philoSOCIETY 53 Auf dem Brentakanal von Padua nach Venedig T E X T: S A B I N A J A R O S C H D ie Reise beginnt höchst prosaisch, nämlich auf dem Busbahnhof von Padua. Ungefähr eine Viertelstunde später jedoch erreicht man bereits die Villa Pisani in Stra, die größte unter den Villen am Brentakanal. Sie ist heute in Staatsbesitz und damit berechtigt, ein gesalzenes Eintrittsgeld einzuheben. Diese Villa ist eigentlich ein königlicher Palast mit der am besten erhaltenen Gartenanlage aller Villen am Brentakanal. Ein Freskenzyklus von Tiepolo in den inneren Repräsentationsräumen zeigt die Verherrlichung der Familie Pisani, aus der mehrere venezianische Dogen kamen. Mich interessierte aber mehr das berühmte Labyrinth mit seinen übermannshohen, dichten Hecken zwischen den A b e n t e u e r P h i l o s o p h i e 2 / 2 0 0 7 schmalen Gängen. In der Mitte steht ein kleiner Aussichtsturm. Aber wie dahin kommen? Von labyrinthischen Verunsicherungen … Ich war zum ersten Mal in einem wirklichen Labyrinth, wo man nicht über die Trennwände schauen und sich orientieren konnte und wo es auch keine Schlupflöcher zwischen den einzelnen Gängen gab. Eine interessante Erfahrung! Mal sehen, was ist schon dabei … so die anfängliche Einstellung. Dann: spannend. Plötzlich beginnt man schneller zu laufen. Eine leichte Unruhe macht sich bemerkbar. Ich komme gar nicht vorwärts, oder doch? Hier war ich doch schon mal, oder nicht? Da, wo man sich einer Sache ganz sicher zu sein scheint, führt der Weg oft in die Sackgasse. Wie im richtigen Leben halt. Leider muss ich gestehen, dass ich im Hinblick auf die begrenzte Besuchszeit die Prüfung, mich der Erfahrung des Labyrinths auszusetzen, nicht bestanden habe. Aus dem gleichen Grund wohl stand auf dem Türmchen in der Mitte eine Frau, die jeden, der seine Hand aus dem grünen Irrgarten hob, zur Mitte und dann wieder hinaus dirigierte. Uff, eine gewisse Erleichterung war nicht zu leugnen. Nachdenklich wanderte ich auf den übersichtlichen und breiten Wegen des Gartens umher. Was solch eine zarte Andeutung von Ausgesetztsein doch ausmacht, auch wenn kein Minotaurus im Inneren lauert… 54 philoSOCIETY Und dann begann unsere Fahrt auf dem Brentakanal. Ab dem 15. Jahrhundert entdeckten die Venezianer die Sommerfrische auf dem Festland. Besonders beliebt für Ansiedlungen waren die Ufer des natürlichen Brentakanals. Bald standen die Villen hier so dicht, dass der Fluss geradezu eine Verlängerung des Canal Grande war. Außer auf dem Landweg konnte man schon damals mit einem von Pferden gezogenen Schiffchen reisen, dem Burchiello. Im September 1786 fuhr Goethe so von Padua nach Venedig und war recht angetan. Er schrieb: „Die Fahrt auf der Brenta, mit dem öffentlichen Schiffe, in gesitteter Gesellschaft, da die Italiäner sich voreinander in Acht nehmen, ist anständig und angenehm. Die Ufer sind mit Gärten und Lusthäusern geschmückt, kleine Ortschaften treten bis ans Wasser, theilweise geht die belebte Landstraße daran hin.“ So auch heute. Canal del Brenta ... und himmlischen Harmonien Burchiello ... geistigen Gartenzäunen, Wir bestiegen nun unseren Burchiello, ein Motorschiff mit Sonnendeck. Langsam zog das Ufer an uns vorbei. Es war ein sehr warmer Tag: die Klimaanlage im Inneren war zu kalt eingestellt, und auf Deck wurde es den meisten nach einer Weile zu warm. Es war also ein ständiges Kommen und Gehen. Wer aber einmal „seinen“ Platz gefunden hatte, erwartete, dass sich auch nach längerer Abwesenheit niemand anderer darauf niederließ und bedachte jeden, der dies dennoch tat, mit bösen Blicken und abschätzigen Worten wie: „Das ist eben ein anderer Kulturkreis…“ Damit wollte er wohl zu verstehen geben, dass nur der eigene Kulturkreis Bildung und Höflichkeit englischen Anwaltsbüro arbeitete. Das Essen war plötzlich unwichtig. Wir unterhielten uns angeregt, erzählten von der jeweiligen Lebenssituation, der Arbeit und den Schönheiten des eigenen Landes. Ich holte den letzten Rest meiner Chinesisch-Kenntnisse hervor und sang zum großen Amüsement unseres Tisches die chinesische Version von „Bruder Jakob“. Billi, wie sich unsere Chinesin nennen ließ, hatte sogar alles verstanden: „Zwei Tiger rennen schnell. Einer hat keine Augen, einer hat keine Ohren. Ist das nicht komisch, ist das nicht komisch?“ Sie hielt sich den Bauch vor Lachen. Vom Nebentisch kamen verständnislose Blicke. Villa Foscari-Malcontenta kenne. Was nützt das ganze Reisen, wenn man seine Gartenzaun-Mentalität überall hin mitnimmt! Ich selbst hatte auf dem Schiff eine dieser spontanen Begegnungen, die mich nicht weniger als glücklich machen. Schon zu Beginn der Fahrt war ich mit einer Argentinierin ins Gespräch gekommen, die gut Italienisch sprach. Beim Mittagessen setzten wir uns an einen Tisch, und bald gesellte sich noch eine junge Chinesin zu uns, die in Shanghai in einem Die Villa Foscari-Malcontenta in Mira befindet sich heute wieder in Familienbesitz und hat deshalb nur das Erdgeschoss für Besucher geöffnet. Wenn uns die Auszeichnung als Weltkulturerbe nicht von vornherein einen gewissen Respekt einflößen würde, könnte man ihre Bedeutung glatt übersehen: so selbstverständlich, so absolut passend, so recht ein Kind und Abkömmling dieses Bodens – so steht sie da. Sie wurde 1560 von Andrea Palladio gebaut, der vor ein einfaches Grundelement – einen rechteckigen Block – einen ionischen Säulenportikus als Eingang setzte. Diese Schauseite dreht das Gebäude der Wasserfront zu, und so sah es auch der englische Architekt Inigo Jones bei seiner Fahrt entlang des Kanals im Jahre 1613, was ihn so beeindruckte, dass er es zum Ausgangspunkt des englischen Klassizismus machte. Der Tempelportikus der Antike wurde zum wesentlichen Stilelement eines herrschaftlichen Landhauses überhaupt und fand von England über A b e n t e u e r P h i l o s o p h i e 2 / 2 0 0 7 philoSOCIETY Russland bis Amerika ungeahnte Verbreitung. Was man nicht sieht, aber vielleicht fühlt, sind die baulichen Proportionen, die nach Palladios Auffassung die Harmonie der himmlischen Sphären widerspiegeln. Palladio hatte während mehrerer RomReisen die antike Architektur studiert und wandte, wo immer möglich, antike Ordnungen und Formen an. Die Grundfläche des Portikus hat das Verhältnis 12:32, das sich auch in den Innenräumen fortsetzt und eine arithmetische Reihe von 12:16:21:32 ergibt. Welch glückliche Zeiten, in denen himmlische Proportionen auch das irdische Leben bestimmten! Fragt sich nur, warum so ein Kleinod den Beinamen Malcontenta, die Unzufriedene trägt. Die Villa war im 19. Jahrhundert dem Verfall nahe und von Gestrüpp überwuchert. Damals hat sich vermutlich die romantische Legende von einer Frau der Familie Foscari gebildet, die wegen verletzter Familienehre dort in Hausarrest gehalten wurde. Der Name aber „sitzt“ und unterscheidet diese Villa von anderen derselben Familie. Gegen Abend tauchte die unverwechselbare Silhouette Venedigs auf, immer noch so, wie sie Goethe grüßte, als er „aus der Brenta in die Lagunen einfahrend“, zum ersten Mal „diese wunderbare Inselstadt, diese Biberrepublik“ sah. Die sich ebenso deutlich abzeichnenden Chemiegiganten von Mestre sind eine Zugabe für uns Heutige. Wir fuhren über den Teil der Lagune, der „mare morto“ – Totes Meer – heißt, vorbei an versinkenden Inselchen, langsam auftauchenden Schilfflächen, längst überflüssig gewordenen Befestigungsanlagen, immer entlang der „bricole“, der drei zusammengebundenen Holzpfähle, die eine Fahrtrinne kennzeichnen. Nur der Uneingeweihte glaubt, man könne überall fahren, wo Wasser ist. Die Wasserstraßen müssen regelmäßig gewartet werden, so wie die gesamte Lagune gepflegt werden muss, damit dieses Kunstwerk, das aus der Zusammenarbeit von Mensch und Natur entstanden ist, erhalten bleibt. 55 In der Nähe des Markusplatzes war unsere Fahrt zu Ende. Wer diese Reise auf eigene Faust unternehmen will, kann sich z.B. auf der deutschsprachigen Website von www.ilburchiello.it informieren. Die Proportionsangaben zur Villa Foscari habe ich dem Band „Venedig“ von Hugh Honour entnommen. Erschienen 1966 bei Prestel, München. Über die Villa Foscari-Malcontenta informiert die Website www.lamalcontenta.com Der Renaissancearchitekt Andrea Palladio wurde 1508 in Padua als Sohn eines Müllers geboren. Sein Vater gab ihn zu einem Steinmetz in die Lehre. Ein Mäzen ermöglichte ihm mehrere Studienaufenthalte in Rom, wo er die antiken römischen Bauten studierte und 1554 in seinem Werk „Antichità di Roma“ niederlegte. Seine Bautätigkeit, ausschließlich in Venedig und dem venezianischen Festland, umfasst Paläste, Villen, Kirchen und öffentliche Gebäude. Klassische Klarheit und Harmonie zeichnen seine Bauten aus. Er starb 1580 in Vicenza. Villa Pisani A b e n t e u e r P h i l o s o p h i e 2 / 2 0 0 7
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