Fachbeitrag zum

Die Behandlungspflicht des Arztes / Zahnarztes
1. Grundsätzlich herrscht in Deutschland Privatautonomie, d.h. ein Vertragspartner ist nicht
verpflichtet, mit jedermann einen Vertrag abzuschließen, es gibt jedoch gesetzlich vorgeschriebene
Ausnahmen.
Arzt und Zahnarzt sind in der Ausübung ihres Berufes frei, sie können eine Behandlung z.B. ablehnen,
wenn sie der Überzeugung sind, dass das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen ihnen und dem
Patienten nicht besteht. Dem Recht des Patienten auf freie Arzt/Zahnarztwahl (geregelt in § 76 SGB V)
steht die Freiheit des Behandlers gegenüber, nur die Patienten zu behandeln, die er behandeln
möchte. Diese Freiheit darf aber keinesfalls dazu führen, dass der Patient ohne eine dringend
notwendige medizinische Versorgung bleibt. Sog. Notfallpatienten dürfen somit von einem Behandler
nicht abgewiesen werden, anderenfalls kommt hier die Verwirklichung des Straftatbestands des § 323
c Strafgesetzbuch – die unterlassene Hilfeleistung – in Betracht. Die Pflicht darf allerdings nicht zu weit
ausgelegt werden, so wird die Weigerung zur Behandlung eines Krankheitsbildes, welches nicht einen
Akutfall darstellt, nicht zwangsläufig zur Verwirklichung einer unterlassenen Hilfeleistung führen.
Dies gilt sowohl für Behandler, die ausschließlich Privatpatienten behandeln als auch für
„Kassen(zahn)ärzte“, die die Zulassung zur Teilnahme an der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung
erhalten haben.
Auf Grund der aus § 95 SGB V resultierenden Versorgungsverpflichtung hat jedoch der
Vertrags(zahn)arzt kraft Zulassung alle Kassenpatienten im Rahmen der gesetzlichen und vertraglichen
Vorschriften zu behandeln, um so den Sicherstellungsauftrag zu erfüllen. Kassenärzte bzw. sog.
Vertragsärzte sind berechtigt, aber auch verpflichtet, an der medizinischen Versorgung der gesetzlich
versicherten Kassenpatienten teilzunehmen. In § 95 Abs. 3 SGB V heißt es hierzu: „Die Zulassung
bewirkt, dass der Vertragsarzt Mitglied der für seinen Kassenarztsitz zuständigen Kassenärztlichen
Vereinigung wird und zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung im Umfang seines aus der
Zulassung folgenden zeitlich vollen oder hälftigen Versorgungsauftrages berechtigt und verpflichtet
ist.“
Diese Verpflichtung, der sich die Vertrags(zahn)ärzte durch die Zulassung unterworfen haben,
bedeutet, dass die Ablehnung von gesetzlich versicherten Patienten nur sehr eingeschränkt möglich
ist, sofern der Behandler seine kassen- bzw. vertrags(zahn)ärztliche Zulassung nicht gefährden möchte.
2. Einschränkungen bezüglich der Behandlungspflicht finden sich z.B. in § 13 Abs. 7
Bundesmantelvertrag-Ärzte in der Fassung vom 01.01.2015, dieser lautet: „Der Vertragsarzt ist
berechtigt, die Behandlung eines Versicherten, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, abzulehnen,
wenn dieser nicht vor der Behandlung die elektronische Gesundheitskarte vorlegt. Dies gilt nicht bei
akuter Behandlungsbedürftigkeit sowie für die nicht persönliche Inanspruchnahme des Vertragsarztes
durch den Versicherten. Der Vertragsarzt darf die Behandlung eines Versicherten im Übrigen nur in
begründeten Fällen ablehnen.“
Solche begründeten Fälle – abgesehen von dem explizit genannten Fall der Nichtvorlage der
Krankenversichertenkarte seitens des Patienten – können sein:
2.1 Es sind bereits so viele Patienten in Behandlung, dass deren ausreichende Versorgung durch die
Übernahme weiterer Patienten gefährdet wird bzw. dem Arzt/Zahnarzt zusätzliche Behandlungszeiten
nicht zugemutet werden können.
2.2. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt / Zahnarzt und dem Patienten ist grundlegend
gestört. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn der Patient
- sich in der Vergangenheit wiederholt nicht an die ärztlichen Anordnungen gehalten hat,
- von seinem Arzt eine standes- oder sittenwidrige Tätigkeit verlangt
- auf medizinisch nicht begründeten oder unwirtschaftlichen Behandlungsmaßnahmen beharrt
- den Arzt beleidigt, drangsaliert, bedroht, üble Nachrede über den Behandler verbreitet, etc.
- unzulässige Abrechnungen zu Lasten der Krankenkasse verlangt (z.B. Berechnung nicht
durchgeführter Leistungen)
- einen Arzthaftungsprozess gegen den Behandler anstrengt
2.3 Die Behandlung liegt außerhalb des Fachgebietes, so dass die notwendigen medizinischen
Kenntnisse und Fähigkeiten nicht oder nicht ausreichend vorliegen.
Gesetzlich versicherte „Kassenpatienten“ dürfen also niemals willkürlich von einer Behandlung
ausgeschlossen werden, es muss vielmehr ein triftiger Grund für die Ablehnung der Behandlung
vorliegen, d.h. die Behandlung muss für den Zahnarzt unzumutbar sein.
3. Beispielhaft sei auch auf eine Vorschrift aus der Berufsordnung der Landeszahnärztekammer BadenWürttemberg in der Fassung vom 01.08.2014 (§ 2 Abs. 5) hingewiesen, in der es heißt:
„Der Zahnarzt kann die zahnärztliche Behandlung ablehnen, wenn
a) eine Behandlung nicht gewissenhaft und sachgerecht durchgeführt oder
b) die Behandlung ihm nach pflichtgemäßer Interessenabwägung nicht zugemutet werden kann oder
c) er der Überzeugung ist, dass das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Patienten
nicht besteht.
Seine Verpflichtung, in Notfällen zu helfen, bleibt davon unberührt“.
4. Keinen triftigen Grund für eine Ablehnung stellt es dar, wenn der Patient z.B. HIV-infiziert ist oder
unter anderen infektiösen Erkrankungen wie beispielsweise Hepatitis C leidet.
Es besteht – unter Berücksichtigung der bereits geschilderten Einschränkungen – die
Behandlungspflicht eines unter einer solchen Erkrankung leidenden Patienten.
Die Behandlungspflicht stellt eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung im Rahmen des
Krankenversicherungsrechts dar. Die pauschale Verweigerung der Behandlung eines infizierten
Patienten stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die durch die Zulassung zum Vertragszahnarzt
übernommenen Pflichten dar.
Ärzte/Zahnärzte dürfen die Versorgung von infizierten Patienten nicht als unzumutbar ablehnen, da
eine Infektion des Behandlers und des Praxisteams durch geeignete Schutz- und Hygienemaßnahmen
nahezu ausgeschlossen werden kann. Die Möglichkeit einer Virus-Übertragung im Zusammenhang mit
der (zahn)ärztlichen Behandlung Infizierter ist natürlich grundsätzlich gegeben, eine berufsbedingte
Infektionsgefahr ist wegen bestehender Schutzmöglichkeiten und durch die Einhaltung von
Hygieneanforderungen jedoch beherrschbar.
Ablehnungsgründe können allenfalls dem medizinisch-persönlichen Verhältnis zwischen Patient und
(Zahn)Arzt entspringen. Das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Patient und (Zahn)Arzt könnte
z. B. beeinträchtigt sein oder komplett entfallen sein, wenn der betreffende Patient den Behandler
nicht über eine HIV-Infektion o.ä. unterrichtet. Werden bereits im Rahmen der Anamnese
entsprechende Gesundheitsfragen gestellt und antwortet der Patient hier wahrheitswidrig auf diese
relevanten Fragen, ist der Wegfall des Vertrauens denkbar.
5. Zusammenfassend sind stets die Umstände des Einzelfalls maßgeblich, erforderliche
Notfallbehandlung bleiben hiervon grundsätzlich aber unberührt. Sofern Sie bezüglich der
Einschätzung eines Einzelfalls Beratung benötigen, steht Ihnen der Verfasser gerne zur Verfügung.