Die letzten - Neue Zürcher Zeitung

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Nnch Akklimatisation, Vorbercitungs- und Rcmon/cnkurs werrfen die Plcrdc vom Wallcnchci, vom Obetpierdcarzt und vom Kommandanten der Militiirpterdeanslalt inspixierl.
Die letzten Eidgenossen
Text und Aufnahmen von Peter Zimmermann
Die Pferde der Schweizer Kavalleristen werden als Eidgenossen
bezeichnet, obgleich sie seit hundert Jahren zum größten Teil
Ausländer sind, Ausländer, die zu Eidgenossen wurden, nicht weil
sie sich eingekauft hatten, sondern weil sie angekauft worden
waren. Die Herkunft der volkstümlichen Bezeichnung von Pferden
als Eidgenossen ist vage; der Begriff mag sich gebildet haben, weil
Kavallerie-Bundespferd auch dann im Eigentum der Eidgenossenschaft blieb, wenn der Wehrmann es übernommen hatte.
Der Kavallerist bezahlte zwar die Hälfte des Schatzungspreises,
doch diente diese «Bezahlung» lediglich als Sicherheit: der berittene Soldat war zehn Jahre lang zwar Halter, aber nicht Eigendas
tümer seines Pferdes. In den letzten Jahren erwarb der Bund jähr-
lhi c bis zu (500 Remonten, ungefähr vierjährige, zur Hauptsache
nicht zugerittene Pferde; 300 von ihnen benötigte man für die
Kavallerie-Rekrutenschulen, 300 zur Remontierung, das heißt in
diesem Falle zum Ersatz von dienstuntauglich gewordenen Dragonerpferden. Nach dem Entscheid des vergangenen Jahres, die
Kavallerie in der Schweizer Armee aufzuheben, sind 1973 die
Jungremontea aal dem Weg zur Weide in der Filiale Sand bei Schönbühl.
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In der Schmiede wird das helBe Elsen angepaßt.
Das Beschlagen des Plerdes.
Dragoner für ihre neue Aufgabe bei den Panzereinheiten umgeschult worden und keine Kavallerierekrutenschulen mehr durchgeführt worden.
Mit der gleichen Eile konnte und durfte dagegen die Bereitstellung der Pferde nicht abgebrochen werden. Zum einen sind
noch vor dem Entscheid 1972 im bis dahin normalen Rahmen
500 Pferde angekauft worden, zum andern sollte bis Ende 1973
eine allfällige Mobilmachung der Kavallerie sichergestellt sein.
So stehen in der traditionsreichen Ausbildungsstätte der Eidgenossischen MiliUirpferdeanstaR (EMPFA) in Bern und ihrer Filiale im
Sand bei Grauholz-Schönbühl, die zur Hauptsache der Akklimatisation neu erworbener Pferde dient, gleichsam die letzten Eidgenossen im Dienst.
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Eine Stätte der klassischen Reitkunst
Aber mit dem zweifellos notwendig gewordenen Verzicht auf
die Kavallerie sind auch die Tage der Militarplerdeanstalt in ihrer
heutigen Form und Größe gezahlt. Bereits hat sich der Personalbestand von einst bis 7.u 500 Bediensteten auf nahezu 300 reduziert,
und in den Stallungen, die rund 1500 Pferde aufnehmen können,
stehen zurzeit noch etwas über 700. Neue Remonten sind 1973
selbstverständlich keine mehr erworben worden; die Liquidation
des Pferdebestandes dürfte in zwei bis drei Jahren abgeschlossen
sein. Vorgesehen ist, daß in der bisherigen Filiale im Sand eine
letzte Ausbildungsstätte einige Zeit bestehen bleiben wird, um die
In der Kuranstalt: Mundspülung bei einem Plerd im sogenannten Notstand, aus dem der «Patient» nicht ausbrechen kann.
Pferde für die weiterhin berittenen Offiziere und Unteroffiziere der
Traintruppe und für die Veterinartruppe bereitzustellen. Auf dem
großen Areal in Bern aber werden die Stallgebäude, die Reitbahnen und die Werkstätten vermutlich nüchternen Buroblöcken
weichen müssen.
Mit der Auflösung der Eidgenössischen Militarpferdeanslalt iti
Bern wird eine Institution (zumindest im bisherigen Umfang) verschwinden, die über nationale, militärische Bedeutung hinaus
wichtigen Einfluß auf die Erhaltung der klassischen Reit- und
Fahrkunst ausgeübt hat. Ihre Geschichte beginnt vor beinahe
hundert Jahren mit der Militärorganisation von 1874, in welcher
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Punktlörmlges Brennen mit glühendem Eisen
aul dem Bild an der lokal
wird unter anderem als tierärztlicher
anästhesierten Fessel des Plerdes
Eingrili bei chronischen Entzündungen angewendet.
der «Unterhalt von Remontendepots» festgelegt worden ist. Diese
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verteilten sich ursprünglic
auf die Waffenplätze Bern, Aarau,
Luzcrn, Zürich und Winterthur. Die jungen Pferde wurden hier
sofort nach dem Ankauf von den Bereitern, bis 1890 fast ausschließlich ausgedienten deutschen Kavalleristen, zugeritten. Dieses
Vorgehen verursachte große Ausfälle unter den Pferden, fehlte
ihnen doch die Zeit, sich in der neuen Umgebung zu akklimatisieren. Der damalige Oberinstruktor der Kavallerie, Oberst Wille,
der spätere General, war der Initiant eines zentralen Remontendepots in Bern, das 1890 in Betrieb genommen wurde und aus dem
später die Eidgenössische Militiirpferdeanstalt hervorgegangen ist.
Unter ihren verschiedenen Kommandanten erwarb sie sich weltweit
den Ruf, eines der hervorragendsten Pferdeinstitute zu sein. Nachdem in den meisten Ländern die berittenen Einheiten längst
Für operative Eingriile wird das Plerd äul einen kippbaren Tisch gelegt.
mechanisierten Truppen hatten weichen müssen, blieb die EMPFA
eine der letzten Stätten, wo nach allen Regeln der Kunst Pferde
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gepflegt und gehegt, an Sattel und Reiter, an
Geschirr und Wagen
gewöhnt wurden.
Die Sorgfalt der Ausbildung beginnt (oder: begann; man gerat
in dieser Uebergangsperiodc leicht in sprachliche Unsicherheit)
mit der Akklimatisation der zukünftigen Eidgenossen. Von einer
,
Ankaufskommission ausgewählt
kamen sie zum Teil aus recht
entfernten Zuchtgebieten in unser Land, litten vielfach an «Kinderkrankheiten», mußten sich ans neue Futter, an das neue Klima, an die
neue Umgebung gewöhnen. Außer einer kleinen Zahl aus der
Inlandzucht stammten die zuletzt eingekauften Pferde beispielsweise aus Irland, Frankreich, Schweden und Polen. Irland lieferte
schon vor hundert Jahren und seither immer wieder Pferde für
die Schweizer Kavallerie. Ursprünglich zahlte auch Deutschland
ZU den Hauptlieferanten; Im Ersten Weltkrieg, als die europäischen
Pferdemarkte geschlossen waren, mußten im ganzen 3800 Pferde
aus Nordamerika per Schiff herbeigeschalft werden; ungarische
und spanische Pferde kamen nach Bern, in andern Jahren jugoslawische, dänische, portugiesische.
Reiter und Pferd im Gleichgewicht
Die Akklimatisationszeit beträgt im Durchschnitt sechs Monate.
In dieser Zeit überwindet das junge Pferd die «Kinderkrankheiten«, erholt sich und wird durch die Bewegung auf der Weide
gekräftigt. Bei Pflege und Weidgang wird der «Jugendspeck» allmählich durch Muskeln ersetzt; Das Pferd soll mit besten gesundheitlichen Voraussetzungen in die Ausbildung kommen.
In einem Vorbereitungskurs wird die sogenannte Jungremonte
nach Abschluß der Akklimationszeit schrittweise in ihre zukünftige Aufgabe eingeführt. Die Mehrzahl der angekauften Pferde
kennen bis dahin weder Sattel noch Reiter, und es bedarf eines
subtilen Vorgehens, dem Tier in dieser Phase keine psychischen
und keine physischen Schäden zuzufügen. In der Regel zahlt sich
ein ruhiges, geduldiges und behutsames Angewöhnen der rohen
(noch ungeschulten) Pferde an Sattelzeug und Reitergowicht bei der
weiteren Ausbildung bestens aus. Reitlehrer und Bereiter haben
darauf zu achten, das Vertrauen des Pferdes zu gewinnen: an den
meisten Untugenden \on Pferden sind Jone Ausbilder und Reiter
g
schuld, die durch falsche Behandlun
das Pferd zu verstündlicher
Gegenwehr herausgefordert haben.
Die Remontcnausbildung, an deren Ende die Reife des Pferdes
zur Abgäbe an die Truppe ;.tand, nahm wiederum wie die Akklima-
Die Reitbahnen der Militärplcrdeanslall haben die beachtlichen Ausmaße von rund 20 la u 00 Meter.
tisation ein halbes Jahr in Anspruch. In dieser Zeit soll das Pferd
unter dem Reiter sein Gleichgewicht finden, die sogenannten
Hilfen annehmen, es wird nach und nach in allen drei Gangarten,
Schritt, Trab, Galopp, gearbeitet; es lernt über Hindernisse springen, wird an Verkehr und Lärm gewöhnt. Am Ende des Remontenkurses werden die Pferde inspiziert: sie werden an der Hand und
unter dem Reiter dem Waffenchef, dem Oberpferdearzt, dem
Kommandanten der Anstalt vorgeführt.
Im Militärdienst und zu Hause
Die Ausbildung der Remonte zum diensttauglichen Reitpferd
wurde in erster Linie von militärischen Gesichtspunkten bestimmt.
Dem Kavalleristen sollte ein Dienstpferd zur Verfügung stehen,
das er in allen Situationen, sowohl im Truppenverband wie im
Rund um das Blumcnlensler (die EMPFA unterhält eine eigene Gärtnerei)
die Tutclcintrugtingcn der erfolgreichsten Concourspicrdc.
Reitlehrer und Bereiter: Depolplerde wetden unter Umständen bis zur Hohen Schule ausgebildet. Aul dem Bild: Plerd in der Platte.
Nach der Arbeit werden die Plerde durch die Schwemme gelührt.
Alleingang, sicher beherrschen konnte. In der Militärpferdeanstalt
mußte aber auch die außerdienstliche Verwendung des Pferdes in
der Landwirtschaft vorbereitet werden. Denn ursprünglich rekrutierten sich die Dragoner zum größten Teil aus den Kreisen der
Bauernschaft; die Pferde wurden außerdienstlich mehr im Zug als
unter dem Sattel gebraucht.
Das Bild vom Bauern, der mit seinem Pferd zum Militärdienst
einrückt, ist allerdings bereits in den Jahren vor der Auflösung
der Kavallerie nicht intakt geblieben. Die weitgehende Mechanisierung der Landwirtschaft hat das Pferd vom Bauernhof verdrängt.
Die Kavallerierekruten stammten zuletzt zu über 50 Prozent nicht
mehr aus der Landwirtschaft. Aber gerade dort, wo die Eidgenossen noch auf dem Bauernhof standen, war es mit ihrer
Diensttauglichkeit nicht immer zum besten bestellt: Ihre frühere
Aufgabe leisten nun die Maschinen, das Pferd, das seine tägliche
Arbeit benötigt, bleibt vielfach untrainiert und verliert seine Kon-
Einspannen am Dresstirwagen. Alle Plerde werden iür Ihre Verwendbarkeit Im Zug ausgebildet.
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Äfjcr Leitung
dition. So nahm die Zahl der Dienstpferde, die jährlich ausgewechselt werden mußte, ständig zu. In Gedanken an die Eidgenossen,
die unbeschäftigt in den Ställen herumstehen, könnte man etwas
überspitzt die Ansicht vertreten, daß die Kavallerie schon Im
Interesse des Pferdes abgeschafft werden mußte.
Eine Sorge, die im Zusammenhang mit dem Verschwinden der
Kavallerie entstanden ist, wird die Militärpferdeanstalt allerdings
nicht belasten. Da die rund 3000 Eidgenossen dem Bund gehören,
mußte den Dragonern, die sie nun zu Dienst/wecken nicht mehr
brauchen, offeriert werden, die Pferde zurückzugeben. Gleichzeitig
gab man ihnen auch die Möglichkeit, die Pferde zu Bedingungen
zu erwerben, die angesichts der Preise, die heute auf dem privaten
Pferdemarkt verlangt werden, als äußerst günstig bezeichnet werden können. Wenn auch eine Portion Geschäftssinn mitspielen
dürfte, zeugt es dennoch von einer Anhänglichkeit an den ehemaligen >;Dienstkameraden», wenn lediglich 1,6 Prozent der Dragoner den Wunsch geäußert haben, ihre Pferde nach Bern zurückzugeben. Alle übrigen bleiben bei den Kavalleristen, obwohl sie
jetzt vom Umgang mit dem Pferd auf den Umgang mit dem Panzer
haben umlernen müssen.
Olympische Medaillen, Europa- und Weltmeister
Aus dem redlichen und gründlichen Ausbildungsprogramm, das
die Pferde in Bern absolvierten, entstanden vielfach Könner, die
im internationalen Spitzensport erfolgreich waren und den Ruf der
Eidgenössischen Militärpferdeanstalt weit über die Landesgrenzen
hinaustrugen. Die Einkaufssummen für die Remonten waren zwar
zu allen Zeiten eher bescheiden, doch war es sozusagen unvermeidlich, daß unter den Hunderten und Tausenden von Pferden
einzelne im Lauf ihrer Schulung sich als ungewöhnlich begabt
erwiesen. Sie blieben in der Regel als sogenannte Depotpferde, die
die Kriegsreserve der Kavallerie bildeten, in besonderen Abteilungen der Anstalt, je naci Begabung im Spring-, Schul- oder Fahrstall.
An internationalen Erfolgen aus der jüngeren Vergangenheit
ist dabei vor allem das Auftreten der Dressurequipe während der
sechziger Jahre in Erinnerung geblieben, mit Henri Chammartin,
Gustav Fischer, Hansruedi Thomi, zu denen sich als Zivilistin
Marianne Gossweiler gesellte. Die Wände mit den Erinnerungstafeln und den Stallplaketten zeugen in Bern von den großen
Erfolgen: Europameisterschaften in Kopenhagen, Silbermedaille an
den Olympischen Spielen in Rom, Gold in Tokio und vieles
anderes mehr. Pferdenamen, die in der jüngsten Geschichte des
Dressursportes eine Rolle gespielt haben, bleiben über den Bestand
der EMPFA. hinaus verzeichnet: Wolfdietrich, Wöhler, Woermann,
Wald, Mecca, Sod und wie sie alle hießen.
Der Fahrstall beteiligt sich mit seinen Vierergespannen seit
Jahren an den Prüfungen in Aachen. 1972 wurde die erste Weltmeisterschaft der Fahrer in Münster, Westfalen, und ein rJ a h
später die erste Europameisterschaft in Windsor vom EMPFAFahrer Auguste Dubey gewonnen.
Aul dem Areal der Militürplerdcanatnll bläst noch heute ein Trompeter
zum An- und Abtreten.
Das Ende einer «Belle epoque»
Das Rückzugsgefecht der schweizerischen Kavallerie ist abgeschlossen. Ein paar hundert Eidgenossen kommen unter den Hammer. Im Sand bei Schönbühl wird ein Refugium an die in Wahrheit
t
langs
vergangene Zeit der militärischen Reitertruppe erinnern.
Eine «Belle epoque» der Reiterei ist abgeschlossen. Eine Epoche
war es, in der noch einmal alles, was während Jahrhunderten für
die Erziehung und die Ausbildung des Pferdes erkannt worden ist,
erfolgreich zur Anwendung kam. Daß gleichzeitig mit dem Abbau
der berittenen Einheiten die zivile Reiterei als Sport- und Freizeitbetätigung einen unerwarteten Aufschwung genommen hat
in
einer Art Gegenläufigkeit zu Mechanisierung, Automatisierung,
Rationalisierung und Motorisierung
mag dem Pferdefreund ein
,
Trost sein. Doch ist die neue «Pferdehaltung» im weitesten Sinne
vergleichbar,
jener
die in der Eidgenössischen
nicht überall mit
Militärpferdeanstalt gepflegt worden ist; im zivilen Sportstall ist
geneigt,
nach neuzeitlichen und außerdem menschlichen Maßman
stäben vorzugehen: kurzfristig und schnellebig. Das Pferd jedoch
hat die Eile unserer Zeit nie mitgemacht; es hat den ihm eigenen
Lebensrhythmus beibehalten. In der Militärpfprdeanstalt von Bern
wußte man davon und richtete den Ausbildungsplan danach ein.
Es wäre wertvoll, wenn von dem Geist, der die EMPFA noch heute
beherrscht, etwas in die Zukunft gerettet werden könnte.
Luxuriöses Geschirr, zum Teil von Privaten geschenkt, wird bei Sportveranstaltungen sowie lür Neujahrs- und Staatsemplänge verwendet.
Bereitet mit Remonten beim Ausritt ins Gelände.
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