Jtcuc ÄfficrÄihinji /55 WOCHENENDE Sonntag, 2. September Y973 Nr. 405 (Fcrnaiisgabc Nr. 239) 55 Nnch Akklimatisation, Vorbercitungs- und Rcmon/cnkurs werrfen die Plcrdc vom Wallcnchci, vom Obetpierdcarzt und vom Kommandanten der Militiirpterdeanslalt inspixierl. Die letzten Eidgenossen Text und Aufnahmen von Peter Zimmermann Die Pferde der Schweizer Kavalleristen werden als Eidgenossen bezeichnet, obgleich sie seit hundert Jahren zum größten Teil Ausländer sind, Ausländer, die zu Eidgenossen wurden, nicht weil sie sich eingekauft hatten, sondern weil sie angekauft worden waren. Die Herkunft der volkstümlichen Bezeichnung von Pferden als Eidgenossen ist vage; der Begriff mag sich gebildet haben, weil Kavallerie-Bundespferd auch dann im Eigentum der Eidgenossenschaft blieb, wenn der Wehrmann es übernommen hatte. Der Kavallerist bezahlte zwar die Hälfte des Schatzungspreises, doch diente diese «Bezahlung» lediglich als Sicherheit: der berittene Soldat war zehn Jahre lang zwar Halter, aber nicht Eigendas tümer seines Pferdes. In den letzten Jahren erwarb der Bund jähr- lhi c bis zu (500 Remonten, ungefähr vierjährige, zur Hauptsache nicht zugerittene Pferde; 300 von ihnen benötigte man für die Kavallerie-Rekrutenschulen, 300 zur Remontierung, das heißt in diesem Falle zum Ersatz von dienstuntauglich gewordenen Dragonerpferden. Nach dem Entscheid des vergangenen Jahres, die Kavallerie in der Schweizer Armee aufzuheben, sind 1973 die Jungremontea aal dem Weg zur Weide in der Filiale Sand bei Schönbühl. Neue Zürcher Zeitung vom 02.09.1973 /56 56 Sonntag, J. September 1973 Nr. 405 (rernausgabe Nr. 239) WOCHENENDE Jlcnt 3iird|cr<;3ritiim\ In der Schmiede wird das helBe Elsen angepaßt. Das Beschlagen des Plerdes. Dragoner für ihre neue Aufgabe bei den Panzereinheiten umgeschult worden und keine Kavallerierekrutenschulen mehr durchgeführt worden. Mit der gleichen Eile konnte und durfte dagegen die Bereitstellung der Pferde nicht abgebrochen werden. Zum einen sind noch vor dem Entscheid 1972 im bis dahin normalen Rahmen 500 Pferde angekauft worden, zum andern sollte bis Ende 1973 eine allfällige Mobilmachung der Kavallerie sichergestellt sein. So stehen in der traditionsreichen Ausbildungsstätte der Eidgenossischen MiliUirpferdeanstaR (EMPFA) in Bern und ihrer Filiale im Sand bei Grauholz-Schönbühl, die zur Hauptsache der Akklimatisation neu erworbener Pferde dient, gleichsam die letzten Eidgenossen im Dienst. 5iW'». Eine Stätte der klassischen Reitkunst Aber mit dem zweifellos notwendig gewordenen Verzicht auf die Kavallerie sind auch die Tage der Militarplerdeanstalt in ihrer heutigen Form und Größe gezahlt. Bereits hat sich der Personalbestand von einst bis 7.u 500 Bediensteten auf nahezu 300 reduziert, und in den Stallungen, die rund 1500 Pferde aufnehmen können, stehen zurzeit noch etwas über 700. Neue Remonten sind 1973 selbstverständlich keine mehr erworben worden; die Liquidation des Pferdebestandes dürfte in zwei bis drei Jahren abgeschlossen sein. Vorgesehen ist, daß in der bisherigen Filiale im Sand eine letzte Ausbildungsstätte einige Zeit bestehen bleiben wird, um die In der Kuranstalt: Mundspülung bei einem Plerd im sogenannten Notstand, aus dem der «Patient» nicht ausbrechen kann. Pferde für die weiterhin berittenen Offiziere und Unteroffiziere der Traintruppe und für die Veterinartruppe bereitzustellen. Auf dem großen Areal in Bern aber werden die Stallgebäude, die Reitbahnen und die Werkstätten vermutlich nüchternen Buroblöcken weichen müssen. Mit der Auflösung der Eidgenössischen Militarpferdeanslalt iti Bern wird eine Institution (zumindest im bisherigen Umfang) verschwinden, die über nationale, militärische Bedeutung hinaus wichtigen Einfluß auf die Erhaltung der klassischen Reit- und Fahrkunst ausgeübt hat. Ihre Geschichte beginnt vor beinahe hundert Jahren mit der Militärorganisation von 1874, in welcher <;*fev Punktlörmlges Brennen mit glühendem Eisen aul dem Bild an der lokal wird unter anderem als tierärztlicher anästhesierten Fessel des Plerdes Eingrili bei chronischen Entzündungen angewendet. der «Unterhalt von Remontendepots» festgelegt worden ist. Diese h verteilten sich ursprünglic auf die Waffenplätze Bern, Aarau, Luzcrn, Zürich und Winterthur. Die jungen Pferde wurden hier sofort nach dem Ankauf von den Bereitern, bis 1890 fast ausschließlich ausgedienten deutschen Kavalleristen, zugeritten. Dieses Vorgehen verursachte große Ausfälle unter den Pferden, fehlte ihnen doch die Zeit, sich in der neuen Umgebung zu akklimatisieren. Der damalige Oberinstruktor der Kavallerie, Oberst Wille, der spätere General, war der Initiant eines zentralen Remontendepots in Bern, das 1890 in Betrieb genommen wurde und aus dem später die Eidgenössische Militiirpferdeanstalt hervorgegangen ist. Unter ihren verschiedenen Kommandanten erwarb sie sich weltweit den Ruf, eines der hervorragendsten Pferdeinstitute zu sein. Nachdem in den meisten Ländern die berittenen Einheiten längst Für operative Eingriile wird das Plerd äul einen kippbaren Tisch gelegt. mechanisierten Truppen hatten weichen müssen, blieb die EMPFA eine der letzten Stätten, wo nach allen Regeln der Kunst Pferde Neue Zürcher Zeitung vom 02.09.1973 405/57 Slcue Jirriicr ;!ciliin<;i WOCHENENDE Sonntag, 2. September 197.1 Nr. 405 (Fernausgabe Nr. 239) gepflegt und gehegt, an Sattel und Reiter, an Geschirr und Wagen gewöhnt wurden. Die Sorgfalt der Ausbildung beginnt (oder: begann; man gerat in dieser Uebergangsperiodc leicht in sprachliche Unsicherheit) mit der Akklimatisation der zukünftigen Eidgenossen. Von einer , Ankaufskommission ausgewählt kamen sie zum Teil aus recht entfernten Zuchtgebieten in unser Land, litten vielfach an «Kinderkrankheiten», mußten sich ans neue Futter, an das neue Klima, an die neue Umgebung gewöhnen. Außer einer kleinen Zahl aus der Inlandzucht stammten die zuletzt eingekauften Pferde beispielsweise aus Irland, Frankreich, Schweden und Polen. Irland lieferte schon vor hundert Jahren und seither immer wieder Pferde für die Schweizer Kavallerie. Ursprünglich zahlte auch Deutschland ZU den Hauptlieferanten; Im Ersten Weltkrieg, als die europäischen Pferdemarkte geschlossen waren, mußten im ganzen 3800 Pferde aus Nordamerika per Schiff herbeigeschalft werden; ungarische und spanische Pferde kamen nach Bern, in andern Jahren jugoslawische, dänische, portugiesische. Reiter und Pferd im Gleichgewicht Die Akklimatisationszeit beträgt im Durchschnitt sechs Monate. In dieser Zeit überwindet das junge Pferd die «Kinderkrankheiten«, erholt sich und wird durch die Bewegung auf der Weide gekräftigt. Bei Pflege und Weidgang wird der «Jugendspeck» allmählich durch Muskeln ersetzt; Das Pferd soll mit besten gesundheitlichen Voraussetzungen in die Ausbildung kommen. In einem Vorbereitungskurs wird die sogenannte Jungremonte nach Abschluß der Akklimationszeit schrittweise in ihre zukünftige Aufgabe eingeführt. Die Mehrzahl der angekauften Pferde kennen bis dahin weder Sattel noch Reiter, und es bedarf eines subtilen Vorgehens, dem Tier in dieser Phase keine psychischen und keine physischen Schäden zuzufügen. In der Regel zahlt sich ein ruhiges, geduldiges und behutsames Angewöhnen der rohen (noch ungeschulten) Pferde an Sattelzeug und Reitergowicht bei der weiteren Ausbildung bestens aus. Reitlehrer und Bereiter haben darauf zu achten, das Vertrauen des Pferdes zu gewinnen: an den meisten Untugenden \on Pferden sind Jone Ausbilder und Reiter g schuld, die durch falsche Behandlun das Pferd zu verstündlicher Gegenwehr herausgefordert haben. Die Remontcnausbildung, an deren Ende die Reife des Pferdes zur Abgäbe an die Truppe ;.tand, nahm wiederum wie die Akklima- Die Reitbahnen der Militärplcrdeanslall haben die beachtlichen Ausmaße von rund 20 la u 00 Meter. tisation ein halbes Jahr in Anspruch. In dieser Zeit soll das Pferd unter dem Reiter sein Gleichgewicht finden, die sogenannten Hilfen annehmen, es wird nach und nach in allen drei Gangarten, Schritt, Trab, Galopp, gearbeitet; es lernt über Hindernisse springen, wird an Verkehr und Lärm gewöhnt. Am Ende des Remontenkurses werden die Pferde inspiziert: sie werden an der Hand und unter dem Reiter dem Waffenchef, dem Oberpferdearzt, dem Kommandanten der Anstalt vorgeführt. Im Militärdienst und zu Hause Die Ausbildung der Remonte zum diensttauglichen Reitpferd wurde in erster Linie von militärischen Gesichtspunkten bestimmt. Dem Kavalleristen sollte ein Dienstpferd zur Verfügung stehen, das er in allen Situationen, sowohl im Truppenverband wie im Rund um das Blumcnlensler (die EMPFA unterhält eine eigene Gärtnerei) die Tutclcintrugtingcn der erfolgreichsten Concourspicrdc. Reitlehrer und Bereiter: Depolplerde wetden unter Umständen bis zur Hohen Schule ausgebildet. Aul dem Bild: Plerd in der Platte. Nach der Arbeit werden die Plerde durch die Schwemme gelührt. Alleingang, sicher beherrschen konnte. In der Militärpferdeanstalt mußte aber auch die außerdienstliche Verwendung des Pferdes in der Landwirtschaft vorbereitet werden. Denn ursprünglich rekrutierten sich die Dragoner zum größten Teil aus den Kreisen der Bauernschaft; die Pferde wurden außerdienstlich mehr im Zug als unter dem Sattel gebraucht. Das Bild vom Bauern, der mit seinem Pferd zum Militärdienst einrückt, ist allerdings bereits in den Jahren vor der Auflösung der Kavallerie nicht intakt geblieben. Die weitgehende Mechanisierung der Landwirtschaft hat das Pferd vom Bauernhof verdrängt. Die Kavallerierekruten stammten zuletzt zu über 50 Prozent nicht mehr aus der Landwirtschaft. Aber gerade dort, wo die Eidgenossen noch auf dem Bauernhof standen, war es mit ihrer Diensttauglichkeit nicht immer zum besten bestellt: Ihre frühere Aufgabe leisten nun die Maschinen, das Pferd, das seine tägliche Arbeit benötigt, bleibt vielfach untrainiert und verliert seine Kon- Einspannen am Dresstirwagen. Alle Plerde werden iür Ihre Verwendbarkeit Im Zug ausgebildet. Neue Zürcher Zeitung vom 02.09.1973 57 758 511 Sonntag, 2. September 1973 Nr. 405 (Fcrnausgabc Nr. 2.19) WOCHENENDE illcuc Äfjcr Leitung dition. So nahm die Zahl der Dienstpferde, die jährlich ausgewechselt werden mußte, ständig zu. In Gedanken an die Eidgenossen, die unbeschäftigt in den Ställen herumstehen, könnte man etwas überspitzt die Ansicht vertreten, daß die Kavallerie schon Im Interesse des Pferdes abgeschafft werden mußte. Eine Sorge, die im Zusammenhang mit dem Verschwinden der Kavallerie entstanden ist, wird die Militärpferdeanstalt allerdings nicht belasten. Da die rund 3000 Eidgenossen dem Bund gehören, mußte den Dragonern, die sie nun zu Dienst/wecken nicht mehr brauchen, offeriert werden, die Pferde zurückzugeben. Gleichzeitig gab man ihnen auch die Möglichkeit, die Pferde zu Bedingungen zu erwerben, die angesichts der Preise, die heute auf dem privaten Pferdemarkt verlangt werden, als äußerst günstig bezeichnet werden können. Wenn auch eine Portion Geschäftssinn mitspielen dürfte, zeugt es dennoch von einer Anhänglichkeit an den ehemaligen >;Dienstkameraden», wenn lediglich 1,6 Prozent der Dragoner den Wunsch geäußert haben, ihre Pferde nach Bern zurückzugeben. Alle übrigen bleiben bei den Kavalleristen, obwohl sie jetzt vom Umgang mit dem Pferd auf den Umgang mit dem Panzer haben umlernen müssen. Olympische Medaillen, Europa- und Weltmeister Aus dem redlichen und gründlichen Ausbildungsprogramm, das die Pferde in Bern absolvierten, entstanden vielfach Könner, die im internationalen Spitzensport erfolgreich waren und den Ruf der Eidgenössischen Militärpferdeanstalt weit über die Landesgrenzen hinaustrugen. Die Einkaufssummen für die Remonten waren zwar zu allen Zeiten eher bescheiden, doch war es sozusagen unvermeidlich, daß unter den Hunderten und Tausenden von Pferden einzelne im Lauf ihrer Schulung sich als ungewöhnlich begabt erwiesen. Sie blieben in der Regel als sogenannte Depotpferde, die die Kriegsreserve der Kavallerie bildeten, in besonderen Abteilungen der Anstalt, je naci Begabung im Spring-, Schul- oder Fahrstall. An internationalen Erfolgen aus der jüngeren Vergangenheit ist dabei vor allem das Auftreten der Dressurequipe während der sechziger Jahre in Erinnerung geblieben, mit Henri Chammartin, Gustav Fischer, Hansruedi Thomi, zu denen sich als Zivilistin Marianne Gossweiler gesellte. Die Wände mit den Erinnerungstafeln und den Stallplaketten zeugen in Bern von den großen Erfolgen: Europameisterschaften in Kopenhagen, Silbermedaille an den Olympischen Spielen in Rom, Gold in Tokio und vieles anderes mehr. Pferdenamen, die in der jüngsten Geschichte des Dressursportes eine Rolle gespielt haben, bleiben über den Bestand der EMPFA. hinaus verzeichnet: Wolfdietrich, Wöhler, Woermann, Wald, Mecca, Sod und wie sie alle hießen. Der Fahrstall beteiligt sich mit seinen Vierergespannen seit Jahren an den Prüfungen in Aachen. 1972 wurde die erste Weltmeisterschaft der Fahrer in Münster, Westfalen, und ein rJ a h später die erste Europameisterschaft in Windsor vom EMPFAFahrer Auguste Dubey gewonnen. Aul dem Areal der Militürplerdcanatnll bläst noch heute ein Trompeter zum An- und Abtreten. Das Ende einer «Belle epoque» Das Rückzugsgefecht der schweizerischen Kavallerie ist abgeschlossen. Ein paar hundert Eidgenossen kommen unter den Hammer. Im Sand bei Schönbühl wird ein Refugium an die in Wahrheit t langs vergangene Zeit der militärischen Reitertruppe erinnern. Eine «Belle epoque» der Reiterei ist abgeschlossen. Eine Epoche war es, in der noch einmal alles, was während Jahrhunderten für die Erziehung und die Ausbildung des Pferdes erkannt worden ist, erfolgreich zur Anwendung kam. Daß gleichzeitig mit dem Abbau der berittenen Einheiten die zivile Reiterei als Sport- und Freizeitbetätigung einen unerwarteten Aufschwung genommen hat in einer Art Gegenläufigkeit zu Mechanisierung, Automatisierung, Rationalisierung und Motorisierung mag dem Pferdefreund ein , Trost sein. Doch ist die neue «Pferdehaltung» im weitesten Sinne vergleichbar, jener die in der Eidgenössischen nicht überall mit Militärpferdeanstalt gepflegt worden ist; im zivilen Sportstall ist geneigt, nach neuzeitlichen und außerdem menschlichen Maßman stäben vorzugehen: kurzfristig und schnellebig. Das Pferd jedoch hat die Eile unserer Zeit nie mitgemacht; es hat den ihm eigenen Lebensrhythmus beibehalten. In der Militärpfprdeanstalt von Bern wußte man davon und richtete den Ausbildungsplan danach ein. Es wäre wertvoll, wenn von dem Geist, der die EMPFA noch heute beherrscht, etwas in die Zukunft gerettet werden könnte. Luxuriöses Geschirr, zum Teil von Privaten geschenkt, wird bei Sportveranstaltungen sowie lür Neujahrs- und Staatsemplänge verwendet. Bereitet mit Remonten beim Ausritt ins Gelände. Neue Zürcher Zeitung vom 02.09.1973
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