Dr. Hermann Hinsch MITTWOCH, 26. AUGUST 2015 RHEIN-MAIN ZEITUNG In Wiesbaden könnte Schutt aus Atomkraftwerk lagern Demontage in Stade: ELW denken an 1000 Tonnen olko. WIESBADEN. Rund 400 Kilometer Luftlinie liegen zwischen dem ehemaligen Atomkraftwerk im niedersächsischen Stade und der Wiesbadener Deponie. Trotz der Entfernung könnte sich Bauschutt aus der Anlage, die derzeit im Rückbau ist, künftig in der Landeshauptstadt wiederfinden. Denn die Wiesbadener Entsorgungsbetriebe (ELW) wollen ein Angebot über die Einlagerung von 1000 Tonnen Material abgeben, wie ein Sprecher gestern mitteilte. Es gehe um „freigemessenen Bauschutt“, der beim Rückbau des Kraftwerks anfalle; Beispiele seien Pförtnerhäuschen und Aufenthaltsräume. Dabei müsse stets der in der Strahlenschutzverordnung festgelegte strenge Grenzwert von zehn Mikrosievert pro Jahr eingehalten werden. Diese radioaktive Belastung gilt gemeinhin als unbedenklich. Zum Vergleich: Die natürliche Strahlenexposition in Deutschland liegt laut dem sächsischen Umweltministerium pro Jahr im Schnitt mehr als 200 Mal höher, nämlich bei 2100 Mikrosievert. „Kein anderer Abfall wird so gut untersucht wie dieser“, sagte der ELW-Sprecher. So gebe es Messungen vor jeder Fuhre. Es handele sich um Bauschutt, der sich nicht im Straßenbau verwenden lasse. Er könne auf jeder Deponie der Klasse II wie in Wiesbaden abgelagert werden. Dem Sprecher zufolge gab es von der Altlastensanierungsfirma Him AG eine Anfrage, ob die ELW ein Angebot abgeben wollten. Geschehen sei das noch nicht, auch sei noch kein Vertrag geschlossen. Die Suche nach Deponien, die freigegebenen Bauschutt aus rückgebauten Kernkraftwerken annehmen, ist offenbar nicht einfach. So entschied sich Medienberichten zufolge zunächst die niedersächsische Deponie Hillern bei Soltau gegen die Einlagerung. Jüngst vollzogen dann auch die Betreiber mehrerer sächsischer Deponien eine Kehrtwende. Sie wollen bis auf schon vertraglich zugesicherte Lieferungen keinen Bauschutt von Atomkraftwerken mehr entgegennehmen. In beiden Fällen hatten Anwohner protestiert. Die ELW reagieren nach eigenen Angaben mit dem geplanten Angebot nur auf die Him-Anfrage; selbst sei man nicht tätig geworden. Mit Blick auf Energiewende und Atomausstieg sagte der ELW-Sprecher, dass alle eine Mitverantwortung trügen. Fest steht wohl, dass das Vorhaben den ELW finanziell nicht zum Nachteil gereichen würde. So ist den Angaben zufolge geplant, in dem Angebot pro Tonne etwa 250 Euro zu verlangen. Das wäre knapp fünfmal so viel wie die rund 55 Euro, die normalerweise für Bauschutt anfallen. So kämen die ELW bei 1000 Tonnen auf Einnahmen von 250 000 Euro. Besorgt reagierte die SPD-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung auf die Pläne. „Uns wurde eindringlich versichert, dass es sich bei dem freigemessenen Material um grundsätzlich unbedenklichen Bauschutt“ handele, sagte die umweltpolitische Sprecherin Nadine Ruf. Was die Auskunft angehe, habe man allerdings Zweifel. So bedeute diese rechtliche Kategorie nicht, dass das Material strahlungsfrei sei, sondern nur, dass es Ob es auch langfristig ungefährlich ist, bleibt unter Fachleuten umstritten.“ unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte liege. „ Wenn sich trotz des deutlich höheren Deponiepreises kein anderer Abnehmer in Niedersachen finde, sollte man ganz genau hinsehen. Für die SPD ist Ruf zufolge klar, dass die Sache nicht einfach „durchlaufen“ darf. „Wir reden hier über eine grundsätzliche Dr. Hermann Hinsch politische Frage, ob wir dieses Material nehmen oder nicht.“ Die ELW und der zuständige Dezernent Oliver Franz (CDU) wären gut beraten, das Thema im Umweltausschuss zur Diskussion zu stellen. Alarmstimmung herrscht bei den Grünen. „Wir fordern den Magistrat zur Umkehr auf“, so Fraktionsvorsitzende Christiane Hinninger. Franz warf die Fraktion vor, mit seinen Plänen „für schnelles Geld die Gesundheit der Bevölkerung zu gefährden“. Eine Studie des Bundes für Umwelt und Naturschutz belege, dass die auf Deponien abgelagerte Radioaktivität unterschätzt werde. Leserbrief auf den Artikel „In Wiesbaden könnte Schutt aus Atomkraftwerk lagern“ Strahlenaberglauben in voller Aktion Nämlich bei der SPD-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung von Wiesbaden. 1.000 Tonnen Material aus dem Abriss des Kernkraftwerks Stade sollten auf eine Wiesbadener Deponie kommen. Das Material ist radioaktiv, aber völlig im Rahmen dessen, was überall vorkommt. Ganz grob ist das im Diagramm dargestellt. Mit solchem Abbruchmaterial befasste sich auch ein Dr. Werner Neumann, Physiker, in der Ausgabe vom 07.08.2014 des Fachblattes für Strahlenhysteriker „Strahlentelex mit Elektrosmog Report“. 2 Dr. Hermann Hinsch Es wäre zu viel der Ehre für Herrn Neumann, würde ich ihn mit Johannes Kepler vergleichen. Dieser nutzte den Aberglauben seiner Zeitgenossen, um Horoskope zu verkaufen, war sonst aber einer der bedeutendsten Astronomen. Herr Neumann hat sich dagegen völlig auf den Aberglauben spezialisiert. An „Fachleute“ wie Herrn Neumann denkt offensichtlich die umweltpolitische Sprecherin Nadine Ruf: „Ob es auch langfristig ungefährlich ist, bleibt unter Fachleuten umstritten.“ Die Radioaktivität irgendwelcher Materialien muss mit der Natur verglichen werden. Was auch in der Natur vorkommt, kann nicht schlimm sein. Aber das würde den Angstmachern ihr Geschäft verderben. Früher haben sie gesagt: Natur ist gut, entsprechende künstliche radioaktive Stoffe sind dagegen gefährlich. Heute sagen sie mal so, mal anders. Natur wäre gefährlich, der Uranabbau, bei dem nur Naturstoffe gefördert werden, würde „ganze Landstriche radioaktiv verseuchen.“ Andererseits schreibt Herr Neumann in seinem Artikel über Abbruchmaterial aus stillgelegten Kernkraftwerken: „Dieser Verweis zur Beurteilung zusätzlicher Strahlendosen auf die natürliche Radioaktivität ist so alt wie falsch, weil aus der Existenz der natürlichen Radioaktivität keine zusätzliche Belastung abgeleitet werden kann, sondern dies nur mit einer anderweitigen Rechtfertigung erfolgen darf.“ „Herr, dunkel war der Rede Sinn!“ (Schiller) Dahinter steckt möglicherweise die Vorstellung, wir würden schon sehr unter der natürlichen Strahlenexposition leiden, und daher darf nicht das Geringste dazukommen. Aber betritt Herr 3 Dr. Hermann Hinsch Neumann kein Gebäude aus Beton, macht keine Flugreisen, vermeidet Körperkontakt mit anderen Menschen, die ja alle eine Strahlenquelle von etwa 8.000 Becquerel darstellen? Zurück zur Realität: Der Naturzustand ist der richtige Vergleichsmaßstab. Aber enthält Abrissmaterial nicht mehr Radioaktivität als normaler Erdboden? Zum Teil schon, aber wesentlich weniger als z.B. der dunkle Sand am Strand von Kerala in Indien, auf dem die Touristen ganz entspannt sitzen. In jedem Fall sagt die Konzentration an radioaktiven Elementen noch nichts über die Strahlenexposition von Menschen. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Frau Christiane Hinninger, behauptet, die Gesundheit der Bevölkerung könne gefährdet werden. Aber welcher Strahlendosis wird die Bevölkerung durch die Deponie ausgesetzt? Gar keiner. Eines Tages werden wir hier afrikanische Verhältnisse haben, und Leute durchwühlen Mülldeponien nach Brauchbarem. Dann allerdings werden die Halbwertzeiten dafür sorgen, dass nur noch geringe Radioaktivität vorhanden ist. Heute sind nur die Arbeiter betroffen, und für diese wurden die 10 Mikrosievert berechnet. Die am meisten exponierten vermehren ihre natürliche Strahlendosis um ein Zweihundertstel. Wenn die Stadtverwaltung das nicht glaubt, kann sie es nachprüfen lassen. Unter wirklichen Fachleuten ist die Strahlenwirkung keinesfalls umstritten, wie Frau Ruf meint. Allerdings sind viele Fachleute noch nicht bereit, das alte Konzept der Kollektivdosis 4 Dr. Hermann Hinsch zu verwerfen. Es ist noch Grundlage unserer Strahlenschutzgesetzgebung. UNSCEAR (United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation) empfiehlt schon heute, dies Konzept nicht auf kleine Dosen anzuwenden. Es erscheint auch absurd. Auf Blut angewandt, sähe es so aus: Verliert jemand 5 l Blut, ist er tot. Verlieren 1.000 Menschen je 5 Milliliter, sind das zusammen wieder 5 l und es gibt genau einen Todesfall. Bei Strahlung ist es so, als könnte man vielen 1.000 Menschen ihre Strahlendosis abnehmen und auf eine einzelne Person übertragen, bis bei dieser genug angehäuft ist, dass sie stirbt. Selbst bei einer solchen Betrachtungsweise stellt das Abbruchmaterial aus Kernkraftwerken keine Gefahr für die Bevölkerung dar. Kernkraftgegner wie Herr Neumann lieben dieses Konzept der Kollektivdosis und wenden es phantasievoll an. Die für Einzelpersonen unter ungünstigen Umständen ermittelte Dosis wird als mittlere Dosis der Gesamtbevölkerung zugrunde gelegt. Im Fall Wiesbaden würde das bedeuten, dass alle Einwohner auf der Deponie leben. Dazu werden noch die Ausgangsdaten frisiert, wie Konzentrationen, Strahlendosen usw. Aber auch wenn es so wäre, wie uns solche Strahlenhysteriker weismachen wollen, unser Lebensrisiko würde dadurch nicht wesentlich erhöht. In Wiesbaden gibt es nicht nur die Stadtverordnetenversammlung, sondern auch eine Institution, die sich mit Tatsachen befasst, nämlich das Statistische Bundesamt. Deren Veröffentlichungen ist zu entnehmen: Von 1.000 Männern, die ihren 40. Geburtstag feiern, sterben 2 im folgenden Jahr, nur 998 können ihren 41. Geburtstag feiern. Das ist eine Sterbewahrscheinlichkeit von 0,2 %. Alles, was man fälschlicherweise der Radioaktivität zur Last legt, kommt erst viel weiter hinter dem Komma. Hannover, den 29.08.2015 5
© Copyright 2024 ExpyDoc