ist der Text, den wir seinerzeit veröffentlicht haben, noch einmal zum

Diskussionsbeitrag von Yvonne Diel anlässlich der Personalversammlung
der Stadt Essen am 11. März 2015 in der Grugahalle
Mein Name ist Yvonne Diel und ich arbeite seit 5 Jahren als Logopädin mit Zeitvertrag in der
integrativen Kita Imbuschweg.
Mit Ablauf des kommenden Kita-Jahres im Sommer 2016 droht mir die Arbeitslosigkeit, da mein
Vertrag auslaufen soll.
Der Landschaftsverband wird sich aus der Finanzierung der therapeutischen Stellen zurückziehen,
endgültig zum Sommer 2016. Damit haben alle Träger ein weiteres Jahr Zeit bekommen, um
Konzepte zu entwickeln, die es ermöglichen, die Therapeuten zu behalten. Noch mal, der
Landschaftsverband möchte keine komplette Abschaffung der Therapeuten in den Kitas, er möchte,
dass die Träger eine andere Art der Finanzierung finden, z.B. durch die Krankenkassen. Viele von uns
sind durch ihre Ausbildung berechtigt abzurechnen, andere könnten durch Sprachfördergelder oder
die FINK-Pauschale finanziert werden. Ich möchte damit sagen, ES GIBT MÖGLICHKEITEN, sie
müssen nur genauestens geplant, durchdacht und engagiert umgesetzt werden. Bis heute,
innerhalb eines Zeitraums von eineinhalb Jahren, gab es aber meines Wissens keine Verhandlungen
mit den Krankenkassen. Und das ist leider nur ein Beispiel für Dinge, die seit NICHT passieren. Worauf
gewartet wird weiß ich nicht. ICH habe keine Zeit abzuwarten. Ich bin ein Auslaufmodell, weil ich
Logopädin mit Zeitvertrag bin. Als ich vor fünf Jahren bei der Stadt angefangen habe, wurden
bevorzugt Therapeuten mit medizinischem Schwerpunkt eingestellt, Logopäden,
Physiotherapeuten, Ergotherapeuten. Das Argument damals war, dass wir mit den Kassen abrechnen
können.
Aktuell gibt es kein Abrechnungssystem mehr und ich muss voraussichtlich als eine der ersten
gehen, weil meine Ausbildung für das Landesjugendamt plötzlich ZU medizinisch und zu wenig
pädagogisch ist, um mich innerhalb einer Kita einzusetzen. Das Argument ist nach fünf Jahren
therapeutischer UND pädagogischer Arbeit in einer Kita für mich absolut nicht zu verstehen.
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Natürlich geht es zum einen um meine und unsere berufliche Existenz, aber vor allem sollte Ihnen
und uns doch das Wohl der behinderten Kinder am Herzen liegen.
Ich möchte nun einen beispielhaften Tagesablauf eines behinderten Kindes skizzieren, das unsere
Kita besucht. Ein Vergleich, wie er heute stattfindet und wie es nach 2016 aussehen wird.
Bitte stellen Sie sich vor, Max, vier Jahre alt, ein Kind mit Down Syndrom und ausgeprägten
Wahrnehmungsstörungen kommt an einem normalen Wochentag in die Kita. Um zehn Uhr erhält er
logopädische Therapie.
In der Morgenrunde wird besprochen, dass ein Kind aus der Gruppe genau in dieser Zeit Geburtstag
feiern wird. Spontan beschließt die Logopädin daraufhin, dass die Therapie eine Stunde nach hinten
und ein anderes Kind vorgezogen wird. So wird Max nicht vom Kta Alltag ausgeschlossen, erhält aber
dennoch seine Sprachtherapie.
Zur Mittagessenszeit ist Max unruhig. Durch seine Wahrnehmungsstörungen kann er Geräusche oft
nicht filtern oder zuordnen, sie machen ihm Angst. Die Tischgespräche der Kindern, das Klimpern
des Geschirrs, ein Glas knallt auf den Boden. Gut, dass die Therapeutin während des Essens nur für
ihn da ist, während sich die Erzieherin um die anderen Kinder kümmert. Sie beruhigt und begleitet
ihn beim Essen, unterstützt ihn mit fachlichen Handgriffen beim Trinken, das kann er aufgrund seiner
Behinderung nicht ohne Hilfe, und führt ihn immer wieder zur Essituation zurück.
Nach dem Mittagessen gibt es Pausenangebote für die Kinder.
Max geht gern zur Entspannung, ein Angebot der Motopädin, das mag er, es tut ihm gut und lässt
ihn ruhig und gefestigt in den Nachmittag starten. Das ist wichtig, denn er geht mit der Motopädin
und zwei anderen Kindern turnen.
Um 16.00 Uhr wird Max abgeholt, er ist ein bisschen müde, aber ausgeglichen und glücklich.
Der gleiche Tag nach 2016.
Max bekommt vormittags Logopädie. Er hat Glück, dass eine Praxis gefunden wurde, die in die Kita
kommt, und er nicht nach Kita-Ende noch eine Praxis aufsuchen muss. Therapie in der Kita machen
nicht viele, da es sich finanziell oft nicht für sie rentiert. In der Morgenrunde wird besprochen, dass
ein anderes Kind zur gleichen Zeit Geburtstag in der Gruppe feiert.
Max ist traurig, dass er nicht dabei sein kann. Die Logopädin kann ihre Therapie nicht verschieben,
sie muss nach der Therapie mit Max gleich weiter zum nächsten Patienten. Beim Mittagessen
erzählen die anderen Kinder vom Geburtstag. Sie fragen, warum Max nicht dabei war. Max weint.
Außerdem ist es ihm zu laut. Die Geräuschkulisse lässt ihn verzweifeln, er kann sich nicht auf sein
Essen konzentrieren. Er weint noch heftiger. Die Erzieherin bemüht sich, möchte ihm auch beim
Trinken helfen, aber sie ist allein in der Gruppe und muss sich auch um die anderen 18 Kinder
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kümmern. Ein Glas knallt auf den Boden. Nun schreit Max, die anderen Kinder halten sich die Ohren
zu, die Erzieherin erkennt mit einem Blick auf die Uhr erleichtert, dass es Zeit für die Pause ist.
Kein Entspannungsangebot für Max, es gibt keine Therapeuten mehr, die das anbieten könnten. Er
kommt nicht zur Ruhe.
Nach der Pause gehen alle Kinder turnen. Alle? Nein, Max nicht, er wird früher abgeholt, muss noch
zur Physiotherapie in die Praxis. Er weint, will nicht gehen, in der Praxis herrscht eine hohe
Fluktuation, die Therapeuten wechseln häufig. Außerdem möchte er lieber in der Kita turnen.
So wie alle Kinder. Aber ER ist immer anders.
Meine Damen und Herren, willkommen in der Inklusion!
Diese Inklusion wird sich so, wie sie geplant ist, zu einer Exklusion entwickeln. Behinderte
Kinder werden exkludiert, also ausgeschlossen, weil sie nicht mehr wie bisher am Kita-Alltag
teilhaben können.
Das pädagogische Personal wird weit über seine Grenzen belastet werden, denn JEDE Kita
wird nach 2016 behinderte Kinder aufnehmen, ohne dass zusätzliches Fachpersonal, also
Therapeuten da sein werden.
Bei dem Gedanken sollte jedem, der im Kita-Bereich arbeitet, angst und bange werden.
Ich habe dann sechs Jahre lang mein ganzes Herz in die Arbeit mit den Kindern im Imbuschweg
gesteckt, jeden Tag engagiert und mit Freude gearbeitet. Der Gedanke daran, dass alles, woran seit
Jahren mit Herzblut gearbeitet wurde, was gut war und mit jedem Tag besser wurde, dass das alles
einfach wegfallen soll und damit umsonst war, bricht mir das Herz!
Und ich stehe mit meiner Meinung nicht allein da. Schauen Sie sich um, schauen Sie sich die
Menschen an, die aufgestanden sind. Sie alle arbeiten im Kita-Bereich und sie alle sind nicht
einverstanden mit der geplanten Spar-Inklusion auf Kosten der behinderten Kinder!
Herr Oberbürgermeister, Herr Renzel, Frau Berg mit den Verantwortlichen im Jugendamt und der
Personalrat,
Sie alle wollen Inklusion, aber dann müssen Sie ein finanz- und kämmerertaugliches Konzept finden,
in dem weiterhin fachlich ausgebildetes, therapeutisches Personal existieren kann! Geben Sie dem
Kind einen anderen Namen, aber lassen Sie uns weiterhin engagiert und mit unbefristeten Verträgen
unsere Arbeit tun, sei es auch in geänderter Form, aber nutzen Sie unsere Fachlichkeit und unser
Potential.
Letztendlich profitieren wir alle davon, aber allen voran die Kinder, und um deren Wohl geht es hier!
Danke!
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