrick, Dr. Jörn Seebode
IAV GmbH
1
Motivation
Mit der Einführung der Emissionsstandards EURO VI für On-Highway-Nutzfahrzeuge und der
EU Stufe 4 für mobile Off-Highway Arbeitsmaschinen ist die Systemkomplexität von Motoren
und Abgasnachbehandlungssystemen signifikant gestiegen. Bei Nutzfahrzeugmotoren muss
die Einhaltung der Emissionen auch unter realen Fahrbedingungen im gealterten Zustand mit
Hilfe von portablen Emissionsmesssystemen nachgewiesen werden. Für Off-Highway Motoren
ist aktuell ein Nachweis der Emissionseinhaltung durch einen Dauerlauf am Motorprüfstand zu
erbringen. Die höhere Systemkomplexität geht mit einer gesteigerten Anzahl von Sensoren und
Aktoren sowie komplexeren Algorithmen in der Steuergerätesoftware einher.
Abb. 1: Überblick aktueller On-Highway Emissionsgesetzgebung [1]
Die Forderung an kommerzielle Antriebe nach niedrigen Kraftstoffverbräuchen bei
gleichzeitiger Erfüllung der Emissionsstandards sowie die Sicherstellung einer hohen
Robustheit stellt hohe Anforderungen an die Auswahl und Optimierung von Komponenten, an
die Entwicklung von Regelungsalgorithmen sowie an den Bedatungsprozess der
Steuergerätefunktionen. Hinzu kommt eine große Variantenvielfalt von verschiedenen
EURO VI-Motoren- und Abgasnachbehandlungsentwicklung mittels modellbasierter Kalibrierung
Fahrzeugen und Maschinen mit unterschiedlichen Lastkollektiven, für die eine optimale
Abstimmung gefunden werden muss.
In Abb. 1 sind die weltweit aktuellen Emissionsgrenzwerte zusammengefasst. Bei der
Entwicklung neuer Motorgenerationen muss die Zweitnutzung der Fahrzeuge in Emissionsdowngrade-Anwendungen [1] berücksichtigt werden. Dabei muss eine Möglichkeit zur flexiblen
Anpassung der Motoren- und Abgasnachbehandlungssysteme inklusive der entsprechenden
Softwarebedatung bereits berücksichtigt werden, um eine spätere Übertragung auf
Anwendungen mit niedrigeren Emissionsstandards zu gewährleisten.
Mit konventionellen Methoden ist zur Erfüllung dieser Anforderungen eine hohe Anzahl von
Prüfstandsstunden und Versuchsaggregaten erforderlich. Insbesondere die Kalibrierung unter
extremen Bedingungen wie Höhe, Kälte und Hitze erfordern kostenintensive Spezialprüfstände
oder Erprobungsfahrten.
Die bei IAV verwendeten modellbasierten Bedatungsansätze sind eine grundlegende Antwort
auf die genannten Herausforderungen. Mit datengetriebenen und physikalisch basierten
Modellen kann in effizienter Weise eine Basiskalibrierung erzeugt werden, die mit Hilfe von
Motorprüfstands- und Fahrversuchen final optimiert und validiert wird. Für verschiedene
Funktionen bietet ein modellgestützter Ansatz die Möglichkeit eine robustere Kalibrierung zu
erzeugen, da in der Simulation Bereiche und Kombinationen von Randbedingungen erfasst
werden können, die auf einem Motorprüfstand nicht oder mit großem Aufwand anfahrbar sind.
2
Abgasnachbehandlungskonzepte und Entwicklungstrends
erforderliche NOx-Reduktion [%]
Zur Erreichung der EURO VI Emissionsgrenzwerte lassen sich die im Markt befindlichen
Systeme in zwei Entwicklungstrends einteilen: Zum einen in eine Kombination aus
Dieseloxidationskatalysator (DOC), Dieselpartikelfilter (DPF), Selective-Catalytic-ReductionSystem (SCR) und Abgasrückführung und zum anderen in Konzepte ohne Abgasrückführung
mit DOC, DPF und SCR. Die Konzepte ohne Abgasrückführung bieten Vorteile in der
Komplexität, im Motorgewicht sowie im Kraftstoffverbrauch. Aufgrund des höheren NOxRohemissionsniveaus erfordern Motoren ohne AGR aber höhere SCR-Wirkungsgrade, die in
der Regel mit einem höheren AdBlue-Verbrauch einhergehen.
100
EGR + High Efficiency SCR
High Efficiency SCR
90
80
70
60
EGR + SCR
50
SCR
40
30
20
10
0
EGR
1
2
Erforderliche Reduktion
zum Erreichen von:
EURO IV (3.50 g/kWh)
EURO V (2.00 g/kWh)
EURO VI (0.46 g/kWh)
3
4
5
6
7
Motorrohemission NOx [g/kWh]
8
9
Abb. 2: Konzepte zur NO x-Reduktion in Abhängigkeit vom Motorrohemissionsniveau
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2
EURO VI-Motoren- und Abgasnachbehandlungsentwicklung mittels modellbasierter Kalibrierung
In Abb. 2 sind erforderliche Konvertierungsraten der NOx-Emissionen in Abhängigkeit vom
Motorrohemissionsniveau für EURO IV, V und VI dargestellt. Die große Auswahl an Konzepten
und unterschiedlichen Lösungsmöglichkeiten zur Erreichung unterschiedlicher Emissionsstufen
bei gleichem Grundmotorkonzept zeigt, dass eine effiziente und flexible Methodik zur
Konzeptbewertung und Funktionsbedatung erforderlich ist.
3
3.1
Entwicklungsmethodik und Simulationstoolkette
Motor- und Abgasnachbehandlungsmodelle
Für eine modellbasierte Kalibrierung sind Simulationsmodelle erforderlich, welche zusätzlich in
Co-Simulationsumgebungen
eingebunden
werden
können.
Grundsätzlich
können
Simulationsmodelle nach ihrer physikalischen und chemischen Detaillierung klassifiziert
werden. Dabei haben verschiedene Modelltypen unterschiedliche Vor- und Nachteile.
Detaillierte Modelle mit hoher Komplexität haben relativ hohe Rechenzeiten und sind sehr gut
für die Extrapolation außerhalb des Kalibrierbereichs geeignet. Diese Modelle werden
üblicherweise in der Auslegungsphase und Komponentenoptimierung eingesetzt. Das andere
Extrem stellen datengetriebene Modelle dar, die nur wenig oder keine physikalische Tiefe
besitzen. Diese Modelle sind sehr schnell, können gut an Messdaten angepasst werden und
weisen im Bereich der Modellbedatung eine relativ hohe Genauigkeit auf. Eine Extrapolation ist
aber nur eingeschränkt möglich. Im Rahmen der modellbasierten Kalibrierung ist aufgrund der
unterschiedlichen Vor- und Nachteile eine Kombination unterschiedlicher Modelltypen
notwendig.
Datengetriebene DoE-Modelle (Design-of-Experiments) sind insbesondere bei der Optimierung
der Verbrennungsparameter für den stationären Motorbetrieb geeignet. Anhand der gegebenen
Randbedingungen und Ziele werden zunächst die relevanten Eingänge und Verstellbereiche
definiert. Auf Basis eines Optimalitätskriteriums lassen sich dann die notwendigen Messpunkte
planen. Nach der Vermessung der Daten am Motorprüfstand werden Modelle automatisiert
aufgestellt und anhand der Trainingsdaten optimiert. Mit den Modellen erfolgt anschließend die
eigentliche Optimierung der ausgewählten Parameter. Für eine detaillierte Darstellung sei
beispielsweise auf Baumann et al. [2] verwiesen.
Zur Modellierung des Motorluftpfades bieten sich physikalisch basierte Modelle an, die zur
Erzielung einer hohen Rechengeschwindigkeit nulldimensional aufgebaut werden.
Üblicherweise sind aus der Vorentwicklung detaillierte, eindimensionale Motormodelle
verfügbar, die für die modellbasierte Bedatung mit relativ wenig Aufwand bei Erhaltung einer
hohen Modellgenauigkeit vereinfacht werden. Dabei werden aber die Strömungsvolumina und
thermische Massen im System beibehalten, so dass transiente Berechnungen möglich sind. In
der Regel kann auch die kurbelwinkelaufgelöste Zylinderberechnung beibehalten werden. Für
besonders rechenzeitkritische Anwendungen kommen bei IAV auch selbstentwickelte, auf
Matlab/Simulink basierende Modelle zum Einsatz, wie das nulldimensionale MittelwertMotormodell TRSim-Airpath [3].
Ist eine stärkere Extrapolation über die gemessenen Betriebspunkte hinaus erforderlich oder
sind noch keine Motorprüfstandsmessung verfügbar, bieten sich phänomenologische
Verbrennungsmodelle an. Diese Modelle verwenden einfache physikalische Grundmodelle zur
Beschreibung von Einspritzung, Gemischbildung, Zündung und Verbrennung, sind rechnerisch
sehr effizient und weisen eine gewisse Extrapolationsfähigkeit auf. Im Entwicklungsprozess von
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3
EURO VI-Motoren- und Abgasnachbehandlungsentwicklung mittels modellbasierter Kalibrierung
0.14
A: 50%
A: 75%
A: 100%
B: 25%
B: 50%
B: 75%
B: 100%
Einspritzrate [mg/s]
Brennverlauf [1/°KW]
0.14
A: 25%
C: 25%
C: 50%
C: 75%
C: 100%
Einspritzrate [mg/s]
Brennverlauf [1/°KW]
0.14
Brennverlauf [1/°KW]
Druckverlaufsanalyse
Verbrennungsmodell
Einspritzrate
Einspritzrate [mg/s]
Heavy-Duty Motoren setzt IAV ein selbstentwickeltes, nulldimensionales Modell ein, welches
auch für die Simulation von transienten Fahrzyklen einen guten Kompromiss zwischen
Genauigkeit und Rechengeschwindigkeit bietet. Das Spraymodell berechnet die Eindringtiefe
sowie verschiedene Lambda-Isoflächen auf Basis eines stationären, einphasigen Strahls.
Details zum Modell können Rezaei et al. [4, 5] entnommen werden.
0.11
0.07
0.04
0.00
0.11
0.07
0.04
0.00
0.11
0.07
0.04
0.00
-20
0
20
40
Kurbelwinkel [°KW]
60 -20
0
20
40
60 -20
Kurbelwinkel [°KW]
0
20
40
Kurbelwinkel [°KW]
60 -20
0
20
40
60
Kurbelwinkel [°KW]
Abb. 3: Vergleich der Brennverläufe aus Druckverlaufsanalyse und prädiktivem Simulationsmodell
-1
-1
-1
für die Drehzahlen A = 1200 min , B = 1500 min und C = 1900 min
bei 25%, 50%, 75% und 100% Last (HD-Motor ohne AGR) [5]
In Abb. 3 sind Ergebnisse des Verbrennungsmodells für einen HD-Motor dargestellt. Neben der
Einspritzrate sind die Brennverläufe aus der Druckverlaufsanalyse sowie die berechneten
Brennverläufe dargestellt. Die Parameter des Modells wurden an einigen wenigen Punkten
kalibriert und dann unverändert im gesamten Kennfeld eingesetzt. Das Modell zeigt gute
Übereinstimmungen mit der Messung, so dass es z.B. zur Motorschutzfunktionsbedatung unter
extremen klimatischen Randbedingungen (Kälte, Hitze, Höhe) herangezogen werden kann.
Zur Berechnung der NOx-Emissionen ist das Verbrennungsmodell um ein NOx-Modell erweitert
worden. Das NOx-Modell benutzt eine Interpolationstabellen-Methode, die auf einem
detaillierten reaktionskinetischen Ansatz für NOx-Kinetik basiert, welche im Vergleich zu
konventionellen Ansätzen auf Basis der Zeldovich-Mechanismen deutlich genauere Werte bei
reduzierter Rechenzeit aufweist [5].
2. Internationaler Motorenkongress, Baden-Baden, 2015
4
EURO VI-Motoren- und Abgasnachbehandlungsentwicklung mittels modellbasierter Kalibrierung
3.2
Simulationstoolkette und Bedatungsmethodik
Die bei IAV verwendete Toolkette zur modellbasierten Bedatung ergänzt den Standardapplikationsprozess am Motorprüfstand und am Versuchsfahrzeug, siehe Abb. 4. Bei der
modellbasierten Kalibrierung wird die Hardware-ECU (Engine-Control-Unit) durch eine
Software-ECU substituiert. Diese Software-ECU wird über Sensor- und Aktuatormodelle mit
den oben beschriebenen Modellen für den Verbrennungsmotor und den Abgasnachbehandlungskomponenten zu einer Co-Simulationsumgebung gekoppelt. Die Software-ECU
beinhaltet alle relevanten Softwarefunktionen mit den im Entwicklungsprozess zu kalibrierenden Parametern. Abschließend werden alle Co-Simulationsmodelle in echtzeitfähigen Code
kompiliert, der wiederum mit einer Applikationssoftware aufgerufen und angesteuert werden
kann. Die Einbindung eines Bedatungsautomatisierungstools in den Prozess erlaubt eine
intuitive Automatisierung von Applikationsaufgaben mit einem grafischen Editor sowie eine
Automatisierung von Abläufen im Applikationstool in Form von Strukturablaufdiagrammen. Die
erstellten Automatisierungsroutinen können für eine finale Feinabstimmung der modellbasiert
kalibrierten Datensätze auf dem Motorprüfstand oder das Versuchsfahrzeug direkt übertragen
werden.
Zur Absicherung und Robustheitserhöhung der Steuergerätefunktionen und der
entsprechenden Bedatung, kann die Toolkette, um die bei IAV verwendete längsdynamische
Gesamtfahrzeugsimulation VeLoDyn for ComApps [6, 7, 8] erweitert werden. Dazu stehen
Bibliotheken für On-Highway- (Lkw) und Off-Highway-Anwendungen (Traktor, Gabelstapler,
Bagger, etc.) zur Verfügung. In Abb. 5. ist der modulare Aufbau der Simulationsplattform
dargestellt.
Abb. 4: Modellbasierte Kalibrierung mittels virtueller Testplattform
Für eine modelbasierte Bedatung können zwei Kalibrierungsverfahren angewendet werden:
die Open-Loop- sowie die Closed-Loop-Methodik. Bei der Open-Loop-Methodik werden alle in
einem gegebenen ECU-Kennfeld möglichen Zustände durch ein Simulationsmodell vollfaktoriell
berechnet und die Ergebnisse in Form von Kennfeldern abgelegt. Um z.B. ein ECU-Kennfeld
zu kalibrieren, welches den Einfluss von Temperatur und Raumgeschwindigkeit auf den SCR
Wirkungsgrad beschreibt, werden alle im Kennfeld definierten Temperaturen und
Raumgeschwindigkeiten simuliert. Dann wird basierend auf diesen Simulationsergebnissen das
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5
EURO VI-Motoren- und Abgasnachbehandlungsentwicklung mittels modellbasierter Kalibrierung
Kennfeld gefüllt. Diese Kalibriermethode ist am besten geeignet, wenn stationäre Prozesse
betrachtet werden. Im Falle einer Closed-Loop-Kalibrierung wird eine „Model-in-the-Loop
(MiL)“-Simulation durchgeführt, in der das Simulationsmodell als ein virtuelles Motor- und/oder
Abgasnachbehandlungssystem direkt mit den ECU-Funktionen verbunden ist. Die Closed-Loop
Methode ist notwendig, wenn Parameter, wie zum Beispiel Zeitkonstanten, für den transienten
Betrieb optimiert werden sollen.
Abb. 5: Modulare Simulationstoolkette
4
4.1
Anwendungsbeispiele
Motorrohemissionen
Die genaue Kenntnis der Motorrohemissionen ist als Funktionseingangsgröße für die Regelung
des Abgasnachbehandlungssystems eine wesentliche Führungsgröße, um z.B. die AdBlueDosierung des SCR-Systems bedarfsoptimal zu regeln. Dabei sind insbesondere die NOx-Rohemission sowie das Verhältnis zwischen NO2 und NOx wichtige Eingangs- sowie Applikationswerte. Zur Bedatung eines Motorrohemissionsmodells können unterschiedliche Modelle
verwendet werden. Zum einen sind datengetriebene dynamische DoE-Modelle zielführend, da
sie mit relativ geringer Prüfstands- und Modellentwicklungszeit sehr gute Ergebnisse liefern.
Zum anderen können physikalische Modelle verwendet werden, wie unter 3.1 gezeigt
prädiktive Verbrennungs- und Emissionsmodelle. In Abb. 6 sind Ergebnisse eines dynamischen
DoE-Modells für einen HD-Motor dargestellt. Zur Erstellung des DoE-Modells wurde das oben
beschriebene Motormodell bei unterschiedlichen Drehzahl- und Lastanregungsamplituden und
Frequenzen betrieben. Zur Analyse der erforderlichen Frequenzen wurde eine Spektralanalyse
verschiedener Fahrzyklen durchgeführt. Die Amplituden wurden entsprechend der
Kennfeldgrenzen gewählt. Es ist zu erkennen, dass sowohl Kraftstoffverbrauch und
Abgastemperatur als auch die NOx- und CO-Emissionen sehr gut wiedergegeben werden und
das Modell im Rahmen der definierten Grenzen zur Rohemissionsbedatung oder zur Eingangsgrößensimulation eines Abgasnachbehandlungsmodell herangezogen werden kann.
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NOX
[ppm]
TAbgas [K]
Kraftstoffmassenstrom
[kg/h]
EURO VI-Motoren- und Abgasnachbehandlungsentwicklung mittels modellbasierter Kalibrierung
CO [ppm]
Testdaten
Dyn. DoE-Modell
0
100
200
300
400
500
600
700
800
900
1000
1100
1200
Zeit [s]
Abb. 6: Validierungsergebnisse eines dynamischen Motormodells
eines HD-Verbrennungsmotors
4.2
Dieseloxidationskatalysator
Neben der Reduzierung von HC- und CO-Emissionen werden Dieseloxidationskatalysatoren
zusätzlich zum NO2-/NOx-Management für stromabwärts installierte SCR- und Dieselpartikelfiltersysteme verwendet. Sowohl für die kontinuierliche Rußoxidation als auch zur Wirkungsgradsteigerung des SCR-Katalysators ist die Erhöhung des NO2-Anteils relevant. Die genaue
Kenntnis des NO2-Anteils nach DOC ist als Eingangsgröße zur Partikelfilterbeladungsberechnung als auch zur Wirkungsgradbestimmung des SCR-Katalysators erforderlich.
In Abb. 7 sind NO2-Messergebnisse eines HD-Motors nach DOC mit simulierten Ergebnissen
einer kalibrierten Steuergerätefunktion für 136 Motorbetriebspunkte gegenübergestellt. Es ist
zu erkennen, dass der NO2-Anteil durch die Steuergerätefunktion über den gesamten
Kennfeldbereich gut wiedergegeben wird.
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7
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NO2/NOx nach DOC [-]
Messung
Modell
0
8
16
24
32
40
48
56
64
72
80
88
96
104
112
120
128
136
Betriebspunkt [-]
Abb. 7.: Berechnung des NO2-Anteils im Abgas nach DOC eines HD-Motors
für 136 Betriebspunkte im gesamten Motorkennfeld
4.3
Dieselpartikelfilter
Im Euro VI-Standard ist die Partikelemission nicht nur in der Masse, sondern auch in der
Anzahl begrenzt, was den DPF zu einem wesentlichen Bestandteil eines Euro VI
Abgasnachbehandlungssystems macht.
Der im DPF abgelagerte Ruß reagiert mit dem im Abgas enthaltenen NO2. Je nach
Brennverfahrenskonzept und Betriebspunkt, kann die kontinuierliche Regeneration mit NO2
nicht ausreichen, um den Rußabbrand sicher zu gewährleisten. Dadurch resultiert ein erhöhter
Druckabfall über den DPF und somit ein höherer Abgasgegendruck, was zu einem höheren
Kraftstoffverbrauch führt. Infolge dessen ist eine aktive Regeneration des Partikelfilters bei
hohen Temperaturen mit O2 als Oxidationsmittel erforderlich.
Die abgelagerte Rußmasse auf dem DPF darf definierte Grenzen nicht überschreiten, da eine
spontane Regeneration eines überladenen DPF nur schwer zu kontrollieren ist und diese zum
Schmelzen oder Reißen des Filtermaterials führen kann. Die Filterbeladung muss daher vom
Steuergerät genauestens überwacht werden, so dass entweder die Betriebskonditionen zur
Begünstigung der Rußoxidation verändert werden oder sogar eine aktive Regeneration
ausgelöst werden kann. Dabei ist zu beachten, dass eine zu häufige Regeneration zu einer
unnötigen Erhöhung des Kraftstoffverbrauchs und der thermischen Alterung des Abgasnachbehandlungssystems führt.
Die Berechnung der abgelagerten Rußmenge erfolgt über die Bilanz der in den DPF
eintretenden Rußmenge und der oxidierten Rußmenge. Zur Berechnung der Ruß-Rohemissionen des Motors wird ein empirisches Rußmodell verwendet. Auf Basis dieses Modells
werden die Rußemissionen über globale Parameter, u.a. das aktuelle Verbrennungsluftverhältnis, empirisch korrigiert, so dass ein transienter Rußmassenstrom bestimmt werden
kann.
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8
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100
Drehzahl
Drehmoment
Häufigkeit [%]
80
60
Schubbetrieb
40
20
0
-240
0
240
480
720
960
1200
1440
1680
1920
Drehmoment [Nm] / Drehzahl [min-1]
kum. Rußmasse [g]
6
5
4
3
2
Messung
ECU Modell
1
0
0
1000
2000
3000
4000
5000
6000
7000
8000
9000
Zeit [s]
Abb. 8: Drehzahl-/Drehmoment-Häufigkeitsverteilung und
Ruß-Rohemissionsintegral in einem schwachlastigen Zyklus
In Abb. 8 sind die mit einem kontinuierlichen messenden Gerät aufgenommenen
Rußemissionen mit simulierten Ergebnissen in einem schwachlastigen Zyklus gegenübergestellt [9]. Die dargestellte Häufigkeitsfunktion gibt die Zeitanteile an, in denen der Motor
bei dem jeweiligen Drehmoment bzw. der Drehzahl betrieben wird. Das empirische Rußmodell
kann die transienten Rußemissionen im Zyklus sehr gut wiedergeben. In diesem
Schwachlastzyklus und den dementsprechend niedrigen Abgastemperaturen unterschreitet die
passive Regeneration seine Mindestprozesstemperatur, so dass der Rußabbrand abnimmt.
Folglich ist die exakte Berechnung der im DPF eingelagerten Rußmasse zwingend erforderlich.
100
PM [g]
80
60
40
WHTC
Schwachlastzyklus 1
Schwachlastzyklus 2
20
ECU Modell
Messung
0
0
20
40
60
80
100
120
140
160
180
Zeit [h]
Abb. 9: Vergleich der gravimetrisch gemessenen Rußmasse auf dem DPF mit den
vom Steuergerätemodell berechneten Rußmassen bei verschiedenen Beladungszyklen
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EURO VI-Motoren- und Abgasnachbehandlungsentwicklung mittels modellbasierter Kalibrierung
Des Weiteren wird ein physikalisch-chemisches Modell für die Kalibrierung der passiven und
aktiven Regeneration genutzt. Analog zur Kalibrierung der SCR Dosierstrategie wird die
Kalibrierung der ECU-Kennfelder für die Beladungserfassung zunächst Open-Loop
durchgeführt. Anschließend werden die so kalibrierten Kennfelder mit einer Closed-LoopMethodik in verschiedenen Beladungszyklen optimiert, um die beste Übereinstimmung
zwischen der von der ECU berechneten und auf dem DPF gemessenen Rußmasse zu
erreichen. In Abb. 9 ist der Vergleich zwischen der auf dem DPF gravimetrisch ermittelten
Rußmasse und den Werten, welche das applizierte ECU-Modell während der konsekutiv
gemessenen Beladungszyklen berechnet, für drei transiente Beladungszyklen dargestellt
[9,11]. Sowohl im WHTC (World Harmonized Transient Cycle) als auch bei zwei verschiedenen
Schwachlastzyklen werden sehr gute Übereinstimmungen zwischen dem Modell und der
Messung erreicht.
4.4
SCR-Katalysator
NOX [ppm] AdBlue [g/h]
Für die Funktion des SCR-Systems wird NH3 benötigt, das mittels AdBlue-Eindosierung
stromaufwärts des SCR-Katalysators in das Abgassystem eingebracht und aufbereitet wird. Zur
Bestimmung der optimalen AdBlue-Menge ist die Kenntnis des momentanen, motorbetriebspunktabhängigen SCR-Wirkungsgrads erforderlich. Dabei hängt der Wirkungsgrad im
Wesentlichen von der verwendeten SCR-Technologie, der Abgastemperatur, der Raumgeschwindkeit sowie der Abgaskonzentration vor SCR ab. Als wichtige Regelgröße zur AdBlueDosierung kann auch der NH3-Speicherstand des SCR-Katalysators herangezogen werden,
um den SCR-Wirkungsgrad maximal zu halten und NH3-Durchbrüche zu vermeiden.
NH3-Schlupf
[ppm]
NO [ppm]
NO2 [ppm]
SCR-Austrittskonzentrationen
Messung
Simulation
0
3000
6000
9000
12000
15000
18000
Zeit [s]
Abb. 10: Validierung des Simulationsmodells mittels AdBlue-Dosiermengenvariation
bei stationärem Motorbetrieb eines HD-Motors
2. Internationaler Motorenkongress, Baden-Baden, 2015
10
EURO VI-Motoren- und Abgasnachbehandlungsentwicklung mittels modellbasierter Kalibrierung
Die Funktionsbedatung erfolgt mit reaktionskinetischen Modellen, die mittels Messungen an
Laborgasreaktoren abgeglichen werden. In Abb. 10 ist die Validierung eines Simulationsmodells mit Motorprüfstandsdaten eines HD-Motors dargestellt. Es ist zu erkennen, dass
sowohl die NO- als auch NO2-Emissionen sowie der NH3-Schlupf nach SCR sehr gut
wiedergegeben werden.
mNH3,SCR [g/l]
NH3 vor SCR
[ppm]
h SCR [%]
SCR-Eintritt
NO [ppm]
NO2 [ppm]
TAbgas [°C]
Mittels Open-Loop-Kalibrierung lassen sich Funktionen zur Beschreibung des stationären
Betriebsverhaltens des SCR-Katalysators bedaten. Dabei werden die relevanten Einflussgrößen auf das Effizienzverhalten des SCR-Katalysators automatisiert vollfaktoriell simuliert.
Die eindosierte AdBlue-Menge wird mittels Optimierungsroutinen angepasst, so dass ein
optimaler SCR-Wirkungsgrad bei niedrigstem NH3-Schlupf bestimmt werden kann. In Abb. 11
sind Ergebnisse einer Open-Loop-Bedatung dargestellt, aus denen die erforderliche NH3Konzentration vor SCR zum Erreichen des optimalen Wirkungsgrades in Abhängigkeit von dem
NO2/NOx-Verhältnis und der Abgastemperatur bestimmt wird. Des Weiteren wird die
betriebspunktabhängige spezifische NH3-Speicherfähigkeit des SCR-Katalysators bestimmt.
NH3 / NOx = 1
150°C 175°C 200°C 225°C 250°C 275°C 300°C 325°C 350°C 375°C 400°C 425°C 450°C 475°C
TAbgas [°C]
Abb. 11: Open-Loop-Bedatung der SCR-Effizienz ηSCR und des Speicherverhaltens in Abhängigkeit von
dem NO2/NOx-Verhältnis und von der Abgastemperatur
Die NH3-Dosierstrategie des SCR-Systems besteht hier aus einem stationären Teil, der
dynamisch korrigiert wird [9]. Die Basisstrategie ist abhängig von den Abgaseigenschaften und
wird im stationären Betrieb verwendet. Zusätzlich wird die Eindosiermenge basierend auf
Korrekturfunktionen sowie mit Anwendung eines NH3-Speichermodells und Füllstandreglers zur
Verbesserung des Transientverhaltens angepasst.
Die stationär kalibrierten Kennfelder werden durch transiente Zyklen evaluiert und wenn
erforderlich, mittels Closed-Loop-Methode optimiert. Wenn die Einhaltung der NOx2. Internationaler Motorenkongress, Baden-Baden, 2015
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EURO VI-Motoren- und Abgasnachbehandlungsentwicklung mittels modellbasierter Kalibrierung
Emissionsgrenzwerte nach SCR sicher gewährleistet wird, kann über eine weitere Iteration der
AdBlue-Verbrauch zur Betriebskostensenkung optimiert werden. Um die Robustheit der
kalibrierten Kennfelder zu bewerten, werden mehrere Transientzyklen konsekutiv gemessen.
Dabei ist zu überprüfen, dass die im SCR gespeicherte Menge an NH3 nach dem Ende jedes
Zyklus stabil bleibt und kein Ammoniakschlupf auftritt.
Der zweite Schritt ist die Kalibrierung der Kennfelder zur Anpassung der NH3-Dosierung
aufgrund des NH3-Speicherniveaus auf dem SCR. Der maximale SCR-Umsatzgrad im
Transientbetrieb kann durch hohe NH3-Speichermengen erzielt werden. Diese erhöhen jedoch
die Wahrscheinlichkeit eines Ammoniak-Schlupfes, sollte die SCR-Temperatur während des
Fahrzyklus rasch ansteigen. Daher sollte die Speichermenge des NH3 in Abhängigkeit der
Betriebszyklen der Zielanwendung optimiert werden. Der NH3-Speicherstand wird durch ein
modellbasiert appliziertes Simulationsmodell berechnet und experimentell auf dem Prüfstand,
sowie auch im Fahrzeug für mehrere Betriebszyklen überprüft und feinoptimiert.
Kum. NOX [g]
NH3-Schlupf
[ppm]
Abgastemperatur
vor SCR [°C]
Drehmoment
[Nm]
Motordrehzahl
[1/min]
In Abb. 12 sind die NOx-Emissionen sowie der NH3-Schlupf während eines WHTC-Zyklus ohne
und mit optimiertem NH3-Speichermodell dargestellt. Die NOx-Grenzwerte werden ohne
Anwendung des NH3-Speichermodells nicht erreicht. Zusätzlich ist ein signifikanter NH3Durchbruch zu beobachten. Durch das optimierte NH3-Speichermodell können die NOxEmissionsgrenzwerte bei akzeptablem NH3-Schlupf hinreichend eingehalten werden.
ohne NH3-Speichermodell
mit optimiertem NH3-Speichermodell
0
5
10
15
Zeit [min]
20
25
30
Abb. 12: NOx-Emissionen und NH3-Schlupf nach SCR im WHTC-Zyklus ohne, sowie mit optimiertem
NH3-Speichermodell (ohne NH3-Sperrkat)
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EURO VI-Motoren- und Abgasnachbehandlungsentwicklung mittels modellbasierter Kalibrierung
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Zusammenfassung und Ausblick
Zukünftige Motoren für On- und Off-Highway-Anwendungen weisen aufgrund der hohen
Anforderungen bezüglich Verbrauch, Emissionen und Robustheit eine hohe Systemkomplexität
auf. Die bei IAV verwendeten modellbasierten Bedatungsansätze sind eine grundlegende
Antwort auf die genannten Herausforderungen. Während für die Verbrennungsapplikation
datengetriebene Modelle das Mittel der Wahl sind, sind für Kalibrierungen im Motorluftpfad und
in der Abgasnachbehandlung physikalisch-chemisch basierte Modelle im Vorteil. In Zukunft ist
zu erwarten, dass verstärkt physikalische und datengetriebene Modelle kombiniert werden, um
die Anforderungen bezüglich Genauigkeit, Aufwand der Modellkalibrierung, Extrapolationsfähigkeit und Transientfähigkeit optimal zu erfüllen.
6
Literatur
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Emission downgrade – LowTech or Challenge?
9. Int. MTZ-Fachtagung Heavy-Duty-, On- und Off-Highway-Motoren, Saarbrücken, 2014
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4. Int. Symposium für Entwicklungsmethodik, 2011
[3]
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TRSim Air Path – Eine Bibliothek zur Simulation des Luftpfads beliebiger Dieselmotoren
14. Int. Stuttgarter Symposium, 2014
[4]
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SAE-Paper Nr. 2012-01-1065
[5]
Rezaei, R.; Dinkelacker, F.; Tilch, B.; Delebinksi, T.; Brauer, M.
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