Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html > BESTSELLER Der Märchenonkel Jürgen Todenhöfer, Politiker, Manager, Welterklärer, hat sich mit einem Buch über seine Reise zum IS ein Denkmal gesetzt. Ein junger Mann, der ihn nach Syrien und in den Irak begleitete, erlebte allerdings manches anders. Von Özlem Gezer Todenhöfers Facebook-Seite auf Richters iPad K urz bevor Matthias Richter zum „Islamischen Staat“ aufbricht, sitzt er an einer Hotelbar an der türkischen Grenze und trinkt Whisky. Frederic, sein bester Freund, sitzt ihm gegen1 of 21 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... S https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html über, sie trinken gemeinsam, sie trinken auf Eis, sie mischen mit Cola, sie rauchen Zigarette, vielleicht die letzte. DER MÄRCHENONKEL 0:00 30:34 ARTIKEL VORLESEN LASSEN Sie warten noch auf Jürgen, der oben auf dem Zimmer seine Tasche packt. Jürgen ist Frederics Vater, er ist ihr Reiseführer, er ist Deutschlands bekanntester Moslemversteher, er ist Jürgen Todenhöfer. Es ist der Beginn einer Reise, die drei Männer aus München nach Syrien führen wird, nach Rakka, in die Hauptstadt der Tyrannen, von dort weiter in den Irak, nach Mossul. Eine Reise, bei der sie mit den Henkern des „Islamischen Staats“ sprechen wollen und mit deren Sklaven, eine Reise, bei der sie hoffen, sich frei bewegen zu dürfen, in einem Gebiet, wo Europäern wie ihnen normalerweise der Kopf abgeschnitten wird. Auf dieser Reise wird Matthias Richter Protokoll führen, Frederic Todenhöfer wird filmen, und Jürgen Todenhöfer wird seine Wahrheit finden. Nach ihrer Rückkehr wird er diese Wahrheit zu Geld machen, er wird das tun, was er oft tut nach seinen Reisen zum Bösen, er wird einen Bestseller schreiben. Der Bestseller, um < H Staa- > den es hier geht, heißt „Inside IS – 10 Tage im ,Islamischen 2 of 21 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... S https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html t'“, erschienen im April 2015, über 100 000 verkaufte Exemplare, bundesweite Lesereisen, eines der erfolgreichsten Sachbücher des Jahres, Dokumentarfilm in Arbeit, Theaterstück dazu, bald. Die Reise wird Jürgen Todenhöfer zum IS-Experten des Jahres befördern, er wird durch die Talkshows des Landes ziehen und dem deutschen Zuschauer die Terroristen in der Ferne erklären, im Frühjahr, im Sommer, im Herbst, nach den Anschlägen von Paris, es gibt immer Anlässe. Er wird dort sitzen und die Zeilen seines Buches als die „gnadenloseste Abrechnung“ mit dem IS bezeichnen. Es ist ein Buch, dessen gedruckte Wahrheit aber in Teilen eine andere ist als die, die Matthias Richter, der Protokollant des Bestsellers, erlebt hat auf dieser Reise. „Es ist mehr ein Roman als ein Sachbuch“, sagt er. Im Juni hatte Richter das erste Mal Kontakt zum SPIEGEL aufgenommen. Er bot einen Bericht zum Abdruck an, mit dem Titel: „Reise ins Kalifat“, Protokoll seiner Reise mit Jürgen Todenhöfer zum „Islamischen Staat“. Das Manuskript, eine Art Tagebuch von 18 Seiten, beschrieb viele Details des Reiseverlaufs, schilderte Begegnungen mit Dschihadisten, aber es fiel gleich auf, dass sich Richters Darstellung in Teilen nicht mit den Inhalten von Todenhöfers Bestseller deckte, der doch von derselben Reise erzählte. In den Monaten danach folgten deshalb viele Gespräche mit Matthias Richter, um die Unstimmigkeiten zu klären, zuletzt ein gemeinsamer, detaillierter Durchgang durch das Sachbuch und der Abgleich mit Richters eigenem Tagebuch und seinen Erinnerungen. So wurde die Recherche auch für ihn selbst, Richter, eine Spurensuche und eine Erfahrung. Es ging ihm zu Beginn um Richtigstellungen und auch um die Wahrheit. Am Ende wurde ihm klar, dass er von den Todenhöfers, von Vater und Sohn, auch tief enttäuscht ist. Richter war bereit zu erzählen, wie alles begann und was er erlebte auf dieser Reise. < 3 of 21 H > 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... S https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html Es war im Frühsommer 2014, Jürgen Todenhöfers Entschluss, ins Gebiet des IS reisen zu wollen, stand fest. Frederic Todenhöfer schrieb deshalb für seinen Vater Kämpfer des IS auf Facebook an, Matthias Richter führte Protokoll, wenn Todenhöfer mit diesen Leuten skypte und über Reisebedingungen verhandelte, sie trafen Mütter von ausgereisten Dschihadisten zum Gespräch. Matthias Richter half Todenhöfer gern, schließlich war er auch sein Held, von seiner Jugend an. Todenhöfer ist ein Mann mit vielen Talenten. Früher war er Richter, er saß 18 Jahre lang für die CDU im Bundestag, er war Medienmanager, Vorstandschef bei Burda, und mit dem Rentenalter wurde er zum Freiheitskämpfer, ein Christ, der den Islam verteidigte und es damit weit brachte, bis hin zu einem Interview, das er mit dem syrischen Diktator Baschar al-Assad führen durfte. Er erinnert sich nicht an einen Balkon, der zur Straße ging, nur an einen Balkon zum Hinterhof. Mit Todenhöfers Sohn ist Matthias Richter eng befreundet, seit beide 15 Jahre alt sind. Damals wollte Richter Profifußballer werden und Frederic so wie sein Vater, der große Jürgen Todenhöfer. Matthias Richter und Frederic Todenhöfer verbindet eine besondere Freundschaft, die andere nicht immer verstehen, eine, die beide mit den großen Themen der Weltpolitik verband, in der E-Mails von Assad eine Rolle spielten oder Gutachten über Osama Bin Laden. Eine Freundschaft, bei der man dort Urlaub machte, wo andere Krieg führten. In Afghanistan bei den Warlords, in Israel, im Gazastreifen, auf Demonstrationen mit Palästinensern, mit Tränengas. Matthias Richter und sein Freund reisten oft in die Gefahr. Richter sagt, „andere steigen auf den Mount Everest, wir mögen keinen normalen Urlaub, Baden auf Mallorca, wir mögen es extrem“. < 4 of 21 H > 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... S https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html Diese Reisen haben Matthias Richter oft geholfen in seinem Leben; als er, beispielsweise, einen Kreuzbandriss hatte und spürte, dass es nichts mehr werden würde mit der Fußballkarriere – und das Abitur schmiss. Frederic Todenhöfer nahm seinen Freund mit, nach Afghanistan. Richter sah das Elend der Menschen und lernte dadurch die Chancen schätzen, die er in Deutschland hatte, ein Motivationstrip. Die beiden Freunde reisten zu Todenhöfers Stiftungen, halfen den Armen in der Ferne, so wie sie es von ihrem Vorbild kannten, sie fühlten sich nützlich. Als sie zurück waren, holte Richter das Abitur nach, begann ein Studium, zuerst in Wien, dann in München. Heute ist Matthias Richter Volljurist, 32 Jahre alt, auch sein Freund Frederic Todenhöfer ist 32, er war Marketingstudent in New York und ist heute Musikproduzent und Hobbyfilmer. In der Vergangenheit saß Matthias Richter oft gemeinsam mit dem Freund in seinem Zimmer und wertete Artikel aus, um dessen Vater zu imponieren. Wenn Jürgen Todenhöfer den Bundespräsidenten Joachim Gauck verklagen wollte, schrieb Matthias Richter Gutachten, wenn „der Jürgen“, wie Richter Todenhöfer nennt, Morddrohungen bekam und keine offizielle Sicherheitsfirma beauftragen wollte, begleitete Richter ihn zu Lesungen nach Berlin, immer gern, immer umsonst. Matthias Richter hat breite Schultern, er macht sich gut als Bodyguard. Auch der Trip zum IS passte wieder gut in die Zeit. Richter war gerade durch mit seinem zweiten Staatsexamen, er hatte keinen Job, Todenhöfer wollte ihm ein Praktikum vermitteln, Warteschleife, Motivationsloch, „Islamischer Staat“. Die Rückkehr von dieser Reise ist etwa ein Jahr her, Matthias Richter liegt in einer Hängematte in seinem Zimmer im Süden von München, auf dem Schreibtisch das Handbuch „Global Terrorism“, in seiner Hand der Bestseller. < 5 of 21 H > 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html S JÜRGEN TODENHÖFERS LEBEN IN FOTOS d FOTOSTRECKE Medienmanager, Publizist, Politiker: die wichtigsten Stationen im Leben von Jürgen Todenhöfer im Überblick. Matthias Richter blättert durch die Seiten, stoppt bei Kapitel VIII, Überschrift: Reise in den „Islamischen Staat“, Grobe Skizzen eines Albtraums, Seite 164: Es sind die Zeilen, in denen er das erste Mal auftaucht. Matthias Richter heißt in dem Buch nur „Malcolm“, so taufte Jürgen Todenhöfer seinen dritten Mann, der anonym bleiben sollte, aus Sicherheitsgründen, wie Todenhöfer behauptete. In der Szene, die Richter jetzt liest, ist Malcolm der alte Schul< H freund von Frederic, der sich am letzten Tag, wenige Stunden vor> 6 of 21 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... S https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html Abreise, noch aufdrängt, weil er mitkommen möchte zu den Terroristen. Und Jürgen Todenhöfer ist der gütige Vater, der einwilligt, weil sein Sohn ihn darum bittet, dass der Freund mitkommen darf. Richter versteht nicht, warum er so eingeführt wird. Am letzten Tag. Auf den letzten Drücker. Er, der Monate lang die Reise mit Todenhöfer vorbereitete, der ganze Abende im Hofbräuhaus mit den Todenhöfers saß, um die Reisedetails zu besprechen, der mit seinen Eltern stritt und zwei Wochen auf gepackten Koffern saß und auf die Abreise wartete. Aber Matthias Richter versteht vieles nicht, wenn er durch dieses Buch blättert, für das er Protokoll führte. Richter sagt, erst habe er bei der Lektüre des Buches hier und da gestutzt. Später habe er nur noch darauf geachtet, ob er das, was er las, überhaupt erlebt hatte. Irgendwann, sagt Richter, habe er verstanden, dass all die Szenen, die Jürgen Todenhöfer schildert, weniger dokumentarisch gemeint sind, sondern vielmehr eine dramaturgische Funktion erfüllen. Die einen sollen Glaubwürdigkeit erzeugen, die anderen Spannung, sie sollen moralisieren oder auf angebliche Bedrohungen hinweisen. Es sind Szenen wie die während des Fluges in die türkische Stadt Adana. An Bord sind auch Schulmädchen, mit ihnen will Todenhöfer über deren Stadt gesprochen haben. In der Szene wundert er sich über ihre gute Laune, obwohl sie unweit der syrischen Grenze leben. „Das haben wir nie getan“, sagt Richter. „Wenn der Jürgen fliegt, dann fliegt er und unterhält sich nicht ständig.“ Richter fragt auch: In welcher Sprache hätten sie miteinander reden sollen? Und warum sollten Mädchen aus der Südtürkei Angst vor dem IS haben? Im Abschnitt Dritter Tag, Seite 204, wird ein Balkon beschrieben, die Szene spielt in ihrer Wohnung in Rakka, jener Stadt, in der die drei Deutschen nie allein auf die Straße, sich nicht freiHbewe- > < gen, nicht mit Zivilisten sprechen dürfen. Das Besondere dieses 7 of 21 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... S https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html Balkons war laut Todenhöfer, dass man von ihm aus das Straßenleben beobachten konnte. Ein Hochsitz mit unverstelltem Blick auf die Schlächter, gewissermaßen. Die Terroristen hätten ihnen jedoch verboten, diesen Balkon zu betreten. Cheeseburger ist nichts für uns. "You are, what you eat!", lege ich noch eins drauf. Im Buch steht nun, dass sich Jürgen Todenhöfer dieser Anweisung immer wieder widersetzt habe und auf diesen Balkon gegangen sei, um das Straßenleben zu beobachten, um sich mit eigenen Augen ein Bild zu machen. So beschreibt er seinen Kampf gegen die Verbote, seinen Sieg im Balkonkampf. Matthias Richter erinnert sich nicht an ein Balkonverbot. Er erinnert sich auch nicht an einen Balkon, der zur Straße rausging. Er erinnert sich nur an einen Balkon, auf dem eine Wäscheleine gespannt war. Auf diese Leine sollten sie ihre nasse Kleidung zum Trocknen hängen, jeden Tag. Nach Richters Erinnerung durften sie auf diesen Balkon, wann immer sie wollten. Sie wollten aber nie darauf, weil man, zum einen, von dort nur in einen verlassenen Innenhof blicken konnte. Zum anderen sei es draußen auf dem Balkon „saukalt“ gewesen, im Dezember, in Rakka. Erster Tag, Seite 179, GPS-Sender: „Ein Glück, dass Frederic vor unserer Abreise in München keine GPS-Geräte gefunden hatte, die klein genug gewesen wären, um sie zu verstecken. Wir wollten sie für den Fall mitnehmen, dass man uns entführen würde ... Wir wären jetzt in Erklärungsnot“, schreibt Todenhöfer. Matthias Richter sagt: „Wir haben uns schon in Deutschland bewusst dagegen entschieden, weil wir wussten, dass wir durchsucht werden bei der Ankunft, und nicht das Vertrauen der Dschihadisten verlieren wollten.“ Zweiter Tag, Seite 184, Juden: „Frederic erzählt von seinen jüdi- > < H schen Freunden in New York.“ Matthias Richter sagt, sein Freund 8 of 21 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... S https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html kenne zwar einen Rabbi dort, habe aber sonst keine jüdischen Freunde in New York. Und über Juden hätten sie nicht mit den Islamisten gesprochen, es sei kein gutes Thema mit ihnen. Achter Tag, Seite 261, Frauen: Die Dschihadisten erzählen von einem Freund, der sich eine jesidische Sklavin gekauft habe, Todenhöfer schreibt: „,Scheißgeschichte!', sagt Frederic, der dem IS die Sklaverei ungemein übel nimmt.“ Richter sagt, „wir haben Protokoll geführt und auf Erzählungen gewartet, bei denen sie sagten, eine Jesidin sei so teuer wie eine Kalaschnikow. Wir waren dankbar für solche Sätze und haben diejenigen, die sie aussprachen, nicht dafür kritisiert“. Siebter Tag, Seite 255, Antiamerikanismus: Todenhöfer steht mit seinem Sohn und Matthias Richter vor einem Restaurant, sie warten auf ihre Reiseführer, die sich Cheeseburger kaufen, im Buch lässt Jürgen Todenhöfer sich sagen: „Ich kann euren amerikanischen Fast-Food-Fraß nicht so richtig mit der Lebensweise der ersten vier Kalifen vereinbaren ... ,You are, what you eat!', lege ich noch eins drauf ... Frederic, Malcolm und ich warten vor dem Laden. Cheeseburger ist nichts für uns.“ < 9 of 21 H > 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html S < 10 of 21 H > 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html S „Wir haben auch Cheeseburger gegessen“, sagt Matthias Richter. „Was hätten wir sonst essen sollen, wenn wir uns ohne unsere Begleiter nicht bewegen durften?“ Matthias Richter, der Protokollant, war oft frustriert auf dieser Reise; weil sie sich nicht frei bewegen durften, sondern von den Terroristen herumgeführt wurden wie eine Touristengruppe; weil die Interviews, die sie führten, von Terroristen übersetzt wurden, manchmal sprachen Menschen minutenlang mit ihnen, übersetzt wurden aber nur wenige Wörter. Richter hätte sich gewünscht, dass diese Zensur, gegen die sich Todenhöfer versucht habe zu wehren, wie Richter sagt, in dem Buch mehr zum Thema gemacht worden wäre. Stattdessen verstopft Todenhöfer sein Buch mit Szenen, in denen er, Todenhöfer, als mutiger Mann beschrieben wird. Als einer, der die Regeln der Terroristen bricht. Als einer sogar, der den Dschihadisten Angst gemacht haben will, weil er sich, zum Beispiel, einen Sprengstoffgürtel umlegte und daran herumspielte. Die Rede ist hier von Dschihadisten, die zum IS kamen, weil sie lieber im Paradies leben würden als auf der Erde. Die sich auf Selbstmordattentäter-Listen setzen lassen und ungeduldig darauf warten, sich in die Luft sprengen zu können. Und diese Dschihadisten also bekommen Angst, wenn Jürgen Todenhöfer an einem Sprengstoffgürtel herumspielt? Matthias Richter ist sich sicher, dass „der Jürgen“ gute Absichten hatte bei ihrer Abreise, dass er wirklich seiner angekündigten Mission folgen wollte: „die Wahrheit zu finden und den Feind zu kennen“. Während ihrer Vorbereitungen hatten sie eine lange Liste angelegt, die für Richter ein Beleg dafür war, dass Todenhöfer wirklich die Wahrheit finden wollte. Auf ihrer Wunschliste stand: Jesiden interviewen, Gefangene treffen, verschleppte Journalisten sprechen, berühmte Deutsche wie Deso Dogg oder den britischen Henker Jihadi John sehen. Rumlaufen in Rakka, reden mit Zivilisten, vielleicht den Kalifen zum Schluss,<Abu Bakr H > 11 of 21 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... S https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html al-Baghdadi. Richter sagt, gleich zu Beginn der Reise habe man ihnen einen dicken deutschen Dschihadisten mit roten Haaren zur Seite gespannt, der, als er noch in Solingen lebte, auf den Namen Christian Emde hörte. Nun jedoch, in seinem zweiten Leben in Rakka, sei er der deutsche Pressesprecher des IS und heiße Abu Qatadah, sagte er. Er sagte auch, es sei verboten, bekannte Gesichter des IS zu treffen, weil die Führung nichts mehr vom „Kult um einzelne Personen“ halte, zumindest nicht um die, die Jürgen Todenhöfer sich wünschte als Gesprächspartner. Fortan wich ihnen der Dicke nicht mehr von der Seite. Was der Reisegruppe Todenhöfer in den nächsten Tagen geboten wurde, war eine vom „Islamischen Staat“ durchgeplante PR-Tour, die allerdings weniger eindrucksvoll war als jene, die zuvor ein Reporter des amerikanischen Magazins „Vice“ unternommen hatte. Der „Vice“-Reporter hatte keinen dicken Deutschen mit roten Haaren an den Hacken, er durfte sich, im Sommer 2014, durch Rakka bewegen und konnte beobachten, wie dort Frauen auf offener Straße gemaßregelt wurden. < 12 of 21 H > 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html S Talkshowgast Todenhöfer Todenhöfer kommt nicht auf den Gedanken, die PR-Maschine des IS, in deren Getriebe er gerät, zu beschreiben. Das widerspricht offenbar der Rolle, die er für sich selbst vorgesehen hat. Er schreibt: „Bisher haben kein westlicher Journalist und sein Team den ,Islamischen Staat' lebend verlassen. Warum sollte es bei uns anders sein?“ An anderer Stelle fragt er: „Journalisten wird doch sonst der Kopf abgeschnitten. Wieso dürfen wir filmen?“ Drei Seiten weiter: „Für IS-Leute ist das alles neu. Warum können wir uns so frei bewegen? Bisher kannten sie Westler nur in Gefangenenuniform oder tot.“ Matthias Richter muss lachen, als er das Wort „frei“ vorliest. Klar, sagt er, habe sich Todenhöfer mal gewehrt, wenn der Ton zu hart wurde oder ihm die Verbote nicht passten. Ihre Begleiter < Tour H hätten ihnen aber in aller Ruhe gesagt, dass dies die sei, die > 13 of 21 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... S https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html sie haben könnten, und entweder nähmen sie die oder es gehe zurück in die Türkei, das sei ihre Entscheidung. „Und der Jürgen hat das genommen, was er bekam“, sagt Richter, und er bekam Christian Emde alias Abu Qatadah, 24 Stunden, acht Tage. Emde ist der Prototyp des deutschen Durchschnitts-Dschihadisten: zu Hause gescheitert, aktenkundiges Mitglied einer militanten Zelle irgendwo in NRW, in Deutschland eine Null, in Syrien immerhin ein Lakai von Terroristen. Figuren wie Emde sind diejenigen, die der IS eigentlich nicht braucht an der Front. Emde sagt das selbst an einer Stelle des Buches, die Ausländer seien nicht beliebt, zumindest nicht zum Kämpfen, sie sind gute PR-Gesichter. Matthias Richter versteht nicht, warum Todenhöfer Emde größer machte, als er war. Warum er nicht schrieb, was Emde für eine Wurst war. Einer, der den ganzen Tag Kekse mit flüssiger Schokofüllung aß und schlechte Laune bekam, wenn man von seiner Cola trinken wollte. Dass er sich in seinen Bungalow sperrte und sich mit seinem Laptop vorbereitete auf das Interview, das Todenhöfer mit ihm führen wollte, „nervös wie ein Schulkind“ sei er gewesen, sagt Matthias Richter. Es ist das Interview, das den jungen Deutschen mit dem roten Bart weltweit bekannt machte, fast eine Million Klicks auf YouTube brachte, erfolgreich wie kaum ein anderes IS-Video, das auf CNN und im deutschen Fernsehen mehrfach ausgestrahlt wurde, immer wieder, wenn Jürgen Todenhöfer dem deutschen Zuschauer von seiner harten Abrechnung mit den Terroristen in Syrien berichtete. In dem Video stehen Todenhöfer und Emde auf einem Hügel, beide tragen Palästinensertücher um den Kopf, zwei bewaffnete Kämpfer stehen im Hintergrund. Der Schauplatz ist gut gewählt. Im Hintergrund die eroberte Stadt Mossul. Dass Christian Emde auf diesen Hügel von den zwei Kämpfern geschoben werden musste, weil er zu schwer war, um allein hochzukommen, wird von Todenhöfer nicht erwähnt, < Richter H erzählt > 14 of 21 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... S https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html es so. Protokollant Richter: „Es ist mehr ein Roman als ein Sachbuch“ In Todenhöfers Werk wird Emde von Seite zu Seite größer. Selbst scheinbare Belanglosigkeiten, die er erzählt, entfalten mit ihrem Fortgang bedrohliche Bedeutung. Emde erzählt beispielsweise, dass sein Bürostuhl zu schmal sei für seine Leibesfülle, mit weit über hundert Kilogramm. Deswegen habe er sich < einen Stuhl be- > H 15 of 21 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... S https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html stellt, aus Mossul, aus dem amerikanischen Konsulat. Todenhöfers Interviews werden zu Abspielflächen islamistischer Propaganda. Es ist, als sei er vom IS gut gecastet worden für diesen Job, aus Sicht der Terroristen ist er ein idealer Multiplikator: Seine Facebook-Seite hat mehr als eine halbe Million Likes, er sitzt seit Jahren in allen deutschen Talkshows, er macht Lesereisen, schreibt Bestseller. Im Buch sagt Christian Emde zu Todenhöfer, er sei eingeladen worden, weil einige seiner Bücher auf Arabisch erschienen sind. Todenhöfer redet auf seiner Reise mit IS-Kämpfern, die ihm von allerlei Heldengeschichten berichten. Einer erzählt, wie sie mit nicht mehr als 300 Männern die Millionenstadt Mossul erobert hätten, gegen 24 000 Mann der irakischen Armee. Todenhöfer fragt ihn: „Warum sind 24 000 vor 300 Mann davongelaufen?“ Ganz einfach, „das ist die Stärke unseres Glaubens“, sagt ihm der Kämpfer. Es seien nicht die Waffen, es sei Allah, der Allmächtige, der ihnen immer wieder zum Sieg verhelfe, das gehört zu den klassischen Mythen der islamischen Geschichte. Todenhöfer trifft den Polizeichef, der ihm versichert, die Lage in der Provinz und in ihrer Hauptstadt Mossul sei durch die Präsenz der IS-Kämpfer und der IS-Polizei ruhig, sicher und stabil geworden. Die Provinz habe in ihrer langen Geschichte noch nie so viel Frieden erlebt. Nach Jahren der Anarchie könnten die Menschen endlich wieder beruhigt aus ihren Häusern gehen. Ohne Angst vor Überfällen oder vor dem Tod. Manchmal vergehe eine ganze Woche ohne eine einzige Strafanzeige. Dank Allah und der islamischen Polizei. Und wenn sie mal nicht präsent seien auf den Straßen, dann vermisse sie das Volk. Todenhöfer trifft, auf einem Pritschenwagen, einen Kämpfer, der das deutsche Maschinengewehr MG3 bedient, er posiert damit für die Kamera, nach Aussagen des stolzen Kämpfers stammt es aus den deutschen Waffenlieferungen an die Peschmerga. Die Kämpfer fragen lachend, ob die Deutschen den Kurden<nicht noch H mehr > 16 of 21 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... S https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html Waffen schicken könnten. Und was sie nicht erbeuteten, kauften sie einfach auf dem Schwarzmarkt. So steht es dann auch in Todenhöfers Buch. Die Szene spielt wenige Monate nachdem die Lieferung deutscher Waffen beschlossen worden ist. Im Buch sind diese Waffen allerdings schon bei den Kurden angekommen und von Islamisten erbeutet worden. Todenhöfer wird, auf Seite 256, beinahe zum Opfer eines amerikanischen Drohnenangriffs. Er schreibt: „Die Piloten haben uns längst entdeckt. Als früherer Pilot von Sportmaschinen weiß ich, wie gut man selbst mit bloßem Auge von oben sieht. Und die da oben haben modernste Fernsichtgeräte. Uns wird mulmig. Ich denke an den Satz: ,Wenn du die Rakete hörst, bist du tot.'“ Wenige Absätze später heißt es: „Wir haben ein Gefühl großer Hilf- und Wehrlosigkeit. Irgend so ein Feigling im Computerraum eines fernen Landes hat unser Leben in der Hand.“ Autor Todenhöfer mit Islamist Emde: „Wenn du die Rakete hörst, bist du tot“ Todenhöfer scheint den Tod zu spüren, aber nach einer Flucht auf < H Dun> einen nahe gelegenen Fußballplatz kehrt er bei Anbruch der 17 of 21 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... S https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html kelheit zurück, setzt sich in den Bungalow, über dem die „Todesmaschinen“ kreisen, schaltet die Heizungsventilatoren ein, um das Geräusch der Drohnen nicht hören zu müssen, und wartet ab, was passiert. Die Begleiter, die Terroristen, sie seien davongelaufen, schreibt er. Matthias Richter sagt: „Warum sollten wir uns dort verstecken, wenn darauf gezielt wird? Wir sind mit unseren Begleitern auf den Fußballplatz und haben den Zivilisten beim Fußballspielen zugeguckt.“ Matthias Richter hat sich lange gefragt, warum er selbst als Malcolm so unsichtbar blieb in diesem Buch, warum er verloren ging auf dieser Reise, als Freund, als Mitreisender, als Protokollant, als Zeuge. Erst im letzten Kapitel spielte Richter alias Malcolm dann für Todenhöfer wieder eine relevante Rolle; es ist allerdings eine, die Matthias Richter nie gespielt haben will. Im Kapitel X, Nachwort zu Jihadi John, wird Malcolm von seinem Freund Frederic zu Jürgen Todenhöfer nach Hause bestellt, Wochen nachdem sich Vater und Sohn in ihr Ferienhaus zurückgezogen haben, mit Richters Protokollen, aber ohne Richter. Sie arbeiten in diesem Ferienhaus an dem Buch, und dabei fällt ihnen, angeblich, etwas Erschreckendes auf: Der Fahrer, der sie zehn Tage lang durch das Land des IS chauffierte, soll eine verblüffende Ähnlichkeit mit Jihadi John gehabt haben, dem schlimmsten Henker des IS. Diese Ähnlichkeit sei ihnen bei der Ansicht zweier Videos aufgefallen, die es von Jihadi John auf YouTube gibt. Im letzten Kapitel heißt es: „Frederic ruft Malcolm an und bittet ihn, kurz vorbeizukommen. Eine halbe Stunde später spielt er Malcolm die zwei Videos vor. Ohne ein Wort zu sagen. Malcolm reißt die Augen weit auf. Immer wieder murmelt er: ,Das gibt's < H doch nicht.' Als es durch ist, schaut er uns völlig verwirrt an: ,Das> 18 of 21 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... S https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html kann doch alles nicht wahr sein. Das ist unser Fahrer.' Wortlos und auch ein wenig ratlos trennen wir uns. Ratlos, weil wir unsicher sind, ob ich in meinem Buch erwähnen soll, dass wir im ,Islamischen Staat' wahrscheinlich jeden Tag mit dem brutalsten Henker der Welt zusammen waren.“ Matthias Richter erinnert sich an den Besuch bei Todenhöfer ganz anders. Er sagt, sein Freund Frederic habe ihm fünfmal hintereinander dieselbe Frage gestellt: „Guck doch mal, das ist doch unser Fahrer, Matthias, oder?“ Er habe ihm ein Video von Jihadi John gezeigt. Matthias Richter habe seinem Freund gesagt: „Das kann sein, das kann aber auch nicht sein. Hängende Augenlider, lange Haare, die wollen doch alle aussehen wie Mohammed, was ist daran besonders?“ Es gibt diese Frage nicht im Buch, im Bestseller. Unumstritten ist Jürgen Todenhöfer nie gewesen. Nicht, bevor er in das Gebiet des IS fuhr, schon gar nicht, als er von dort zurückkehrte und darüber ein Buch schrieb, das sich rasend gut verkaufte. Er hat damit neue Bewunderer gefunden, die sagen: Gut, dass sich einer mal dorthin getraut hat. Zensur hin oder her, wenigstens habe man echte Bilder, wirkliche Erlebnisse. Und Jürgen Todenhöfer hat damit Kritiker auf sich gezogen, die ihm vorwerfen, er habe sich vor den Karren der Terroristen spannen lassen, er sei die beste Propagandamaschine, die der IS je bekommen konnte. Einer davon, mutmaßlich der mit der größten Kompetenz, ist von nun an Matthias Richter. Dessen Schilderungen, die zu dem vorliegenden Text führten, weist Jürgen Todenhöfer über seinen Rechtsanwalt kategorisch zurück. Er hat an seinem Buch nichts zu korrigieren. Allenfalls zu ergänzen. So habe der Balkon ihrer Wohnung in Rakka neben dem Blick auf zwei Innenhöfe sehr wohl auch „freie Sicht auf die gegenüberliegende Straße“, auf Dutzende von Balkons und zwischen zwei Gebäuden hindurch auch auf eine etwas weiter entfernte Kreuzung gewährt. In Bezug auf Jihadi John ergänzt Todenhöfer, dass < H sie > 19 of 21 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... S https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html Richter zunächst eine Audiodatei mit dessen Stimme vorgespielt hätten. Richter habe dazu sinngemäß geäußert, das sei doch der Fahrer. Und was Jürgen Todenhöfer über Matthias Richter alias Malcolm in seinem Buch nicht so detailgetreu erwähnte, das reicht er dem SPIEGEL jetzt, ebenfalls über seinen Rechtsanwalt, nach. „Zur Person Ihres Informanten“ will noch gesagt sein: „Seine optischen wie akustischen Wahrnehmungsmöglichkeiten waren erheblich eingeschränkt, weil sein bevorzugter Aufenthaltsort, eines beharrlichen Durchfalls wegen, das Klo war.“ So steht Darstellung gegen Darstellung. Jürgen Todenhöfer, das lässt sich festhalten, hat seinen eigenen, ganz besonderen Blick, auf die Dinge und die Menschen. Mail: [email protected], Twitter: @OEZLEM_GEZER ÜBER DIE AUTORIN Özlem Gezer, 1981 in Hamburg geboren, studierte Jura, arbeitete für den „Stern“ und das ZDF in Istanbul, besuchte die Henri-Nannen-Schule und ist seit Januar 2012 beim SPIEGEL. Neben Aspekten der Zuwanderung aus Südosteuropa beschäftigte Gezer sich in den vergangenen Jahren vor allem mit dem Thema Islamismus. ALLE MULTIMEDIA-ELEMENTE DES ARTIKELS < 20 of 21 H > 15.01.16, 18:42 Was erlebte Jürgen Todenhöfer wirklich im Land des IS? DER S... https://magazin.spiegel.de/SP/2016/3/141495152/index.html S n ARTIKEL VORLESEN LASSEN Der Märchenonkel d FOTOSTRECKE Jürgen Todenhöfers Leben in Fotos Medienmanager, Publizist, Politiker: die wichtigsten Stationen im Leben von Jürgen Todenhöfer im Überblick. & FACEBOOK ' TWITTER DER SPIEGEL 03/2016 FOTOS: MILOS DJURIC / Der Spiegel; DIETER BAUER / IMAGO; ULLSTEIN BILD (oben); HORST GALUSCHKA/ IMAGO; STAUFFENBERG / EVENTPRESS (unten); PICTURE ALLIANCE / DPA (oben); STAUFFENBERG / EVENTPRESS < 21 of 21 H > 15.01.16, 18:42
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