DIE INTERNATIONALEN WOCHEN GEGEN RASSISMUS 2016

DIE INTERNATIONALEN WOCHEN
GEGEN RASSISMUS 2016
Bericht zur Planungstagung am
21. September 2015 in Frankfurt/M.
Einleitung
Das Projekt INTERNATIONALE WOCHEN GEGEN
RASSISMUS schließt seit vielen Jahren Vereine,
NGOs, Minderheitenselbstorganisationen,
Bildungseinrichtungen,
Gewerkschaften,
Unternehmen,
Religionsgemeinschaften,
lokale Initiativen, einzelne Persönlichkeiten
sowie Städte und Gemeinden zusammen,
die sich gegen Rassismus engagieren. In dem
gemeinsamen
Veranstaltungsund
Aktionszeitraum um den 21. März – dem
UN-Tag gegen Rassismus – bündeln die
Kooperationspartner und lokalen Akteure
alljährlich
ihre
Aktivitäten,
um
öffentlichkeitswirksam ein Zeichen gegen
Rassismus zu setzen. Das Projekt
INTERNATIONALE WOCHEN GEGEN RASSISMUS
wurde im Jahr 2015 aus Mitteln des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge,
der Beauftragten der Bundesregierung für
Migration, Flüchtlinge und Integration, dem
Bündnis für Demokratie und Toleranz und
dem Hessischen Ministerium für Integration
und Soziales unterstützt sowie von weiteren
Sponsoren und Unterstützern gefördert.
Zu den Internationalen Wochen gegen
Rassismus vom 16.- 29. März 2015 wurden
bundesweit erstmals über 1.400 Aktivitäten
dokumentiert. So viel Engagement gab es
noch nie. Die Anzahl und Vielfalt der
Veranstaltungen zeigen, dass die UNWochen gegen Rassismus eine immer
stärkere
Bewegung
werden.
Dieses
beeindruckende Signal brauchen wir umso
mehr angesichts der besorgniserregenden
Entwicklungen
der
letzten
Monate:
Rassistische Gewalttaten sind auf dem
höchsten Stand seit der Definition »politisch
motivierte Kriminalität« im Jahr 2001 und
die Zahl der Straftaten gegen Unterkünfte
von Geflüchteten hatte sich 2014 gegenüber
dem Vorjahr bereits auf 175 verdreifacht.
Allein bis Anfang Oktober 2015 waren es
dann 490 Delikte und ein Ende dieser
besorgniserregenden Entwicklung ist derzeit
nicht abzusehen.
Wie
unsere
Antwort
auf
diese
Entwicklungen
im
Rahmen
der
Internationalen Wochen gegen Rassismus
2016 aussehen kann und weitere damit
verbundene Fragestellungen wurden bei der
Planungstagung für die Aktionswochen vom
10.-23. März 2016 unter dem Motto »100%
Menschenwürde – Zusammen gegen
Rassismus« diskutiert und reflektiert.
Unter den etwa 80 Teilnehmenden aus ganz
Deutschland waren sowohl Vertretungen
der Kooperationspartner, Unterstützer und
Sponsoren der INTERNATIONALEN WOCHEN GEGEN
RASSISMUS
(Anne
Frank Zentrum,
Antidiskriminierungsstelle des Bundes,
AWO, Der Paritätische Gesamtverband,
Deutsch-Türkische
Kulturolympiade/
Academy e.V., Deutscher Caritas Verband,
Diakonie, Gewerkschaft für Erziehung und
Wissenschaft (GEW), IG BCE, IG Metall,
Initiative
Schwarze
Menschen
in
Deutschland,
Internationaler
Bund,
Randstad Deutschland, Schule ohne
Rassismus – Schule mit Courage, terres des
hommes, UNITED for Intercultural Action,
Verband
binationaler
Familien
und
Partnerschaften, Volkshochschulen, World
University Service) als auch Aktive von
bundesweiten Einrichtungen und lokalen
Initiativen, von denen die Aktionswochen
vor Ort umgesetzt werden. Außerdem
nahmen Claudia Roth, Dr. Theo Zwanziger
und Giovanni Pollice vom Stiftungsrat der
Stiftung für die Internationalen Wochen
gegen Rassismus an der Tagung teil.
Die Planungstagung wurde mit freundlicher
Unterstützung des Bundesministeriums des
Innern durchgeführt.
Dr. Jürgen Micksch
Interkultureller Rat in Deutschland
Dr. Jürgen Micksch,
Vorsitzender
des
Interkulturellen Rates
und geschäftsführender Vorstand der
Stiftung für die
Internationalen
Wochen gegen Rassismus,
betont
in
seiner Einführung,
dass Rassismus viele Gesichter habe. Aktuell
versuchten Rassisten ganz Europa zu
verändern. Dies sei derzeit u.a. in Ungarn,
Frankreich und Österreich zu beobachten.
Vieles hänge nun von Deutschland ab.
Micksch informiert darüber, dass die
Planungstagung erstmals in Kooperation
zwischen dem Interkulturellen Rat und der
2014 gegründeten Stiftung für die
Internationalen Wochen gegen Rassismus
sattfindet. Hierzu begrüßt er die
Vertretungen des Stiftungsrates sowie
langjährige und neue Kooperationspartner,
Sponsoren und Unterstützer der Aktionswochen wie Randstad, den Bundesverband
Deutsche Tafel, United for Intercultural
Action, die Deutsch-Türkische Kulturolympiade
sowie
Vertretungen
der
Interkulturellen Woche, die in diesen Tagen
auf die Gründung vor 40 Jahren zurückblickt.
Abschließend stellt Micksch die Tagesordnung vor, die ohne Änderungen
angenommen wird und leitet dann zum
Beitrag von Claudia Roth über.
Claudia Roth
Stiftungsrat der Stiftung für die
Internationalen Wochen gegen
Rassismus
Claudia Roth erwähnt zu Anfang Ihres
Grußwortes, wie froh sie sei, Teil der großen
Familie gegen Rassismus zu sein.
Sie setzt dann einen Schwerpunkt auf die
aktuelle Flüchtlingsdebatte und hinterfragt,
was in der Welt los sei: Es gäbe derzeit zwar
die größte Zahl an Flüchtlingen, doch wir
vergessen, wo der überwiegende Teil dieser
Menschen verbleibt – 86% der Flüchtlinge
kommen überhaupt nicht nach Europa
sondern bleiben in den Herkunftsländern
oder in der umliegenden Region wie z.B. im
Libanon. Damit relativiere sich die
populistische Aussage, dass „alle zu uns
kommen wollen“.
Roth benennt die Hauptherkunftsländer
(Syrien, Irak, Afghanistan, Pakistan, Eritrea
u.a.) und kritisiert in diesem Zusammenhang
auch die Entwicklungspolitik, die zur
aktuellen Situation mit beigetragen hat.
Mit Blick auf
Europa bringt
sie ihre Sorge
zum Ausdruck,
dass Europa
und
seine
Werte
im
Begriff sind,
sich aufzulösen. Als Beispiele nennt sie
Entwicklungen in Ländern wie Ungarn (eine
rechtspopulistische Regierung), Slowakei
(will nur Christen aufnehmen), Polen („wir
wollen christlich bleiben“), Dänemark
(Schließung der Binnengrenzen), Griechenland (menschenunwürdiges Desaster z.B. auf
der Insel Kos) sowie die dramatische
Situation auf dem Balkan.
Claudia Roth kritisiert zudem die aktuelle
Antischlepperpolitik. Diese wolle ausschließlich mit militärischen Mitteln gegen
Schlepper vorgehen, habe aber keine Vision,
wie man gemeinsam Verantwortung übernehmen könnte, beispielweise mit der
Einrichtung eines Flüchtlingsfonds. Stattdessen baue man Mauern, Zäune und sei
erstmals offen mit Militär an den
europäischen Außengrenzen präsent.
In Deutschland gibt es nach Roths
Einschätzung sowohl Licht als auch Schatten.
Auf der positiven Seite sehen wir eine starke
Zivilgesellschaft und anders als in den 90er
Jahren seien Arbeitgeber bereit, geflüchtete
Menschen einzustellen. Auch die Grundsatzaussage der Kanzlerin zur Flüchtlingsdebatte 1 sei bemerkenswert. Andere Signale
hingegen kämen vom Innenmister de
Maizière.
Erschreckend sei, dass es mittlerweile 3 x
pro Woche Angriffe auf Asylunterkünfte
gäbe und dies nicht nur – wie häufig
angenommen – im Osten des Landes.
Roth befürchtet, dass Deutschland wieder
„leicht entflammbar“ sei. Die Debatte um
die Verschärfung des Asylrechts sei ein
Angriff auf das Grundrecht auf Asyl, die
Hierarchisierung von Menschen in „gute“
und „schlechte“ Flüchtlinge sehr gefährlich.
Den Schwerpunkt der Arbeit gegen
Flüchtlingsfeindlichkeit sieht Roth darin, die
Chancen in den Vordergrund zu stellen und
sich gleichzeitig weiter mit Bewegungen und
Parteien wie Pegida, der AfD oder NPD
auseinanderzusetzen. Hier wird es wichtig
sein, einen angemessenen Umgang zu
finden, insbesondere da das Feindbild
„Muslim“ wieder verstärkt geschürt wird.
Roth betont, dass darüber hinaus die
rassistischen Erscheinungsformen Antisemitismus und Antiziganismus nicht vergessen
werden dürften. Sie weist in diesem Kontext
auf
den
Zusammenhang
zwischen
1
"Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen,
uns noch entschuldigen zu müssen, dafür, dass wir in
Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist
das nicht mein Land". Angela Merkel, 15.09.2015
politischer Stimmungsmache und dem
Erstarken von Antiziganismus hin (Stichwort
„wer betrügt, fliegt“).
Im Hinblick auf das Tagungsprogramm und
mögliche Handlungsoptionen freut sich
Claudia Roth besonders über die Anwesenheit eines Vertreters des „Grandhotel
Cosmopolis“, denn der Austausch über
Modellprojekte und die Vernetzung
untereinander hätten eine wesentliche
Bedeutung in der Antirassismusarbeit.
Rückblick 2015 und
Planungen 2016:
Britta Graupner
Interkultureller Rat in Deutschland
Im ersten Teil ihres Berichts gibt Britta
Graupner einen Rückblick auf die
INTERNATIONALEN WOCHEN GEGEN RASSISMUS
2015, die vom 16.-29. März stattfanden.
Sie informiert über die neu gegründete
Stiftung zu den Internationalen Wochen
gegen Rassismus, die Vorbereitungstagung,
die im Oktober 2014 in Frankfurt/M. stattfand sowie über die Materialien, die im
Rahmen der Aktionswochen veröffentlicht
wurden. Neben den klassischen Kampagnenmaterialien gehörten hierzu: die
Neuauflage der Unterrichtsmaterialien
unter dem Titel „Die Internationalen
Wochen gegen Rassismus machen Schule –
Materialien
zur
rassismuskritischen
Bildungsarbeit“, die zusammen mit der
GEW veröffentlicht wurde, die Informationsbroschüre „Was ist
Rassismus?“ und ein
neuer Sprachflyer in
Englisch.
Außerdem
berichtet
Graupner
über die Kampagne
„Rassismus fängt im
Kopf an!“, die um Aufkleber ergänzt wurde.
Die Auswertung der Veranstaltungen –
erstmals über 1.400 Aktivitäten in über 300
Orten - zeigt, dass die Internationalen
Wochen gegen Rassismus eine immer
stärkere Bewegung werden. Sie sind zudem
eine wichtige Antwort auf „Pegida & Co.“
sowie
steigende
flüchtlingsfeindliche
Anschläge.
Rassismus weiterhin in den Fokus. Auch die
Themen
NS-Zeit,
Rechtsextremismus,
Alltagsrassismus,
Diskriminierung
von
Migrant_innen und Schwarzen Menschen
waren den Akteuren wichtig. Die
rassistischen Erscheinungsformen Antiziganismus und Antisemitismus gerieten
hingegen eher in den Hintergrund. Graupner
betonte, dass dies eine der Aufgaben für die
Aktionswochen 2016 sei.
Anschließend berichtet die Referentin über
die Projekte „Muslime und Flüchtlinge laden
ein“.
Der Trend der „eigenen Wochen“ in den
Städten setzte sich verstärkt fort. Eine
immer größere Anzahl von kommunalen
Trägern und lokalen Bündnissen beteiligte
sich
mit
eigenen
Veranstaltungsprogrammen. Dies fördere laut Graupner
die Vernetzung von lokalen Akteuren und
Bündnissen,
Synergieeffekte
würden
ermöglicht und das Identifikationsgefühl mit
den Aktionswochen durch Aktivitäten in der
„eigenen Stadt“ gestärkt.
Insbesondere kulturelle Veranstaltungsformen wie Theater, Film und Konzerte
sowie Vorträge und Diskussionen wurden
als Veranstaltungsform genutzt. Dies zeigt
eine starke kreative und inhaltliche
Auseinandersetzung mit den Themen.
Der thematische Schwerpunkt lag im
Bereich Flucht und Asyl, was deutlich macht,
dass
die
Hetze
der
„Pegida“Demonstrationen sowie die Anti-FlüchtlingsAgitation
nicht
ohne
Widerspruch
hingenommen wird. Diese zivilgesellschaftliche Bereitschaft wurde durch unser
neues Projekt „Veranstaltungen mit
Flüchtlingen“ aufgegriffen und unterstützt.
Durch die Fortführung des Projektes
„Muslime laden ein“ rückte die Auseinandersetzung
mit
Antimuslimischem
Im Jahr 2014 startete das Projekt „Muslime
laden ein“ mit 66 Veranstaltungen von und
mit Moscheegemeinden. Im März 2015
waren es dann noch mehr. Viele
Bürgermeister_innen sowie Staatsekretär_innen und Minister_innen haben zu diesem
Anlass Moscheen besucht. Darüber hinaus
befassten sich 300 Freitagsgebete des
Verbandes
Islamischer
Kulturzentren (ViKZ)
mit
den
UNWochen. 2
Erstmals im März 2015 wurde mit
Unterstützung von PRO ASYL auch dazu
angeregt, ähnliche Veranstaltungen von und
mit geflüchteten Menschen durchzuführen.
Statt erwarteter erster beispielhafter
Begegnungen, wurden über 70 Anträge
eingereicht, die größtenteils auch gefördert
werden konnten. Dies ist ein deutliches
Zeichen für die große Solidarität und
Bereitschaft, aufeinander zu zugehen.
Erste Veranstaltungen fanden auch mit
Angehörigen der Roma statt. Dieses Projekt
soll 2016 verstärkt werden.
2
Beim Besuch in der Rohrbacher Moschee in Heidelberg
am Freitag, 20. März 2015 (v. l.): Gemeindesekretärin
Aynur Ustasüleymanoglu, Oberbürgermeister Dr. Eckart
Würzner, Bülent Dogramaci, 1. Vorsitzender der DITIBGemeinde, Imam Ali Atlamaz, Filiz Ay, 2. Vorsitzende der
DITIB-Gemeinde. (Foto: Rothe)
Graupner berichtet dann über die
bundesweite Auftaktveranstaltung zu den
INTERNATIONALEN WOCHEN GEGEN RASSISMUS
2015, die am 16. März 2015 in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt/Kulturbüro
der Stadt Karlsruhe stattfand. Referierende
Teilnehmende waren der Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup, die Ministerin
für Integration des Landes BadenWürttemberg, Bilkay Öney, der Jurist Dr.
David Schneider-Addae-Mensah sowie der
Botschafter der Internationalen Wochen
gegen Rassismus 2015, Fritz Pleitgen.
Erneut konnten die Internationalen Wochen
gegen Rassismus ein starkes Medienecho
verzeichnen. Ursachen für die starke
Medienpräsenz sieht Britta Graupner in den
Debatten um „Pegida“ und der Flüchtlingsthematik, den Städten und Kommunen mit
eigenen Aktions-programmen, die zu einer
größeren Medienresonanz beitragen sowie
der Berichterstattung zur bundesweiten
Auftaktveranstaltung, die viele Millionen
Menschen erreicht.
Den Rückblick schließt
Graupner mit einem
Hinweis auf die ausführliche Dokumentation zu
den Aktionswochen 2015
ab, die aufzeigt
•
•
•
•
welche Akteure sich wo engagiert
haben,
welche Themen die Menschen beschäftigt haben,
wie vielfältig und kreativ das
gesellschaftliche Engagement gegen
Rassismus und Ausgrenzung war und
welches Medienecho dies hervorgerufen hat.
Nachfolgend informiert Britta Graupner
über die Planungen zu den kommenden
INTERNATIONALEN WOCHEN GEGEN RASSISMUS, die
von Donnerstag 10. bis Mittwoch, 23.März
2015 stattfinden werden.
Graupner erläutert, dass der Zeitraum durch
die frühen Osterfeiertage (Karfreitag = 25.
März, Ostersonntag und Ostermontag = 27.
und 28. März) erforderlich wurde.
Das neue Motto der Internationalen
Wochen gegen Rassismus 2016 lautet
„100% Menschenwürde – Zusammen gegen
Rassismus“.
Hiermit soll zum Ausdruck gebracht werden
 dass Rassismus die Menschenwürde
verletzt und wir zum 100%igen
Schutz
dieser
Menschenwürde
aufrufen. Die Menschenwürde ist für
keinen politischen oder ideologischen Zweck zu relativieren oder
verhandelbar!
 dass wir gemeinsam und solidarisch
gegen rassistische Einstellungen und
Handlungen stehen und diese nicht
ohne Widerspruch hinnehmen.
Graupner berichtet dann über die weiteren
Pläne zum Ausbau der Stiftung für die
Internationalen Wochen gegen Rassismus:
Durch die Stiftung soll die Arbeit nachhaltig
und über das ganze Jahr ausgestaltet
werden. So ist geplant, die Projekte
„Muslime laden ein“ sowie „Veranstaltungen mit Flüchtlingen/Roma“ auch über
den Zeitraum der Wochen gegen Rassismus
hinaus zu erproben. Im Juli fand ein erster
Stiftungstag statt, bei dem Vertreter_innen
der
Stiftungsgremien,
Gründungsstifter_innen und Partner der Internationalen Wochen gegen Rassismus zum
Austausch zusammen kamen. Die Stiftung
versucht nun, weitere Gelder zu akquirieren,
um ihre praktische Arbeit und die
Durchführung
von
Modellprojekten
aufzubauen.
Anschließend informiert Graupner über die
geplanten Materialien zu den Aktionswochen 2016.
Alle Fachbeiträge im Materialheft werden
durch Best-Practice-Beispiele und Literaturhinweise ergänzt.
Folgende Materialien
hinaus angeboten:
Für das Materialheft
sind - neben einem
einführenden
Text
vom Botschafter der
Aktionswochen
folgende Beiträge vorgesehen:
1. Schwerpunktthema: Geflüchtete
Menschen
• Miltiadis Oulios: „Umgang mit Geflüchteten – Die Fallstricke des humanitären
Ansatzes“
• Maximillian Pichl (PRO ASYL): „Wirkmechanismen der Ideologie der
Ungleichheit in der Flüchtlingspolitik“
(AT)
2. Antiziganismus
• Joachim Brenner (Förderverein Roma):
„Strukturen
von
antiziganistischen
Stereo-typen und ihre Korrelation zur
aktuellen Abschiebepolitik“ (AT)
•
•
•
•
•
•
•
•
werden
darüber
Mobilisierungsflyer
Mobilisierungsflyer in 11 verschiedenen
Herkunftssprachen
Mobilisierungsflyer in „Leichter
Sprache“
Broschüre „Was ist Rassismus?“
Broschüre „Die Internationalen Wochen
gegen Rassismus machen Schule –
Materialien zur rassismuskritischen
Bildungsarbeit“.
Aktionsplakate im Format DIN A2 und
DIN A1.
NEU: Ein Plakat-/Postkartenmotiv, in
dem das Motto „100% Menschenwürde“ aufgegriffen und mit dem
Schwerpunktthema „Geflüchtete“
verbunden wird.
Die begleitende Kampagne „Rassismus
fängt im Kopf an!“ wird um ein Motiv
zum Thema „Asylsuchende/
Geflüchtete“ ergänzt werden.
3. Antimuslimischer Rassismus
• Interview mit Inva Kuhn und Koray
Yilmaz-Günay: „Der Antimuslimische
Rassismus im Kontext von Pegida& Co.“
4. Antisemitismus
• Lagebild Antisemitismus 2015
5. Alltagsrassismus / Rassismustheorie
• Jonas Berhe (ISD): „Ich bin nicht
rassistisch, aber… - Was ist eigentlich
Rassismus?“
Zu den Projekten „Muslime laden ein“ sowie
„Veranstaltungen mit Flüchtlingen“ und
„Veranstaltungen mit Roma“ werden zudem
Informationsfaltblätter erstellt.
6. „Modellprojekte stellen sich vor“
Die Referentin gibt dann einen Überblick
über die Finanzierungssituation des
Projektes.
7. Weitere Themen
• Institutioneller Rassismus
• CERD + Parallelbericht
• Politisch motivierte Kriminalität rechts
• Verfassungsschutzbericht
• Daten und Fakten zu Asyl und Migration
Bei den Sponsoren aus der gewerblichen
Wirtschaft, die sich mit einem Betrag von
mindestens € 2.000,- beteiligen, haben sich
bereits die folgenden Unternehmen für eine
Fortführung der Unterstützung entschieden:
Gauselmann AG und Randstad Deutschland.
Nach Abschluss der Tagung hat sich auch die
LIDL Personaldienstleistung GmbH & Co. KG
positiv zurück gemeldet. Bei den weiteren
bisherigen Sponsoren kann von einer
Fortführung des überwiegenden Teils
ausgegangen werden.
Auch die große Zahl der zivilgesellschaftlichen Unterstützer wie Sportvereine
und -verbände, Gewerkschaften, religiöse
Einrichtungen, Stiftungen oder NGOs wird
das Projekt im kommenden Jahr finanziell
als auch inhaltlich unterstützen.
Die fast 50 Kooperationspartner unterstützen das Projekt inhaltlich und
multiplikatorisch. Als neue Kooperationspartner können für die Aktionswochen 2016
begrüßt werden:
•
•
Bundesverband Deutsche Tafel e.V.
Bundes Roma Verband e.V.
Von staatlicher Seite wird das Projekt seit
vielen Jahren vom Bundesministerium des
Innern (Tagung) finanziell gefördert. Anträge
laufen zudem beim Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge, der Beauftragten
der Bundesregierung für Migration,
Flüchtlinge und Integration sowie dem
Hessischen Ministerium für Soziales und
Integration.
Graupner informiert dann über das
Aktionsbündnis der Internationalen Wochen
gegen Rassismus: Die zahlreichen Akteure,
die sich jedes Jahr mit vielfältigen
Veranstaltungen beteiligen, sind die aktive
Basis der Internationalen Wochen gegen
Rassismus. Um diesen wichtigen Akteuren
eine Öffentlichkeit zu geben und sie in
einem Netzwerk zusammenzuschließen,
wurde
2014
das
„Aktionsbündnis“
gegründet.
Im Rahmen der Internationalen Wochen
gegen Rassismus 2015 ist das Aktionsbündnis auf fast 30 Initiativen angewachsen.
Für die Wochen 2016 ist eine Aktion
geplant, im Rahmen derer die lokalen
Mitglieder des Aktionsbündnisses Interessierte zu sich einladen und ihre Initiative, die
Vernetzung vor Ort und ihre Aktivitäten im
Rahmen der Internationalen Wochen gegen
Rassismus vorstellen und so andere zum
Mitmachen anregen. Die Aktion wird unter
dem Titel „Modellprojekte stellen sich vor“
im Materialheft beworben.
In dem Arbeitskreis „Muslime laden ein“
wurde vereinbart, das Projekt auch im Jahr
2016 weiterzuführen. Dabei soll ein
besonderes Gewicht auf Dialoge und
Begegnungen
mit
Kirchengemeinden,
Synagogengemeinden
und
anderen
religiösen Einrichtungen gelegt werden
(finanzielle Unterstützung erfolgt durch die
Robert Bosch Stiftung).
Auf Grund der großen Nachfrage im Rahmen
des Projektes „Veranstaltungen mit
Flüchtlingen“ soll auch dieses fortgeführt
werden (finanzielle Unterstützung durch
PRO ASYL ist beantragt). Im Jahr 2016 sollen
verstärkt auch Angehörige der Roma für
Veranstaltungen gewonnen werden, mit
denen in diesem Jahr bereits erste
Veranstaltungen
gestartet
wurden
(Finanzierung durch die Hildegard-LagrenneStiftung wurde angefragt).
Im Rahmen des Projektes soll kommunalen
Einrichtungen von Betroffenen erneut eine
finanzielle Unterstützung von in der Regel
bis zu 300 Euro für Veranstaltungen
(Referent_innen, Übersetzungen, Fahrtkosten, Räume etc.) angeboten werden.
Koordiniert werden die Projekte von Yasmin
Khurshid (yk(at)interkultureller-rat.de).
Die thematischen Schwerpunkte entlang des
Mottos
„100%
Menschenwürde
–
Zusammen gegen Rassismus“ benennt
Graupner für die Internationalen Wochen
gegen Rassismus 2016 wie folgt:
•
•
•
•
Anti-Flüchtlingsdebatte und steigende
Ablehnung und Gewalt gegen Geflüchtete und Asylsuchende: Debatten um
"gute" und "schlechte" Flüchtlinge;
Diskrepanz bei der Anerkennung von
Fluchtursachen; Rassismus im Bezug auf
Fluchtgruppen; Verschärfung von Asylrecht, Abschiebungen und Grenzkontrollen; Nützlichkeitserwägungen statt
Menschenwürde.
Antimuslimischer Rassismus und rechtspopulistische Bewegungen wie „Pegida“.
Antiziganismus und Antisemitismus
Alltagsrassismus, struktureller und
institutioneller Rassismus, Racial
Profiling.
Als besondere Herausforderungen für 2016
nennt Britta Graupner die folgenden:
•
•
Ausbau der Aktivitäten in Schulen
(Unterrichtsmaterialien weiterhin im
Angebot; Information und Mobilisierung
über Kooperationspartner und bundesweite Zusammenschlüsse wie den
Deutschen Landkreistag)
Bessere Verankerung der Aktionswochen in den neuen Bundesländern,
vor allem außerhalb der Städte. Im
ländlichen Raum finden bisher
vergleichsweise wenige Aktivitäten statt,
hier besteht aber ein besonderer Bedarf.
Mit Hinweisen auf folgende Veranstaltungen
zu den Internationalen Wochen gegen
Rassismus 2016 beendet Britta Graupner
ihren Bericht über die Planungen zu den
Aktionswochen 2016:
•
•
Eine Fortbildungstagung für Medienarbeit bei den Internationalen Wochen
gegen Rassismus wird am 30. November
2015 in Frankfurt/M. durchgeführt.
Die bundesweite Auftaktveranstaltung
zu den Internationalen Wochen gegen
Rassismus 2016 wird am 10. März 2016
in Halle (Saale) in Zusammenarbeit mit
„Halle gegen Rechts – Bündnis für
Zivilcourage“, der Landeszentrale für
politische Bildung Sachsen-Anhalt und
der Stadt Halle stattfinden.
Umgang mit
Geflüchteten –
Die Fallstricke des
humanitären Ansatzes:
Miltiadis Oulios
Journalist & Autor
Miltiadis
Oulios
konstatiert
zu
Beginn
seines
Vortrags dass
wir – im
wortwörtlichen Sinne – in bewegten und
bewegenden Zeiten leben. Er appelliert
zugleich dafür, nicht bei der Betroffenheit
stehen zu bleiben, die Bilder wie des
ertrunkenen Kindes Aylan bei uns auslösen.
Ihm liege dabei nicht daran, das Mitgefühl
zu diskreditieren, sondern die Fallen des
humanitären Diskurses aufzuzeigen und
eine Möglichkeit der Überwindung und
Veränderung vorzuschlagen.
Seit Monaten machen sich Geflüchtete von
Griechenland aus in einem „Marsch der
Hoffnung“ zu Fuß über die Bakanroute auf
den Weg nach Westeuropa und eigneten
sich das Recht auf Freizügigkeit innerhalb
der EU an, das ihnen von Rechts wegen
nicht zustand.
Dieser Aspekt ist nach Oulios das
Entscheidende. Diese Menschen könnten
sich auch anders verhalten: Sie könnten sich
in Griechenland registrieren lassen. Sie
hätten sich in Ungarn registrieren lassen
können. Trotz Aufforderung tun sie das
nicht. Bewusst nicht. Sie gehen nicht nach
Athen, sondern direkt an die griechischmazedonische Grenze. Sie steigen in Ungarn
nicht aus dem Zug, sie erkämpfen ihre
Weiterreise nach Österreich, Deutschland,
die Niederlande oder Schweden. Sie
könnten bleiben, wo sie sind. Sie tun es
nicht. Sie könnten sich von den Grenzzäunen und Polizeiknüppeln abschrecken
lassen. Sie tun es nicht. Sie überwinden sie.
Was die Betroffenen bisher klandestin durch
ihre illegalisierte Migrationspraxis taten, tun
sie nun offen. Sie protestieren an der
Außengrenze der EU zur Öffnung ebendieser
Grenze.
Der Begriff der Migration als soziale
Bewegung gewinnt damit eine neue,
wortwörtliche, Bedeutung, die viele vor
kurzem noch nicht für möglich gehalten
hätten. Und diese Bewegung findet auf
beiden Seiten statt. Ihre Entsprechung
findet sie bei den vielen, bundesweiten
Flüchtlinge-Willkommen-Aktionen.
Beide Seiten tun damit etwas hoch
Politisches: Sie erkennen das europäische
Grenzregime nicht an. Sie relativieren das
Recht und die Macht des Staates, Grenzen
zu setzen.
Oulios betont, dass es in den kommenden
Monaten wichtiger denn je sein wird, wie
diese Praxis eine politische Artikulation
finden kann.
Dies vor allem vor dem Hintergrund der
Pläne des Innenministers Thomas de
Maizière wie auch der EU, mehr
Abschiebungen durchzuführen und wieder
mehr Kontrolle herzustellen.
Oulios stellt in diesem Kontext bewusst den
Zusammenhang zu Rassismus her. Dies nicht
nur in dem Sinne, welche Leben im
Mittelmeer für Wert befunden werden,
gerettet zu werden und welche nicht,
sondern im Sinne von Rassismus als soziales
Kräfteverhältnis: Die Antwort auf den
Verlust der Kontrolle über die Migration
lautet – in dem Bewusstsein, dass diese
Kontrolle nicht absolut hergestellt werden
kann – Entrechtung.
Entrechtung von Menschen, die als Teil
unserer Gesellschaft von grundlegenden
Rechten in unserer Gesellschaft ausgeschlossen werden: Das Recht, dort zu
wohnen, wo man möchte, das Recht zu
arbeiten oder zu studieren.
Nach Oulios‘ Einschätzung haben wir es hier
mit einer paradoxen Situation zu tun: Wir
leben in einer Einwanderungsgesellschaft
und in einer Welt, in der Globalisierung und
Mobilität die Norm sind. Gleichzeitig wird
vielen Menschen, die aus Krieg oder Armut
fliehen und gute Gründe haben, sich auf den
Weg zu machen, dieses Recht auf
Bewegungsfreiheit verwehrt.
Für die Betroffenen bedeutet das:
Entwurzelung und Aberkennung von
Rechten: Sie leben zwar in einer
globalisierten Welt, haben aber das Pech,
aus einem weniger privilegierten Land zu
kommen, und dürfen deshalb nicht selbst
entscheiden, wo sie leben. Wenn sie
dennoch hier angekommen sind, werden sie
aufgrund ihrer Herkunft in einem Status der
Entrechtung festgehalten und untergeordnet. Da viele aber trotzdem nicht
gehen, wird damit eine moderne Form der
sozialen Apartheid institutionalisiert. So
funktioniert Rassismus heute.
Oulios plädiert dafür, dass wer sich für die
Überwindung von Rassismus und das
Zusammenleben über Grenzen hinweg
einsetzen möchte, sich nun dafür
engagieren muss, dass die beschriebene
Politik nicht umgesetzt werden kann. Wenn
die Willkommenskultur ernst gemeint ist,
dann muss sie nun politisch werden und hier
weitergeführt werden.
An diesem Punkt verdeutlicht Oulios die
Fallstrickte des humanitären Ansatzes: Denn
die Menschen, um die es geht, geben sich in
der Praxis nicht nur mit den Menschenrechten und dem Menschsein, der bloßen
Rettung ihres
menschlichen Lebens
zufrieden.
Sie verlangen praktisch etwas, das über den
Horizont der bloßen Menschlichkeit
hinausgeht. Etwas, das letztlich nicht
humanitär sondern nur politisch begründet
werden kann.
Nicht der Mensch an sich, sondern nur ein
Bürger kann nicht abgeschoben werden. Nur
der Status eines Bürgers erlaubt es einem
Menschen im gegebenen Kontext nicht begründen zu müssen, weshalb er oder sie an
einen Ort ziehen oder dort bleiben will. Die
Geflüchteten praktizieren damit aktuell
unter prekären Bedingungen ein transnationales, mithin sogar ein Weltbürgerrecht, das
es offiziell noch nicht gibt. Sie verhalten sich
als Bürger dieser Welt, auch wenn es dafür
noch keinen Pass gibt. Aber sie verhalten
sich so, als ob auch sie das Recht hätten.
Der Begriff der Menschlichkeit erlaubt solch
einen politischen Zugang nicht. Er
entpolitisiert die Anliegen und den Konflikt
um das Recht auf den Zugang zu Rechten.
Zum Recht auf Bewegungsfreiheit, auf
Flucht, auf Migration, auf Bleiberecht.
Menschen, die abschiebbar sind und sich
dagegen wehren, verlassen sich praktisch
gesehen nicht auf den Begriff der
Menschlichkeit, sondern nehmen das Recht
auf Migration selbst in die Hand.
Ein Recht, das ihnen der humanitäre Diskurs
und die Menschenrechte nicht bieten
können. Denn die Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte artikuliert zwar das Recht
seinen Staat zu verlassen, aber nicht das
Recht in einen anderen einzuwandern, ohne
dies das Recht auf Flucht aber in der Praxis
nicht realisiert werden kann.
Welche Utopie steckt nun in der Praxis der
Menschen, die illegalisiert die EU-Grenzen
überschreiten, die sich in Deutschland gegen
ihre Ausgrenzung und Abschiebung wehren
oder die sich mit den Betroffenen
solidarisieren und dadurch Abschiebungen
auch verhindern? Sie setzen damit implizit
den Anspruch auf globale Rechte für alle auf
die politische Agenda.
Viel wichtiger aber: Sie können als Vorhut
einer neuen Ordnung gelesen werden. Einer
Ordnung, in der eine neue Form von
grenzüberschreitender Bewegungsfreiheit
garantiert wird, die über die jetzigen
Formen
hinausgeht.
Veränderungen
entstehen,
wenn
Migranten
und
Geflüchtete nicht mehr Empfänger von
Mitgefühl sein wollen, sondern sich selbst
zum politischen Subjekt machen.
Abschließend betont Miltiadis Oulios, dass
die Aufgabe nun darin besteht, wie wir eine
Politik entwickeln können, die von diesem
Akt der Emanzipation ausgeht und die nicht
bloß an das Mitgefühl appelliert.
Frage- und
Diskussionsrunde
Die
anschließende
Frageund Diskussionsrunde eröffnet
der Vorsitzende
des
Stiftungsrates der Stiftung
für die Internationalen Wochen gegen Rassismus, Dr. Theo
Zwanziger.
Er merkt an, dass die von Miltiadis Oulios
angesprochene neue Ordnung von der
Entwicklung
der
Willkommenskultur
abhänge. Derzeit überwiegen zwar die
positiven Aspekte, doch Zwanziger fragt, wie
nachhaltig diese seien. Dies würde sich
daran messen lassen, wie die Diskussionen
a) im Privaten und b) in den Medien
verlaufen.
Im Privaten dürfe man mit der aktuellen
Flüchtlingssituation nicht überfordert sein,
wenn noch gar nichts passiert sei. Auch
Politiker_innen
nutzten
das
Wort
„Überforderung“ zu häufig. Ein weiteres, oft
in der Debatte genanntes Argument, sei das
Geld. Doch wenn man die geflüchteten
Menschen, die zu uns kommen, teilhaben
lässt, könnten diese auch zur Gesellschaft
und Wirtschaft beitragen. Dies sei auch eine
gute Aussicht für die Zukunft, die man
immer wieder deutlich machen sollte.
Für den Bereich der Medien nennt
Zwanziger je ein Beispiel, wie die
Willkommenskultur positiv bzw. negativ
beeinflusst werden könne. Als positiv
empfand er den Bericht über einen
Polizisten, der Arabisch gelernt hat, um
besser mit den Geflüchteten kommunizieren
zu können. Als äußerst negativ bewertet er
die aktuelle Aussage von Edmund Stoiber,
der Islam gehöre nicht zu Deutschland, da
diese Haltung gegen das Grundgesetz
verstoße.
Zwanziger plädiert dafür, dass wir die
Menschen, die Flüchtlinge willkommen
heißen, für uns und unsere Arbeit gegen
Rassismus gewinnen müssen. Dann können
die positiven Beispiele und Stimmen – die es
zu stärken gilt - die Angst vor Überforderung
nehmen. Umgekehrt müssten rechte
Politikerstimmen deutlich gebrandmarkt
werden.
Miltiadis Oulios ergänzt, dass man aus
seiner Sicht den Menschen klar machen
müsse, dass sich die Gesellschaft bereits
verändert habe und weiter verändere. Und
dies unabhängig davon, ob es gewollt sei
oder nicht. Egal, welche Vorbehalte es
gegenüber der Migration und Einwanderung
gibt, die Veränderung sei bereits im Prozess.
Es sei überflüssig und „vergebene
Liebesmüh“, jetzt noch Diskussionen über
Abschottung,
Abschiebung
oder
Flüchtlingskategorien zu führen. Stattdessen
müsse über neue Formen von Migration und
eine neue Gesellschaftsordnung gesprochen
werden, die zu beiderseitigem Vorteil
beiträgt.
Dr. Konrad Buschbeck, Gründerstifter, hält
die Aussagen von Dr. Zwanziger für hilfreich
und meint, wir sollten die rechtliche
Orientierung von Miltiadis Oulios als
Ausgangspunkt
nehmen
und
seine
Vorstellung
einer
neuen
Ordnung
aufgreifen.
Elina Stock von der Gewerkschaft Erziehung
und Wissenschaft ergänzt die Verantwortung der Medien sowie Oulios‘
elementare Visionen um den Bereich der
Bildung. Die Information über das Recht auf
Bildung sei wichtig. Hierbei seien Bildungsinstitutionen sowie Pädagog_innen gefordert und spielten eine wesentliche Rolle.
Stock plädiert für eine Informationskampagne für Ankommende im Hinblick auf
den Bildungsbereich.
Martin Zieraus von der Bahá'i-Gemeinde
Deutschland betont, dass die Diskussion
über die Entwicklung der Gesellschaft und
einer neuen Ordnung – und damit auch über
Rassismus – wesentlich sei.
Miltiadis Oulios stimmt dem zu und hält eine
übergeordnete Diskussion zur Frage „Wie
wollen wir morgen leben?“ für unumgänglich. Die Grundfrage sei, wie wir mit dem
Thema Flucht & Migration morgen anders
als heute umgehen. Er plädiert für mehr
Freiheit und dafür, das was heute illegal passiere, zu legalisieren. Es passiere ohnehin.
World-Café
Pro Thementisch lädt ein Tischpate/eine
Tischpatin zu Gesprächen ein, in denen
aktuelle rassistische Erscheinungsformen
sichtbar gemacht und Handlungsoptionen
sowie Modellprojekte diskutiert werden.
Tisch 1: Was ist eigentlich Rassismus?
Tahir Della (Vorstand Initiative Schwarze
Menschen in Deutschland)
Rassismus zu
erkennen
ist
wesentlich, um
sich mit ihm
auseinander
setzen
zu
können.
Doch wo fängt Rassismus an? Rassismus und
rassistische Äußerungen und Handlungen zu
identifizieren fällt nicht immer leicht. Der
Begriff ist komplex und zudem hoch
politisiert, sodass auf individueller als auch
gesellschaftlicher Ebene oft Widerstände
gegen ihn wirksam sind.
Tisch 2: Umgang mit Pegida & Co.
Miltiadis Oulios (Journalist & Autor)
Wie
sollen
Zivilbevölkerung
und Staat mit
rechtspopulistischen und zum
Teil
rassistischen Bewe-gungen wie „Pegida & Co.“ oder der AfD, die
sich offen als ihr Sprachrohr geriert,
umgehen? Bereitschaft zum Dialog zeigen
oder Widerstand organisieren? Oder
braucht es ein neues, von Menschenwürde
geprägtes, gesellschaftliches „Leitbild“?
Tisch 3: Was tun gegen Populismus, Hetze
und Gewalt gegenüber Geflüchteten?
Michael Sturm (Mobile Beratung im Regierungsbezirk Münster. Gegen Rechtsextremismus, für Demokratie)
Tröglitz,
Freital,
Meißen – nur
einige Stichworte für den
steigenden
Populismus
und Gewalt gegen geflüchtete Menschen.
Demgegenüber steht eine große und
solidarische Ehrenamtsbewegung. Was
braucht es, um den flüchtlingsfeindlichen
Entwicklungen entgegenzuwirken, rassistischer Stimmungsmache keinen weiteren
Nähr-boden zu bieten und die solidarische
Zivilgesellschaft zu stärken?
(s. Anlage für eine detaillierte Beschreibung
der Diskussion und ihrer Ergebnisse)
Tisch 4: Muslime laden ein
Yasmin Khurshid (Interkultureller Rat)
Am
Tisch
wurde Interessierten
das
seit
2014 durchgeführte
Projekt
„Muslime laden ein“ vorgestellt, das den
Austausch von Muslimen und Nichtmuslimen zum Ziel hat. Informationen gab
es zum Ablauf und zur Durchführung einer
entsprechenden Veranstaltung. Zudem
wurden einige Best-Practice-Beispiele aus
dem Jahr 2015 vorgestellt. Für 2016 ist eine
Ausweitung des Projekts auf das ganze Jahr
mit Themenschwerpunkt „Flüchtlinge“ und
einer verstärkten Zusammenarbeit mit
Kirchengemeinden und Synagogen geplant.
Frau Abdelkadir von der Muslimischen
Jugend in Deutschland präsentierte ein
weiteres Projekt mit ähnlichem Konzept:
„Tea Time“ – Zeit für (D)eine Teegegnung.
Muslim_innen laden hierbei Nachbarn oder
Bekannte zum Tee zu sich nach Hause ein,
um ungezwungen ins Gespräch zu kommen
und sich fernab von Vorurteilen kennenzulernen (nähere Informationen unter:
teegegnungen.com).
Folgende Ergebnisse des Thementisches
sind festzuhalten:
•
•
Die Flüchtlingsarbeit religiöser Gemeinden (insbesondere muslimischer) sollte
gestärkt werden, da sich viele Geflüchtete stark über ihre Religionszugehörigkeit definieren und entsprechend auch
dort Ansprechpartner suchen.
Häufig bestehen beiderseits – auf
muslimischer und nichtmuslimischer
Seite – Unsicherheiten bzgl. der Kommunikation und des Umgangs miteinander,
so dass häufig trotz grundsätzlicher
Bereitschaft eine tatsächliche Zusammenarbeit oder gemeinsame Initiativen
nicht zustande kommen. Diese Erfahrung teilten verschiedene Teilnehmende
des Thementisches.
•
•
Es ist darauf zu achten, dass auch die
ablehnende Haltung einiger (junger)
Muslime gegenüber Andersgläubigen
thematisiert wird. Insbesondere an
Schulen werden diese nicht selten geäußert, was eine Herausforderung für
die Pädagog_innen darstellt.
Als weitere Problem bei der Zusammenarbeit mit muslimischen Gemeinden/
Einrichtungen in Deutschland wurden
genannt:
 Sehr lange bzw. keine Entscheidungsfindung /Flexibilität in stark
hierarchisch gegliederten
muslimischen Organisationen mit
großen Dachverbänden
 Keine zentralen Ansprechpartner
„der“ Muslime vorhanden, aufgrund
der Unterteilung der Gemeinden
nach nationaler Prägung bzw. nach
unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften)
Tisch 5: Veranstaltungen mit Roma
Romeo Franz (Geschäftsführer der
Hildegard-Lagrenne-Stiftung)
Im Zuge der
Ausweitung
der Projekte
„Muslime
laden ein“
und „Veranstaltungen
mit Flüchtlingen“ sollen während der Aktionswochen
2016 verstärkt auch Begegnungen mit Roma
zum Abbau von Vorurteilen und aktiver
Partizipation der Minderheitsangehörigen
initiiert werden. Themen, Veranstaltungsformen und Mobilisierungsmöglichkeiten,
um Antiziganismus entgegenzuwirken,
stehen zur Diskussion.
Tisch 6: Antisemitismus heute – Fakten und
Fiktionen
Die Gesprächsrunde musste leider kurzfristig abgesagt werden.
Tisch 7: Empowerment und die Perspektive
von rassismuserfahrenen Menschen
Remi Busch (Initiative Schwarze Menschen
in Deutschland, Frankfurt/M.)
Es werden
aus rassismuserfahrener
Perspektive
Impulse
gegeben
und Optionen diskutiert, wie eine Stärkung
des eigenen Umgangs mit Alltagsrassismus
als
auch
eine
bessere
rechtliche
Handlungsfähigkeit gegenüber rassistischer
Diskriminierung erreicht werden kann.
Tisch 8: Modellprojekt Grandhotel
Cosmopolis
Johannes Meyer (Mitbegründer)
Im
Augsburger
Grandhotel
Cosmopolis
wird
die
dringliche
Aufgabe der
Unterbringung von Asylbewerber_innen verknüpft mit
kultureller Vielfalt und einem Angebot zur
Teilhabe für alle. Wie wird aus der kühnen
Idee ein praktisches Zeichen der Menschenwürde und was ist bei der Umsetzung eines
solchen Experimentes zu beachten?
Im Anschluss an die Thementische haben
die Tischpat_innen und Teilnehmenden der
Thementische die Gelegenheit, wesentliche
Ergebnisse der Gesprächsrunden und
Themen, die sie im Hinblick auf die
Aktionswochen 2016 für wichtig erachten, in
einer Schlusswortrunde zu benennen.
Danach stellt Jürgen Micksch zur Diskussion,
ob die Projekte „Muslime laden ein“ sowie
„Veranstaltungen mit Flüchtlingen/Roma“
über das gesamte Jahr laufen sollen. Dem
wird zugestimmt.
Er fragt zudem das Interesse an der Medientagung sowie Kritik und Vorschläge für die
Tagungsgestaltung ab.
Tahir Della betont, dass es äußerst wichtig
sei, dass bei der Flüchtlingsdebatte und den
Veranstaltungen mit Flüchtlingen verstärkt
Selbstorganisationen einbezogen werden.
Auf diese Menschen und Organisationen
sollte man zugehen, da sie essentiell für die
Antirassismusarbeit in dem Bereich sind.
Das Schlusswort hält Geert Ates von United
for Intercultural Action in Amsterdam, von
denen die UN-Wochen gegen Rassismus
europaweit koordinier werden. Er erläutert
die Entstehung der europaweiten Aktionswochen und merkt an, wie große diese
Bewegung geworden sei. Insbesondere den
Internationalen Wochen gegen Rassismus in
Deutschland sei ein Lob auszusprechen. Es
sei beeindruckend, dass die Hälfte der
gesamten europäischen Beteiligung in
Deutschland stattfände. Interessant sei, dass
Rassismus, Flüchtlinge und Hate Speech
europaweit noch als unterschiedliche
Themen behandelt worden seien. Heute
wären diese unter dem Oberbegriff
Rassismus subsummiert. Ates beklagt, dass
es keine Visionen von Politiker_innen gäbe.
Dies bedeute besonders viel Arbeit für die
zivilgesellschaftlichen Kräfte. Jeder müsse
sich hinterfragen, ob seine Toleranz nur
soweit gehe, wie er selber nicht direkt
betroffen sei. Ates betrachtet die aktuellen
Entwicklungen in Europa mit Sorge, betont
aber auch, dass die Aktivitäten in
Deutschland Mut machten. Es sei wichtig
eine Gegenbewegung zu zeigen – hierfür
wünscht Ates allen Beteiligten viel Erfolg.
Abschließend bedankt sich Jürgen Micksch
noch einmal bei allen Referierenden und
Teilnehmenden.
Das
Motto
„100%
Menschenwürde“ sei eine große Aufgabe
und das Engagement im Rahmen der
Internationalen Wochen gegen Rassismus in
diesem Kontext zentral für die Zukunft.
gez. Britta Graupner,
Oktober 2015